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Adelig Blut
Bürgt nicht für adligen Mut;
Aber ein adelig Herz
Ist ein Schatz im Glücke und Schmerz.
Am andern Morgen ritt Sybille Mathesius in Begleitung eines Junkers, der den Dienst bei der Kurfürstin hatte, aus Lichtenbergs Toren. Elisabeth wußte ihr Hoffräulein keinem besseren und edleren Beschützer anzuvertrauen, als Hans Jürgen v. Bredow, der trotz aller Gefahren, bei Verlust seiner Heimat, in ihrem Dienste geblieben war und alles Leid und Ungemach mit der geliebten Kurfürstin geteilt hatte.
Eine hohe, edle Gestalt war's, die neben dem Hoffräulein herritt, das blonde Haar und die blauen Augen verrieten sofort den märkischen Junker, und die brandenburgischen Farben den getreuen Vasallen der kurfürstlichen Frau. Er mochte etwa 34 Jahre zählen, der ernste, besonnene, feste Blick wenigstens gab ihm das Aussehen eines Mannes, der die Welt gesehen und mit Leid und Not gekämpft hat.
Schweigend ritt er neben dem schönen Mädchen her. Der Befehl der Kurfürstin, Sybille nach Hohenhaus zu bringen, war ihm nicht recht gewesen, aber er hatte sich stumm verneigt und am andern Morgen das Hoffräulein im Reitermantel erwartet.
Vor einem Jahr hatte er um Sybillens Liebe geworben, still und ohne daß ein anderer als die Geliebte es merkte, aber – war es zu früh gewesen, zu schnell nach dem Entsetzlichen, das die Jungfrau erlebt, oder war ihr Herz für ihn nicht erreichbar – er wußte es bald, woran er war. All ihr Leid war vom Adel gekommen, die schwarze Tat war nicht einmal durch ein adelig Schwert gesühnt worden, für den schlichten Bürger von Tangermünde wollt es nicht aus der Scheide in blutiger Gefahr, – wäre ein Junker so auf die Seite gebracht worden, ganz Mark Brandenburg hätte die bloßen Klingen gezogen und drein gehauen. Das nagte immer wieder an dem stolzen Herzen des Bürgerkindes. Und nun sollte sie gar einen Junker freien! Nimmermehr! Vielleicht kam Hans Jürgen nur um ihrer Schönheit, um ihres reichen, väterlichen Erbes willen, oder gar aus Barmherzigkeit, um dem Waisenkinde ein Heim zu geben – gegen das alles bäumte sich das stolze, leidenschaftliche Mädchenherz, und der Junker hatte bald gemerkt, daß sie, wenn er anhielte, seine Hand ausschlagen würde.
Stumm ritten die beiden durch die Heide, bis es nicht mehr zum Ertragen war. Hans-Jürgen brach dann auch das Schweigen und redete gerade so einfach und natürlich zu ihr, wie er es im Gemache der Kurfürstin getan, von Dr. Luthers Bibelübersetzung, die im kommenden Jahr ganz vollendet sein werde, von den Dingen draußen im Reich und dem Fortschreiten der neuen Lehre in Sachsen und in der Mark.
Sybille antwortete ihm freundlich und ruhig, als gedächt sie nicht mehr der vergangenen Tage.
Gegen Abend, als sie lange durch die Heide geritten waren, und Sumpf und Sand nicht enden wollten, streckte Bredow die Hand aus und sagte, auf ein weißes Schloß deutend: »Das ist Hohenhaus.«
»Ja,« antwortete sie, »ich weiß es. Und nun habt Dank, Junker, daß Ihr mich bis hierher gebracht habt. Gern hätt' ich Euch der Mühe enthoben. Und nun bitt' ich Euch, kehrt jetzund um,« setzte sie zögernd und errötend hinzu, »es wär' mir leid, so Euch in jenem Hause ein Ärgernis träfe – ich kann die kurze Wegstrecke unbeschadet ohne Geleit zurücklegen.«
Sie reichte ihm die Hand. Er berührte sie mit den Lippen und sagte ernst: »Nein, edles Fräulein, ich geleite Euch nach Hohenhaus, wie mein Befehl lautet. Ich habe vor der Kurfürstin darüber Rechenschaft abzulegen!«
Sie sah ihn noch einmal flehend an. »Ich bitte Euch, geht!« sprach sie leise; aber er schüttelte stumm den Kopf und ritt neben der Geliebten über die festgefrorene Heide Frau Ingeburgs verschneiter Heimat zu.
Es war dunkel geworden. Ein Lichtlein brannte unten im Schloß, und Sybille sah die zarte Gestalt ihrer Freundin am Fenster, die Stirn an die kalten Scheiben gelehnt. Einen Augenblick später lag sie an ihrem Halse. »Sybille!« schluchzte Frau Ingeburg, »welch ein Wiedersehen!«
Dann erblickte sie den fremden Junker, der bescheiden im Hintergrunde geblieben war, und bat ihn mit der auch in diesem Augenblick ihr eigen gebliebenen Würde und Anmut, in ihr Haus zu kommen und diese Nacht darin zu rasten. »Mein Eheherr ist gestern ausgeritten, ich weiß nicht, wann er zurückkehrt, so muß ich Euch bitten, meine Einladung anzunehmen,« sagte sie leise.
Hans Jürgen küßte ehrerbietig ihre Hand und sagte: »Habt Dank, edle Frau, doch möcht' ich Euch Unruh' und Mühe ersparen, zudem muß ich spätestens morgen abend daheim sein, Ihre Durchlaucht erwartet, daß ich in Bälde zurückkehre.«
»Aber Ihr könnt doch nicht die Nacht durch reiten!« beharrte sie. »Über die Heide mit ihren überfrorenen Sümpfen ist's sonderlich im Finstern ein gar beschwerlich und gefährlich Reiten – Ihr kommt leichtlich an einem Tage nach Lichtenberg zurück, – ich bitte Euch, bleibt!« sagte sie herzlich, »ich hätte keine Ruhe, wüßte ich Sybillens Beschützer bei Nacht und Nebel durch die Heide reiten!«
Er konnte ihren Bitten nicht länger widerstehen, obwohl er wußte, daß ein gutes Wirtshaus in der Nähe war, und gab nach. Sybille hatte den Blick gesenkt, und ging ernst neben Ingeburg die Treppen hinauf, die sie in ihr Gemach führte. Als sie dort angelangt, war Frau Ingeburgs Fassung zu Ende. Laut aufschluchzend sank sie in Sybillens Arme. Diese versuchte sie zu beruhigen, aber die unglückliche Frau schluchzte: »Laß mich, mein Herz, ich muß mich einmal erst recht ausweinen, du bist die erste, zu der ich reden darf, und doch vermag ich's kaum.«
Sybille strich mit der Hand über das dunkle Haar der Freundin; ihre Augen füllten sich mit Tränen. – Ingeburgs Leid war ihr fast schwerer, als das eigene. Hätte sie nur gewußt, wie sie sie trösten sollte, aber wie ein schwerer Druck lastete es auf ihr, seit sie das Haus betreten, daraus Sünde und Leidenschaft das Glück vertrieben. »Wie lange ist es schon?« fragte sie endlich.
»So lange, wie er den Dornburger kennt, etwa sechs Monate, ist er wie umgewandelt, täglich unterwegs mit dem wilden Gesellen, oder sie spielen und trinken oben über meinem Gemach. Wolf Dietrichs Gesundheit ist schon sehr geschädigt, auf der Burg schaut er nimmer nach dem Rechten, und meine Bitten und Klagen hört er nicht an, seit er in den Händen dieses Satans ist,« sagte Ingeburg.
»Also der Mörder meines Vaters geht noch immer frei umher in der Mark Brandenburg!« sagte die Jungfrau bitter. »Ich konnte es nicht ganz fest glauben, daß es wahrhaftig dieser Dornburg ist, der euch ins Unglück gebracht, bis ich es aus deinem Munde weiß, Inga!«
»Und wenn du es ganz fest geglaubt hättest, wärest du dann auch gekommen?« fragte Ingeburg, das Mädchen umfassend.
Sybille richtete sich hoch auf. »Die Tochter Philipp Mathesius' fürchtet sich vor keinem Menschen auf der Welt, – meinst du, ich hätte nicht den Mut, dem Mörder meines Vaters gegenüberzutreten, und wenn's nur wäre, um die Barmherzigkeit zu üben und ihm die Wahrheit zu sagen. Zudem,« fügte sie weich hinzu, »komme ich für dich, Rose von Jerichow.« Sie küßte die junge Frau, die sich zitternd an sie schmiegte, und blickte mitleidig auf das bleiche Gesicht an ihrer Schulter.
»Sag, Liebling,« fragte sie leise, »ist's denn ganz unmöglich, diesen Dingen ein Ende zu machen – – ist's unmöglich,« fuhr sie zögernd fort, »daß du eine Weile Hohenhaus verläßt, daß,« – sie vollendete den Satz nicht. –
Frau Ingeburg machte sich aus ihren Armen los, und die Märchenaugen sahen sie groß an.
»Ich heiße Ingeburg Witzleben vor Gott und Menschen!« sagte sie stolz, »und bleibe auf dem Posten, auf den ich gestellt bin, bis Gott der Herr mich abruft, ob ich ihn auch in Leid und Tränen behaupten muß!«
Sybille errötete und senkte den Blick; sie hatte in dem Gedanken, der Freundin zu helfen, ein Wort gesprochen, danach ihr eigen, starkes, klares Herz nie gehandelt haben würde, das namenlose Leid aber, das Ingeburg getroffen, hatte es ihr auf die Lippen getrieben.
Ingeburg merkte, was sie empfand, doch nahm sie in liebreicher Weise dessen nicht wahr.
»Und nun willst du bei mir bleiben und mein Sonnenschein sein?« fragte sie unter Tränen lächelnd.
»Könnt ich dir nur helfen!« seufzte das Mädchen.
»Daß du da bist, ist ein großer Trost für mich!« antwortete sie. »Die Hülfe müssen wir von dem erbitten, der über Bitten und Verstehen erhört.«
Die Sterne schauten ins Gemach; sie blickte hinauf. An den schwarzen Wimpern hingen noch Tränen, als sie Sybillens Arm in ihren legte, um zur Abendmahlzeit zu gehen, aber ihr Antlitz war still und ruhig, und mit anmutsvoller Hausfrauenwürde empfing sie den Junker von Bredow auf ihrem Gemach. – –
Nach der Mahlzeit setzten die drei sich um den Kamin, darin ein lustiges Feuer brannte. Frau Ingeburg hatte den Platz gewählt, der dem Fenster am nächsten war, und blickte ab und zu unruhig in die kalte, sternklare Nacht hinaus. Doch trotz ihrer Sorge und Angst unterhielt sie ihre Gäste aufs beste, und Bredow bewunderte im stillen ihre Kraft.
Als die Turmuhr die Mitternachtsstunde verkündigte, erhob sich die Schloßherrin und sagte: »Sybille, du siehst müde aus, wir wollen nicht länger auf Wolf Dietrich warten. Auch Ihr werdet nach dem langen Ritt gern der Ruhe pflegen, Junker.«
Sie trat hinaus und gebot dem Knappen, der müde der Ankunft seines Herrn wartete, den Ritter in sein Gemach zu führen. Dann reichte sie Bredow die Hand zum Gutenachtkuß und nahm Sybillens Arm, um sie hinaufzugeleiten. Über die Stufen fiel der flackernde Lichtschein der Pechfackel, sonst war alles dunkel, nur hie und da blickte ein Stern durch die Gitterfenster.
Da tönte lautes Pferdegetrappel im Hof, lautes Fluchen und Lärmen drang durch die Stille der Nacht – Ingeburg fuhr mit der Hand zum Herzen.
»Sie sind's!« rief sie und eilte nach der Tür. Aber Bredow vertrat ihr den Weg. »Laßt mich gehen oder den Knappen!« bat er, als sie heftig den Kopf schüttelte. Letzterer eilte hinab, Frau von Witzleben riß das Fenster auf und beugte sich hinaus – es war finster im Schloßhof, der Mond stand hinter dem Hauptturm, und der weite Raum war spärlich von einer Fackel beleuchtet, die ein Knecht gebracht hatte. Eine dunkle Masse bewegte sich geschäftig um einen Gegenstand, und des Dornburgers Stimme klang herrisch und halb betrunken dazwischen. Namenlose Angst bemächtigte sich des jungen Weibes, und sie schrie hinab: »Was ist mit meinem Gemahl?«
Der Dornburger riß mit unverschämter Ehrerbietung den Federhut vom Kopf und antwortete, sich vor Frau von Witzleben verneigend, mit lallender Stimme: »Nichts Sonderliches, edle Frau, wir hatten nur einen kleinen Streit mit etlichen Wegelagerern, daran Euer gestrenger Eheherr sich reichlich scharf beteiligt hat. Zudem hatte er vorher Eurem besten Ungarwein stark zugesprochen, da hat er etwas zu viel gekriegt!«
Eine entsetzliche Ahnung stieg in ihr auf; sie wollte hinabeilen, aber Sybille hielt sie fest und sagte mit weißen Lippen: »Bleib hier, Ingeburg, du darfst nicht hinab! Bredow ist unten,« fügte sie hinzu. Doch schon hatte sie die Tür aufgerissen und flog die Treppen hinab. Da lag unten in der Halle auf einer Bahre Wolf Dietrich von Witzleben blutig und bleich, den Todesschweiß auf der Stirn.
Sie stürzte neben ihm auf die Kniee und preßte ihren Mund auf seine Lippen. »Wolf Dietrich, bleib bei mir!« schluchzte sie.
Er aber nahm die letzte Kraft zusammen, und fast unhörbar flüsterte der sterbende Mund: »Vergib mir, Inga!«
Sie wußte sich nicht zu fassen und weinte krampfhaft an seiner Brust.
Da sprach eine ruhige, tiefe Stimme hinter dem Sterbenden die Worte: »Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünde der Welt, erbarme dich unser und gib uns deinen Frieden!«
Wie Sonnenlicht zog es über das totenblasse Antlitz, leise sprachen die fahlen Lippen: »Christe, du Lamm Gottes!« Ein letzter Blick in die Augen seines treuen Weibes, ein letztes leises Atemholen, und er war eine Leiche. Der Junker von Bredow aber trug die leblose Gestalt des unglücklichen Weibes die Treppen hinauf in ihr Gemach.
Sybille wollte folgen, da sah sie die dunkle Gestalt eines Mannes im Reitermantel über die Schwelle des Hauses treten. Wie gelähmt blieb sie stehen. Er aber näherte sich der Leiche, den Blick auf die schöne Gestalt gerichtet, die zu Häupten der Bahre stand.
»Wer seid Ihr?« murmelte er, näher tretend und die Hand ausstreckend.
Sie hob den weißen Arm aus dem dunklen Reitkleid, und die tiefe Stimme, die vor einem Augenblick das Armensündergebet gesprochen, sagte in ruhigem Ton: »Zurück, Ritter von Dornburg, hier ist kein Raum für Euch!«
Wie ein Traumgebilde stand sie vor ihm, den sagenhaften Jungfrauen der germanischen Völker gleich, die die Toten hinauftrugen. Das goldne Haar lag wie ein Heiligenschein um die wunderbare Mädchengestalt, und die mächtigen, ruhigen Augen blickten ihn an, daß ihm graute. Und doch bannte ihn eine unerklärliche Macht.
»Laßt mich Euch huldigen,« sagte er, Ort und Zeit vollständig vergessend, »laßt die Toten ruhen und …« Er war mit raschem Schritt an ihrer Seite und umfaßte sie – mit heißem Blick beugte er sich zu ihr nieder, sein Atem streifte ihre Stirn. – –
Wie versteinert stand sie, nur die Augen flammten vor Zorn – – noch einmal hob sie den Arm, und ihre Hand traf mit hartem Schlage des Ritters Wange.
Er fuhr zurück, – wie ein Irrsinniger starrte er in das weiße Antlitz, der Arm, den er gegen das Weib, das ihn beschimpft, erheben wollte, sank schwer herab, und mit lallender Stimme wiederholte er die Frage nach ihrem Namen.
»Ich bin Sybille Mathesius!« erwiderte sie kalt.
»Sie ist von den Toten auferstanden!« ächzte er und wollte von dannen.
Schritte kamen die Stufen herab, eine Waffe schlug den Boden; vor ihm stand Bredow. »Ihr habt angesichts des Todes eine Dame, die Ihr nicht das Recht habt anzublicken, tödlich beleidigt, in drei Tagen sehen wir uns wieder!« Er sprach's und warf dem von Dornburg seinen Handschuh vor die Füße.
»Wir sind quitt!« murmelte dieser, mit gläsernen Augen den Sprecher anblickend, dann hob er den Handschuh auf und verließ, einen wilden Fluch zwischen den Zähnen, das Schloß. Einen Augenblick später hörte man den lauten Hufschlag seines davonjagenden Rosses über die Zugbrücke schallen.