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Fortsetzung 100

»Wie?« fragte Deep-hill. »Ist dies der Herr, den Sie befreit haben?«

»Ja, das ist er.«

»Und Sie nennen ihn Ihren Vater?«

»Das ist ebenso!«

»Wunderbar.«

»Erinnern Sie sich der Familiengeschichte, welche ich Ihnen erzählte, als wir uns unten im Gewölbe befanden?«

»Vollständig, natürlich.«

»Nun, es waren die Schicksale meiner eigenen Familie. Und dieser ist der verschollene Vater, den ich erwähnte.«

»Wunderbar, wie gesagt, wunderbar! Herr von Königsau, ich gratulire Ihnen aus vollster Seele und freudigstem Herzen nicht nur zu Ihrer endlichen Erlösung, sondern auch zu solchen Kindern! Ihr Herr Sohn ist ein außerordentlicher Mensch. Sie hat er errettet; Mademoiselle Marion hat er errettet; den Maler hat er errettet; mich hat er errettet. Er scheint es als eine spezielle Aufgabe zu betrachten, die Kerker der Unglücklichen zu öffnen. Dieser Herr Doctor Müller – –«

»O bitte!« fiel Richard lachend ein, »Cavallerierittmeister von Königsau von den preußischen Gardeulanen, wenn Sie gütigst gestatten!«

»Cavall – – –«

Das Wort blieb ihm im Munde stecken.

»Ja, es ist ganz richtig so, Herr Baron!« stimmte Emma bei.

»Aber, Rittmeister, bei dies – – dies – –«

»Bei diesem Buckel! Nicht wahr?« lachte Richard.

»Ich gebe es beschämt zu.«

»Nun, ich will Ihnen im Vertrauen mittheilen, daß ich gar nicht buckelig bin, doch allerdings nur im Vertrauen, mein lieber Baron!«

»So also, so ist das! Sie großartiger Pfiffikus! Na, hier meine Hand; es wird Nichts verrathen!«

»Danke! Ganz besonders darf Baronesse Marion keine Ahnung haben, daß ich nicht der Hauslehrer Müller bin.«

»Warum gerade diese nicht?« fragte sein Vater.

»Weil ich sie liebe, Vater.«

»Du? Die? Dieses gute, wundervolle Mädchen?«

»Ja.«

»Höre, Richard, diese Freude ist fast so groß wie diejenige des Wiedersehens. Aber – liebst Du glücklich?«

»Ja.«

»Trotzdem sie Dich für buckelig hält?«

»Trotzdem!«

»Junge, das möchte ich denn doch bezweifeln.«

»Sie hat mich in Dresden in Uniform gesehen und seitdem meine Photographie bei sich getragen, ohne daß ich es ahnte. Ich habe sie gleichfalls da gesehen und dann ihr Bild im Herzen getragen, ohne daß sie es ahnte.«

»Wie poetisch.«

»Es wird noch poetischer, lieber Vater! Wir wußten Beide nichts weiter von einander. Da komme ich verkleidet als Erzieher hierher und finde sie als die Tochter des Hauses.«

»Nachdem er ihr aber während der Dampfschifffahrt das Leben gerettet hat,« schalt Emma ein.

»Das ist wirklich wunderbar. Erkannte sie Dich?«

»Nein. Sie fand nur eine große Aehnlichkeit heraus. Nun setze ich meinen Stolz darauf, von ihr geliebt zu werden trotz der Mißgestalt und trotz der beengten bürgerlichen Stellung.«

»Du bist sehr kühn, mein Sohn.«

»Gelingt es, so werde ich später zehnfach glücklich sein. Also, bitte dringend, ihr ja nichts merken zu lassen. Nun aber, lieber Vater, wollen wir uns zurückziehen. Du bedarfst jedenfalls ganz dringend der Ruhe.«

»O nein. Ich fühle mich so kräftig und wohl wie nie. Ihr sollt bleiben. Ihr sollt nicht fort. Wollt Ihr denn nicht wissen, wie es mir ergangen ist, und wie ich in die Hände dieses Richemonte gefallen bin?«

»Wir möchten wohl sehr gern, aber Du mußt Dich schonen. Später ist auch noch Zeit.«

»Nein. Jetzt ist die beste Zeit. Setzt Euch.«

Die Geschwister gehorchten, doch der Amerikaner machte eine Bewegung, als ob er sich entfernen wolle.

»Bleiben Sie immer, Herr Baron,« sagte Richard. »Sie haben so viel von unserer Geschichte gehört, daß Ihnen diese Episode nicht vorenthalten werden darf.«

»Ja, bleiben Sie!« bat auch der Vater. »Sie sollen erfahren wie tief und schwarz der Abgrund einer verruchten Menschenseele ist.«

Er begann zu erzählen von seiner Abreise an bis zu dem Kampfe im Walde, wo er von Richemonte niedergestochen war und dann von seinem Aufenthalte bei dem Schäfer Verdy und dessen Tochter Adeline, der jetzigen Baronin von Sainte-Marie.

»So müssen wir ihr für diese sorgsame Pflege doch innig dankbar sein!« bemerkte Richard. »Sie hat Dir das Leben erhalten.«

»Aber welch ein Leben. Und zu welchem Zwecke hat sie es mir erhalten!« sagte sein Vater kopfschüttelnd. »Sie wollte Baronin werden. Ich war die Waffe in ihrer Hand gegen den Capitän. Sie hat ihren Zweck erreicht und ich verfaulte in eigenem Unrathe.«

Er erzählte, daß er noch als Reconvalescent in einem Wagen nach Ortry geschafft und dort in das unterirdische Loch gesteckt worden sei. Er schilderte seine körperlichen und seelischen Leiden, obgleich sie wohl nicht zu beschreiben waren. Er that das in so beredten Worten, daß die Augen der Zuhörer nicht trocken werden wollten.

Als er geendet hatte, sprang der Amerikaner von seinem Stuhle auf, rannte wie wüthend in seinem Zimmer hin und her und fragte dann:

»Herr von Königsau, was werden Sie thun? Wie werden Sie gegen diesen Richemonte handeln?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht. Ich ahne, daß ich dazu das Gutachten meines Sohnes ausbitten muß.«

»So so! Wissen Sie, wie dieses Gutachten lauten wird?«

»Nun?«

»Er wird sagen: Laß ihn laufen, Vater; wenigstens jetzt laß ihn laufen! Später nehmen wir ihn beim Schopfe!«

Nun, ich denke, wenn Richard so sagt, so wird er wohl seine Gründe haben.«

»Ja, die habe ich, lieber Vater; Du sollst sie hören und wirst sie anerkennen.«

»Gut, gut!« meinte der Amerikaner. »Ich habe ganz dieselben Gründe gehört und auch anerkannt. Aber was Sie jetzt erzählt haben, das geht über alle Begriffe. Herr von Königsau, ich war ein Franzose, ein enragirter Deutschenfresser. Jetzt ziehe ich nach Berlin und bleibe dort bis an mein Ende. Ich bin cholerisch, ein Brausekopf, ein Tonkopf; aber ich habe ein Herz. Ich hatte zwei Kinder verloren; Ihr Herr Sohn hier hat sie mir wiedergegeben. Ich wollte gegen Deutschland agitiren und kämpfen; er ist ein Deutscher und Sie sind ein Deutscher; mein braves Weib war trotz ihres französischen Namens eine Deutsche – ich kann nicht länger ein Feind Deutschlands sein. Ich möchte Frankreich besiegen helfen gerade so, wie ich diesen Richemonte zertreten möchte!«

Da wurde an die Thür geklopft. Der dicke Maler öffnete, steckte den Kopf herein und fragte:

»Ist es erlaubt, meine Herrschaften?«

»Ja,« antwortete der Rittmeister.

Und sich an seinen Vater wendend, fuhr er lächelnd fort, Schneffke heranwinkend:

»Daß ist Herr – Herr – wie heißen Sie gleich?«

»Hieronymus Aurelius Schneffke, Thier- und Kunstmaler aus Berlin.«

»Dessen Schwiegervater Du beinahe geworden wärst, lieber Vater,« ergänzte der Rittmeister.

»Wieso?« fragte Gebhardt von Königsau, den Maler lächelnd fixirend.

»Er hatte es auf Emma abgesehen.«

»Ach so!«

»Er hielt sie für eine Gouvernante und betete sie so an, daß er ihretwegen sogar zu Pferde stieg.«

»Es war ein dressirtes!« lachte Schneffke. »Es setzte mich ganz regelrecht zu ihren Füßen ab. Später ward ich ihr Beschützer und Reisebegleiter, mußte aber bald auf das erwartete Glück verzichten, weil die angebetete Gouvernante unterdessen eine himmlische Engländerin geworden war.«

»Die sie aber auch nicht bleiben wird.«

»Nicht?« fragte er erstaunt.

»Nein. Miß de Lissa ist eigentlich meine Schwester, Baronesse Emma von Königsau.«

Der Maler machte ein Gesicht wie der Frosch, wenn er einen Elephanten sieht.

»Verdammt!« entfuhr es ihm.

Alle lachten. Der Rittmeister fragte:

»Haben Sie Etwas dagegen einzuwenden?«

»Hm! Wie lange bleibt sie denn Ihre Schwester?«

»Ich hoffe, für immer.«

»Das bezweifle ich. Aus dieser Dame wird kein Mensch klug, wer und was sie eigentlich ist. Heute halten Sie sie im Ernste für Ihre Schwester, und morgen stellt sich vielleicht heraus, daß sie die Tante von Ihrer Schwiegermutter ist. Ich bleibe zweifelhaft wie Pudding. Von jetzt an verliere ich die Gefühle meines Innern nur an Damen, welche mittelst Geburts- und Impfscheine nachgewiesen haben, wer sie wirklich sind. Eine Andere hat nie wieder einen Fußfall zu erwarten.«

Er lachte über sich selbst; die Anderen stimmten ein, und der Rittmeister sagte zu seinem Vater:

»Trotz Alledem ist Herr Schneffke ein sehr braver Mann, dem Du übrigens sehr viel zu verdanken hast.«

»Wieso?«

»Er leidet nämlich an einer gewissen Art Fallsucht; er fällt sehr gern. Draußen im Walde stürzte er in ein Loch. Ich zog ihn heraus und fand dabei, daß dieses Loch zu dem unterirdischen Gange führte, in welchem Du schmachtetest. Ohne ihn hätte ich Dich schwerlich entdeckt.«

Gebhardt von Königsau hielt dem Maler seine Hand hin und sagte:

»Ich danke Ihnen, mein wackerer Herr Schneffke! Geben Sie mir Gelegenheit, Ihnen für dieses Ihr Verdienst dankbar zu sein.«

»Diese Gelegenheit will ich Ihnen sogleich geben.«

»Nun?«

»Sprechen Sie nicht mehr von diesem Verdienste. Dies ist der beste Dank, den Sie spenden können. Uebrigens kann ich mich mit dem stolzen Bewußtsein tragen, daß meine Fallsucht mir und Andern schon oft große Vortheile gebracht hat. Es versteht nicht ein Jeder, wenn er fällt, gerade in das Glück zu fallen. Aber, nicht die Fallsucht führt mich zu Ihnen, sondern Mademoiselle Marion schickt mich her.«

»Wohl zu mir?« fragte der Rittmeister.

»Ja. Sie läßt nämlich den Herrn Doctor fragen, wann Sie sich zum Aufbruch fertig machen soll.«

»Ich werde sofort nach dem Pferde sehen.«

Eine Viertelstunde später saß er auf dem Bocke und fuhr Marion und Liama nach Ortry. Dort angekommen, übergab er dem Stallknechte die Zügel und begleitete die beiden Damen nach Marions Zimmer.

Die Erscheinung Liama's konnte nicht auffallen, da die Frau Doctor Bertrand ihr einen Regenmantel und Hut geliehen hatte.

Kaum waren sie in das Zimmer getreten, als ein Diener kam und meldete, daß die Frau Baronin das gnädige Fräulein bei sich erwarte.

»Ich bin beschäftigt,« antwortete Marion.

Der Diener ging, kehrte aber mit dem Befehle zurück, augenblicklich Folge zu leisten.

»Sagen Sie der Frau Baronin, daß sie mir nicht das Geringste zu befehlen hat! Aber, richten Sie das ja ganz wörtlich aus!«

Die Baronin wurde von der Dienerschaft gehaßt. Der Beauftragte richtete, um die stolze Frau zu ärgern, den Befehl gern wörtlich aus. Sofort machte sie sich auf den Weg nach Marions Zimmer.

Diese hatte das vermuthet und Liama gebeten, in das kleine Nebencabinet zu treten, in welchem sie damals mit Müller die Entführung der Zofe beobachtet hatte.

»Was soll das heißen?« fuhr die Baronin in das Zimmer. »Warum kommst Du nicht?«

»Weil ich keine Zeit habe, wie ich sagen ließ.«

»Wenn ich befehle, hast Du zu gehorchen!«

»Darauf habe ich Dir sagen lassen, daß Du mir nichts zu befehlen hast.«

»Also wirklich! Solche Frechheiten gestattest Du Dir!«

»Sei wählerischer in Deinen Ausdrücken, sonst muß ich auf Deine Entfernung dringen!«

»Was fällt Dir ein – – ah, wer ist denn das? Der Herr Doctor! Ich denke, Sie sind fort!«

»Wie Sie sehen, bin ich hier,« antwortete Müller ruhig.

»Was suchen Sie hier?«

»Die nothwendige Bildung und Höflichkeit im Verhalten gegen Andere!«

»Ah! Ist das etwa gegen mich gerichtet?«

»Jedenfalls.«

»Unverschämter! Entfernen Sie sich!«

Müller zuckte die Achsel.

»Ich befehle Ihnen, sich zu entfernen!«

»Sie haben auch mir nichts zu befehlen. Ich bin nicht mehr Ihr Hausgenosse.«

»Um so nachdrücklicher befehle ich Ihnen, zu gehen!«

»Ich habe nur auf den Wunsch des gnädigen Fräuleins zu hören!«

»Und darum bitte ich Sie herzlichst, zu bleiben, Herr Doctor!« sagte Marion. Dann fuhr sie, zur Baronin gewendet, in kaltem Tone fort:

»Was ist's, was Du mit mir zu sprechen hast?«

»In Gegenwart Fremder schweige ich natürlich!«

»Das ist mir lieb!«

Sie hatte den Schrank geöffnet und suchte nach denjenigen Dingen, welche sie mitzunehmen gedachte.

»Warum packst Du ein?« fragte die Baronin.

»Weil ich abreise.«

»Wohin?«

»Das ist Staatsgeheimniß.«

»Impertinent! Von wem hast Du die Erlaubniß?«

»Ich denke, keine Erlaubniß nöthig zu haben.«

»Da bin ich denn doch gezwungen, mir meine Rechte auf das Energischste zu wahren. Du darfst Dich ohne meine Einwilligung nicht entfernen!«

»Ich wüßte keinen Grund, aus welchem Du ein Recht über mich folgern könntest.«

»Es ist ein sehr natürlicher: Ich bin Deine Mutter!«

»Aber eine sehr unnatürliche.«

»Willst Du mich etwa veranlassen, Dir zu beweisen, daß ich mir nöthigenfalls Gehorsam erzwingen kann?«

»Wie willst Du das anfangen?«

»Ich rufe die Dienerschaft herbei!«

»Ich befehle den Dienern, zu gehen und das werden sie thun.«

»So schicke ich nach Polizei!«

»Ich verlange von ihr, Dich zu arretiren und sie werden es thun.«

Da trat die Baronin drohend auf sie zu und fragte:

»Mädchen, was willst Du damit sagen?«

Marion wollte antworten; aber Müller winkte ihr zu und sagte an ihrer Stelle:

»Gnädiges Fräulein wollen jedenfalls damit andeuten, daß es jederzeit Veranlassung giebt, die einstige Hirtin Adeline Verdy in Arretur zu nehmen.«

Die Baronin erbleichte.

»Herr, welche Sprache wagen Sie!« rief sie aus.

»Eine sehr begründete.«

»Ich verstehe Sie nicht, wenn ich Sie nicht für wahnwitzig halten soll.«

»Der Wahnwitz ist Ihr eigenes Feld, auf welchem Sie es zur Baronin gebracht haben, nämlich der Wahnwitz Ihres Mannes. Denken Sie an den Doppelmord bei der Kriegskasse.«

Sie wurde todesbleich.

»Ich begreife Sie wahrlich nicht!«

»An die Beiden, welche von Ihrem Manne mit der Hacke erschlagen wurden und an Den, welchen der Capitän fast erstach, den Sie aber pflegten, um ihn dann einzusperren und dadurch Baronin zu werden.«

»Sie phantasiren.«

»Pah! Sollten Sie Gebhardt von Königsau nicht kennen?«

»Ich kenne ihn nicht!«

»Wollen Sie ihn sehen? Er ist entkommen!«

»Lüge!«

»Wahrheit! Wo ist der Capitän?«

»Er scheint ausgegangen zu sein.«

»Entflohen ist er, aus Angst entflohen. Er hat den Grafen Rallion mitgenommen. Suchen Sie diese Beiden!«

Sie fühlte sich wie zerschmettert; aber sie nahm sich zusammen; sie raffte sich auf und fragte:

»Was habe ich mit Ihnen zu schaffen? Was gehen mich Andere an? Thun Sie, was Ihnen beliebt. Jetzt aber befehle ich Ihnen, sich zu entfernen. Ich bin die Herrin dieses Hauses!«

»Sie? Da irren Sie sich sehr!«

»Wer sonst?« fragte sie stolz.

»Ich werde Ihnen die wirkliche Gebieterin von Ortry zeigen.«

Er öffnete die Thür zu dem Nebenkabinete.

»Hier! Kennen Sie diese Dame?«

Liama hatte Regenmantel und Hut abgelegt und trat in ihrer maurischen Gewandung ein, doch das Gesicht unverschleiert.

Die Baronin wich zurück. Sie war bis auf den Tod erschrocken und schlug die Hände vor das Gesicht.

»Liama!« stieß sie hervor.

»Du kennst mich noch, Hirtin. Gehe zu dem Wahnwitzigen. Hier bei uns hast Du nichts zu schaffen! Komm, Marion, mein Kind, und kommen Sie, Doctor, ich werde Ihnen zeigen, wer hier Herrin ist!«

Sie nahm ihre Tochter bei der Hand und schritt voran – Müller folgte. Die Baronin wankte hinterher, von einem unbestimmten Impulse getrieben.

Es ging in den Speisesaal und von da in die Gemächer der Schloßherrin. Die Baronesse folgte, ohne ein Wort zu sagen. Im Boudoir blieb Liama stehen und deutete nach dem Kamin.

»Doctor, schrauben Sie dieses Bild heraus.«

Das Marmorkamin war mit einem Aufsatze gekrönt, in dessen Mitte sich ein Medaillon mit dem in Silber getriebenen Kopf der Venus befand. Müller faßte das Medaillon mit beiden Händen. Sollte es sich wirklich bewegen lassen? Er mußte alle seine Kräfte anwenden; der Rost hatte sich in das Gewinde gesetzt. Aber endlich gelang es. Und als das Medaillon entfernt war, sah man einen viereckigen Raum, in welchem sich ein Kästchen von nicht unbedeutender Größe befand.

»Nehmen Sie es heraus, und öffnen Sie es!« gebot Liama.

Müller gehorchte. Das Kästchen war aus Rosenholz gearbeitet, mit massiv goldenen Spangen und Riegeln; als diese Letzteren zurückgeschoben waren, zeigte es sich, daß es ganz mit allerlei Arten kostbaren Geschmeides angefüllt war.

»Das ist Dein, Marion, mein Kind!« sagte Liama.

Die Augen der Baronin ruhten auf den blitzenden Perlen und Steinen. Ihre Gier erwachte.

»Halt!« sagte sie. »Dieses Etui gehört uns.«

»Wem?« fragte Müller kalt.

»Mir und meinem Manne.«

»Haben Sie es ihm ein- oder mitgebracht?«

»Nein, ich nicht.«

»Können Sie nachweisen, daß es sein Eigenthum ist, und auf welche Weise er es erworben hat?«

»Er wird es beweisen!«

»Nein. Das vermag er nicht!« sagte Liama. »Dieses Gold ist mein Eigenthum und ich schenke es Marion, meiner Tochter.«

»Lüge!« stieß die Baronin hervor.

Liama würdigte sie keines Blickes, sondern sie fuhr, zu Müller gewendet, fort:

»Es ist der Schatz der Beni Hassan; er gehört Liama, der einzigen Tochter des Scheiks Menalek. Saadi hat ihn mir gebracht und ihn hier im Kamin verborgen. Von jetzt an gehört er Marion, der Enkelin von Menalek el Emir Beni Hassan!«

Die Baronin wollte abermals Verwahrung einlegen, aber sie wurde abgehalten. Hinter ihr hatte sich die Thür leise geöffnet; der irrsinnige Baron war eingetreten. Sein Auge schweifte ausdruckslos im Kreise umher und blieb zuletzt auf der Tochter der Beni Hassan haften.

»Liama!« rief er aus.

Er that einige Sprünge und warf sich ihr zu Füßen. Er umfaßte ihre Knie und rief in angstvollem Tone:

»Liama, Liama rette mich!«

»Vor wem?« fragte sie streng.

»Vor ihnen! Sie schuldigen mich an. Ich bin es gewesen; aber sage ihnen, daß ich es nicht gewesen bin. Dir glauben sie, mir aber nicht.«

»Wo sind sie denn?«

»Ueberall sind sie, überall. Sie verfolgen mich auf Schritt und Tritt. Rette mich!«

»Was sagen sie, daß Du gethan haben sollst?«

Eben wollte er antworten, da aber fiel die Baronin schnell ein:

»Halt! Mein Mann ist krank. Niemand darf ihn aufregen. Niemand darf mit ihm sprechen!«

Sie trat hinzu, um ihn bei der Hand zu fassen und aus seiner knieenden Stellung emporzuziehen. Er streckte ihr abwehrend die eine Hand entgegen, während er sich mit der anderen angstvoll an Liama klammerte, und rief in kläglichstem Tone:

»Fort mit ihr, fort mit der Schlange! Liama, laß sie nicht heran. Beschütze mich!«

»Er redet Unsinn!« erklärte die Baronin. »Er muß fort auf sein Zimmer!«

Sie streckte die Hand nach ihm aus, um ihn zu erfassen. Müller sagte sich, daß er dies jetzt nicht zugeben dürfe. Der Irrsinnige befand sich jetzt in einer Aufregung, welche erwarten ließ, daß man von ihm Vieles erfahren könne, was bisher verschwiegen gewesen war.

Darum faßte er die Baronin beim Arme und sagte in strengem Tone:

»Zurück hier, Madame! Sie werden diesen Unglücklichen nicht berühren!«

Da loderte in ihren Augen das Feuer des wildesten Hasses auf. Sie ballte die Fäuste, stampfte mit den Füßen und rief drohend:

»Noch ein solches Wort und ich lasse Sie hinauswerfen!«

»Pah!« lachte er. »Das Schäfermädchen hat das Zeug nicht dazu, mich hinauswerfen zu lassen!«

»Schäfermädchen?« kreischte sie förmlich auf. »Glauben Sie, daß ich mich vor einem fortgejagten, buckeligen Hauslehrer zu fürchten habe?«

»Ja, ganz gewiß; das glaube ich,« sagte er ruhig. »Daß Sie mich auf meine unverschuldete Mißgestalt aufmerksam machen, ist der sicherste Beweis, daß Sie vom Dorfe stammen und in das Dorf gehören. Gehen Sie.«

Er zeigte bei diesen Worten nach der Thür.

»Nein, sondern packen Sie sich fort!«

Sie griff abermals nach dem Baron.

»Den lassen Sie hier,« gebot Müller.

»Gut, so werde ich klingeln!«

Während diesen Worten ging sie zur Thür, wo sich der Glockenzug befand.

»Ja, klingeln Sie!« sagte Müller. »Aber den Diener, welcher hereintritt, werde ich nach der Polizei schicken! Sein Ton klang so fest und sicher, daß sie den Schritt inne hielt.

»Nach Polizei? Wozu?« fragte sie.

»Um Sie arretiren zu lassen.«

»Weshalb?«

»Wegen verbotener Doppelehe.«

»Ah!«

»Wegen rechtswidriger Gefangenhaltung des Barons Gebhardt von Königsau.«

»Sie sind ein Teufel!«

»Wegen Ehebruchs mit dem jetzt nun todten Fabrikdirector.

»Herr!« braußte sie auf. »Was fällt Ihnen ein?«

»Pah! Ich weiß Alles. Hat nicht der Alte Sie im Garten ertappt? Und war nicht auch ein fremder Offizier bei Ihnen! Gehen Sie augenblicklich, sonst bin ich es, welcher klingelt. Vorwärts!«

Er faßte sie am Arme und führte sie zur Thür hinaus, welche er hinter ihr verschloß. Sie war so verblüfft, daß sie gar nicht daran dachte, zu widerstreben.

Ihre Entfernung machte sichtlich auf den Baron einen beruhigenden Eindruck.

»Fort ist sie, fort!« sagte er. »Gott sei Dank!«

»Sprechen Sie mit ihm!« flüsterte Müller Liama leise bittend zu.

Sie beugte sich zu dem noch immer vor ihr Knieenden nieder, legte ihm die Hand auf den Kopf und sagte:

»Armer Henri!«

Das schien ihm wohl zu thun. Er lächelte zu ihr auf und stieß stockend hervor:

»Nur Du kannst mir helfen. Willst Du?«

»Ja.«

»Sie stehen alle da, rund um mich her, hier, da und dort, allüberall.«

»Wer?«

»Der Deutsche, den wir erschlagen haben.«

»Wo?

»Im Walde. Wegen der Kriegskasse.«

»Wie hieß er?«

»Königsau.«

»Wo ist er jetzt?«

»Er ist todt, todt, todt.«

»Wirklich?«

»Ja. Aber sein Geist lebt noch.«

»Wo?«

»Unten in der Erde. In den tiefen Kellern des Schlosses Ortry.«

»Hast Du ihn gesehen?«

»Ja.«

»Wann?«

»Das weiß ich nicht mehr. Der Alte hat ihn mir gezeigt. Der Mord lag mir auf der Seele, und er wollte mich beruhigen. Darum machte er mir weiß, daß Königsau nicht todt sei, sondern noch lebe.«

»Er zeigte ihn Dir?«

»Ja. Aber es war nicht Königsau, sondern sein Geist. Und da, da steht noch Einer!«

Er zeigte mit der Hand angstvoll seitwärts. Seine Augen blickten starr und erschrocken nach einem Punkte.

»Wer?« fragte sie.

»Hadschi Omanah.«

»O, der fromme Marabut?«

»Ja.«

»Kennst Du ihn denn?«

»Ich habe ihn ja begraben!«

»Wo?«

»Auf dem Berge, in seiner Hütte. Und da steht auch sein Sohn! Er droht mir mit der Hand. Er hat einen Todtenkopf und zeigt mir die Zähne. Rette mich!«

Er befand sich in fürchterlicher Angst. Der Schweiß tropfte ihm förmlich von der Stirn. Es war derjenige Zustand, in welchem er von dem alten Capitän nur durch Faustschläge zum Schweigen gebracht worden war.

»Hast Du den Sohn des Marabuts denn auch gesehen?« fragte sie auf die geflüsterte Aufforderung Müllers.

»Ja.«

»Wo denn?«

»Auch auf dem Berge. Ich habe ihn ja ermordet!«

Müller stand hinter Liama und raunte ihr zu, was sie sagen solle.

»Ermordet?« fragte sie. »Du selbst?«

»Ja.«

»Warst Du allein da?«

»Der Alte war mit. Er gebot mir, ihn zu tödten.«

»Warum?«

»Weil ich Baron werden sollte.«

»Warst Du denn nicht Baron?«

»Nein, o nein.«

»Was warst Du denn?«

»Ich war ja Henri Richemonte, der Cousin und Pflegesohn des Capitäns.«

»Und wer war der Baron?«

»Es waren zwei da.«

Er konnte sich sichtlich nur schwer auf die Einzelnheiten besinnen. Es mußte Alles sehr vorsichtig aus ihm herausgelockt werden.

»Zwei?« fragte sie. »Wer war es?«

»Der Vater und der Sohn.«

»Welcher war der Vater?«

»Der Marabut. Er lag im Sterben, als wir kamen, und den Sohn tödtete ich.«

»Begrubt Ihr sie?«

»Ja, in der Hütte. Die Papiere nahmen wir.«

»Was machtet Ihr damit?«

»Ich bewies, daß ich der junge Sainte-Marie sei, und sagte, mein Vater sei todt. Herrgott! Da steht noch Einer und noch Einer!«

»Wer?«

»Menalek, der Scheik der Beni Hassan.«

Sie legte die Hand an ihr Herz, als ihr Vater erwähnt wurde, bezwang sich aber und fuhr fort:

»Was will er von Dir?«

»Er klagt mich an. Er fordert Rechenschaft.«

»Worüber?«

»Ueber seinen Tod. Wir haben ihn in die Hände der Franzosen gegeben. Und den Andern auch.«

»Wer ist das?«

»Saadi. Er mußte sterben.«

»Weshalb?«

»Weil ich Liama haben wollte, seine Geliebte. Hast Du mich denn nicht gekannt?«

»Wer warst Du?«

»Ich war Ben Ali und der Alte war – –«

Er hielt inne, um sich zu besinnen.

»Wer war er?«

»Er war Malek Omar, der Fakihadschi. Er machte den Spion der Franzosen und der Beduinen. Er verrieth sie aber Beide. O, errette mich!«

Er schauderte zusammen und versuchte, sich hinter ihr vor den Geistern zu verbergen, welche er zu erblicken wähnte. Sie hatte doch Mitleid mit ihm. Darum sagte sie in beruhigendem Tone:

»Sei still! Saadi ist nicht todt!«

»Nicht? Dort steht ja sein Geist!«

»Es ist Täuschung. Saadi lebt.«

»Ist es wahr?«

»Ja.«

»Er wurde doch erschossen!«

»Nein. Er war nur auf den Tod verwundet. Die Franzosen glaubten ihn todt und ließen ihn liegen. Dann aber wurde er gefunden und gepflegt.«

»Du sagst es und Du lügest nie!«

»Nein.«

»Ja, Du hast Recht. Sein Geist ist verschwunden. Mein Kopf schmerzt nicht mehr. Ich will gehen.«

Er erhob sich und wankte nach der Thür. Sie ließen ihn gehen, ohne ihn zurückzuhalten. Was sie jetzt erfahren hatten, wußten sie bereits zum großen Theile, Liama aus ihrer Vergangenheit und Müller aus den Aufzeichnungen, welche Marion von Hassan, dem Zauberer, empfangen und ihm anvertraut hatte. Manches aber erschien ganz neu und war wohl geeignet, sie in die höchste Bestürzung zu versetzen und ihnen Stoff zu den interessantesten und wichtigsten Combinationen zu geben.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wenn man in der Stadt Algier von der Straße Bab el Qued nach der Kasbahstraße einbiegt und dann sich um die erste Ecke rechter Hand wendet, kommt man an eins der berühmtesten Kaffeehäuser der einstigen Seeräuberstadt. Aber dem Aeußeren dieses Hauses sieht man diese Berühmtheit ganz und gar nicht an. Es ist schwarz und alt. Kein Stein scheint mehr auf dem anderen halten zu wollen und der Eingang ist schmal und niedrig wie die Thür zu einer Hütte.

Durch diesen Eingang gelangt man in einen langen, dunkeln Flur und dann aber in einen großen, offenen Hof, welcher mit prächtigen Säulenbogen umgeben ist, unter denen sich kleine, lauschige, nach dem Hofe zu offene Gemächer rundum aneinander reihen.

Diese Gemächer sind für die Gäste bestimmt.

Inmitten des Hofes plätschert ein Brunnen, welcher von den vollen Wipfeln einer Sykomore überschattet wird. Hier sitzen des Abends, während die Ausländer unter den Säulenbogen trinken und rauchen, die Eingeborenen, in ihre weiten, weißen Gewänder gehüllt, ›trinken‹ ihren Tschibuk, wie der Maure sich auszudrücken pflegt und schlürfen einen Fingan Kaffee nach dem andern dazu.

Dabei lauschen sie dem Vortrage des Meda, des Märchenerzählers, der sie im Geiste nach Damaskus und weiter führt und ihnen jene phantastischen Bilder aus tausend und einer Nacht vor die Augen führt.

Doch nicht immer sind es Märchen, welche sie hören. Er berichtet auch von Muhamed dem Propheten, von den Kalifen, von dem großen Salah ed din, welchen die Christen Saladin nennen, von Tarik dem Eroberer, von dem spanischen Reiche der Mauren. Er beschreibt die Pracht und Herrlichkeit des Alterthums und schildert ebenso die Gegenwart.

Hat er Mekka, die heilige Stadt besucht, so beschreibt er seine Pilgerreise, und ist er weit in das Innere der Wüste gekommen, so entrollt er die Geheimnisse der Sahara vor ihrem Auge. Er spricht vom Samum, von den Djinns, den bösen Geistern, vom Löwen, dem Beherrscher des Wüstenrandes und während er spricht und erzählt, dichtet er:

»Da liegt der Maure unter Palmen,
   Vom Sonnenbrand herbeigeführt;
Das Dromedar nascht von den Halmen,
   Die noch der Samum nicht berührt.
Da trinkt das Gnu sich an der Quelle,
   Der lebensfrischen, voll und satt;
Da naht verschmachtend die Gazelle,
   Vom wilden Jagen todtesmatt.
Da geht der Löwe nach der Beute,
   Der König, kampfesmuthig aus,
Und in die unbegrenzte Weite
   Brüllt er den Herrscherruf hinaus,
Und Mensch und Thier, Gnu und Gazelle,
   Sie zittern vor dem wilden Ton
Und jagen mit Gedankenschnelle,
   Entsetzt, von Furcht gepackt, davon.«

Eben als der Meda bis hierher gekommen war, trat ein neuer Gast in den Hof. Er blieb am Eingange stehen und blickte sich um. Er schien Den, welchen er gesucht hatte, gefunden zu haben, denn Einer der Anwesenden erhob sich aus dem Kreise der Zuhörer und kam auf ihn zugeschritten.

»Sallam aaleikum!« grüßte der Eingetretene.

»Aaleikum sallam!« antwortete der Andere. »Wie bin ich erfreut, Dich zu sehen!«

»Allah hat mich beschützt.«

»Warst Du glücklich?«

»Ja.«

»Darf ich nun erfahren, wo Du warst?«

»Ich erzähle es Dir.«

»Und was Du dort wolltest?«

»Auch das.«

»So komm!«

Er führte ihn in eins der nach dem Hofe zu offenen Gemächer. Ein Diener des Kawehdschi Kafeewirthes. brachte Tabak und Kaffee. Sie setzten sich neben einander auf das Polster nieder, und der Neuangekommene brachte seinen Tschibuk in Brand.

Er war jünger als der Andere, ihm aber so ähnlich, daß man gleich auf den ersten Blick diese Beiden für Verwandte halten mußte.

Und so war es auch. Der Aeltere war Abu Hassan, der Zauberer, und der Jüngere war Saadi, der einstige Geliebte Liama's, von dem man geglaubt hatte, daß er erschossen worden sei.

»Nun erzähle!« bat Hassan. »Wo bist Du gewesen?

»Das würdest Du nie errathen.«

»So sage es!«

»Im Auresgebirge.«

»Dort oben? Was hattest Du dort zu thun?«

»Ich suchte die Hütte des todten Marabut.«

»Hadschi Omanah?«

»Ja.«

»Allah ist groß. Er giebt dem Menschen seine Gedanken. Ich aber bin nicht allwissend und kann nicht ahnen, was Du dort wolltest.«

»Der Ort ist ein heiliger Ort. Ich wollte dort beten.«

»Das ist Allah wohlgefällig. Aber wolltest Du nicht etwas Anderes dort?«

»Ja. Ich wollte die Gebeine des Marabut sehen.«

»Hat Dich der Scheitan Teufel. besessen! Du hast doch nicht etwa diese Gebeine ausgraben wollen!«

»Gerade das habe ich gewollt.«

»Saadi!« meinte der Andere erschrocken.

»Was meinst Du?«

»Weißt Du nicht, daß sich der Gläubige verunreinigt, wenn er die Ueberreste eines Todten berührt?«

»Ich habe die Gebete der Reinigung gesprochen.«

»Und weißt Du nicht, daß den, welcher das Grab eines Heiligen entweiht, Allah's Rache und der Fluch des Propheten trifft?«

»Ich weiß es.«

»Und dennoch hast Du es gethan!«

»Allah wird mir verzeihen, denn meine Absicht war eine gute. Weißt Du, was ich gefunden habe?«

»Die Ueberreste des Marabut.«

»Ja, aber dabei noch ein zweites Gerippe.«

»Das seines Sohnes?«

»Jedenfalls; dieser Sohn ist ermordet worden.«

»Allah l'Allah!«

»Ja. Ich habe die Spur ganz deutlich gesehen.«

»Wer mag der Mörder sein?«

»Irgend ein böser Mensch oder gar ein Giaur, welcher Schätze gesucht hat.«

»Das Letztere ist richtig. Ein Giaur ist's gewesen. Vielleicht waren es sogar zwei.«

»Der Teufel fahre mit ihnen zur Hölle! Wie aber kannst Du das so genau wissen?«

»Weil ich noch einen Fund gemacht habe.«

»Einen guten?«

»Für uns einen sehr guten. Desto schlimmer aber ist er für die Mörder. Wie gut, daß wir gelernt haben, die Sprache dieser Franzosen zu sprechen und zu schreiben!«

Er griff in den Gürtel und zog ein kleines Packet hervor. Er öffnete es. Es enthielt mehrere Schreiben, welche er Hassan hinreichte.

»Hier, lies und staune.«

Die Beleuchtung war so, daß die Zeilen ziemlich deutlich zu sehen waren. Beides, Papier und Schrift, war sehr gut erhalten, obgleich alt.

Während Hassan las, drückte sich auf seinem sonnenverbrannten Gesichte ein immer wachsendes Erstaunen aus. Als er fertig war, legte er die Papiere zusammen, gab sie an Saadi zurück und sagte:

»Welch' eine Entdeckung!«

»Ist sie nicht wichtig und groß?«

»Größer und wichtiger als alles Andere. Allah hat Deinen Fuß geführt und Deine Hand geleitet!«

»Glaubst Du, daß er mir verzeihen wird, daß ich in die Hütte des Marabut eingedrungen bin?«

»Er wird Dir verzeihen, denn es ist ja sein eigener Wille gewesen. Wo lagen diese Papiere? Mit im Grabe bei den Todten?«

»Nein. Da wären sie verfault.«

»Wo denn?«

»In der Mauer.«

»Sie waren da aufbewahrt?«

»Sie lagen dort versteckt. Das Häuschen ist alt, und die Steine sind aus den Fugen gegangen. Einer der Steine, den ich berührte, fiel herab. Hinter ihm war ein Loch; da stacken die Papiere.« 

»Welch eine Schickung! Es sind Abschriften.«

»Vom Gouverneur unterzeichnet und besiegelt.«

»Wo mögen die Originale sein?«

»Drüben in Frankreich.«

»Meinst Du?«

»Gewiß!«

»Wie kommst Du zu dieser Vermuthung?«

»O, ich vermuthe noch ganz Anderes. Fragst Du Dich denn nicht, wie diese Papiere in die Hütte des Marabutes kommen?«

»Das muß man sich freilich fragen. Die Documente eines Franzosen in das Heiligthum eines gläubigen Moslem.«

»Nun, wie willst Du es erklären?«

»Weiß ich es? Laß mich nachdenken!«

»Nachdenken? Das habe ich bereits gethan.«

»Hast Du es gefunden?«

»Ja.«

»So sage es!«

»Kannst Du Dich noch an jene Zeit erinnern, in welcher unser Stamm fast vernichtet wurde?«

»Es ist mir, als sei es erst gestern geschehen. Fluch diesen Franzosen!«

»Es war zu derselben Zeit, als der Marabut mit seinem Sohne verschwand. Ihre Ueberreste habe ich jetzt gefunden. Aber man fand damals in ihrer leeren Hütte ein altes Buch, welches in einer fremden Sprache gedruckt war.«

»Ich besinne mich. Es enthielt Gedichte. Das sah man aus der Stellung der Zeilen.«

»Nun, wir waren dann später Beide in Frankreich und haben da ähnliche Bücher gesehen, welche Gedichte enthalten.«

»Wo?«

»Ueberall, an jedem Orte. Man nennt dort solche Bücher, Gesangbücher. Die Ungläubigen singen in ihren Kirchen daraus.«

»Allah ist groß! Meinst Du, daß das Buch des Marabut ein solches Gesangbuch gewesen sei?«

»Ja.«

»Ein Heiliger der Moslemim und ein Gesangbuch der Ungläubigen! Bist Du toll?«

»Ich bin sehr bei Besinnung. Du aber wirst mich freilich für wahnsinnig halten, wenn ich sage, daß Hadschi Omanah ein Christ gewesen sei.«

»Ja, das ist wahnsinnig. Allah gebe, daß Du den Verstand wiederfindest!«

»Ich habe ihn noch; ich habe ihn noch gar nicht verloren. Hadschi Omanah ist früher ein Christ gewesen und dann zu unserem Glauben übergetreten.«

»So meinst Du, daß er kein Sohn der Araber gewesen sei?«

»Nein; er war ein Franke. Ich kenne sogar seinen Namen.«

»Willst Du allwissend sein wie Gott selbst!«

»Ich denke nach; darum weiß ich es.«

»Nun, wie soll dieser Name lauten?«

»Baron de Sainte-Marie.«

Dem guten Hassan war der Tschibuk längst ausgegangen. Jetzt aber legte er ihn gar bei Seite. Er öffnete den Mund und starrte seinen Verwandten an, als ob er ihn zum ersten Male sehe.

»Sainte-Marie?« wiederholte er dann.

»Ja.«

»Mensch, willst Du auch mich um den Verstand bringen?«

»Nein. Denke nach! Hadschi Omanah war ein Baron de Sainte-Marie, der seinen Sohn bei sich hatte. Sie verbargen bei sich diese Papiere, welche Abschriften sind. Sie hatten auch die Originale bei sich!«

»Wozu die Abschriften, wenn sie die Urschriften hatten?«

»Aus Vorsicht, zu ihrer Sicherheit. In den Schluchten des Auresgebirges giebt es wilde Menschen. Geschah Etwas, wobei von den Schriften entweder das Original oder die Copie vernichtet wurde, so war doch wenigstens das Andere noch vorhanden.«

»Aber sie können ja gar nicht Sainte-Marie geheißen haben!«

»Warum nicht?«

»Weil es einen Sainte-Marie giebt.«

»O, der ist unächt!«

»Du meinst, daß dieser Ben Ali – – –?«

»Ein Schwindler ist.«

»Allah!«

»Und nicht nur ein Schwindler, sondern ein Mörder. Und nicht er allein, sondern dieser Malek Omar mit ihm.«

»Der sich jetzt Richemonte nennt?«

»Ja. Sie haben den Hadschi Omanah, den richtigen, ächten Sainte-Marie und dessen Sohn ermordet und die Papiere an sich genommen.«

»Damit Ben Ali Baron werden solle?«

»Ganz gewiß.«

»Saadi, mein Bruder, wenn Du Recht hättest!«

»Ich habe Recht!«

»Das wäre eine Rache an den Beiden!«

»Wir werden uns rächen.«

»Aber wann und wie?«

»Das haben wir uns zu überlegen. Sie haben nicht geahnt, daß es noch Abschriften giebt. Mit diesen Letzteren können wir beweisen, daß die wirklichen Sainte-Maries todt sind. Nun aber, wie ist es Dir seit unserer Trennung ergangen?«

»Ich habe still gearbeitet. Nun aber hat sich Etwas ereignet, was uns auf baldige Rache hoffen läßt.«

»Was?«

»Frankreich wird Krieg führen.«

»Mit wem?«

»Mit Deutschland.«

»Ist das gewiß?«

»Ja. Deutschland soll es nicht wissen. Hast Du denn noch nichts gehört?«

»Nein.«

»Die ganze Provinz ist in Bewegung. Die Regimenter der Turko's und Spahi's werden nach der Küste gezogen, um schnell eingeschifft werden zu können.«

»Allah sei Dank! Sind die Oasen dann von den Soldaten entblößt, so werden wir uns erheben!«

Hassan schüttelte den Kopf und meinte:

»Das ist eine trügerische Hoffnung. Die Stämme Algeriens werden sich nicht erheben.«

»Warum nicht?«

»Es fehlt Ihnen ein Anführer.«

»Wir haben viele tapfere Scheiks!«

»Aber keinen Feldherrn!«

»Wir werden einen finden!«

»Aber keinen Abd el Kader. Nein, nicht hier in der Heimath können wir uns rächen.«

»Wo denn?«

»Drüben, jenseits des Meeres, wenn der Krieg begonnen hat.

Diese Franzosen jauchzen bereits. Sie sind siegestrunken, bevor der Krieg noch erklärt worden ist. Aber hast Du die blonden Männer der Fremdenlegion gesehen?«

»Ja. Das sind die tapfersten und edelsten.«

»Das sind Deutsche. Hast Du gehört, von wem Napoleon der Große vernichtet worden ist?«

»Von den Deutschen.«

»So wird es auch diesesmal werden.«

»Allah gebe es!«

»Alle Gläubigen beten zu Allah, daß unsere Unterdrücker vernichtet werden. Und jeder Moslem ist bereit, das Seinige dazu zu thun.«

»Und doch müssen unsere Brüder für Frankreich fechten.«

»Sie werden es nicht thun!«

»O, man wird sie zwingen!«

»Sie werden sich nicht zwingen lassen, sondern zum Feinde überlaufen, wenn man sie gegen ihn führt. Es geht durch die Reihen der Spahis und Turcos eine heimliche Bewegung, von der Du Dich bald überzeugen sollst. Aber was kümmert das jetzt uns? Wir haben weit Anderes zu thun. Ich weiß, wie wir uns am allerbesten an Frankreich rächen können.«

»Wie?«

»Indem wir Capitän Richemonte vernichten.«

»Was sollte dies Frankreich schaden?«

»Habe ich Dir nicht erzählt, daß ich drüben erfahren habe, er stehe an der Spitze einer Erhebung gegen Deutschland?«

»Du sagtest es.«

»Nun, wenn wir ihn stürzen, so bricht der ganze Plan zusammen. Diese Abschriften müssen ihn verderben.«

»So willst Du hinüber?«

»Ja.«

»Wieder nach Ortry?«

»Wieder nach dorthin.«

»Trotzdem Du von diesem Orte geflohen bist!«

»Nicht vor dem Orte, sondern vor dem Geiste, den ich erblickte.«

»Hassan, weißt Du genau, daß es ein Geist war?«

»Ja.«

»Kannst Du es beschwören?«

»Ihr Körper kann es nicht gewesen sein.«

»Warum nicht?«

»Weil sie todt ist.«

»Sie könnte vielleicht noch leben.«

»Könnte da der Baron ein anderes Weib haben?«

»Da drüben gelten andere Gesetze.«

»Man hat nicht anders gewußt, daß Liama das christlich angetraute Weib des Barons sei.«

»So giebt es demnach noch eine Möglichkeit, daß sie noch lebt. Man hat sie nur beseitigt. Hast Du ihren Geist genau betrachtet?«

»Ich habe ihn genau gesehen.«

»Wie war er gekleidet?«

»In die Tracht unseres Landes.«

»Verstandest Du, was er sagte?«

»Jedes Wort.«

»In welcher Sprache redete er?«

»In französischer.«

»O Hassan, ich glaube, Du täuschest Dich. Ihr Geist hätte ganz sicher gewußt, daß Du es bist, und dann hätte er arabisch gesprochen.«

»Ein Geist redet die Sprache desjenigen Landes, in welchem er erscheint. Liama erschien unter Donner und Blitz. Kann das ein Mensch?«

»Ja. Man hat Pulver.«

»O, das war kein Pulver. Die ganze Erde bebte und brannte. Ich bin davongestürzt.«

»Aber jene beiden Männer blieben?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du bist zu eilig gewesen. Warum hast Du nicht dann wenigstens in der Stadt gewartet? Du konntest erfahren, welchen Ausgang es genommen hatte.«

»Soll ich mich als Leichenräuber festnehmen lassen?«

»Ich will Dich nicht tadeln, daß Du zu vorsichtig gewesen bist. Wir werden wieder hinübergehen, und dann suche ich das Grab selbst auf, um mich zu überzeugen, daß es die Ueberreste meiner Liama wirklich enthält.«

»Deiner Liama – – –?

»Ja.«

»Sie war das Weib des Barons.«

»Nie.«

»Glaubst Du ihrer Versicherung wirklich so fest?«

»Ich glaube an sie wie an mich selbst. Dieser falsche Baron hat nur sagen können, daß sie wirklich sein Weib sei.«

»So ist ihre Tochter die Deinige?«

»Sie ist die meinige. Ich war mit Liama verlobt, und sie wurde vor Allah mein Weib, als ich sie fand und heimlich bei ihr wohnte. Da treten neue Gäste ein. Gehen wir, Hassan. In unserer Wohnung können wir ungestört weiter sprechen.«

Sie bezahlten, was sie genossen hatten und verließen dann das Kaffeehaus.

Es war Mondschein. Sie wandelten im Schatten der Häuser. Aber als sie um eine Ecke bogen, kamen sie in den vollen Schein, ebenso auch ein Mann, welcher von der anderen Seite kam und fast mit ihnen zusammengerannt wäre.

Alle Drei hielten ihre Schritte an und sahen einander unwillkürlich in die Gesichter.

»Hassan der Zauberer!« entfuhr es dem Manne.

»Vater Main!« rief dagegen Hassan. »Mensch, wie kannst Du wagen – – Allah, Allah! Er stieß diese beiden Rufe aus, weil er vom Vater Main einen fürchterlichen Hieb in die Magengegend erhalten hatte, so daß er an die Mauer taumelte. Der einstige pariser Wirth rannte davon. Saadi wollte ihm nach, hielt es aber doch für nöthiger, nach dem Bruder zu sehen.

»Ist's gefährlich?« fragte er ihn.

»Nein. Schon ists vorüber. Dorthin rannte er. Schnell ihm nach!«

Beide eilten in der Richtung hin, in welcher Main entflohen war. Sie kamen bis an das Ende der Straße, ohne ihn erblickt zu haben. Sie sahen nun nach rechts und links in die Querstraßen hinein, ohne ihn zu bemerken.

»Er ist fort!« meinte Saadi.

»Entkommen, der Schuft.«

»Du kanntest ihn?«

»Freilich. Ich nannte ja seinen Namen.«

»Wer ist er?«

»Ein ganz gefährlicher Verbrecher, welcher aus Paris geflohen ist. Er wurde Vater Main genannt. In seinem Hause verkehrten nur böse Menschen. Er hatte ein sehr vornehmes Mädchen geraubt, um ein großes Lösegeld zu erlangen.«

»Hätte ich das gewußt!«

»Was hättest Du gethan?«

»Ihn sogleich festgehalten.«

»Man wird ihn ohnedies ergreifen, denn ich gehe gleich am Morgen zur Polizei, um zu melden, daß er sich hier befindet.«

Sie setzten ihren Weg fort, ohne zu ahnen, daß sich Der, von welchem sie sprachen, ganz in ihrer Nähe befand. Das Nachbarhaus desjenigen, an welchem sie stehen geblieben waren, war nämlich, wie so manches in Algier, unbewohnt, weil es halb in Trümmern lag. Die Thür hing zwar noch in den Angeln, wurde aber nicht mehr verschlossen.

Hinter diese Thür war Vater Main geschlüpft und hatte sie so herangedrückt, daß es den Anschein hatte, als ob sie verschlossen sei. Er hörte ganz deutlich, was Hassan erzählte.

»Verräther!« murmelte er, als sie fortgegangen waren. »Ich stoße Dir das Messer in den Leib, sobald Du mir wieder begegnest. Wie gut, daß diese beiden Menschen nicht wußten, welch ein prächtiger Schlupfwinkel dieses alte Seeräuberhaus ist.«

Er tappte sich im Finstern bis in den Hof und kletterte da an einer Mauer empor. Drüben sprang er in den Hof eines andern Gebäudes herab, schlich sich über denselben hin und gelangte an eine Thür, an welche er klopfte. Drinnen ertönte eine Stimme:

»Wer?«

»Ich selbst.«

»Gleich!«

Nach wenigen Augenblicken wurde geöffnet. Vater Main trat in einen jetzt ganz dunkeln Raum.

»Warum hast Du kein Licht?« fragte er.

»Brauche keins.«

»Hast wohl geschlafen?«

»Ja.«

»Faulpelz!«

»Hm! Du schwitzest wohl vor lauter Arbeit?«

»Wenigstens bekümmere ich mich weit mehr als Du um das, was uns von Nutzen ist.«

»Pah! Was brauchen wir jetzt? Eine Hand voll Datteln täglich; das ist genug. Warum soll man sich da übermäßig anstrengen?«

»Aber die Zukunft!«

»Warte nur ganz ruhig, bis der Krieg losgeht; dann beginnt unsere Zukunft, eher aber nicht.«

»Na, wann wird denn Licht?«

»Ach, Licht willst Du?«

»Natürlich! Ich denke, Du bist aufgestanden, um welches anzuzünden?«

»Fällt mir nicht ein. Ich brauche keins. Ich bin nur aufgestanden, um Dir zu öffnen.«

»Und Dich dann gleich wieder aufs Lager zu werfen!«

»Ja. Kann man was Besseres thun?«

Vater Main antwortete vorerst nicht. Er brannte eine alte Lampe an, welche er in eine Mauernische stellte. Nun erkannte man den kellerartigen Raum, welcher früher wohl einmal als Badestube benutzt worden war. Jetzt war er völlig kahl und leer. Nur in der einen Ecke lag eine alte Strohmatte. Daneben stand ein Krug. Lampe, Krug und Matte bildeten das einzige Mobiliar dieser Wohnung; auf der Matte aber lag kein Anderer als – Lermille, der flüchtige Harlekin, welcher in Thionville seine Stieftochter vom hohen Seile gestürzt hatte.

*


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