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Einundzwanzigster Abschnitt
Sprichwörter und Sagen

Wir haben bisher fast nur die eigentliche Literatur befragt, die Äußerungen politischer, wissenschaftlicher oder religiöser Neuerer, um die Wege der Geistesbefreiung kennen zu lernen. Es ist Zeit, dem Volke aufs Maul zu sehen und von ihm selbst zu erfahren, aus seinen Sprichwörtern und Lesebüchern, wie es etwa zurzeit der Reformation über Gott und die Welt dachte. Wir halten uns an die Sprichwörter und an die Sagenhelden, weil sehr viele Sprichwörter nur abgekürzte Fabeln sind, die neueren Sagen oft lehrhafte Fabeln, und weil bei der Schöpfung dieser Sprichwörter und Sagen das Volk so oder so mitgearbeitet hat.

 

Sprichwörter

Die Bewegung, die man am besten bei ihrem einheimischen Namen nennen sollte, il rinascimento, war ungleich in verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Ländern, bei verschiedenen Ständen. Machiavellismus an den Höfen, Indifferentismus in den Studierstuben, zunehmende Weltlichkeit in den Sprichwörtern des Volkes. Wir lernen das unbewußte Ziel der ganzen Bewegung sehr gut durch die Sprichwörter kennen, die etwa um die Lutherzeit für gute alte Weisheit galten. Und die, wohlgemerkt, Gemeingut waren; für jedes deutsche Sprichwort könnte ich leicht ein italienisches oder französisches bieten, sehr oft auch einen lateinischen Urtext. Die Sammlerarbeit der letzten hundert Jahre hat an der Internationalität der Sprichwörter keinen Zweifel gelassen.

So wenig das Volk als Gesamtheit die Volkspoesie geschaffen hat, so wenig ist die Volksweisheit der sogenannten Sprichwörter von einer Gesamtheit hervorgebracht; da und dort haben die Vielen nur die Auswahl getroffen und durch ewige Wiederholung, weil sie die Vielen waren, die Bedeutung solcher Dichtungen und Worte verstärkt. Die Verbreitung hat den Ruhm vermehrt, was besonders von den internationalen Sprichwörtern gilt, die in Übersetzungen durch Raum und Zeit wanderten.

Selbstverständlich glaubt die weitaus größte Zahl der Sprichwörter an Gott, seine Weisheit und Güte; dieser Glaube ist oft auch dann nicht zu verkennen, wenn er sich drastisch und fast blasphemisch äußert. Trotzdem ist die Zahl der freigeistigen Sprichwörter überraschend groß, wenn man erwägt, wie klein die Zahl der freien Menschen unter den Herdenmenschen ist. Man achte darauf, daß ich die folgenden Beispiele aus ungefähr dreitausend Belegen ausgezogen habe. Seltsam scheint es zuerst, daß Heinrich Bebels alte Sammlung deutscher Sprichwörter (von 1508) dem Geschichtschreiber der Aufklärung so wenig Ausbeute liefert; denn der Humanist Bebel war seinen Zeitgenossen und auch der Nachwelt vor allem bekannt durch seine pfaffenfeindlichen Schwänke und Zoten, aus denen sich leicht ein anderer »Klosterspiegel« hätte zusammenstellen lassen. Die Seltsamkeit verschwindet, wenn man bedenkt, daß Bebel mit seinen » Proverbia Germanica« nur ein Schulbuch herausgeben wollte, aus dem man die »richtige« Lateinform bekannter Volksweisheiten lernen konnte. Auch die Sprichwörtersammlung des Erasmus war kaum zu brauchen: zu humanistisch.

Der Frömmigkeit ist der Optimismus wesentlich, wenigstens der christlichen Frömmigkeit, weil da auch noch im schlimmsten irdischen Elend die Zuversicht auf das Jenseits den Zweifel an der Allgüte Gottes nicht aufkommen läßt; ich bin darum berechtigt, alle pessimistischen Äußerungen, alle Verspottungen der Theodizee zu den freidenkerischen Sprichwörtern zu rechnen. Daß ich »freidenkerisch« sagen muß und nicht »atheistisch« sagen darf, brauche ich nicht erst zu begründen; die christliche Volkssprache kennt Wort und Begriff »Atheismus« nicht; nur wenige Redensarten gehen bis hart an Gottlosigkeit heran.

 

Pessimismus

Spott gegen die landläufige Theodizee finde ich in vielen Sprichwörtern:

»Als Gott den Adam schuf, meinte der Floh, er habe es getan um seinetwillen.«

»Beschert Gott ein Glück, so finden sich allzeit zwei Unglück dabei.«

»Der liebe Gott erhält uns alle, aber doch manchen verteufelt knapp.«

»Dem einen gibt Gott Butter, dem anderen Scheiße.«

»Der liebe Gott hat Menschen gemacht, aber sie sind auch danach.«

»Gott gibt Nüsse dem, der keine Zähne hat.«

Der Spott gegen kirchliche Einrichtungen und Personen ist oft harmlose Derbheit, oft auch nur die Verhöhnung einer bestimmten Konfession, besonders des Papismus; aber die Blasphemie lauert hinter dem Scherze.

»Da haben wir Gottes Wort schwarz auf weiß, sagte der Bauer, da sah er den Priester auf dem Schimmel.«

»Man muß Gott für alles danken, und wenn's Ohrfeigen sind.«

»So kommt Gottes Wort in Schwung, sagte der Teufel, und schmiß die Bibel über den Zaun.«

»Wenn Gott tausendmal will, daß wir Knödel kriegen sollen, und die Mutter will nit, so bekommen wir doch keine, sagte der Sohn zum Vater, der ihm mit Gottes Hilfe Knödel versprochen.«

»Wer Gott und dem Kaiser dient, der hat's kleinen Gewinn.«

 

Gebet

Noch deutlicher wird die Gottlosigkeit des Sprichworts, wenn es nicht mehr die Diener und Einrichtungen der Kirche verspottet, sondern das Gebet selbst; denn beim Volke hätte eine Religion ohne das Gebetwunder keinen Halt.

»Durch Gebet und Mühe erhält man Ochsen und Kühe.«

(Man wende nicht ein, daß auch die Kirche ora et labora lehre; da ist die Kirche selbst nicht mehr wundergläubig und ermahnt, wie Lord Palmerston die Presbyterianer, gegen die Cholera lieber die Rinnsteine zu säubern, als zu beten.)

»Gebet ohne Arbeit ist eine Hacke ohne Stiel.«

»Kurz Gebet und lange Bratwurst.«

 

Glaube

Ja, der Glaube selbst entgeht der Verhöhnung durch die »Volksweisheit« nicht.

»An Glauben ein Kind, an Vernunft ein Rind, macht für Erd' und Himmel blind.«

»Die alten Glauben und die alten Zäune fallen ein.«

»Der beste Glaube (freilich zunächst Kredit) ist bar Geld.«

»Der gewisseste Glaube ist, eine Kuh scheißt mehr als ein Zeislein« (Zeisig).

»Glaube und Geldbeutel sind die nächsten Blutsverwandten« (wohl zunächst auch auf Kredit bezogen).

»Wer's glaubt, wird selig; wer's nicht glaubt, wird auch nicht verdammt.«

»Will's einer nicht glauben, so paternoster er es.«

Tendenziöser Spott, der oft nur eine Parodie sein will, ist nicht immer böse gemeint, aber immer ein Zeichen unfrommer Gesinnung.

»Der liebe Gott verläßt keinen treuen Bier- und Branntweintrinker.«

»Was Gott tut, das ist wohlgetan, sagte der besoffene Bauer, da hatte er sein Weib mit der Holzaxt erschlagen.«

»Wer nur den lieben Gott läßt walten, sang der Schulze, denn er läßt alles hübsch beim alten.«

»Wer nur den lieben Gott läßt walten, und hat nix, und auf ihn hoffet allezeit, und kriegt nix, den wird er wunderbar erhalten, und wird nix.«

 

Antipapismus

Die pfaffenfeindlichen Sprichwörter protestantischer Gegenden erscheinen nur dem Katholiken gottlos, sind aber, genau besehen, wirklich oft gotteslästerlich.

»Gott hat dabei nichts getan, wie bei der Papstwahl.«

»Gott ist überall, außer in Rom, wo er seinen Statthalter hat.«

»Gott Lob und Dank für das schöne Obst, sagte der Bauer, als er einen Mönch an seinem Baume hängen sah.«

»Was Gott dem Mönch am Kopf versagt, das gibt er ihm am Bauch.«

»Was weder Gott und den Menschen Nutz ist, das gehört ins Kloster.«

»Wenn Gott nicht schwimmen könnt', so wäre er längst ertränkt in der Pfaffen Wein und Bier.«

»Also hat Gott die Welt geliebt und der Pfaff seine Köchin.«

»Wir lassen andere gottselig sein, sagen die Kardinäle.«

»Wie die Götzen sind, so sind auch die Diener.«

Den eigentlich antikatholischen Sprichwörtern wären manche geflügelte Worte von Luther und seinen Zeitgenossen beizuzählen, die Simrock mit Liebe gesammelt hat. Zum Beispiel:

»Wer Mönch und Pfaffen schlagen will, schlage sie nur gar zu Tode.«

»Unter allen Christen sind die Italiener, und unter diesen die zu Rom die schlechtesten.«

»Wer ein guter Christ sein will, der soll nicht nach Rom gehen.«

 

Rationalismus

Viele antipapistische Sprichwörter gehen weiter; ich wenigstens glaube aus solchen weltlichen Sprichwörtern oft den diesseitigen Rationalismus der ersten starken Protestanten herauszuhören. Oft kommt schon die rationalistische Vorstellung, die eigentlich scharf dem Gottesbegriffe widerspricht, zu Worte: daß Gott es mit den stärksten Bataillonen halte.

»Alles mit Gott und mit Verstand« (kroatisch).

»Gott behüt uns vor dem, der nur Ein Buch gelesen hat.«

»Gott hat das Meer geschaffen, aber der Holländer das Ufer.«

»Gott hilft dem Kühnen (dem Stärksten, dem Reichen).«

»Gott ist hoch und der König weit« (häufig bei slawischen Völkern).

»Gott regiert im Himmel und das Geld auf Erden.«

»In Gottes Namen und mit einem Stück Brot in der Tasche ist gut wandern« (so ähnlich noch oft).

»Lieber Gott, schenke mir einen Jungen, betete der fromme Mann und kniete neben dem Bette seiner Frau.«

»Was Gott und die Natur uns geben, das ist uns immer gut und eben« (oft: »Gott und die Natur«).

»Wer Gott vertraut und scheißt ins Kraut, dem wachsen große Häupte.«

»Der liebe Gott wird es bezahlen und die Großmutter wird es abspinnen.«

»Man muß die Götter anbeten, unter denen man lebt.«

»Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütz, sagte der Landbot', da er sich die Hände erfroren hatte; aber Pelzhandschuh sind wärmer« (ebenso: »sagte der Schneider, aber einen Mantel kann man doch nicht daraus machen«).

»Sankt Antonius soll unser Heiliger sein, wenn er uns mästet unsere Schwein'.«

Eine besondere Gruppe dieser Sprichwörter, die nicht an Gottes Gerechtigkeit glaubt, beschuldigt ihn wie einen bestochenen Richter, daß er die Reichen bevorzuge.

»Gottes Herrenhof steht offen, aber nur der Edelmann hat Zutritt« (russisch).

»Gott beschert dem Armen alle Jahr ein Kind und dem Reichen ein Rind.«

»Gott gibt Sonnenschein für des Armen Brot und für des Reichen Wein.«

»Gott hält es mit den Reichen.«

»Gott hilft den Reichen, die Armen können betteln gehen.«

»Gott hilft denen, die sich selber helfen.« (Antwort Friedrichs des Großen auf eine fromme Bemerkung, daß Gott bei der Schlacht von Zorndorf geholfen habe: »Ohne mich und Seydlitz würde es übel um uns stehen.«)

»Die Götter halten's mit der Menge.«

»Gottes Junker und Drohnen essen gut, tun nichts und haben frei wohnen.«

»Das Unglück trifft nur den Armen.«

 

Glück

Die Einsicht in die Realitäten des Weltlaufs bekundet schon einen Zweifel an der göttlichen Vorsehung. Noch mehr der Pessimismus, der ja mit christlicher Frömmigkeit unvereinbar ist. In den Sprichwörtern über das Glück ist von Gott überhaupt fast niemals die Rede; desto häufiger äußert sich ein gewisser antiker Pessimismus, wie denn der Wandercharakter dieser Volksweisheit sich darin verrät, daß das »Glück« sehr oft als die antike Fortuna auf einer Kugel oder einem Rade erscheint, bis endlich das Rad selbst zum toten Symbole des Glückes wird. Für das alles nur wenige Beispiele; man achte aber auf ihren Widerspruch gegen kirchliche Lehren.

»Am Glück ist alles gelegen.«

»Das Glück dient dem Kühnen.«

»Das Glück fürchtet der Fromme, das Gesetz der Dumme.« (?)

»Das Glück ist den Frommen feind.«

»Das Glück ist der einfältigen und bösen Leut' Patron.«

»Das Glück ist der Weisheit Feind.«

»Das Glück dreht sich geschwinder herum als ein Mühlrad.«

»Das Glück ist rund, dem einen läuft es in den Arsch, dem andern in den Mund.«

»Das Glück läßt sich melken von Huren, Buben und Schälken.«

»Ein Lot Glück ist besser als ein Pfund Verstand« (oft ähnlich).

»Glück allein tut's.«

»Glück geht über Tugend.«

»Glück und Unglück sind zwei Eimer am Galgenbrunnen.«

»Das Glück sieget mit.«

»Es liegt alles am Glück und an der Zeit.«

»Hast du Glück, so trägt dir Birnen der Felber (Weidenbaum) und der Ochs gebiert dir Kälber« (sehr oft ähnlich).

»Jeder ist seines Glückes (Unglückes) Schmied« (aus dem Lateinischen in die meisten Sprachen gewandert).

»Man muß das Glück am Schopf nehmen« (antike mythologische Vorstellung).

»Schlecht Glück, schlechter Glaube« (wird auch auf den Kredit bezogen).

»Wer Glück und guten Wind hat, der kann im Korbe über den Rhein fahren.«

»Er hat mehr Glücks als Frommheit (als Witz, als Recht).«

»Um glücklich zu sein, muß man ein Narr sein.«

Endlich der ewige Ruf des Pessimismus:

»Glücklich ist nur in der Welt, wer in der Wiege stirbt.«

»Wer Unglück hat, dem bricht der Finger in der Nase (im Hirsebrei, in der Westentasche, im After usw.).«

Sehr häufig ist unchristlicher Egoismus.

»Eines Andern Unglück ist nur ein Traum.«

 

Wunder

Dahin gehört auch der Zweifel an der Allmacht Gottes, der sich oft nur mit deutlicher Ironie so äußert, daß irgendein Wunder als unmöglich hingestellt wird.

»Bei Gott und bei besoffenen Zimmergesellen ist kein Ding unmöglich.«

»Bei Gott ist alles möglich, sagte der Bauer, da brachte er den Wallach zum Hengst.«

»Bei Gott ist kein Ding unmöglich, sagte der Bauer, da brachte er den Ochsen zum Schulmeister.«

»Wenn Gott will, so kalbt auch ein Ochse.«

 

Teufel

Eine ganz andere Art von Zweifel an der Allmacht Gottes ist der bekanntlich sehr weit verbreitete Glaube an ein zweites Prinzip, mit welchem Gott die Herrschaft über die Welt teilen muß. Wären die christlichen Theologen ehrlich und logisch, sie müßten diesen Volksglauben atheistisch nennen. Der Glaube an den Teufel war mindestens ebenso stark wie der an Gott.

»Wo der liebe Gott eine Kirche hat, da hat der Teufel eine Kapelle« (mit vielen Varianten: »ein Hurenhaus, ein Wirtshaus«).

»Betet zu Gott, aber erzürnet den Teufel nicht.«

»Wenn Gott den Teufel totschlägt, brauchen wir nicht mehr zu beten.«

»Wenn Gott nicht hilft, so muß der Teufel helfen.«

»Wer sich nicht vor Gott fürchtet, muß sich vor dem Teufel fürchten.«

 

Freidenker

Die Theologen haben sich wohl gehütet, solcher Teufelsanbetung ernsthaft entgegenzutreten. Immer und bis zur heutigen Stunde haben sie genug damit zu tun gehabt, die Freigeisterei auch im Volke zu bekämpfen und jede freigeistige Gesinnung als ein Werk des Teufels hinzustellen. Diese freie Denkart äußert sich in der ungelehrten Sprache des Volkes anders als in gelehrten Büchern, obgleich gerade die Freidenker häufig einen populären Ton anschlugen. Einen direkt atheistischen Satz habe ich nur einmal in den Sprichwörtern gefunden; aber viele Sätze, die sich von einer positiven Religion lossagen und mehr oder weniger deistisch klingen.

»Gott schläft nicht, daß du ihn müssest aufwecken mit Geschrei.«

»Gott straft die Laster, nicht die Religion.«

»Gottes Name ist vieler Schalkheit Deckel.«

»Wie Gott vor Zeiten nicht an die Jüden gebunden gewesen, also ist er auch jetzt nicht an die Christenheit gebunden.«

»Gottseligkeit ist kein Gewerbe.«

»Wenn der Götze tot ist, wirft man ihn mit Dreck.«

»Wenn man einem alten Götzen einen neuen Rock anzieht, so scheint er gar neu.«

Mancher Zweifel wird an der Wahrhaftigkeit derer ausgesprochen, die sich Christen nennen.

»Christen an der Könige Höf, sind Wildbret.«

»Christen sind dünn gesät.«

»Christen sind nicht Weideschaf, sondern Schlachtschaf.«

»Es ist sicher ein Christ hier gewesen« (weil gestohlen und gemordet worden ist; in Westindien nach der Eroberung durch die Spanier aufgekommen).

Sehr merkwürdig ist der folgende Satz, von dem ich nicht sagen kann, ob er einem gottlosen Pantheisten oder einem gottüberlegenen Mystiker entnommen ist; sprachkritisch müßte man bemerken, daß »Gott« in diesem Sätzchen das zweitemal ein höheres Wesen bedeutet als das erstemal.

»Wir müssen Gott mit Gott überwinden.«

Der einzige ganz atheistische Spruch, den ich bei Wander verzeichnet gefunden habe, ist das folgende stolze Wort: »Besser gottlos, denn ehrlos.« Wander beruft sich auf Simrock. Es wäre einer Untersuchung wert: ob es sich um ein echtes Sprichwort handelt oder ob der Sammler da ein tapferes Wort eingeschmuggelt hat, weil es ihm gefiel.

Merkwürdig sind einige sprichwörtliche Redensarten, in denen beinahe parallel von Gott oder dem Teufel so abgesehen wird, als ob der eine oder der andere gar nicht existierte. Wo man scheinbar unter Gott oder dem Teufel »Niemand« verstehen sollte. »Gott weiß wer« heißt ebensoviel wie »Niemand« weiß. Die Besonderheit des Ausdrucks (in vielen Sprachen ähnlich) hat Hutten zu einigen Scherzen seines lateinischen Gedichtes »Der Niemand« Veranlassung gegeben. Noch häufiger steht der Teufel für Niemand. »Der Teufel mag die Geiß zum Bock führen, wenn sie nicht will.« Es ließen sich viele Beispiele geben. Doch liegt die Sache offenbar nicht so, daß solche Redensarten gleich bei ihrem Entstehen einen atheistischen beziehungsweise adiabolischen Sinn gehabt hätten. Das ist ganz klar bei den Versicherungen »Gott weiß, der Teufel weiß«. Ursprünglich war gemeint: »Ich weiß es nicht, kein Mensch weiß es, nur Gott (der Teufel) weiß es.« Als der Zweifel an solchen übermenschlichen Wesen aufkam, konnte die Redensart noch die Bedeutung behalten: »Ich weiß es nicht, vielleicht weiß es ein anderes, ein höheres Wesen.« Erst im Munde eines Ungläubigen tritt Gott (der Teufel) in solchen Wortfolgen für »Niemand« ein. Der Atheismus oder Adiabolismus liegt nicht in dem Sprichworte selbst, sondern in der Gesinnung dessen, der es anwendet; so kann die gleiche Redensart vom Frommen fromm, vom Gottlosen gottlos verstanden werden. Sie gehörte ja sonst nicht der Sprache an.

 

Sagenhelden

Nicht so international, ursprünglich auch nicht so antichristlich wie die kecken Sprichwörter sind die Fabeln, die sich in der Renaissancezeit da und dort um bestimmte Sagenhelden bildeten. Diese weltlichen Sagen hatten sogar zuerst eine große Ähnlichkeit mit den Heiligenlegenden; sie sollten durch abschreckende Exempel zur Frömmigkeit erziehen, nur daß die Helden eben doch nicht Heilige waren, sondern arme Sünder, und es darum späteren Bearbeitungen sehr leicht gemacht wurde, die Wollust zu malen und den Teufel fortzulassen. Und irgendwie verrät sich schon in der ersten Fassung dieser Legenden die neue Weltfreude des Rinascimento, bald in der behaglichen Ausmalung der Wollust, bald in Ausfällen gegen die Geistlichkeit, bald im Zweifel an der Gerechtigkeit des Weltlaufs.

Auch die Sagenhelden haben ihren Bedeutungswandel wie andere Worte. Der Bedeutungswandel der bekanntesten Sagenhelden wäre kein geringer Beitrag zur Geschichte der religiösen Entwicklung. Ich muß mich auf die Zeichnung einiger Linien beschränken.

Von den vier Sagenträgern, die in Dichtung und Wissenschaft am häufigsten behandelt worden sind, haben Ahasver und Don Juan ursprünglich der Festigung im christlichen Glauben dienen müssen, Tannhäuser und Faust ursprünglich auch der Bekämpfung des Papsttums; es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß die Unterlage bei allen vier Sagen ein sehr robuster Gottesglaube, bei dreien dazu ein ebenso robuster Teufels- oder Dämonenglaube war.

 

Don Juan

Am einfachsten liegt die Sache bei Don Juan, dem Spanier, der noch gar nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt ist und einfach für sein lüstenreiches Sündenleben vom Teufel geholt wird, einerlei ob der ältere Don Juan Tenorio (14. Jahrhundert) oder ein späterer das Urbild der Sage war; die Geschichte würde sich von zahlreichen anderen Teufelslegenden kaum unterscheiden, wenn nicht der einprägsame Zug von dem steinernen Gaste hinzugekommen wäre. Dieser Zug war so unausrottbar, daß sogar der jedem Sprachgebrauchs widersprechende Titel »Das steinerne Gastmahl« ( Festin de pierre) von einem Dramatiker zum anderen, von einer Literatur zur anderen überging. Aber das älteste Drama eines unbekannten Dichters, das den Stoff behandelte, soll schon » El ateista fulminado« geheißen haben, und noch 1669 schrieb Dumesnil eine Tragikomödie » L'athée foudroyé«; aus dem Atheisten wurde dann bald ein Libertiner oder kurz ein Wüstling. Daponte's guter Text zu Mozarts herrlichem Werke ist betitelt » Il dissoluto punito ossia Don Giovanni«.

 

Ahasver

Das Einprägsame an der Gestalt des Ahasver ist der ihm (von Jesus) auferlegte Fluch, ewig oder bis zur Wiederkunft des Heilands zu leben. Die Sage wird schon im 13. Jahrhundert erzählt; der ewige Jude führt in verschiedenen Ländern verschiedene Namen. Zum Volksbuche wird die Wundergeschichte erst in der Reformationszeit, da der Schuster, der den müden Heiland von seiner Schwelle fortgetrieben hat, leibhaftig und als vernehmbarer Zeuge auftritt und sich (1542) einem späteren Bischof zum Gespräch gegenüberstellt. Die Erklärungen, durch welche neuere Forscher die Sage vom ewigen Juden mit der vom wilden Jäger, also mit Wotan, in Zusammenhang bringen wollen, sind ansprechend aber ohne Beweiskraft und wirken jedesfalls bei der Fortbildung der Sage nicht mehr mit. Für mich ist es unzweifelhaft, daß das leibhaftige Erscheinen des ewigen Juden (1564 zuerst mitgeteilt und seit 1602 zu einem Volksbuche ausgearbeitet) vor allem dazu benützt wurde, in der Zeit der beginnenden Bibelkritik einen unumstößlichen historischen Beweis für die Wahrheit der neutestamentlichen Erzählungen in Händen zu haben; nebenbei ging die Tendenz, die Juden durch einen Glaubensgenossen davon zu überzeugen, daß Jesus Christus der Messias war. Das Christentum stand auf felsenfester Grundlage, wenn der Zeuge eines Wunders jederzeit herbeigeschafft werden konnte.

 

Tannhäuser

Die Sage vom Ritter Tannhäuser knüpft höchst wahrscheinlich an den erotischen Minnesänger Tanhuser (14. Jahrhundert) an. Die Lieblosigkeit des Papstes trägt die Schuld daran, daß Tannhäuser in den Venusberg (das unvergeßliche Moment) zurückkehrt und dem Dämon verfällt.

 

Faust

Der unvergleichliche und darum so einprägsame Zug der Faustsage (der Mann lebte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, das Volksbuch »vom weit beschreiten Zauberer und Schwarzkünstler« existiert seit 1587) ist der Umstand, daß er sich dem Teufel mit seinem Blute verschrieb und daß der Wortlaut dieser Verschreibung bekanntgegeben wurde. Das Leben des Doctor Faustus ist ebenso säuisch (nach dem Sprachgebrauche der Zeit: epikurisch) wie das des Don Juan, auch wird er ganz ebenso vom Teufel geholt. Deutsch ist das Unchristentum an Faust, daß nämlich in den Vertrag mit dem Teufel auch die beiden Artikel aufgenommen werden, Faust wolle allen christgläubigen Menschen feind sein und den christlichen Glauben verleugnen. Neu ist und protestantisch gehässiger als in der Tannhäusersage die Wendung gegen den Papst, der mehrfach verhöhnt wird. »Doctor Faustus sah (am päpstlichen Hofe) darinnen alle seinesgleichen, als Übermut, Stolz, Hochmut, Vermessenheit, Fressen, Saufen, Hurerei, Ehebruch und alles gottlose Wesen des Papstes und seines Geschmeiß, also daß er hernach weiters sagte: Ich meint', ich wäre ein Schwein oder Sau des Teufels, aber er muß mich noch länger aufziehen.« Protestantisch ist auch und erinnert an die edle Ritterlichkeit, mit der Don Juan bei Daponte den Lohn seiner Taten auf sich nimmt ( a torto di viltade tacciato mai sarò), wie Faust einem zu Buße mahnenden Mönche antwortet: »Meß' hin, Meß' her, meine Zusag' bindet mich zu hart.« Das Volksbuch von Faust ist also eine frömmelnd erbauliche Geschichte, die in einer Zeit, wo der Unglaube sich schon rührt, zum Festhalten am protestantischen Christentum eine exemplarische Belehrung gibt.

Es ist nun bekannt, wie diese Helden frommer Sagen seit dem Ausgange des 18. Jahrhunderts zu titanischen Gestalten geworden sind, denen neue Dichter unchristliche, antichristliche, pantheistische und atheistische Gedanken in den Mund legten. Goethes Faust macht im ersten Teile Ernst mit der Verleugnung des christlichen Glaubens; daran wird im zweiten Teile durch das künstlerische Spielen mit katholischen Formen nichts geändert. Faust wird nicht vom Teufel geholt.

Wie mit dem »Faust« hat sich Goethe länger als ein halbes Jahrhundert mit der Sage vom ewigen Juden getragen. Nur der »erste Fetzen« eines Fragments kam zustande. Die Absicht ist durchaus gegen die christliche Kirche gerichtet; Jesus Christus kommt wieder und erblickt betrübt das Heidentum, das sich unter seinem Namen breitmacht. Für den weiteren Plan war einmal eine Begegnung zwischen Ahasver und Spinoza in Aussicht genommen; die Fortdauer des ewigen Juden bot Gelegenheit zu einem tendenziösen Abrisse der Weltgeschichte. So gottlose, immer etwas zu prosaisch geratene Ahasverdichtungen der Weltgeschichte schrieben Quinet (1833), Julius Mosen (1838) und S. Heller (1866). Der »Ahasver in Rom« von Hamerling ahmt nur etwa Goethes Faust und Byrons Don Juan in den Posen eines Übermenschen nach.

Wohl von Goethe abhängig, in liebevollem Wettstreite mit Goethe (Prometheus, Faust) dichtete Lord Byron seinen Don Juan (1824, bei Byrons Tode unvollendet); man hat sich gewöhnt, den Grundzug dieses Dichters Weltschmerz zu nennen, mit einem unverständlichen Worte; es ist Pessimismus, also äußerster Unglaube, verbunden mit der Sehnsucht, darüber hinauszukommen. Unmittelbar unter dem Einflusse Byrons, kühn und schön, aber wenig originell, hat Lenau wie den Faust, so auch den Don Juan als einen herrlichen Aufrührer gegen Gott darzustellen gesucht. Auch Lenaus »Don Juan« war unvollendet, als der Dichter (1844) dem geistigen Tode verfiel.

Am längsten widerstand die Sagengestalt des Tannhäuser einem Bedeutungswandel. Noch Richard Wagners Oper (1845) christelt romantisch und läßt sogar die Anklage gegen die Härte des Papstes fast völlig fallen; Heinrich Heine wiederum, der unchristlich genug war, hatte sich seine köstliche Wiederbelebung der Sage durch gassenbübische Zutaten verdorben. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Richard Wagner ebenso wie den »Fliegenden Holländer« auch den »Tannhäuser« nicht ohne die Anregung des später so gehaßten Heine gefunden hatte; natürlich meine ich nicht das ganz moderne Gedicht, sondern Heines Einführung und Erklärung des alten Tannhäuserliedes im dritten Bande des »Salon«. Der Mühe, die beiden Fassungen zu vergleichen, hat uns der übermütige Germanist Heine überhoben, da er am Schlusse der französischen Originalausgabe die Vergleichung selbst recht fein gezogen hat: der alte Poet sei didaktisch, es komme ihm auf den Gegensatz der göttlichen Milde und der priesterlichen Härte an. Wirklich hat der moderne Poet aus Venus eine Pariser »Kameliengöttin« gemacht und aus dem drohenden Höllenfeuer die inwendige Liebesbrunst des Ritters; nur darum kann der Papst Urban den Zauber nicht brechen. Ich will mich aber auf Heines Umwandlung der Sagengestalt und des Sagengehalts nicht weiter berufen, weil für die Hauptsache, für die religiöse Weltanschauung, Heine nicht in Betracht kommt. Bei Voltaire kann man ernstlich darüber streiten, ob er ein ehrlicher Deist oder im Herzen ein skeptischer Atheist gewesen sei; Heine war in diesen Dingen immer ein Virtuose, der zwischen Blasphemien und einem romantischen Gottglauben nur spielerisch schwankte und das Kleid des Christentums nach der Mode trug, ohne jemals auch nur so christlich zu empfinden wie die andern Romantiker. Erst 1869 gab Eduard Grisebach seinen »Neuen Tannhäuser« heraus, wo es ganz und gar nicht mehr christelte. Aber auch nicht mehr antichristelte. Die Göttin der Liebe wird so unbefangen gefeiert, als ob die Abtötung des Fleisches und der Hinblick auf ein Jenseits gar nicht mehr darein zu reden hätten. Nur daß das hübsche kecke Büchlein ebensogut »der neue Don Juan« hätte heißen können. Die Zeit war allgemein so unchristlich geworden, daß der Dichter, noch mehr Bibliophile als Dichter, keine Nötigung mehr empfinden mochte, dem von Dämonen besessenen Sagenhelden eine trotzige Haltung gegen Gott zu leihen. Unser Geschlecht hat keinen Beruf mehr, aus den alten verdammten Teufelsgesellen strahlende Himmelsstürmer zu machen. Unser Geschlecht hat den Kampf der Reformationszeit zu Ende gekämpft und fühlt keinen Haß mehr gegen den Gottesbegriff. Die vier Sagenbrüder Faust und Don Juan, Ahasver und Tannhäuser, ursprünglich von einer frommen Phantasie gestaltet, dann bald in Kirchenfeinde verwandelt (auch von Goethe), könnten endlich in der Ruhe reiner Dichtung ihre Erlösung finden.

 

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