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Märlein vom Gnomenfürsten Tokai.

Am südlichen Abhange des Hegyallyagebirges wächst und gedeiht der kostbare Tokaierwein, dessen stärkende Kraft Kranke gesund macht, und dessen mild lieblicher Geschmack die Herzen aller Menschen erfreut. Zu seinem Gedeihen bedarf er nicht nur warmer, vom Sonnenglanz durchleuchteter Tage, nein, aus dem Innern der Erde heraus müssen heiße Gluten die feinen, weitverzweigten Wurzeln der Weinstöcke umspielen; nur in Flammengluten gedeiht der Göttertrank.

Tief unten in den Höhlen, Spalten und natürlichen Stollen des Hegyallyagebirges, dessen malerische Hügelkette sich längs der fischreichen Theiß hinzieht, dort unten herrscht ein mächtiger Gnomenfürst. Seit Beginn der Welt fühlt sich das zahlreiche Geistervölkchen wohl unter dem weisen, doch strengen Regiment seiner Fürsten, die insgesamt den Namen »Fürst Tokai« führen. Sie sind die Hüter und Schützer des edlen Rebensaftes, der in den Weinbergen von Tokai gewonnen wird.

Ruhe und Zufriedenheit herrschen im Gnomenreiche. Hier gibt es weder arbeitsscheue noch böse Menschen, sondern groß und klein, hoch und niedrig, alle schaffen aus Lust an der Arbeit und befolgen freudigen Sinnes die Befehle ihres Herrschers. Schon früh im Jahre beginnt die Arbeit. Unter der Erdoberfläche sind große, weite Höhlen eingebaut; hier stehen mächtige Herde, auf denen jahraus, jahrein das Feuer nicht erlischt.

Im Frühjahr, wenn die jungen Schößlinge aus der Erde hervorlugen, wenn sich die ersten, zierlichen Blättchen am Weinstocke entwickeln, da darf das Feuer nur schwach geschürt werden, ja, die klugen Erdmännchen haben eigenartige Maschinen erdacht, um die größte Hitze abzulenken und zu zerstreuen. Sonst könnten die jungen Triebe versengt und verdorben werden. Später, wenn die Weinstöcke köstlich duftende Blüten ansetzen, dann ächzen die Blasebälge, dann lodern die Herdfeuer höher empor, und im Gnomenreiche steigt die Temperatur. Je mehr das Jahr fortschreitet, desto höher lodern die gelbroten Flammen empor. Wie es glüht und prasselt, wie es funkelt und zischt! Dann kommt das Gnomenvolk in Aufregung, dann arbeitet ein jeder mit Anspannung aller Kräfte. Es gilt, die Befehle des Fürsten gut und exakt auszuführen.

Unaufhörlich rollen kleine Wagenzüge, beladen mit schwarzglänzenden Steinkohlen herbei; dunkelbekleidete Erdmännchen schieben die Karren, ächzend unter der schweren Last. Die Kohlen haben ihre Brüder unten im abgrundtiefen Schachte gebrochen und mittelst Eimer heraufbefördert. Sobald ein solcher Lastzug aus dem Seitenstollen hervorkommt, klingeln und läuten zierliche Silberglöckchen. Auf ihren Ruf eilen junge, kräftige Gnomen in grauen Leinenkitteln herbei, sie laden die vollgepackten Karren ab, die alsbald wieder in dem Stollen verschwinden.

Um die großen Feuerherde sitzen ehrwürdige, alte Gnomen, die mit ernsten Gesichtern und wichtigen Mienen in die hochlodernden Flammen schauen; sie geben wohl acht, daß die gelbroten Flammenzungen auch bis hinauf in die feingewölbten Bogen der unterirdischen Höhlen lecken. Es gilt für die höchste Ehre im Gnomenreiche, zu diesem Amte ausgewählt zu werden, und nur die weisesten und klügsten Greise werden damit betraut. Von der richtigen Ausnutzung der Flammengluten hängt ja das Gedeihen und Reifen der Weintrauben ab. Tag und Nacht muß der Weinsaft ununterbrochen kochen und sieden, ehe er jene Glut und Stärke gewinnt, die ihn vor allen Weinsorten auszeichnen.

Ende September, wenn der hellglänzende Saft in die vollstrotzenden Beeren eingedrungen und geläutert ist, dann steigt Fürst Tokai in einer vollmondhellen Nacht zur Erde empor. Verständnisvoll betrachtet er die Weinbeeren, befühlt und kostet wohl hie und da eine schwellende Traube, und ist sie noch nicht süß und kraftvoll genug, dann gibt er Befehl, die Feuer noch heller zu schüren. Sein Ruf steht ja auf dem Spiele, und selbst ein Gnomenfürst hält auf Ruf und Ansehen bei den Menschen.

Nach einem zweiten und dritten Versuch findet Fürst Tokai die Beeren reif. Nun kann die Ernte beginnen. Bald bevölkern sich die Weinberge. Scharen froher Menschen ziehen herbei. Die Schulstuben, die Gerichtshallen werden geschlossen, und jung und alt, reich und arm zieht hinaus zur Weinernte in das Tokaital, über dessen Berggelände der schimmernde Sonnenschein gleich Goldstaub flutet. Von allen Höhen singt und klingt es, bald lockt die Fiedel, klingt das Cymbal, und lustige Gesänge erschallen. Dazwischen donnern Salutschüsse von den Bergen hernieder. Der Jubel der glücklichen Menschen vereint sich mit dem Trillern der Heidelerchen, dem Zirpen der Grillen und dem melodischen Gesang der Wellen des Theißflusses.

Ueberall regen sich fleißige Hände. Jeder Ungar hält darauf, sein »Fassel eigener Fechsung« im Keller zu lagern. Die Ungarn sind ein gastfreies Völkchen, und besonders zur Zeit der Weinlese, da findet man überall die freundlichste Aufnahme und gedeckte Tafeln. Offene Jagdwagen, von vier feurigen, mit seidenen Tüchern und Schleifen in den Landesfarben ausgeputzten Vollblutrossen gezogen, führen schon zeitig am Morgen frohe Gäste herbei. Unter Eljenrufen, Scherzen und Lachen geht es den Berg hinab. Böllerschüsse verkünden die Ankunft der lieben Gäste, die, nachdem sie sich mit Speise und Trank gelabt, auch ans Tageswerk gehen. Die Gesellschaft verteilt sich, und bald ist die Stelle erreicht, wo »geklaubt« wird. Junge Burschen und dralle Mädchen – in der kleidsamen ungarischen Tracht – eilen, einen Korb in der Hand, von Weinstock zu Weinstock, um, sobald der Korb gefüllt, ihre süße Last nach dem Kelterhaus zu tragen. Hier werden die Trauben nach alter Sitte noch durch Menschenfüße ausgestampft. Hochauf spritzt der köstliche Saft, der durch einen Abzug in bereitstehende Wannen geleitet wird. Lustige Lieder würzen und fördern die Arbeit, die, mit Ausnahme der Mittagspause, in der für die Arbeiter ein reichliches Mittagsmahl, bestehend aus Hirse und Hammelfleisch, sowie weißes Brot und Speck aufgetragen wird, bis zum Eintritt der Dunkelheit fortgesetzt wird. Wenn dann abends Dämmerschatten über die meilenweite Pußta herabsinken, dann ziehen Zigeunerbanden herbei. Weithin leuchtende Freudenfeuer werden auf den Bergeshöhen entzündet, Böllerschüsse knallen, und die Zigeuner lassen ihre lustigen, übermütigen Weisen erschallen. Hei, wie glänzen da die Augen! Bald dreht sich das junge Volk im frohen Ringelreihen, selbst die bedächtigen älteren Herrschaften verschmähen es nicht, ein Tänzchen zu versuchen – Es ist ja nur einmal Weinlese! Der flotte Czardas kommt zu seinem Rechte. Da – plötzlich schwirren Raketen und Leuchtkugeln am dunklen, wolkenlosen Himmel empor. Eljenrufe ertönen, die Lust steigert sich, lauter klingen Geige und Cymbal, und flotter schwingen sich die Tänzer. Noch vor Mitternacht rüstet sich alles zum Aufbruch. Die Weinlaubengänge sind durch farbige Ballons erhellt. Lachend, scherzend und singend steigt die Gesellschaft den Berg hinab, donnernd fahren die Wagen vor, ein letztes Winken und Grüßen, der Kutscher knallt mit der Peitsche – und fort fliegt das edle Rossegespann, hinein in die sternenhelle Nacht!

Kurze Augenblicke bleibt es still auf den Weinbergen – in der Ferne verstummt der Jubel lauter Menschenstimmen. Dann trippelt und trappelt es herbei. Unzählige Scharen Gnomen und Erdgeister schlüpfen zwischen Rissen und Klüften hervor. Das sind Fürst Tokais Untertanen, die einmal im Jahre, zur Zeit der Weinlese, hinauf zur Oberwelt steigen dürfen. Wie sie die Hälse recken, wie wonnig sie die milde Abendluft einatmen! – Bald sind Wege und Stege mit den winzigen Männlein überfüllt. – Flink wie die Bachstelzen huschen sie von Weinstock zu Weinstock und laben sich an den allersüßesten Beeren. Anderen Tages fragen wohl die Weinleser: »Wer mag hier die vollsten Beeren herausgeklaubt haben?« Niemand kann ihnen antworten; denn keines Menschen Auge hat die vielköpfige Schar nächtlicher Gäste je gesehen.

Wie schmausen die kleinen Wichte! Ja, sie ziehen in hellen Scharen nach dem Kelterhause und nippen an dem frischen, jungen Wein; dann glänzen ihre Aeuglein in hellem Scheine, dann zuckt es durch ihre Glieder, und bald, bald drehen sie sich im flotten Ringelreihen, während die Grillen ihnen zum Tanz aufspielen. Sie tanzen und schwingen sich und werden nicht müde, bis im Osten der erste helle Schein erglänzt. Dann überschauen die kleinen Erdmännchen mit einem letzten, Abschied nehmenden Blicke die in neuer Schöne erstehende Welt und steigen langsam hinab in ihr unterirdisches Reich, das sie erst zur nächsten Weinlese auf kurze Stunden wieder verlassen dürfen.

Ihre Arbeit beginnt. Es gilt, frische Feuer auf den Herden anzuzünden, damit, wenn der kalte Winter seinen Einzug hält, wenn alles Leben in der Natur erstorben, die zarten Würzelchen der kostbaren Weinstöcke vor der eindringenden Kälte geschützt werden.

So haben die Erdmännchen im Tokaigebiete jahraus, jahrein zu arbeiten und zu schaffen, damit wir Menschenkinder uns an dem köstlichen Tokaierwein erfreuen und erlaben können. Darum gebührt unser Dank dem unterirdischen Gnomenvölkchen, das so selbstlos seine Pflicht erfüllt und im Dienste der Menschheit sein Tagewerk vollendet.


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