Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

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Zehntes Kapitel

Der Herbst war weiter und weiter vorgeschritten, und mit gelblichem Schimmer färbten sich die bis dahin so tiefgrünen Wälder, welche die Höhen um Gmunden bekränzen.

Auch der Park, welcher die Villa Thun, die Sommerresidenz des Königs Georg V., umgab, hatte seine dunklen Schatten unter dem herbstlichen Hauch gelichtet, dichter und dichter waren die welken Blätter herabgefallen, und nachdem der Wind sie spielend wie eine fliegende Erinnerung der Sommerzeit über den Plan vor dem Hause hin und her gewirbelt, kam der kalte Regen und vermischte sie mit dem erweichten Staub des Bodens, in dem sie sich auflösen sollten, um im nächsten Frühjahr den Wurzeln der Gräser und Kräuter neue Kraft zu geben.

Ein grauer Dunstkreis umgab die Bergspitzen und schloß die Villa des Königs in eine dichte und undurchdringliche Nebelmauer ein. Langsam und gleichmäßig fielen die kalten Regentropfen auf die Erde nieder, und düster wie die Natur war das edle, bleiche Antlitz des Königs Georg, welcher in seinem Zimmer im Erdgeschoß der Villa saß und dem Vortrag des Grafen Platen zuhörte, der ein 195 großes Aktenheft vor sich aufgeschlagen hatte, während der geheime Kabinettsrat Doktor Lex, in sich zusammengekauert und unter dem durch das offene Fenster dringenden Luftzug fröstelnd, mit einem Bleistift Notizen auf einen vor ihm liegenden Bogen Papier machte.

»Die Untersuchung ist also geschlossen,« sagte der König mit trüber Stimme, »und hat das traurige Resultat ergeben, daß wiederum mein Vertrauen in Personen, welche ich zu den Treuesten rechnete, getäuscht worden ist, getäuscht um des elenden Mammons willen, den ich stets so tief verachtet, der niemals für mich bestimmend gewesen ist. Es ist traurig, sehr traurig.«

»Gewiß, Majestät,« erwiderte Graf Platen, dessen Gesicht im Gegensatz zu dem des Königs den Ausdruck einer gewissen Heiterkeit und Zufriedenheit zeigte, – »gewiß, Majestät, ist das sehr traurig, aber Allerhöchstdieselben haben bei diesen schmerzlichen Erfahrungen auch zugleich die hohe Genugtuung, daß Seine königliche Hoheit der Kronprinz, welchem Sie die Führung der Untersuchung übertragen haben, die Sache mit so großer Umsicht, mit so strengem Gerechtigkeitssinn und mit so eindringendem Scharfblick geleitet hat.«

»Das ist gewiß sehr erfreulich,« erwiderte der König tief aufseufzend, – »indeß wäre es mir doch unendlich lieber gewesen, wenn die erste praktische Geschäftstätigkeit des Kronprinzen eine andere Sache zum Gegenstand gehabt hätte. Es tut mir leid um Elster,« fuhr er fort, – »aber ich kann das verschmerzen, ich habe ihn aus der Dunkelheit des Subalterndienstes hervorgezogen, ich habe mich in ihm getäuscht, ich habe mir nur selbst den Vorwurf zu machen, daß ich ihm eine Verantwortlichkeit auflegte, der er nicht gewachsen war. Aber Wedel,« sagte er, indem er die Stirn in beide Hände stützte, – »Wedel, der einer der ersten Familien meines Königreichs angehört, – Wedel, den ich liebe wie einen Freund – daß auch er schuldig ist, daß auch er mein Vertrauen getäuscht hat, daß ist ein tiefer, bitterer Schmerz für mich, den ich lange nicht werde überwinden können.«

»Es ist allerdings unbegreiflich, Majestät,« sagte Graf 196 Platen, indem er seinen Kopf auf das vor ihm aufgeschlagene Aktenfaszikel herabbeugte, »es ist unbegreiflich, wie es möglich gewesen, daß Graf Wedel Maßregeln hat billigen und mit sanktionieren können, welche die Rechte Eurer Majestät so tief beeinträchtigen, denn er hätte doch, sobald ihm die Operationen von Elster bekannt wurden, als Mitverwaltungsrat dagegen protestieren müssen. Ich will mir kein Urteil darüber erlauben, was den Grafen Wedel bestimmt haben kann, den Elsterschen Spekulationen freie Hand zu lassen.«

Der König hatte in tiefem Nachdenken dagesessen und schien die Worte des Grafen Platen kaum gehört zu haben.

»So ist denn das kleine Vermögen,« sagte er mit traurigem Ton, »über welches ich allein noch verfügen kann, nachdem all' mein Besitz mit Beschlag belegt worden, wieder erheblich verringert, und ich werde nicht nur von neuem in den Mitteln zu dem Kampf um mein Recht beschränkt, sondern ich werde auch in meinem eigenen Haushalt mich noch weiter einschränken müssen, – doch das will ich gern tragen. Wenn es nur möglich zu machen ist, daß die Königin und die Getreuen, welche meine Verbannung teilen, keine Not leiden.«

»Der materielle Verlust, Majestät,« sagte Graf Platen, »der Eure Majestät bei dieser Sache trifft, wird nicht so groß sein, als es am Anfang zu fürchten war, und ich hoffe, wenn die Maßregeln ausgeführt werden, welche ich mit dem Finanzassessor Kniep und dem Kommerzienrat Ezechiel Simon in Aussicht genommen habe, der königliche Haushalt keine Einschränkung zu erleiden haben wird –«

»Aber,« fiel der König ein, »meine zwanzigtausend Stück Aktien, welche im Depot der Wiener Bank lagen, sind ja von Elster für seine Spekulation verpfändet worden.«

»Diese zwanzigtausend Stück Aktien,« erwiderte Graf Platen, »sind von der Wiener Bank freigegeben worden infolge der energischen Vorstellungen, welche gegen die Verwendung derselben gemacht wurden –«

»Wie hat sich die Bank dazu verstanden?« fragte der König überrascht. »Ich kann doch weder erwarten, daß die Wiener Bank aus Rücksicht für mich einen Verlust auf sich nehme, noch würde ich eine solche Rücksicht annehmen können.«

197 »Die Bank hat kein Recht aufgegeben, Majestät,« erwiderte Graf Platen schnell, »denn die Verpfändung der zwanzigtausend Stück Aktien Eurer Majestät durch den Doktor Elster war nicht rechtsgültig erfolgt, da Graf Wedel derselben nicht zugestimmt hatte.«

»Wedel hatte der Verpfändung nicht zugestimmt?« rief der König – »ich habe geglaubt, daß das der Fall gewesen wäre.«

»Graf Wedel, Majestät,« sagte der Geheime Kabinettsrat Lex, »hat sogleich nach seiner Rückkehr von Franzensbad nach Wien bei dem Verwaltungsrat der Bank einen Protest gegen die Verpfändung dieser Aktien und ebenso gegen die Verpfändung seines Privatvermögens erhoben, und die Folge davon ist gewesen, daß die zwanzigtausend Stück Aktien Eurer Majestät freigegeben worden sind –«

»Ebenso wie das Privatvermögen des Grafen Wedel,« fiel Graf Platen ein, »welches ebenfalls durch Elster verpfändet worden war.«

Der König rieb sich mit der Hand die Stirn.

»Aber, mein Gott,« rief er, »dann hat mir ja Wedel eine große Summe gerettet, und wenn die Verpfändung der Aktien ohne seine Zustimmung erfolgt ist –«

»Es wäre die Pflicht des Grafen Wedel gewesen,« sagte Graf Platen rasch, »gegen die Verpfändung zu protestieren, als dieselbe geschah, und nicht erst jetzt, nachdem die Katastrophe eingetreten war. Und als von Eurer Majestät bestellter Verwaltungsrat hätte er wissen müssen, daß diese Verpfändung erfolgt sei. Und es ist kaum anzunehmen, daß er es damals nicht gewußt habe, und daß er jetzt den Protest erhoben hat, war allerdings das Mindeste, was er tun konnte, um die verderblichen Folgen für Eure Majestät so viel als möglich zu vermindern und zugleich sein ebenfalls verpfändetes Privatvermögen zu retten.«

Der König blickte lange sinnend vor sich nieder.

»Ich verstehe das nicht,« rief er, »da ist etwas nicht klar. Wenn der Graf Wedel der Verpfändung der Aktien nicht zugestimmt hat, wenn er jetzt durch seinen Protest dieselben für mich gerettet hat, so sehe ich nicht klar, welcher Vorwurf ihm dann gemacht werden könnte.«

198 »Eure Majestät,« sagte Graf Platen, »dürfen nicht vergessen, daß Graf Wedel selbst Mitglied des Verwaltungsrats war, daß er also von jenen Spekulationen des Doktor Elster und von der durch denselben vorgenommenen Verpfändung der Aktien hätte Kenntnis haben müssen, und das ist jedenfalls eine schwere Unterlassungsverschuldung seinerseits, daß er die Dinge, in welche er einzugreifen befugt und verpflichtet war, so lange hat gehen lassen, bis die so traurigen Folgen für die Bank und das Vermögen Eurer Majestät eintraten.«

»Aber Graf Wedel war in Franzensbad,« sagte der König, »er war schwer erschüttert durch den Verlust seiner Kinder und die Todesgefahr seiner Frau.«

»Das trat erst später ein, Majestät,« sagte Graf Platen, »und so sehr diese traurigen Umstände das Mitgefühl für den Grafen Wedel in Anspruch nehmen, ebensowenig können sie seine Unachtsamkeit in seinen Funktionen als Verwaltungsrat rechtfertigen. Graf Wedel erkennt das ja auch übrigens vollkommen selbst an, da er bei Eurer Majestät seinen Abschied eingereicht hat in der eigenen Überzeugung, daß nach dem Vorgefallenen seine Stellung als Hofmarschall eine Unmöglichkeit geworden sei.«

»Ich habe ihm,« sagte der König,« infolge des Berichts der Untersuchungskommission die Aufforderung zugehen lassen, seinen Abschied einzureichen, und da hat er kaum etwas anderes tun können, – aber wenn sich wirklich herausstellt, daß ihn keine oder doch nur eine verhältnismäßig geringe Unterlassungsschuld trifft, so –«

»Majestät,« sagte Graf Platen, »ich bin absichtlich der ganzen Sache fern geblieben, um mich vor dem Vorwurf zu sichern, daß ich möglicherweise durch eine persönliche Verstimmung gegen den Grafen Wedel geleitet würde, – Eure Majestät dürfen aber nicht vergessen, daß, wenn Allerhöchstdieselben nunmehr den Grafen in Ihrem Dienst behalten würden, der Eindruck davon in der Öffentlichkeit, namentlich aber im Königreich Hannover selbst ein äußerst ungünstiger, der Sache Eurer Majestät sehr verderblicher sein würde. Gerade in Hannover, wo man allgemein die Beteiligung Eurer Majestät an der Bank in hohem Grade 199 mißbilligte, wo man mit äußerster Spannung der Entwickelung dieser Angelegenheit folgt, würde ein solches Desaveu des Prinzen, auf dem die zukünftigen Hoffnungen des Landes beruhen, ein tiefes Befremden hervorrufen.«

Der König schwieg eine Zeitlang, seine Miene drückte tiefe Traurigkeit aus.

»Aber wenn Wedel sich rechtfertigen könnte,« sagte er mit halblauter Stimme, »er ist vom Schicksal schon so schwer getroffen, wenn er nun auch an seiner Ehre gekränkt werden sollte, ohne daß eine eigentliche Schuld ihn träfe, nachdem er für mich schon wegen Hochverrats zur Zuchthausstrafe verurteilt worden ist?«

»Es handelt sich ja doch nur um seine Entlassung aus Eurer Majestät Dienst«, sagte Graf Platen. »Und so sehr ich persönlich Mitleid mit dem traurigen Familienschicksal des Grafen Wedel habe, so steht mir doch,« fuhr er mit einer gewissen Emphase fort, »die Sache Eurer Majestät höher. Und Eure Majestät werden mir zugeben müssen, was ich nicht genug wiederholen kann, daß, wenn der Graf Wedel nach dem Vorgefallenen in Ihrem Dienst bliebe, vor der Welt das Verfahren des Kronprinzen und das Resultat der von ihm geführten Untersuchung in ein sehr zweifelhaftes Licht gestellt würde. Mehr noch,« sprach er weiter, »die Welt würde sagen, Elster und Wippern hat man fallen lassen, den Grafen Wedel aber, weil er eben Graf und Hofmarschall war, hat man gehalten. Und ein solches Urteil in der Öffentlichkeit würde in der jetzigen Zeit noch schädlicher wirken, als wenn Eure Majestät auf Ihrem rechtmäßigen Thron säßen, denn es würde die getreuen und opferfreudigen Anhänger entfremden.«

»Es tut mir weh um Wedel,« sagte der König immer mit traurig niedergesenktem Haupt, – dann plötzlich richtete er sich empor, und indem er den Kopf nach der Seite des Kabinettsrats hinwandte, sprach er lebhafter: »aber es gibt ja ein Mittel alles zu ordnen und nach allen Seiten hin gerecht zu werden. Graf Wedel hat es selbst angegeben, wie Sie mir vorhin sagten, lieber Lex, nicht wahr?«

»Der Herr Graf,« erwiderte der Kabinettsrat mit seiner scharfen, hohen Stimme, »bittet in einem Brief dringend um 200 persönliches Gehör bei Eurer Majestät, damit er sich wegen der gegen ihn erhobenen Beschuldigung rechtfertigen und Eurer Majestät alle erforderlichen Aufklärungen über sein Verhalten geben könne. Außerdem bittet er, da ihm jeder Rechtsweg in der Sache verschlossen sei, um die Gewährung eines Ehrengerichts, das sein ganzes Verhalten in der Angelegenheit der Wiener Bank prüfen und darüber ein endgiltiges Urteil fällen solle, ob ihn irgend ein Vorwurf träfe. Der Spruch eines solchen Ehrengerichts würde sein Schutz gegen alle nachteiligen und kränkenden Verdächtigungen sein. Der Graf behauptet,« fuhr er fort, »daß ihm bei der Untersuchung, welche der Finanzassessor Kniep und der Professor Maxen unter Vorsitz des Kronprinzen geführt, Fragen vorgelegt worden seien, die er gar nicht verstanden habe und auf welche er in der aufgeregten und erschütterten Stimmung, in welcher er sich damals befand, gar nicht zu antworten imstande gewesen sei. Die unparteiische Prüfung durch ein Ehrengericht werde das alles ins klare stellen.«

»Vortrefflich, vortrefflich,« rief der König aus, indem er erleichtert aufatmete, »das genehmige ich mit Freuden, das ist der Weg, der alles zur Klarheit und gerechten Entscheidung führen kann!«

»Die Berufung eines Ehrengerichts, Majestät,« sagte Graf Platen, »ist gewiß ein sehr günstiger Ausweg, obgleich unter den gegenwärtigen Verhältnissen die Zusammensetzung eines solchen Gerichts einige Schwierigkeiten haben wird. Aber wie die Sachen liegen, halte ich es für unmöglich, daß Eure Majestät den Grafen Wedel jetzt persönlich empfangen können. Ein solcher persönlicher Empfang würde schon seine vollkommene Freisprechung einschließen, denn von Eurer Majestät Allerhöchster Person kann unmittelbar nur Gnade ausströmen, und nach meiner Überzeugung dürfen Eure Majestät einen Diener, gegen welchen Anschuldigungen, durch den Kronprinzen bekräftigte Anschuldigungen vorliegen, niemals persönlich empfangen.«

»Das ist wahr«, sagte der König traurig. »Schreiben Sie also dem Grafen, lieber Lex, daß ich ihn jetzt nicht persönlich empfangen könne, daß ich aber seine Bitte um ein 201 Ehrengericht genehmige und seinen Vorschlägen über dessen Zusammensetzung entgegensehe –«

»Ich glaube nicht, Majestät,« fiel Graf Platen schnell ein, »daß es dem Angeklagten zustehen kann, Vorschläge über die Zusammensetzung des Gerichts zu machen, das über ihn urteilen soll. Es würde vielmehr an Eurer Majestät sein, dies Gericht zu bestimmen –«

»Aber wie?« fragte der König nachdenklich, – »es wird nicht leicht sein –«

Die Tür nach dem Vorzimmer wurde schnell geöffnet und die Königin Marie trat in das Zimmer.

Sie trug ein einfaches Morgenkostüm von dunkelgrauem Stoff, mit kleinen, violetten Bandschleifen garniert. Das volle reiche Haar der Königin war fast ganz weiß geworden und umgab in dichten Flechten ihr Gesicht, in welches zwar die Linien des Alters sich einzugraben begonnen hatten, welches aber in seinen reinen und frischen Farben noch immer einen letzten Schimmer der Jugend zeigte, so daß dies Gesicht und die schlanke, geschmeidige Gestalt in Verbindung mit der weißen Coiffure an jene alten Bilder aus der Rokokozeit erinnerte.

Der Königin folgte unmittelbar die kleine und unscheinbare Gestalt des früheren hannöverischen Staatsministers Windthorst.

Sein weiter dunkler Rock von altmodischem Schnitt hing faltig um die in sich zusammengesunkenen Glieder. Die langen Ärmel bedeckten zur Hälfte die zierlichen, fast zu kleinen Hände mit den spitzen, nervös bewegten Fingern. Der große Kopf mit den spärlichen, aufwärts gekämmten Haaren und der breiten, hohen Stirn, der abgestumpften Nase und dem großen Munde waren vornüber geneigt, und über die großen, runden Gläser seiner etwas auf die Nase herabgesunkenen Brille blickten die kleinen klugen, leicht zusammengekniffenen Augen forschend umher.

Graf Platen und der Kabinettsrat hatten sich erhoben und begrüßten mit tiefer Verneigung die Königin. Auch Georg V. stand auf, als er nach dem Öffnen der Tür mit seinem feinen Gehör das Rauschen des Kleides seiner Gemahlin vernahm.

»Ich bitte um Verzeihung, wenn ich störe, Männchen«, 202 rief die Königin mit ihrer vollen, sonoren Stimme, indem sie mit leichtem Kopfneigen die beiden Herren begrüßte und zum Könige hineilend demselben die Hand reichte. »Unser lieber Minister Windthorst ist angekommen, und ich wollte ihn dir sogleich selbst bringen, da ich überzeugt bin, daß du ihn mit ebensolcher Freude begrüßen wirst wie ich, und daß er dir vielleicht auch bei dieser Beratung nützlich sein kann«, fügte sie mit einem schnellen Seitenblick auf den Grafen Platen hinzu.

Sie trat zur Seite.

Der König streckte die Hand aus und rief:

»Ich danke Ihnen, mein lieber Minister Windthorst, daß Sie so schnell gekommen sind, – ich bedarf Ihres Rats, Ihrer Klugheit, Ihrer Gewandtheit, und hoffe nur,« fügte er mit einem bitteren Lächeln hinzu, »daß Ihnen Ihr Verkehr mit mir keinen Hochverratsprozeß zuziehen wird.«

»Majestät,« erwiderte der Minister Windthorst mit seiner etwas dumpfen Stimme in den Kehltönen des osnabrückischen Dialekts, »meine persönliche Ergebenheit gegen Allerhöchstdieselben bleibt unter allen Umständen unverändert, und wenn Eure Majestät meiner bedürfen, werde ich stets zu Ihrer Verfügung stehen, unbekümmert um die Folgen, welche mich treffen können. Übrigens,« fuhr er fort, »wird mir auch in Berlin niemand einen Vorwurf aus meiner Anhänglichkeit für Eure Majestät machen. Man weiß, daß ich nicht agitiere und konspiriere, und wenn ich Eurer Majestät in Ihren persönlichen Angelegenheiten meinen Rat gebe, so wird darauf schwerlich irgend ein Staatsanwalt einen Hochverratsprozeß machen können.«

»Wie wohl tut es uns,« rief die Königin, »in so unglücklicher Zeit immer noch so viel Ergebenheit und Anhänglichkeit zu begegnen, in einer Zeit,« fuhr sie seufzend fort, »in der man leider nach allen Richtungen so traurige Erfahrungen macht. Immer ist es mir eine Herzensfreude, Sie zu sehen, mein lieber Windthorst, – Ihr unzerstörbarer Humor, den sie unter allen Verhältnissen sich zu erhalten wissen, frischt mich immer wieder von neuem auf und gibt mir auf Augenblicke wenigstens die Heiterkeit wieder.«

»Ich lasse meinen Humor nicht so leicht zerstören,« 203 erwiderte Windthorst, – »er ist für mich nicht nur ein Trostmittel, sondern auch eine kräftige Waffe, und ich versichere Eure Majestät, daß meine Gegner über meinen Humor nicht lachen werden«, fügte er hinzu, indem seine breiten Lippen sich auf einander preßten und seine kleinen Augen in schnellem Blitz aufleuchteten.

»Ich will nicht länger stören,« sagte die Königin, »ich bin jetzt ganz ruhig und glücklich, da ich Sie hier weiß. Ihr feiner Geist wird dem Könige helfen, die rechten Wege zu finden, um die Verlegenheiten zu überwinden, in welche böse und falsche Menschen ihn gestürzt haben, Menschen, welche nicht müde werden konnten,« fügte sie mit scharfer Betonung hinzu, »Zweifel an der Gesinnung der wirklich treuen und ergebenen Diener zu erregen.«

Der König hatte schweigend und ernst zugehört, anscheinend mit seinen Gedanken beschäftigt. Er küßte seiner Gemahlin die Hand. Graf Platen eilte zur Tür, um dieselbe zu öffnen. Mit leichtem Gruß verließ die Königin das Zimmer.

Der Geheime Kabinettsrat hatte einen Sessel für den Minister Windthorst herangeschoben und der König begann nach einem augenblicklichen Schweigen:

»Sie wissen, mein lieber Minister, wegen welcher traurigen und verworrenen Sache ich Sie gebeten habe hierher zu kommen, um mir Ihren so oft schon bewährten Rat zu geben. Sie haben in Hietzing den Kronprinzen und den Finanzassessor Kniep gesprochen?«

»Ich bin genau informiert, Majestät,« erwiderte der Minister Windthorst, »über die ganze traurige und verhängnisvolle Angelegenheit. Ich habe auch den Grafen Wedel gesprochen,« fügte er hinzu, »er hat mein tiefstes Mitgefühl erregt,« sagte er, indem seine Stimme einen Ausdruck persönlicher Teilnahme annahm, »er ist vollständig gebrochen durch das schmerzliche Schicksal, das ihn in seinem Hause betroffen, und durch den für Eure Majestät so verhängnisvollen Ausgang des Unternehmens, an welchem er so unmittelbar beteiligt war.«

»Und was glauben Sie,« rief der König, »was in der Angelegenheit der Wiener Bank geschehen muß? Halten Sie es für möglich, daß dieselbe weiter bestehen könne, und daß der Schaden wieder gut gemacht werde?«

204 »Ob die Wiener Bank,« erwiderte der Minister Windthorst, »weiter bestehen könne oder nicht, ist eine finanzielle Frage, über die ich für jetzt wenigstens mich jedes Urteils enthalten möchte, die mir auch, wie ich aufrichtig sagen muß, völlig gleichgültig ist. Daß Eure Majestät aber sich so schnell und so vollständig als möglich aus dieser ganzen Angelegenheit herausziehen müssen, halte ich für eine absolute Notwendigkeit, und je schneller Eure Majestät dies tun, um so geringer wird auch nach meiner Überzeugung der Schaden sein, welcher Allerhöchstdieselben dabei betrifft, – denn ganz ohne einen solchen, glaube ich, werden Eure Majestät nicht davon kommen.«

»Ich will alles tun, um zu verhüten,« rief der König lebhaft, »daß die Aktionäre nicht zu sehr geschädigt werden, die ja zum großen Teil im Vertrauen auf meinen Namen sich der Sache angeschlossen haben.«

»Ich habe,« sagte der Minister Windhorst, »alle Vorschläge, welche vom Finanzassessor Kniep zur Abwickelung der Sache gemacht worden sind, sowohl in finanzieller wie in juristischer Beziehung nur vollständig billigen können. Ich habe meine Randbemerkungen dazu gemacht und werde demnächst Eure Majestät bitten, sobald die Aktenstücke vollständig beisammen sind, dieselben eingehend und im Zusammenhang vortragen zu dürfen.«

»Was nun gewisse persönliche Beziehungen betrifft,« fuhr er fort, indem er über seine Brille hin einen scharfen Blick nach dem Grafen Platen hinwarf, »so bin ich der Meinung, daß dieselben völlig der Vergessenheit anheimgegeben werden müssen, und daß die betreffenden Papiere, Quittungen und so weiter den in Frage kommenden Personen wieder zurückgestellt werden sollen.«

»Ganz meine Meinung,« rief der König, »je schneller diese ganze Angelegenheit vollständig begraben wird, um so wohler wird mir sein. Wollen Sie dafür sorgen, Graf Platen, daß in dem von dem Minister Windthorst bezeichneten Sinne die mit der Bank zusammenhängenden persönlichen Angelegenheiten erledigt werden?«

»Zu Befehl, Majestät,« sagte Graf Platen, sich verneigend, »man könnte aber doch vielleicht –«

205 »Nein, nein,« rief der König mit der Hand abwehrend, »ich will die ganze Sache nach allen Richtungen hin definitiv und ohne Bedingungen abschließen –«

»Und dadurch werden Eure Majestät mehr Dank und mehr Nutzen haben,« fiel der Minister Windthorst ein, »als durch jedes andere Verfahren.«

»Sie haben den Grafen Wedel gesehen?« fragte der König.

»Zu Befehl, Majestät,« erwiderte Windthorst, »er war sehr niedergedrückt durch all das Unglück, das über ihn hereinbricht, und hat in der Tat mein aufrichtiges Mitgefühl erregt.«

Graf Platen blickte ein wenig befremdet und mit leichter Unruhe zu dem Minister Windthorst hinüber.

»Ja, ja,« rief der König lebhaft, »er ist hart getroffen, und ich möchte gern alles tun, um seine Lage zu erleichtern. Er hat den Wunsch ausgesprochen, daß ein Ehrengericht sein Verhalten bei der Wiener Bank prüfen und darüber urteilen solle. Und ich glaube auch, daß dies der Weg ist, auf dem man am besten zu einem gerechten und allerseits befriedigenden Abschluß der ganzen Angelegenheit kommen kann. Nur wird die Bildung eines solchen Ehrengerichts, da meine Armee aufgelöst ist, ihre großen Schwierigkeiten haben.«

»Das glaube ich nicht, Majestät,« sagte der Minister Windthorst, »es werden sich genug Personen finden, welche auf Eurer Majestät Befehl zu einem Ehrengericht zusammentreten, und auch von preußischer Seite wird man denselben daraus keinen Vorwurf machen können, da ja ein Ehrengericht eine ganz private Sache ist und sein Urteil eben nur eine moralische Wirkung haben soll und haben kann. Ich glaube, daß die Sache sich ohne große Schwierigkeiten formulieren lassen wird.«

»Das wäre ja vortrefflich,« rief der König lebhaft, »wollen Sie, mein lieber Minister, mir das Statut eines zu bildenden Ehrengerichts entwerfen, damit ich auch diese Sache zum Abschluß bringen kann.«

»Ich habe bereits darüber nachgedacht, Majestät,« erwiderte der Minister Windthorst, »und werde mich 206 sogleich an die Arbeit machen, denn auch ich wünsche dringend,« fügte er mit einem eigentümlichen Ton der Stimme hinzu, »daß dem Grafen Wedel volle Gerechtigkeit widerfahre.«

Ein leises, fast unmerkliches Lächeln spielte um die Lippen des Grafen Platen.

»Doch nun, mein lieber Minister,« rief der König, »sollen Sie sich zunächst von Ihrer Reise erholen. Für Ihr Quartier werde ich sorgen lassen, Sie bleiben ja einige Tage hier und wir werden alle diese Sachen genau durchsprechen. Ruhen Sie sich ein wenig aus, ich sehe Sie zu Tische wieder und will meinerseits vorher noch einen Spaziergang machen, denn die frische Luft ist mein Lebenselement, und ich bin heute den ganzen Morgen in meinem Zimmer gewesen.«

Er erhob sich und reichte dem Minister Windthorst die Hand; dieser zog sich mit einer tiefen Verbeugung zurück.

»Dürfte ich Eurer Majestät Gehör noch auf einen kurzen Augenblick in Anspruch nehmen?« sagte Graf Platen, zu dem Könige herantretend, der bereits die Glocke ergriffen hatte, um nach dem Kammerdiener zu klingeln.

»Nun,« sagte Georg V., ein wenig erstaunt den Kopf wendend, »was haben Sie noch? Ist es eilig?«

»Es ist eine etwas unangenehme und peinliche Sache, und darum vielleicht doppelt eilig«, erwiderte Graf Platen.

»Sprechen Sie,« sagte Georg V., indem er sich seufzend wieder auf das Sofa setzte, während der Geheime Kabinettsrat vor seinem Stuhl stehen blieb und leise fröstelnd den Rockkragen in die Höhe schlug.

»Ich habe ein Schreiben erhalten,« sagte Graf Platen, »in welchem mir mitgeteilt wird, daß der Staatsrat Klindworth sich im Besitz eines Memoires befinde, welches Eurer Majestät Unterschrift trägt und welches über die Wiedervereinigung der ehemals welfischen Besitzungen handelt. Die Veröffentlichung dieses Memoires würde, wie man mir sagt, nach allen Seiten hin höchst peinliche Folgen haben, und es wird mir die Auslieferung desselben gegen eine Zahlung von zehntausend Gulden offeriert.«

»Von Klindworth?« fragte der König rasch.

207 »Nein, Majestät,« erwiderte Platen, – »in solchem Fall pflegt man nicht den geraden und direkten Weg zu gehen, – von –«

Er näherte sich leise dem Ohr des Königs und flüsterte mit gedämpfter Stimme einen Namen.

»Eure Majestät wissen,« fuhr er dann fort, »daß ich allen Beziehungen, welche Allerhöchstdieselben mit dem Staatsrat Klindworth gehabt haben, völlig ferngeblieben bin, und ich möchte Eure Majestät deshalb fragen, ob der Staatsrat sich wirklich im Besitz eines Schriftstückes befinden könne, dessen Bekanntwerden unangenehme Folgen nach sich ziehen und nach irgendeiner Richtung kompromittierend sein möchte. Sollte dies der Fall sein, so würde ich allerdings dafür stimmen, dasselbe zurückzukaufen, wobei sich ja dann vielleicht noch eine Ermäßigung des Preises würde erreichen lassen.«

Der König rieb sich mit einer gewissen Verlegenheit die Hände.

»Ich habe,« sagte er dann, »dem Staatsrat Klindworth, dessen Geist und Erfahrungen mich lebhaft interessierten, meine Meinung über viele Dinge und auch über die so eigentümlich mit der Geschichte Deutschlands verwebten Schicksale des Welfenhauses entwickelt, und vertraulich ausgesprochene Ansichten eignen sich gewiß niemals für eine öffentliche Kritik. Der Kabinettsrat,« fuhr er, sich zu dem Doktor Lex wendend, fort, »wird sich erinnern, ob etwa Kompromittierendes in jenen Notizen enthalten sein kann, welche der Staatsrat in Händen hat.«

»Bei einer Veröffentlichung vertraulich ausgesprochener Meinungen,« erwiderte der Geheime Kabinettsrat, »kann eine übelwollende Kritik stets kompromittierende Folgen haben, und ich glaube, daß es allerdings wünschenswert wäre, jenes Schriftstück wiederzuerlangen, wenn die Besorgnis entstehen sollte, daß von demselben ein indiskreter Gebrauch gemacht werden könnte.«

»Das möchte wohl mit Sicherheit zu besorgen sein«, sagte Graf Platen achselzuckend. »Es scheint mir also wohl notwendig,« fuhr er fort, »daß ich auf die angebotenen Unterhandlungen eingehe und mit möglichst geringen 208 Opfern versuche, die angedrohte Chantage zu verhindern.«

»Tun Sie das, lieber Graf«, sagte der König, indem er abermals aufstand, und als wolle er den unangenehmen Gegenstand schnell beseitigen, fuhr er mit der Hand über den Tisch und bewegte lebhaft die goldene Glocke, welche auf einem schön ziselierten Teller vor ihm stand.

»Ich lasse den Major von Adelebsen bitten,« sagte er zu dem Kammerdiener, »ich will einen Spaziergang machen.«

Während Graf Platen seine Papiere ordnete und der König die Handschuhe anzog, die der Kammerdiener ihm mit seinem Hut gereicht hatte, trat Herr von Adelebsen in das Zimmer.

Er hielt ein Zeitungsblatt in der Hand und sagte, indem er zu dem Könige herantrat, um ihm den Arm zu reichen:

»Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Eurer Majestät eine traurige Nachricht mitteile, welche in den soeben angekommenen Zeitungen sich befindet.«

»Ich bin die unangenehmen Nachrichten seit lange gewöhnt«, sagte der König mit wehmütigem Lächeln. »Sprechen Sie. Schon Napoleon I. sagte, daß die unangenehmen Nachrichten die eiligsten sind.«

»Graf Wratislaw, Majestät,« sagte Herr von Adelebsen mit trüber Stimme, »hat sich selbst getötet, man hat ihn erstochen in seinem Bett gefunden.«

Der König zuckte zusammen, tiefe Blässe bedeckte sein Gesicht.

»Und weshalb?« fragte er nach einigen Augenblicken leise und zögernd.

»Die Katastrophe der Wiener Bank«, sagte Herr von Adelebsen, »hat seine ohnehin ungeordneten Vermögensverhältnisse vollkommen zerrüttet, er hat keine Hilfe mehr finden können und ist in finsterer Verzweiflung zu diesem entsetzlichen, äußersten Entschluß gekommen.«

»Also auch Blut hat fließen sollen?« sagte der König in dumpfem Ton, indem sein edles Gesicht in tiefem Schmerz zitterte, – »das ist der Fluch des Mammons, der Fluch dieses elenden Goldes, das die Menschen lockt und anzieht, 209 um sie in den Abgrund des Verderbens zu stürzen. Gott sei dieser armen Seele gnädig, die ungerufen vor seinen Richterstuhl tritt,« fügte er mit tief aus der Brust hervortönender Stimme hinzu, »und verzeihe mir die Schuld an dem vielen Jammer, die ich ohne Wissen und Willen auf mich geladen habe. –

»Auf Wiedersehen, Graf Platen«, sagte er, indem er seinen Hut aufsetzte und seinen Arm in den des Major von Adelebsen legte. »Ich muß hinaus in die frische Natur, die ewig rein und schön, von aller Qual und allem Elend der Menschen unberührt bleibt.«

Und er schritt hinaus durch das Vorzimmer unter die herbstlichen Bäume des Parkes hin, indem er mit weitgespannter Brust in tiefen Zügen die reine Bergluft einatmete.

 


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