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Es war einmal ein Knabe, dessen Vater und Mutter vor Jahren gestorben waren. Nun hatte niemand den kleinen Hans mehr lieb, einsam und allein stand er auf der Welt.
Er wohnte im Hause seines Vormundes. Hoch oben in einer kahlen Dachkammer stand des Knaben Bettchen. Abends rückte ihm niemand das Kissen zurecht, niemand sprach mit ihm das Abendgebet, und einen Gute-Nachtkuß hatte er seit dem Tode der Mutter nie mehr erhalten. Hans war deshalb sehr traurig. Sein Herz sehnte sich ja nach Liebe, denn er war selbst voll Liebe und Zärtlichkeit.
So stand er eines Tages am Fenster der Dachkammer. Er schaute hinaus in den goldenen Sommertag. Freilich, viel Schönes vermochte Hans von seinem Fenster aus nicht zu erschauen, seine sehnsuchtsvollen Blicke verloren sich in einem Gewirr von Essen, Schloten und Dachtraufen. Nur weit, weit am Horizont, da blitzte es silbern und hell auf; dort strömte der breite Fluß, an dessen Ufer des Knaben Vaterhaus gestanden.
Sehnsuchtsvoll, die Augen müde von anhaltendem Weinen, schaute Hans nach dem silbern glänzenden Streifen, und plötzlich fielen ihm die Aeuglein zu, der Knabe schlief ein.
Und da war es ihm, als schwebte er hoch, hoch oben in der blauen Luft. Unter ihm versank die Stadt mit ihrem Häusermeer, ja, jetzt verschwand selbst die goldene Kugel des Sankt Nikolausturmes tief unter ihm.
Hoch, höher ging der Flug, der goldenen Sonne entgegen. Warm und wohlig schmiegte sich die linde Luft um das arme, kleine Kinderherz. Jetzt war die Stadt verschwunden, rosigrot schimmerte es aus der Tiefe herauf, und nun – Hans wußte nicht, wie ihm geschah – stand er auf einem weiten Rasenplatze. Tausend und abertausend bunte Blumen leuchteten dem Knaben entgegen.
Wie ein blühender Garten lag die Gegend vor ihm. Seltsam geformte Blumen, hochragende Bäume säumten den vielfach gewundenen Pfad ein. Hans schritt leichtfüßig dahin – bis er vor einem stolzen Schlosse stille stand, dessen Fensterreihen die hellen Sonnenstrahlen zurückwarfen. Das Schloß schien unbewohnt; dennoch standen die breiten Flügeltore weit offen.
Hans trat ein. Ein wunderbarer Glanz umstrahlte ihn. Die Wände bestanden aus riesigen Spiegelscheiben, der Fußboden war mit kostbaren Teppichen bedeckt. Eine feierliche Stille herrschte, doch jetzt – jetzt erklangen wunderbare Weisen. Hans schaute umher, niemand war zu erblicken, unsichtbare Musiker führten herzerquickende Melodien aus. Ein großer Saal tat sich auf, Hans fühlte, wie ein süßer Schauer durch seine Gestalt rieselte – dort, auf einem strahlenden Thron, inmitten einer glänzenden Versammlung, saß eine herrliche, schöne Frau. Sie winkte dem Knaben.
»Tritt näher, Hans! Ja, schau nicht so verwundert drein, ich kenne dich, kenne das bittere Weh, das dir am Herzen nagt. Ich zählte die Tränen, die du in der Einsamkeit der kahlen Dachkammer vergossen, kenne deine Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung, deshalb schickte ich meinen treuen Knecht, den Schlaf, zu dir und ließ dich nach dem Schloß der Träume holen.«
Eine Schar Knaben und Mädchen umringten Hans, sie streckten ihm ihre kleinen Händchen entgegen, sie spielten mit ihm, und wie mit einem Schlage wich die Traurigkeit aus dem Herzen des kleinen Einsamen. Immer lustiger sangen und sprangen die Traumkinder, immer heller glühte des Knaben Antlitz. – Da – legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter, Hans schaute verwundert auf, sein Vormund stand vor ihm. »Ich glaube gar, der Junge schläft am hellen, lichten Tage!« zankte er. »Marsch, hinab an die Arbeit!« Schweigsam gehorchte Hans. Auf seinem schmalen Antlitz lag noch ein Abglanz von seligem Glück.
»Alle Tage lasse ich dich zu mir holen!« so hatte die holde Königin gesagt. Diese Worte hielten Hans den Tag über aufrecht. Sein Vormund wunderte sich über des Knaben erhöhte Lebensfreudigkeit, er ahnte ja nicht, daß Hans alle Nächte mit den Kindern der Traumkönigin spielte. Dort fand sein sehnsuchtsvolles Kinderherz Liebe, Glück und Zärtlichkeit.