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Herr, dich selber muß ich haben,
Liebster Heiland, dich allein!
Dein muß ich auf ewig bleiben,
Dann nur kann ich ruhig sein!
Vollmondschimmer lag auf der märkischen Heide. Baum und Strauch standen in weißem Schmuck, und von den Türmen des Klosters schwebten die festlichen Töne, die das Nahen der heiligen Nacht verkündeten.
Drinnen im Kirchlein war alles hell, die Christbäume brannten, und am Altar strahlten die Kerzen über den Goldgefäßen des heiligen Altarsakraments. Die Schar der Mönche saß in den eichenen Kirchenstühlen, lauter ernste, tieftraurige Gesichter waren es, die da zusammengekommen waren zur heiligen Christvesper, nur wenige unter ihnen trugen den Ausdruck der Freude über das gottselige Geheimnis der Weihnacht, und manches Auge blickte tränenschwer in die strahlende Helle des Altars. Es war, als wollten sie einen geliebten Toten zur Ruhe tragen, und doch waren sie gekommen, um das Kind von Bethlehem zu grüßen.
Die hohe Gestalt des Abtes trat in den Altar; auch sein Antlitz war bleich und trug den Stempel tiefer, seelischer Bewegung. Nach dem liturgischen Gottesdienst bestieg er die Kanzel und verlas den Text, die Epistel des heiligen Christtages, Jesaias 9, 2-7: »Das Volk, so im Finstern wandelt, stehet ein großes Licht!« und hielt seiner kleinen Gemeinde eine auf dies Gotteswort gegründete Predigt, sonnenlicht und hell, erfüllt vom heiligen Geist, mit tiefem Ernst die Lage der gewaltigen Zeit auffassend, den Glaubensblick auf das Kind gerichtet, welches Ewigvater, Friedefürst heißt. Sie wußten es alle an diesem Abend, daß es Weihnacht war auf Erden, und wie süßer Friede legte es sich auf die traurigen Herzen der Brüder. Aber gar bald ward das Leid wieder aufgerührt. Am Schluß seiner Predigt wendete sich Bernhardus von Ribbeck noch einmal an seine Gemeinde und sprach: »Ihr wißt es, geliebte Brüder, daß ich heute abend von euch scheiden muß – es bricht mir fast das Herz, aber der Herr führt mich diesen Weg und ich muß ihn gehen. Ich kann dies Kleid nicht mehr vor Gott und Menschen mit reinem Gewissen tragen, weil ich ein Bekenner der neuen Lehre geworden bin – könnt ihr mich halten, möchtet ihr mich als Mietling unter euch sehen, darf ich vor den Augen des Erzhirten mit einer Lüge wandeln?
Ihr wißt es, wie lieb ich euch alle gehabt, wie ich jeden von euch auf betendem Herzen getragen, wie ich euch alle kenne mit euren Sünden und Schwächen, mit dem Guten, das der Herr euch gab. Ich habe das Wort Gottes in eure Herzen gepflanzt, rein und unverfälscht, habe über den jungen Pflanzen gewacht, und der Herr schenkte das Gedeihen. So habt nun acht auf eure Herzen, haltet, was ihr habt, daß niemand eure Krone nehme! Wachet, daß eure Lampen brennen und ihr niemand einlasset, ohne den Bräutigam. Denn es werden viele falsche Propheten durch die Welt gehen, daß sie verführen die Kinder des Lichts.
Prüfet alles, was an eure Tür kommt, und das Beste behaltet. Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes! – Prüfet auch die neue Lehre, wachet mit Gebet vor Gott, daß er euch den rechten Weg weise – und der Hirte und Bischof eurer Seelen geleite euch und führe euch durch das Land der Sünde und des Todes zum Frieden.
Siehe, er ist mitten unter uns, wir huldigen dem neugeborenen Königskind in der Krippe, und in seinem Sakrament kommt er zu uns, daß er uns heilige und stärke zu seliger Gemeinschaft. Er in uns und wir in ihm – das ist das Leben und volle Genüge!
So befehle ich euch dem Herrn, der euch erwählet hat zu Kindern des Lichts, zu empfangen das ewige Erbe, das behalten ist im Himmel, daß er euch stärke, vollbereite, kräftige, gründe, und die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei und bleibe mit euch allen. Amen.«
Verhaltenes Schluchzen klang durch die Kapelle, als der Abt zum letztenmal in den Altar trat, um die Feier des heiligen Abendmahls zu halten; dann ward es still, und die Orgel intonierte ein altes Sakramentslied.
Es war eine erhebende, heilig ernste Feier, die die kleine Schar im Augenblick des bittersten Scheidens mit dem erhöhten Meister und unter einander verband.
Der Segen war gesprochen, der letzte Ton verhallt, Bernhardus von Ribbeck verließ zum letztenmal als Abt das Gotteshaus. Draußen aber warteten sie seiner, fielen ihm zum Abschied weinend um den Hals und küßten ihn. Durch den verschneiten Garten geleiteten sie ihn, nicht weiter, er hatte es so gewollt; ein letzter Händedruck, ein letztes Grüßen, und die Mönche von Fischbeck kehrten hirtenlos in das verödete Kloster zurück.
Über die Heide aber zog ein einsamer Mann, schweren Herzens. Immer wieder stand er stille und blickte nach den alten Mauern zurück. Da kam's wie leises Klingen und Flöten herüber geschwebt, dann setzte es voll und klar ein, und durch die stille Christnacht zogen die Klänge des Lutherliedes:
»Das ew'ge Licht geht da herein,
Gibt der Welt ein'n neuen Schein!
Es leucht' wohl mitten in der Nacht
Und uns des Lichtes Kinder macht!«
Es war der Abschiedsgruß der Mönche. Er aber stand und lauschte in die Nacht hinaus; wie Balsam hatten sich diese Worte schon so oft auf sein Herz gelegt, wenn es ermüden wollte, heute waren sie ihm eine unaussprechliche Erquickung.
»Das hat er alles uns getan,
Sein groß' Lieb zu zeigen an;
Des freu' sich alle Christenheit
Und dank' ihm das in Ewigkeit!
jubelten sie weiter. Dann wurde es still, die Lichter verloschen auf dem Turm, und er sah sie im Geist herabsteigen, in ihren Zellen auf die Kniee fallen und für den Scheidenden beten. Da wurde auch seine Seele stille, er kannte die Leuchte seiner Füße und wußte, daß er in ihrem Lichte gewisse Tritte tun werde. Still und vertrauend blickte er hinauf, und seine Lippen flüsterten: »Vater unser, der du bist im Himmel!« Dann wanderte er Weiler durch den Schnee, in der Richtung, wo sich fern am Nachthimmel ein heller Schein über dem alten Wittenberg erhob.