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Der Friede Gottes geleite dich
Auf deinen einsamen Wegen!
Das Glück ist hin und der Lenz verzog,
Und dennoch ist's lauter Segen.
Es war ein kalter Wintertag im Jahre des Heils 1533. Strahlend ging die Sonne auf und beleuchtete Bäume und Sträucher, daß sie dreinschauten, als hätten die Englein sie über Nacht mit Juwelen bestreut. Von den Türmen und Zinnen des alten Schlosses zu Lichtenberg hingen lange, kristallhelle Eiszapfen, die breiten Dächer leuchteten im Schneegewand, und der Wetterhahn oben auf der Spitze der Burgkapelle hatte sich eine weiße Kapuze aufgesetzt, zum Schutz gegen die Stürme des Winters. Drinnen aber brannten die mächtigen Holzscheite im Kamin und die Kienäpfel knisterten in der Glut. Rosen und Veilchen blühten, den Eisblumen zum Trotz, am Fenster und sandten ihren süßen Duft durch den behaglichen Raum.
Am Fenster, an einem eingelegten Tisch saß Elisabeth von Brandenburg und schrieb. Man sah der Kurfürstin weder ihre achtundvierzig Jahre, noch das in ihrer Ehe mit Joachim I. erlebte Leid an, von solcher Schönheit war die hohe Frau. Die edlen Züge belebten ein Paar strahlende Augen, aus denen jene Fröhlichkeit leuchtete, die man so oft gerade bei leiderfahrenen Menschenkindern findet, weil sie unter dem Kreuz, das Glück und den Frieden gefunden, welcher ewiglich währt. Ihre vornehme, wahrhaft fürstliche Gestalt umschloß ein schwarzes Sammetgewand, im lockigen Haar trug sie eine mit Pelz besetzte Haube von Goldbrokat.
Vor bald fünf Jahren hatte sie Schloß Lichtenberg bezogen. Im März 1528 hatte sie in Abwesenheit ihres Gemahls das heilige Abendmahl in beiderlei Gestalt genossen, aber – wie geheim die Sache auch gehalten worden war, Joachim hatte bei seiner Rückkehr von derselben erfahren, und sein Zorn entbrannte aufs heftigste gegen sie. Er überhäufte Elisabeth mit Vorwürfen und drohte ihr mit Einsperrung, ja mit Einmauerung. So mußte sie, in ihren heiligsten Interessen bedroht, von seinem Zorn das Schlimmste befürchtend, aus Berlin fliehen. Auf einem Leiterwagen, nur von einer Dienerin und dem Türhüter Joachim von Götz begleitet, verließ sie in Bauerntracht in der Nacht vom 25. zum 26. März die Stadt und eilte der sächsischen Grenze zu. Dort erwartete sie ihr Bruder und brachte sie nach Torgau. Von da aus ließ sie den Kurfürsten Johann, falls ihm dies keine Gefahr zuzöge, um Schutz bitten, und er wies ihr in Lichtenberg, unweit Dommitzsch an der Elbe, eine Zufluchtsstätte an.
Joachim nahm keine Gewaltmaßregeln, seine Gemahlin zurückzuerlangen; er beklagte sich nur bei dem Kaiser auf dem Reichstag zu Augsburg darüber (1530). Die Trennung war ihm im Grunde wohl nicht unlieb. Später erlaubte er seinen Kindern, ihre Mutter öfter zu besuchen.
In stiller Zurückgezogenheit lebte die Kurfürstin in Lichtenberg, und ihre Demut und Frömmigkeit hatten ihr bald aller Herzen gewonnen. Mit Dr. Luther innig befreundet, zog sie ihn viel an ihren Hof und verlebte selbst einmal drei Monate in seinem Hause in Wittenberg. Armen und Bedrängten half sie, so viel sie es vermochte; als käme ein Engel herein, leuchteten die Augen der Kranken, wenn sie in die niedrigen Hütten trat, ein Hoffräulein mit Arznei und Lebensmitteln neben sich. Zu den Edelfrauen ihres engeren Verkehrs gehörte Frau Erica von Gerlach, die nun schon vor einer Weile das einsame Haus an der Stadtmauer von Jerichow verlassen und sich in Lichtenberg angesiedelt hatte. Sie war viel älter als Elisabeth, aber sie hatten in der Jugend zusammen gespielt, und Elisabeth hatte immer eine große Liebe für die fromme Frau gehabt. Heute schrieb sie ihr, mit der Bitte, im Laufe des Vormittags zu ihr zu kommen, sie habe ihr etwas Wichtiges mitzuteilen. Der Bote ging, und nach einer halben Stunde saß die Edelfrau neben der Kurfürstin. Letztere hielt einen Brief in der Hand.
»Ich habe leider keine guten Nachrichten aus der Altmark von Eurer Enkeltochter, liebe Frau von Gerlach,« sagte sie nach herzlicher Begrüßung zu der Vertrauten. »Sie selbst wünscht, Euch ihren Kummer zu verbergen, aber ich halte es nicht für recht, Mitwissende zu sein, ohne Euch ein Bild von der Lage der Dinge zu geben. Ingeburg Witzleben ist sehr in Sorge um ihren Eheherrn, der seit einiger Zeit – ich muß es Euch sagen – in schlechte Hände geraten ist.«
Die alte Frau wurde totenbleich. »Um Gottes willen, Durchlaucht, in wessen Hände!?«
»In die Hände eines gewissen Dornburg,« sagte Elisabeth, »des Mörders von Sybille Mathesius Vater!« setzte sie leise hinzu.
Frau Erica stöhnte: »Dann ist er verloren, wenn der Herr nicht ein Wunder tut. Meine arme Ingeburg!«
»Sie reiten von einem Gelage zum andern und kommen um Mitternacht trunken heim, der Dornburger immer mit,« fuhr die hohe Frau traurig fort, »und was das Schlimmste ist, Witzleben achtet nicht mehr der Bitten seines sonst so über alles geliebten Weibes! Ingeburg bittet mich, ihr Sybille für kurze Zeit zum Trost zu überlassen, sie wüßte sonst niemanden, der ihr beistehen könnte. Ich bin natürlich mit Freuden bereit, nur weiß ich's nicht, ob ich ein junges. Mägdlein in das Schloß mit den rauhen Gesellen senden darf, wenngleich Sybille das Haupt hoch trägt und so leicht keiner es wagt, ihr zu nahen!«
»Sendet sie hin, Durchlaucht, um Gottes willen, tut es,« flehte die alte Edelfrau, die die Tränen kaum zurückhalten konnte. »Wenn ich zur Winterzeit reisen könnte, sofort ging ich, doch ich bin zu alt und schwach, um in der Kälte die lange Fahrt zu machen. Sybille hat ein starkes Herz, und Ihr sollt sehen, so schwer dieser Gang für sie ist, sie geht ihn mit Freuden für Ingeburg.«
»Dr. Luther schreibt mir dasselbe auf meine Anfrage,« sagte die Kurfürstin, »und mein Herz sendet sie hin, das wißt Ihr. Mein einziger Gedanke war nur der: Darf ich ein Mägdlein in solch ein Haus senden, sieht sie nicht dort ein Unglück mit an, was Gott der Herr ihr vielleicht verbergen will, aber mein Fürwitz enthüllt es ihr!? Dazu kommt: es ist der Mörder ihres Vaters, mit dem sie, wenn auch nicht selber zusammentreffen, so doch voraussichtlich unter einem Dache wohnen wird – bedenkt das, Frau Erica, was für Folgen das für Herz und Gemüt haben kann! Ich lade eine große Verantwortung auf mich, so ich das Mädchen nach Hohenhaus schicke – kenne ich ihr Herz doch immer noch nicht ganz – Sybille ist mir ein Rätsel, wie ihre dunklen Augen!«
»Schickt sie hin, Durchlaucht,« bat Erica wieder, »haltet mich nicht für selbstsüchtig – ich kenne Sybillens großes, starkes Herz und ihre tiefe Liebe für mein Enkelkind, wäre sie weniger stolz und kühl gegen die Außenwelt – ich würde es nimmer wagen, Euch darum zu bitten, aber ich bin gewiß, sie wird Ingeburg eine starke Stütze sein und selbst keinen Schaden nehmen.«
»So sei es denn mit Gott gewagt!« sagte Elisabeth; »wenn ihr beiden alten Getreuen es mir anratet, kann ich unmöglich Nein sagen. Sybille kann bleiben, so lange es not tut, Esther Sophie von Alvensleben ist bei mir, und im Grunde sind zwei Hoffräulein ein arger Aufwand für mich!« setzte sie lächelnd hinzu.
Erica küßte die Hand der schönen Frau. »Wenn Ihr Esther Sophie auch beurlauben wollt, darf ich dann eintreten?« fragte sie. »Die Gerlachs und Witzlebens sind sehr in Eurer Schuld, Durchlaucht!«
»Ja, dann kommt Ihr, und wir halten zusammen Haus!« erwiderte sie fröhlich, »wir werden uns schon vertragen. Heute nachmittag sende ich Sybille zu Euch, damit sie sich Eure Grüße für Ingeburg Witzleben selber holen kann.«
Sie standen auf, und Frau Erica nahm Abschied von der Kurfürstin. Als sie gegangen, blickte diese einen Augenblick sinnend hinaus in den schimmernden Garten. »Hab' ich recht getan?« flüsterte sie, »Herr Gott, führe du diese Sache!«
Dann stand sie auf und öffnete die Tür; ein Edelknabe erhob sich draußen.
»Die Hofjungfer Fräulein Sybille Mathesius soll auf mein Gemach kommen,« befahl sie.
Er ging, und nach wenigen Augenblicken ließ sich ein leichter Schritt auf der Treppe hören, ein leises Klopfen folgte, und gleich darauf verneigte sich das Hoffräulein vor der Gebieterin. Sybille war fast noch schöner heute als in der düsteren Trauerkleidung, die sie einst in Hohenhaus getragen. Das grüne, mit Zobel besetzte Sammetgewand kleidete die vornehme Gestalt sonderlich gut. Das goldene Haar war in zwei dicke Zöpfe geflochten und um das Haupt gesteckt, das ein Häubchen von hellblauem Sammet bedeckte. Die weiße Battistkrause am Halse war von einer Perlenschnur zusammen gehalten.
Bescheiden blieb sie an der Tür stehen und erwartete die Befehle der Kurfürstin. Diese aber rief sie zu sich und sie mußte sich neben sie setzen.
»Mein Kind,« begann Elisabeth, »ich habe eine ernste Botschaft an dich!«
Das Mädchen sah sie forschend an, und sie fuhr fort: »Ingeburg Witzleben ist in großer Not und bedarf deiner; sie bittet mich, dich für eine Zeitlang hinzusenden, du seist die einzige, die ihr ein Trost sein könne in ihrer schweren Lage.«
»Um Gottes willen, Durchlaucht, was ist mit Ingeburg?« unterbrach sie Sybille. Sie war totenblaß geworden, ihre Hand zitterte auf der eichenen Lehne des Stuhls.
Elisabeth gab der Jungfrau ein kurzes Bild der Dinge auf Schloß Hohenhaus, sie nannte auch den Namen des Mannes, der den Frieden des stillen Hauses störte. Wie ein heftiger Schmerz zuckte es über das junge Gesicht, und der kalte herbe Zug blieb um die zarten Lippen liegen.
»Um Ingeburgs Glück sieht's traurig aus und insonderheit heißt's wohl jetzund der armen, verlassenen Frau in ihrer Not mit Liebe, Trost und Rat beizustehen. Sag es mir ganz offen, mein Kind, ob du die Kraft fühlst, in diesem Augenblick nach Hohenhaus zu gehen, ich bin nicht enttäuscht ob einer abschlägigen Antwort, weiß ich doch, was ich von dir fordere,« sagte Elisabeth.
Sybille hatte zu Boden geblickt, während sie gesprochen; nun öffnete sie die langen, dunklen Wimpern und antwortete, klaren Auges zu der Kurfürstin aufblickend, mit fester Stimme: »Wenn Euer Durchlaucht allergnädigst gestatten, gehe ich nach Hohenhaus!« – –
Sie hatte es vorher gewußt, sie kannte diesen starken und doch so zarten Mädchencharakter mehr, als sie sich selbst eingestehen wollte, und wußte, daß sie das Leichteste nie zu leicht, aber auch das Schwerste nie unübersteigbar finden würde, wo sie es für richtig hielt, es durchzuführen. Sie wußte auch, daß es ein harter Kampf für Sybille war, und wollte sich nicht zwischen sie und den stellen, der ihn ihr gesandt, so bestimmte sie alles zur morgenden Reise, und entließ für heute die Jungfrau mit innigem Gottbefohlen.