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Philosophen
Eine Geschichte der Freidenkerei ist nicht eine Geschichte der Philosophie. Daß die Philosophen zu allen Zeiten Gottesleugner gewesen seien oder doch Förderer des Atheismus, ist ein Satz, der früher ebenso allgemein gegen die Philosophie ausgespielt wurde, wie er jetzt unbesehen zugunsten des Atheismus benützt wird. Eine ernsthafte, also sprachkritische Geschichtschreibung wird wieder einmal darauf hinweisen müssen, daß die Leugnung eines Glaubens verschieden ist je nach der Art des Glaubens, daß der heidnische Atheismus ein anderer war als der christliche, und daß die Meinung, alle Philosophen seien Gottesleugner gewesen, eigentlich falsch ist, weil die Scholastiker des wirklich ganz frommen 10. und 11. Jahrhunderts, weil also diese logischesten Theologen ganz wohl das Recht hatten, sich nach ihrer Disziplin und ihrer Methode etwa auch Philosophen zu nennen. Wir sind nur durch den Atheismusstreit der christlichen Geschichte zu befangen geworden, um das gern zuzugeben; man achte aber darauf, daß der Glaube oder Unglaube – an das Dasein der Götter nämlich – in den antiken Philosophenschulen eine sehr kleine Rolle spielte. Als dann die alte Philosophie durch die Renaissance wieder bekannt wurde, wurden freilich viele christliche Gelehrte zum Abfall verlockt; nicht aber gleich zum Zweifel am Dasein eines Gottes, sondern zunächst nur zum Zweifel an der Wahrheit des Christentums.
Noch früher ist die Renaissance des Aristoteles der jüdischen und der mohamedanischen Orthodoxie gefährlich geworden. Es ist beschämend für den Bekenntnismut auch dieser für fanatisch ausgegebenen Nationen, daß die Araber sogleich Freigeister wurden, da aufgeklärte Kalifen das Studium des Aristoteles begünstigten, daß viele Juden unter der Herrschaft aufgeklärter Kalifen die heidnische Philosophie annahmen und sogar das Gesetz Moses preisgaben. Das Denken war so frei, wie der Herrscher es erlaubte.
Bekanntlich hat schon Cicero den Leitsatz von dem Atheismus aller Philosophen vorgebracht, und zwar wie einen Gemeinplatz, wie ein Axiom, über dessen Wahrheit allgemeine Übereinstimmung herrscht. (Man erinnere sich, daß der consensus nationum als Argument für das Dasein Gottes ebenfalls seit Cicero bis zum heutigen Tage durch die Schulen wandert.) So selbstverständlich dünkt ihm dieser Satz, daß er die folgenden Beispiele daneben stellt: die Mutter liebt ihr Kind, der Geizhals hat keine Achtung vor dem Eide. Will man sich aber ganz deutlich zum Bewußtsein bringen, wie unübersetzbar solche Worte aus dem Altertum für uns im Grunde sind, so denke man daran, daß in dem Satze » Philosophen wissen nichts von Gott« eigentlich nur die Negation »nichts« und das armselige Vorwörtchen »von« ihre Bedeutung in diesen 2000 Jahren nicht geändert haben. Es wären drei starke Bücher zu schreiben, wollte man den Bedeutungswandel der drei Hauptbegriffe auch nur einigermaßen erschöpfend darstellen. Ich will hier, wie an anderen Stellen auf andere Entwicklungen, bei jedem der Worte nur auf den einen Punkt hindeuten, daß nämlich bei den Griechen und Römern nur wenige Begriffe (etwa die der Jurisprudenz) genau definiert waren, daß die allermeisten Worte, ganz gewiß die drei unseres Satzes, ahnungslos der Gemeinsprache entlehnt wurden.
Philosophie ist freilich heute noch ein vielumstrittener Begriff; es gäbe für geduldige Leser einen nicht unlustigen Folianten, wollte man zusammenstellen, was auch nur seit Bacon von Verulam unter Philosophie verstanden worden ist. Immerhin ist selbst die positivistische Philosophie, deren bester und diesseitigster Teil der Erkenntnissehnsucht der Griechen (natürlich nicht der griechischen Unbehilflichkeit des Ausdrucks und der griechischen Unwissenheit) am nächsten stehen dürfte, doch ein Versuch, über allen Wissenschaften einen höheren Standpunkt zu finden und von ihm aus das Sein der Welt (nicht den sogenannten Sinn des Lebens) zu erklären; dieser höchste Standpunkt verlangt die Anwendung der schärfsten Methoden der Logik oder der Psychologie, je nachdem, weil die moderne Philosophie Erkenntnistheorie geworden ist, auch bei denen, die es nicht zugeben wollen. Von alledem finden sich im Altertum nur erst leise Spuren. Zur Zeit des Cicero hieß freilich Philosophie längst nicht mehr, wie in den kindlichen Anfängen, der bloße Wunsch nach irgendeiner Weisheit; aber er definiert sein bißchen Philosophie doch noch so ungefähr: als die Übung in jeder Kenntnis von allerlei sehr guten und interessanten Dingen. Zu diesen Dingen gehörten für ihn auch die Götter des Volksglaubens; er war mit den weit besseren griechischen Denkern nicht zufrieden, die ihren Witz just an solchen Dingen übten.
Wissen ist der neueren Philosophie, eben weil sie Erkenntnistheorie ist, ein ernstlich relativer Begriff geworden. Nun war eine gewisse Relativität des Wissens den Griechen durchaus nicht fremd; die besten Sophisten und die Skeptiker lehrten das, aber, mit den Ergebnissen des Humeschen Zweifels und des französischen und englischen Agnostizismus verglichen, sind alle diese antiken Kühnheiten nur dogmatische Spielereien begabter und streitsüchtiger Jünglinge. Sokrates und Platon, die von allen späteren Philosophen zumeist verehrt wurden, ja auch Aristoteles, glaubten absolut zu wissen, was sie etwa wußten. Unkritisch, wortabergläubisch trugen darum die Griechen, die gläubigen wie die ungläubigen, auch das vor, was sie von den Begriffen zu wissen glaubten, die man damals um den Gottesbegriff herum sprechen hörte. Ja sogar die Negation »nichts«, die ich vorhin voreilig oder vorläufig unverändert genannt habe, ist es nur gewissermaßen in logischer Beziehung; in Verbindung mit dem Wissensbegriff hat auch diese Negation ihre Wandlung durchgemacht. Der moderne Agnostizismus ist freilich nicht positiv, wie Herbert Spencer gern glauben machen möchte; aber er ist (in sehr ungeschickter Form) doch ein verständlicher Ausdruck der neuen Erkenntnistheorie und dürfte sogar für Kants letzte Überzeugung angesprochen werden; die Agnosie des Sokrates, sein berühmtes »ich weiß, daß ich nichts weiß«, geht aber auf keine erkenntnistheoretische Methode zurück, sondern bezeichnet offenbar nur die ironische Weise seiner Gesprächführung; er stellte sich unwissend, damit der Gegner sich Blößen gäbe; nirgends findet sich in dem, was von ihm berichtet wird, der tiefe Gedanke der Unerkennbarkeit des Wesens. Und bei den anderen Griechen erst recht nicht.
Gott ist scheinbar kein so abstraktes Wort wie Philosophie und Wissen, und der Begriff ist auch darum in der Hauptsache für unverändert gehalten worden. Aber nicht einmal in der Zeit von Homeros bis zu den Neuplatonikern haben wir es mit dem gleichen Gottesbegriffe zu tun; und trotz der Abhängigkeit des christlichen Gottesbegriffs von diesen Neuplatonikern ist der Gott, der etwa in einer protestantischen Kirche verehrt wird, etwas ganz anderes als der Gott, der leibhaftig in einem griechischen Tempel wohnte. Was sich verhältnismäßig wenig verändert hat in den 3000 Jahren der irgendwie bekannten Geschichte des Abendlandes, das ist der Mensch, vor allem der ungelehrte Mensch. So mag es freilich gekommen sein, daß die Pöbelvorstellung von Gott heute noch ungefähr die gleiche ist, wie die Pöbelvorstellung der vorhomerischen Zeit: offener oder heimlicher Fetischismus. Ich werde es noch oft wiederholen: eine Theologie, d. h. ein schulgerechtes Wissen von Gott, kannte das gesamte Altertum zu seinem Glücke überhaupt nicht, und so hätte man unseren Satz dahin erweitern können, daß die antike Welt (eigentlich auch das Christentum bis zu seinem ersten Konzil) nichts von Gott »wußte«.
So wird man es nicht mehr für einen unziemlichen Scherz halten, sondern für eine wortgeschichtliche Parallele, wenn ich jetzt einen ganz fernabliegenden Satz neben den unseren stelle. »Die Sansculotten (Ohnehosen) waren immer Königsmörder.« Zum Erweise dieses Unsinns hätten deklamierende Prediger noch vor hundert Jahren sich vielleicht daraus berufen, daß im Orient, wo die Beinkleider zu Hause waren, kaum ein Königsmord vorkam, daß die griechischen und römischen Tyrannenmörder wirklich keine Hosen trugen und daß die Bergschotten, die die Hosen heute noch nicht kennen, vornehmlich an der englischen Revolution beteiligt waren. Man lache nicht zu überlegen; die Negation einer Tracht gibt keinen viel unklareren Begriff als die Negation eines unvorstellbaren Abstraktums.
Der Bedeutungswandel aller Begriffe, besonders der abstrakten Begriffe, warnt also vor der Aufstellung eines Satzes wie: die Philosophie hat kein Wissen von Gott. Es gibt keine ewige Philosophie, kein unveränderliches Wissen, keinen feststehenden Gottesbegriff, nicht in verschiedenen Ländern und nicht in verschiedenen Zeiten, genau genommen kaum bei zwei verschiedenen Menschen; der Mann, der nach altem Herkommen die religiösen Angelegenheiten eines Staates zu verwalten hat, auch den sogenannten Gottesdienst, sollte Götterkultusminister heißen.
Die Philosophie als solche hat sich mit der Gottesvorstellung ebensowenig zu befassen wie mit dem Stein der Weisen. Was schließlich zum Atheismus führen mußte und geführt hat, das war nur die Anwendung philosophisch geschulter Kritik auf geschichtlich gewordene Begriffe, zuletzt die Sprachkritik. Wäre der Gottesbegriff nicht vorher in der Gemeinsprache entstanden, so hätte keine Kritik Veranlassung gehabt, ihn zu untersuchen. So handelt es sich überall in der Geschichte der Freidenkerei nur um eine Prüfung der geschichtlichen Wahrheit, um die Untersuchung geschichtlich gewordener Worte.