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Der junge Assad von Samarkand war ein Sonntagskind, deshalb sah und hörte er mehr als andere Menschenkinder.
Ging er vor den goldenen Toren der Stadt, zwischen den üppig prangenden Reisfeldern spazieren, oder ruhte er, ermattet von des Tages Glut, im Schatten eines hohen Salbaumes aus, immer und immer vernahm er leise, feine Stimmchen, die ihm reizende Märchen zuflüsterten. Auch die zierlichen, buntbeschwingten Vögel, die sich zwitschernd in den Aesten der himmelhohen Salbäume wiegten, sie sangen ihm ihre süßen, lieblichen Weisen vor, die Assad sehr schnell lernte, um sie des Abends unter den Fenstern der reichen Kaufherren von Samarkand zu singen.
Diese Kunstfertigkeit brachte dem Jüngling reichen Lohn ein. Assad freute sich an dem Glanz der Goldstücke; doch er hielt sie nicht in seiner Truhe verwahrt, sondern verteilte, freigebigen Herzens, einen Teil seines Erwerbes unter die Armen und Kranken, die in großen Mengen vor den Toren der Medressen Hebräisch Midrosch, d.h. Schule, Moschee. Schirurdar und Tille-Kari lagerten.
Eines Tages, schon stellten sich die Vorboten der nahenden Regenzeit ein, verlockten die hellschimmernden Sonnenstrahlen den Jüngling zu einem Spaziergang.
Rüstig schritt Assad aus, und bald lag Samarkand, sowie dessen nähere ihm wohlbekannte Umgebung weit hinter ihm.
Ein dichter Wald nahm den Wanderer auf.
»Wohin mag dieser Weg führen?« dachte Assad, dessen Wißbegierde sich regte. Die fremdartige Umgebung reizte den Jüngling zum Weiterschreiten. Allein, plötzlich schien es ihm, als verdunkelte sich der Himmel. Sein köstliches Blau schimmerte nicht mehr durch das Gezweig. Ein kühler Wind erhob sich und riß ungestüm an den Blättern und Zweigen der Bäume.
Assad, nur leicht bekleidet, fröstelte, und schon wollte er den Heimweg antreten, als er, wenige Schritte vor sich, ein Gebäude erblickte. Es stand inmitten eines weitläufigen Gartens. Hohe, ehrwürdige Bäume beschirmten das Haus.
»Dort finde ich einen Unterschlupf während des häßlichen Wetters,« dachte Assad.
Mit wenigen Schritten hatte er das Haus erreicht. Es war aus ungebrannten Lehmsteinen aufgebaut. Die Umfassungsmauern waren teilweise eingestürzt und das defekte Eingangstor hing schief in den Angeln.
Assad fühlte, wie ihm das Herz stärker klopfte. Noch niemals hatten seine Augen ein ähnliches Bild von Verlassenheit und unheimlicher Oede geschaut.
Auch im Garten zeigten sich Spuren von Verwüstung. Erschreckt, erstaunt betrachtete Assad das Haus.
Stand es leer?
Einen Augenblick noch verweilte der Jüngling überlegend am Tore. Sollte er eintreten oder das unheimliche Haus fliehen?
Vielleicht diente die Ruine als Schlupfwinkel von Dieben und Räubern; allein der heftiger herabströmende Regen jagte den zögernden Assad über die Schwelle des Hauses.
Durch den Schall seiner Schritte aufgeschreckt, flatterten Fledermäuse auf. Mit ihren grauen sammetartigen Flügeln schlagend, schwirrten sie Assad um den Kopf, während Ratten und Mäuse und anderes lichtscheues Getier aus den Ecken und Winkeln des halbdunkeln Raumes hervorhuschten.
»Das Haus scheint unbewohnt,« flüsterte Assad. »Hier bin ich wenigstens vor Regen und Sturm geborgen.«
Er ließ sich auf einen Holzblock nieder und blickte hinaus in das Unwetter. Am Himmel jagten die Wetterwolken. Da – ebenso schnell als das Gewitter heraufgezogen, ebenso schnell mäßigte sich die Gewalt des Regens, und bald darauf zitterte ein schwacher Sonnenstrahl durch die Wipfel der Bäume.
»Ich will versuchen heimzukommen, schon sinken Dämmerschatten herab; die Nacht bricht an und mein Weg ist weit.«
So sprach Assad. Doch plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Ein zarter, sanft vibrierender Ton zitterte durch die Stille, ein Ton von schier überirdischer Schöne und süßem Wohllaut, wie ihn der Jüngling noch niemals vernommen.
»Was war das? Haben selige Geister dieses verlassene Haus zur Heimat erkoren?«
Je länger Assad den unsichtbaren Musikern lauschte, desto höher stieg sein Wunsch, den Ursprung dieser Töne zu erforschen.
Nach allen Richtungen durchstreifte er das Haus. Jetzt war seine anfängliche Furcht verschwunden. Er suchte und forschte. Trotzdem die süße Musik, für Augenblicke aussetzend, forttönte, war Assad nicht imstande, sich den Ursprung dieser Musik zu erklären.
»Wenn ich so süße Weisen singen könnte, würde ich reichen Lohn ernten. Ich würde ein berühmter Sänger und könnte Schätze für meine armen Freunde sammeln.«
Eifriger forschte Assad. Bald schien es ihm, als erklänge die köstliche Musik dicht in seiner Nähe, dann wieder entfernte sich der Schall, und nur leise, leise summte und sang es wieder.
Assad hatte die hereinbrechende Dämmerung vergessen, auch der Wind hatte sich wieder aufgefrischt. Mit wilder Wut rüttelte und schüttelte er die Kronen der Waldbäume. Doch seltsamerweise, nun erklang die Musik viel stärker, als sei ein stark besetztes Orchester in Tätigkeit!
»Ah, dort in der Ecke, die schmale Stiege habe ich in der Dämmerung nicht bemerkt. Sie muß in den Oberstock führen; sollte dort vielleicht –«
Ohne weitere Ueberlegung stieg Assad die Stufen hinauf. Feuchtkalte Luft wehte dem Jüngling entgegen. Hoch, immer höher wendete sich die Stiege. Endlich – Assad war es trotz der immer mehr zunehmenden Kälte ziemlich heiß geworden, landete er auf einem schmalen Vorbau, der balkonartig vorsprang.
Mit Entzücken bemerkte Assad, daß er den Ursprungsort jener rätselhaften, überirdisch süßen Töne gefunden hatte.
Der Vorbau wurde von einem manneshohen Gitter begrenzt. Einzelne wunderfeine Stäbchen waren aus dem metallenen Längsstreifen, der zur Befestigung der Gitterstäbe diente, losgelöst.
Diese feinen Metallstäbchen wurden von dem darüber hinstreichenden Winde bewegt. Dadurch entstanden Schwingungen und Bewegungen, die jene überirdischen, bald anschwellenden, bald verhauchenden Töne hervorbrachten.
»Seltsam, wunderbar, so einfach hätte ich mir die Lösung des holden Rätsels nicht gedacht,« flüsterte freudig lächelnd der Jüngling. »Diese Stäbchen bestehen aus Kupfer, deshalb ist ihr Klang so metallisch zart. Aber –« ein Blitz aufflammenden Verständnisses flog über Assads jugendschönes Antlitz, »könnte ich mir nicht ein Instrument nach diesem Vorbilde zusammenstellen?«
* * *
Mit vieler Mühe und Sorgfalt ahmte Assad die zwischen zwei Längsstreifen eingefügten Stäbchen nach. Endlich, nach manchem vergeblichen Versuch, wurde seine Mühe mit Erfolg gekrönt.
Im Anfang fiel es Assad schwer, die Stäbchen in regelrechte Schwingungen zu bringen; erst, als der eifrige Erfinder die Metallstäbe durch Darmsaiten ersetzte und dem Instrument eine dreieckige Form verlieh, da kam das »Trigonon« bald in Aufnahme.
Assad, der erste Harfenspieler, wurde ein reicher, angesehener Mann. Sein Ruhm als Erfinder des klangvollen Instrumentes erfüllte bald die ganze Welt.
In den verschiedensten Gestalten wurde die »Arpa« hergestellt, und das ursprünglich mit nur fünf Saiten bespannte Instrument zeigte zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts fünfundzwanzig Saiten, die, ähnlich den weißen Tasten des modernen Klaviers, nach der diatonischen Tonleiter gestimmt waren.
Schon die Juden, Griechen, ja selbst die alten Deutschen kannten die Harfe. Ihr entlockten sie, bei feierlichen oder fröhlichen Gelegenheiten, die schönsten Weisen.
Besonders die Minnesänger und Troubadours sangen ihre Stegreifgesänge, ihre Chansons zur Harfe.
Erst zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts wurde sie durch das Klavier mehr und mehr verdrängt; jedoch noch heutigentags gibt es hervorragende Harfenvirtuosen.
In Richard Wagners Meisterwerken erklingen Harfentöne, und wohl niemand vermag sich ihrem überwältigenden Einfluß zu entziehen, wenn das schöne Lied: »An den Abendstern« aus der romantischen Oper: »Tannhäuser« an das Ohr schlägt.
So lebt die Erfindung des Assad von Sarmakand fort und fort. Die süßen Töne, die ihn vor Hunderten von Jahren einst lockten, sie erfreuen noch heute die Herzen der Menschen mit ihrem himmlischen Klange.