Mackay
Der Schwimmer
Mackay

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4

Er hatte wieder ein Ziel und war wieder glücklich.

Was ihn eine Zeitlang in seinen Strudel gezogen, der Rausch seines Ruhmes und fremder, lauter Vergnügungen, war in dieser Zeit fast von ihm vergessen und lag unbegehrt hinter ihm. Zuweilen vergaß er ganz, wer er war, und im Klub fand man wieder, daß er den »Meisterschwimmer« nicht mehr so stark herauskehre wie nach seiner Rückkehr von England. So stellte sich bald das alte, trauliche Verhältnis mit seinen Genossen wieder her und die festlichen Veranstaltungen des Winters strahlten auch auf Felder ihre alte Fröhlichkeit aus. Daß er nicht mehr ganz so oft wie früher unter »den Seinen« erschien, fiel nicht weiter auf; selten, daß er gefragt wurde und eine ausweichende Antwort geben mußte.

Noch hatte er sein Geheimnis auch an Koepke nicht verraten.

Abend für Abend machte er nach der Arbeit den weiten Weg vom Norden der Stadt nach dem Süden, fuhr erst eine Zehnpfennigstrecke mit der Pferdebahn und ging dann den Rest des Weges mit seinen festen elastischen Schritten die breite Lindenstraße hinunter, an den glänzenden Läden und den Stätten der Erholung und Freude, wie an seinem eigenen Klublokal vorüber, seiner neuen Arbeit zu – mit dem Ausdrucke innerer Entschlossenheit in den Zügen, als ginge es schon zu neuen Siegen.

Mit dem Streben nach seinem neuen Ziel war er wieder ganz zu der Einfachheit der Gewohnheiten seiner bedürfnislosen Jugend zurückgekehrt. Nie hatte er seine Tagesarbeit unverdrossener und stiller getan und nie waren seine Gedanken weniger bei äußerlichen Vergnügungen und Zerstreuungen gewesen als jetzt. Wie früher trug er sein Abendbrot, ein paar belegte Stullen, in der Tasche mit sich und verzehrte es beim Ankleiden oder auf dem Heimweg aus der Hand. Das war das einfachste und das billigste und es nahm ihm nichts von seiner Zeit. –

Obwohl er zu seinen heimlichen Übungen kam und ging, ohne sich umzusehen, machte sich eine Bekanntschaft schon in den ersten Wochen wie von selbst. Unter den paar abendlichen Stammgästen erschien auch ziemlich regelmäßig ein Arzt, Dr. König, wie ihn der Bademeister nannte. Ein guter Schwimmer, nahm er sein Bad der Gesundheit wegen, ließ sich Zeit beim An- und Auskleiden, und nachdem man sich erst guten Abend gewünscht und der Doktor des öfteren stillschweigend den rätselhaften Sprüngen Felders zugesehen hatte, wechselten sich die ersten Worte ohne viel beiderseitiges Zutun. Dann traf es sich das eine Mal, daß man zusammen hinausging, und ein anderes Mal, daß der Doktor Felder traf, wie er in dem dunklen Torweg des Hauses seine Stulle aus der Tasche zog und kräftig hineinbiß. Nach ein paar Tagen stellte es sich heraus, daß der Doktor wußte, wer Felder war, da er die Sportzeitschriften las und ihn nach den Bildern erkannt hatte, worauf Felder nichts weiter übrig blieb, als ihm den Grund seiner Besuche in diesem entlegenen Bade zu erklären und die Bitte auszusprechen, sie einstweilen geheimzuhalten.

Gewiß hätte Felder nach seiner gewohnten, unverändert mißtrauischen und zurückhaltenden Art diese unfreiwillige Bekanntschaft von vornherein abgeschnitten, wenn ihm die einfache und freundliche Art des Doktors nicht sympathisch gewesen wäre. Dazu kam das große Interesse, das dieser an seinem Plane faßte. Kurz, nachdem ein Wort das andere gegeben und zu einer stetigen Unterhaltung geworden war, war es nur natürlich, daß man ein paarmal das Stück des gemeinschaftlichen Heimweges zusammen ging und gelegentlich noch irgendwo ein Glas Bier trank. So konnte es auch Felder nicht abschlagen, als ihn der Doktor in seiner liebenswürdigen Weise eines Abends bat, sein Abendessen in einem Restaurant zu teilen (von der Stulle war nie die Rede gewesen), und ebensowenig mehr nein sagen, als aus dieser Einladung ein nächstes Mal die zu einer Tasse Tee in des Doktors eigener Wohnung wurde. Diese Einladung wiederholte sich dann im Laufe des Frühjahres noch einige Male.

Zum ersten Male tat Felder einen Blick in die ihm völlig fremde Welt einer höheren Lebensführung, erfüllt von geistigen Interessen und gelenkt von sicherem Geschmack. Denn der Dr. König war ein weitgereister Mann, ein tüchtiger Arzt von Ruf und ein guter Psychologe, der die freie Zeit seines Lebens auf jede Weise zu einer Art Kunstwerk zu gestalten bestrebt war.

Er erkannte natürlich bald die ungeheure Einseitigkeit Felders, und daß man mit ihm eigentlich nur über eine Sache ernstlich reden konnte. Für alles andere taub und blind, existierte es einfach nicht für ihn, setzte er jeder anderen Unterhaltung das Schweigen absoluter Interesselosigkeit und eines geradezu krassen Unverständnisses entgegen, und war erst wieder zugänglich, wenn die Rede wieder auf jenes eine zurückkam, oder er selbst sie naiv oder brüsk dahin zurückgezwungen hatte. Das hätte den so vielseitigen Älteren und Erfahreneren bald langweilen müssen, sollte man meinen. Aber im Gegenteil: der Doktor war, wie gesagt, Psychologe, und ihn hätte diese unglaubliche, auf so eisernen Willen gestützte Beschränktheit interessiert, auch wenn sie sich nicht auf dies spezielle Gebiet erstreckt hätte, für das er selbst eine besondere Vorliebe hegte und dem er als Arzt eine so große Bedeutung in der Gesundheitspflege zuschrieb.

So gab er denn schon nach wenigen Gesprächen jeden Versuch auf, mit dem »Meisterschwimmer« über irgend etwas anderes zu sprechen, als was ihn und seine Kunst betraf, und beschränkte sich darauf, ihm gutmütig zuzuhören, wenn er in weitschweifiger Weise von seinen Erfolgen sprach; oder zu versuchen, den Horizont des jungen Mannes wenigstens auf seinem eigensten Gebiete zu erweitern, indem er ihm von der Entwicklung des Badewesens in früheren Epochen erzählte. Über diese Zeiten fehlte nun zwar Felder jeder Begriff; aber er hörte doch mit gesteigertem Interesse zu, wenn der Doktor in seiner ruhigen Weise und vertieft in die Erinnerung an seine Reisen nach den klassischen Stätten, erst von dem Leben jener alten Römer sprach, die den halben Tag in ihren wunderbaren Bädern verbrachten; wenn er diese in anschaulicher Schilderung aus ihren braunen Trümmern wiedererstehen ließ: die unerhörte Pracht jener Thermen des Caracalla und des Diokletian, die in jener Zeit zu öffentlichen Wohnstätten geworden waren, in denen die Römer den größten Teil ihres Lebens lebten und die sie zuletzt nur noch verließen, um sich zu ihren üppigen Mahlzeiten und den blutigen Schaustellungen der Arenen und des Kolosseums zu begeben. Das mußte eine Zeit nach Felders Herzen gewesen sein, und er wünschte, in ihr gelebt zu haben: den ganzen Tag im Bade und den halben im Wasser – was konnte es Schöneres geben! –

Und er hörte dem Erzähler weiter zu, wenn dieser von dem wasserscheuen Mittelalter mit seiner Verpönung des freien Badens und den langen Jahrhunderten des Daniederliegens des Schwimmens sprach und so gemach auf die Wiederbelebung der Schwimmkunst am Anfange des eigenen Jahrhunderts und hier in Berlin kam, um endlich bei der Jetztzeit und damit, wie von selbst, bei ihm, Franz Felder, gewissermaßen als der Krone des Ganzen, zu enden...

Wenn es so weit gekommen war, wurde auch der Zuhörer warm, und ein Gespräch über alle möglichen die Schwimmkunst betreffenden Fragen entstand zwischen den beiden, das sich bei einer Tasse Tee oder einem Glase Bier in dem gemütlichen, warmen, von dem Duft des Karbols leicht durchzogenen Zimmer des Arztes oft bis zur Zeit von Felders letzter Pferdebahn nach dem Norden hinzog.

Man war ganz zufrieden miteinander: Felder hatte jemand, der ihm freundlich zuhörte, und der Doktor machte eine psychologische Studie, von der der Betroffene allerdings nichts ahnte.


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