Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

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Zweiunddreißigstes Kapitel

Immer unruhiger war das Leben in Paris geworden, seit es mit Bestimmtheit bekannt geworden war, daß der Kaiser mit der Armee Mac Mahons den Marsch nach dem Norden angetreten, um auf diese Weise durch eine Umgehung der feindlichen Truppen gegen Metz vorzudrängen, sich mit dem Marschall Bazaine zu vereinigen und die deutschen Heere von ihren Rückzugslinien und von der Verbindung mit Deutschland abzuschneiden. Der General Trochu, wie er und seine Freunde laut verkündeten, hatten diesen Marsch geraten, der Marschall hatte auf das energischste bei der Kaiserin und bei den Ministern gegen die Zurückführung der Armee unter die Mauern von Paris protestiert, – der General Trochu aber war der Held des Augenblicks, er war der große Stratege, von welchem man die Rettung Frankreichs erwartete, und den man allein für fähig hielt, diesem so furchtbaren preußischen General Moltke die Spitze zu bieten. Grund genug, daß man von dem Marsch, den der General angeraten und den der Kaiser ausgeführt hatte, die entscheidendsten Erfolge erwartete. In allen Cafés, in allen Salons, auf den Boulevards und in den Foyers der Theater wurde diese große militärische Operation besprochen und diskutiert, und man war überzeugt, daß nun der Tag der Rache nicht mehr fern sein würde für alle diese Schlachten, welche die deutschen Barbaren zu gewinnen sich erlaubt hatten; denn wenn nur erst die vereinigten Armeen von 613 Mac Mahon und Bazaine im Rücken des Feindes standen, wenn Trochu dann mit der Armee, welche er in Paris organisierte, einen Vorstoß machte, so war ja die Vernichtung des Feindes gewiß, und die übermütigen Eindringlinge mußten auf dem heiligen Boden Frankreichs ihren Untergang finden.

Es schien keinem von allen diesen Strategen der Cafés und Boulevards der Gedanke zu kommen, daß unter allen militärischen Operationen diejenige einer Umgehung feindlicher Armeen vor allem das höchste Geheimnis erfordert, niemand schien daran zu denken, daß ein Marsch, welcher von der ganzen Bevölkerung von Paris vom Morgen bis zum Abend besprochen wurde, kaum dem so feinhörigen preußischen Generalstab verborgen bleiben könne. – Der General Trochu hatte die Bewegung für gut erklärt, Mac Mahon führte sie aus, – an ihrem vollständigen Gelingen war nicht zu zweifeln, und die einzelnen Nachrichten, welche teils auf Privatwegen anlangten, teils offiziell verkündet wurden, bestätigten ja fortwährend, daß einzelne feindliche Abteilungen geschlagen seien, und daß auf dem Wege, den Mac Mahon zu nehmen habe, um sich mit Bazaine zu vereinigen, keine deutschen Truppen vorhanden seien.

So war Paris fröhlich und hoffnungsvoll bis zum Anfang des September, man erwartete täglich entscheidende Siegesnachrichten und man sprach von allem, wovon man in diesem vielköpfigen Paris zu sprechen pflegt, vor allem aber von der Revanche, die man an diesem törichten und verwegenen Deutschland nehmen wolle, welches das großherzige Frankreich von der preußischen Herrschaft hatte befreien wollen, und welches nun in schreiender Undankbarkeit mit Preußen ausgezogen war, um einen Einfall in das französische Gebiet zu machen. Am wenigsten aber sprach man von dem Kaiser und von der Regierung, das alles war fast vergessen in den Erschütterungen dieser Tage, und die einzige Autorität, welche in Paris anerkanntermaßen bestand, war die des Gouverneurs, des großen Generals Trochu.

Die Tuilerien waren einsamer und einsamer geworden. Wohl wehte die kaiserliche Trikolore auf dem Pavillon 614 de l'Horloge, wohl standen die Posten vor dem Gittereingang zu dem inneren Hof, aber die Reihen von Equipagen, welche sonst in diesem Hof dem großen Eingang gegenüber für den Dienst der Marschälle und Minister, der Botschafter und Großwürdenträger, der Adjutanten und Hofchargen bereit standen, waren nicht mehr da; denn alle jene bunte, schimmernde Welt, welche die Vorzimmer der kaiserlichen Residenz erfüllte, war nach und nach fortgeblieben, und die Kaiserin Eugenie befand sich allein in ihren Salons mit den Damen und Herren des unmittelbaren Dienstes.

Mit unsäglicher Mühe und Selbstverleugnung hatte die Kaiserin den zuversichtlichen Blick in ihren Augen und das Lächeln auf ihren Lippen festgehalten; mit hocherhobener Stirn schien sie den immer finsterer und drohender sich um sie her zusammenballenden Wolken Trotz bieten zu wollen, – aber es gelang ihr nicht, ihrer Umgebung den Glauben und das Vertrauen auf die Zukunft einzuflößen, welche doch das Volk da draußen auf den Straßen noch erfüllte, und wie man auf den Höhen der Berge den heranbrausenden Gewittersturm zuerst empfindet, bevor er in die Täler herabdringt, so schienen diejenigen, welche auf den Höhen des Lebens der kaiserlichen Majestät zunächst standen, auch zuerst den Orkan zu fühlen, welcher heranzog, um diese Majestät von ihrer Sonnenhöhe hinab in den Staub zu schleudern.

Aber wenn sie allein war, wenn sie sich frei wußte von allen diesen auf sie gerichteten Blicken, dann brach der Stolz und die Kraft der Kaiserin zusammen, dann beugte sie ihre Stirn auf die gefalteten Hände nieder, dann verschwand das Lächeln von ihren Lippen, und heiße Tränen strömten aus ihren Augen über die bleichen Wangen nieder. Gewaltsam suchte sie den Mut und die Hoffnung in ihrem Herzen zu erhalten, aber es gelang ihr nicht, – sie suchte den Trost in der Religion, aber selten und seltener waren die Besuche ihres Beichtvaters, des Abbé Bauer, geworden, und oft kam es vor, daß, wenn sie zu ihm sandte, um ihn zu sich zu bitten, er nicht gefunden wurde und lange außerhalb des Schlosses blieb.

615 Endlich hatte die Kaiserin die Nachricht erhalten, daß der kaiserliche Prinz in Mézières angekommen und von dort auf belgischem Gebiet in Sicherheit gebracht worden sei.

Und auch diese Nachricht hatte nicht wenig dazu beigetragen, ihren Mut und ihren Stolz zu beugen.

So war der 4. September herangekommen, und obwohl man fortwährend günstige Depeschen von seiten der Regierung veröffentlichte, obwohl die ganze Bevölkerung mit Ostentation ihr Vertrauen in die Zukunft zur Schau trug, so hatte sich doch der ganzen Stadt eine gewisse fieberhafte Unruhe bemächtigt. Es war, als ob der äußerste Saum der Wolke, welche ihr furchtbares Wetter über Sedan entladen hatte, seine Nebel bis nach Paris hin erstreckte und wie in einem geheimnisvollen Vorgefühl die Empfindung der furchtbaren Nachrichten, die man erhalten sollte, voraussendete.

Die Straßen waren voll Menschen, welche sich in zitternder, unruhiger Bewegung, aber ohne laute Unterhaltung hin und her bewegten; und Bekannte, die sich begegneten, fragten sich mit einem gewissen bangen Ausdruck nach neuen Nachrichten, – fast alle fürchteten sie die Antwort auf ihre Frage.

Es waren heute nicht wie sonst die Depeschen an die Kioske angeschlagen, auch die Morgenblätter hatten weder Telegramme noch irgendeine Kundgebung des an Proklamationen und Erlassen so fruchtbaren Gouverneurs von Paris erhalten.

Die Kaiserin Eugenie saß in ihrem Privatsalon in den Tuilerien. Ein Fensterflügel war geöffnet und ließ die reine, frische Herbstluft aus dem Tuileriengarten hereinströmen. Es war still draußen auf den Champs Elysées, es war still im Innern des Schlosses, und nur im Tuileriengarten gingen wie in den Zeiten des tiefsten Friedens einzelne Spaziergänger auf und nieder, während zahlreiche Kinder unter der Aufsicht ihrer Bonnen ihre Reife vor sich hertrieben oder sich mit anderen Spielen beschäftigten. Nichts schien verändert gegen die früheren Tage, in denen dies Schloß der mächtigste und glänzendste Herrschersitz in Europa war, nichts als das Antlitz dieser Frau, welche 616 vor dem mit tausend reizenden Kleinigkeiten überladenen Schreibtisch dasaß, die Hände auf den Schoß gefaltet und die Blicke starr und düster vor sich zur Erde gerichtet.

Die Kaiserin trug ein anliegendes, hohes Kleid von schwarzer Seide mit einer Brosche von Perlen, ein schwarzes spanisches Spitzentuch, um ihren Kopf und ihren Hals geschlungen, verdeckte fast ganz die goldblonden Haarflechten, und unter dieser ganz schwarzen Umhüllung erschien die marmorähnliche Blässe ihres Gesichtes geisterhaft und erschreckend.

Vor Ihrer Majestät stand Madame Lebreton, eine ihrer Vertrauten, die Schwester des glänzenden Generals Bourbaki, welcher an der Spitze der kaiserlichen Garden in den Krieg hinausgezogen war voll Kampfesmut und Siegeshoffnung. Madame Lebreton, eine noch junge Dame von feinen Zügen, dunklen Augen und stark brünettem, südlichem Teint, blickte voll Teilnahme auf die Kaiserin hin und sagte mit sanfter Stimme:

»Ich bitte Eure Majestät, sich nicht der Mutlosigkeit, der Verzweiflung hinzugeben. Noch kann, noch wird ja alles wieder gut werden, und wenn Eure Majestät den Mut verlieren –«

»Ich verliere den Mut nicht!« rief die Kaiserin, den Kopf aufrichtend. »Haben Sie mich je vor meinem Hof – vor diesem Hof,« fügte sie mit bitterem Ton hinzu, »dessen Reihen sich täglich mehr lichten, – haben Sie mich je zittern oder zagen sehen? Ich weiß, was ich meiner Stellung, was ich der Geschichte schuldig bin, – aber wenn ich allein bin, allein mit meinen wahren Freunden, – wie mit Ihnen,« sagte sie mit liebevoller Zärtlichkeit, – »mit denen, die mich nicht nur lieben, weil ich die Kaiserin bin, – dann muß das gequälte Herz sich Luft machen, dann muß ich meinen Jammer aussprechen, um die Kraft zu finden, mich wieder zu beherrschen, wieder lächeln zu können, wenn alle Blicke auf mich gerichtet sind.«

»Aber vielleicht«, sagte Madame Lebreton, »hat sich alles in diesem Augenblick schon zum Bessern gewendet, – alle Welt verspricht sich so viel von diesem Marsch des Kaisers nach Norden.«

617 »Ich verstehe nichts von militärischen Operationen,« rief die Kaiserin lebhaft, – »sie mögen vortrefflich sein, – aber ich habe mein Gefühl, mein Gefühl, das mich noch selten getäuscht hat, und das mir jetzt immer noch größeres Unheil verkündet! Denken Sie,« rief sie, rasch aufspringend und, wie von innerer Unruhe getrieben, schnell auf und ab schreitend, »denken Sie, wie weit es bereits gekommen ist, – mein Sohn, der Erbe dieser herrlichen Krone von Frankreich, die noch vor kurzem alle Kronen Europas mit ihrem Schimmer verdunkelte, er hat bereits die Grenzen des Landes verlassen müssen und irrt flüchtig in dem kleinen Belgien umher –, ein willkommenes Schauspiel für die dortige königliche Familie, die uns haßt, wie ihre Verwandten, die Orleans, uns hassen, – in Belgien – o mein Gott!« rief sie, das Gesicht mit den Händen bedeckend, – »der Heimat dieser unglücklichen Kaiserin Charlotte, welche mit dem letzten klaren Blick ihres in Irrsinn brechenden Auges den Himmel um Rache angefleht hat an dem Kaiser und seinem Stamm! Oh,« fuhr sie, in sich zusammengebrochen, fort, indem sie Madame Lebreton scharf und durchdringend ansah, – »für uns ist das alles viel ernster und viel schlimmer als für jene Fürsten, die im Purpur geboren sind und zu der großen Familie der Könige gehören; die Bourbons waren aus Frankreich vertrieben, aber sie waren Könige im Exil, sie waren die Brüder aller dieser gekrönten Häupter, die sich untereinander als ein besonderes, von Gott auserwähltes Geschlecht betrachten. Wir aber, wenn uns das Schwert aus den Händen genommen, wenn unsere Macht gebrochen ist, – was sind wir?«

»Ich bitte Eure Majestät,« erwiderte Madame Lebreton, indem sie die Hände der Kaiserin ergriff und an die Lippen drückte, »verbannen Sie diese traurigen Phantasien in einem Augenblick, wo Klarheit, Ruhe und Entschlossenheit not tut. Und wenn,« fuhr sie mit innigem Ton fort, »wenn wirklich noch schwereres Unglück bevorstehen sollte, – was auch immer kommen möge, für alle die treuen Herzen, die Sie umgeben, werden Eure Majestät immer die Kaiserin, die gnädige und geliebte Gebieterin bleiben.«

»Für alle treuen Herzen,« sagte die Kaiserin bitter, – 618 »aber wie viele gibt es deren? Gehen Sie hinaus in die leeren Vorzimmer, dort können Sie sie zählen, die Getreuen, die Einsamkeit richtet sich um mich auf; mit jenem Instinkt, der das nahende Unglück fühlt, zieht sich alles von mir zurück, gerade wie es damals geschah, als in demselben unglücklichen Schlosse die arme Königin Marie Antoinette ihrem entsetzlichen Ende entgegenging, diese unglückliche Königin, deren Bild in den Tagen des höchsten Glücks fortwährend in meiner Seele lebte, – und deren Schicksal nun vielleicht auch das meine sein wird –«

»Majestät, ich beschwöre Sie!« rief Madame Lebreton zusammenschauernd.

Die Kaiserin war an eine zierliche Konsole herangetreten, auf welcher ein kleines, einfaches Service von weißem Porzellan mit Blumengirlanden stand.

»Das war das Frühstücksgeschirr der Königin in Trianon, in der Zeit, als sie noch ihr Porzellan wie ihr Leben mit Blumen bekränzte, – oft sind mir die Tränen in die Augen getreten, wenn ich diese Tasse betrachtete, welche von denselben Lippen berührt wurde, die später aus dem schmutzigen Geschirr der Conciergerie eine flüchtige Erquickung suchen sollten, – nun – vielleicht wird man späteren Generationen diese Gefäße zeigen und ihnen erzählen, daß dieselben einst der unglücklichen Königin gehörten, welche auf dem Schafott starb – und dann der unglücklichen Kaiserin, welche –« sie blickte mit großgeöffneten, starren Augen in die kleine Tasse hinein, als zeigten sich ihr in derselben ebenso finstere und entsetzliche Bilder der Zukunft, wie sie der geheimnisvolle Graf von Cagliostro einst vor der Dauphine Marie Antoinette in einem Glase Wasser erscheinen ließ.

Der Kammerdiener der Kaiserin trat leise und geräuschlos ein und meldete, daß der Fürst Metternich Ihre Majestät um Gehör bitte.

Rasch wandte sich die Kaiserin um.

»Der Botschafter Österreichs«, flüsterte sie leise, – »in dem Augenblick, in welchem das Bild der unglücklichen Erzherzogin mahnend vor mir aufsteigt – –«

»Der Fürst ist mir willkommen!« rief sie dann.

619 Und raschen Schrittes ging sie dem Botschafter entgegen, welcher durch die von dem Kammerdiener offengehaltene Tür in den Salon trat.

Fürst Metternich war im schwarzen Morgenanzug. Sein Gesicht war bleich, voll unruhiger Erregung, seine großen, etwas weichen Augen blickten mit tieftraurigem Ausdruck auf die Kaiserin hin, welche ihm die Hand entgegenstreckte und mit ängstlicher Eile sprach:

»Was bringen Sie mir, mein Fürst, in diesen Stunden der bangen Erwartung? Von einem so treuen und bewährten Freunde wie Sie kann nur eine gute Nachricht kommen.«

Der Fürst beugte sich auf die Hand der Kaiserin nieder, berührte dieselbe mit seinen Lippen und sprach dann, ohne die Augen wieder aufzuschlagen:

»Ich wünschte, Madame, Ihnen immer nur frohe Botschaften bringen zu können. Aber leider«, fügte er leise hinzu, »erhört der Himmel nicht immer unsere Wünsche, und oft muß es uns schon zur Beruhigung dienen, wenn wir, statt das Glück zu verkünden, im Unglück Trost bringen können.«

Die Kaiserin stützte sich einen Augenblick auf die Lehne des Sessels, neben welchem sie stand. Ihr ganzer Körper zitterte, kaum schien sie sich aufrecht halten zu können.

Madame Lebreton eilte zu ihr hin, um sie zu unterstützen.

»Sprechen Sie, mein Fürst,« sagte die Kaiserin, mühsam aufatmend, »ich bin gefaßt, das Schlimmste zu hören, – es bleibt ja nicht viel mehr übrig, nach allem, was uns schon betroffen.«

»Ich habe ein Telegramm erhalten, Madame,« sagte der Fürst Metternich, indem er ein Papier aus der Tasche zog, »das über die große Schlacht berichtet, welche unter den Mauern von Sedan stattgefunden hat.«

»Sedan,« wiederholte die Kaiserin mechanisch, – »also ist man dort auf den Feind gestoßen, die Umgehung ist nicht gelungen?«

»Es scheint,« sagte der Fürst, »daß die preußische Hauptmacht bei Sedan vereinigt gewesen, und die große 620 Schlacht, welche vom frühen Morgen bis zum späten Abend dauerte, – ist verloren.«

»Verloren!« rief die Kaiserin, – »wie alle diese Schlachten bisher, eine nach der anderen, – oh, welche Täuschung, welche Täuschung! – welche Hoffnungen haben wir auf diese Armee gebaut! Doch, mein Fürst,« sagte sie dann, »teilen Sie alles mit, was Sie wissen.«

»Es ist nur wenig,« sagte Fürst Metternich, »ein kurzes Telegramm, – aber allerdings von Bedeutung, voll schmerzlichen Inhalts.«

Er faltete das Papier auseinander und las:

»Eine große Schlacht bei Sedan, der König von Preußen gegenwärtig, Mac Mahon verwundet, die ganze französische Armee hat die Waffen gestreckt. – –« Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann rasch, als wolle er sich von einer Last befreien, fort: »Der Kaiser hat dem Könige von Preußen seinen Degen übergeben und ist als Gefangener nach Wilhelmshöhe abgereist.«

Ein dumpfer, röchelnder Schrei rang sich aus der Brust der Kaiserin empor. Sie brach zusammen, Madame Lebreton fing sie in ihren Armen auf und ließ sie in den Sessel niedersinken.

Der Fürst war einen Schritt nähergetreten und blickte ängstlich und besorgt auf diese so hartgeprüfte Frau, welche mit schwerarbeitender Brust und geschlossenen Augen in den Sessel zurückgelehnt dalag.

»Nun ist alles vorbei!« rief sie endlich, drückte ihr Taschentuch vor die Augen und begann heftig zu schluchzen, während ihr Körper in konvulsivischen Bewegungen zitterte.

Madame Lebreton hielt sie in ihren Armen.

Der Fürst stand schweigend und unbeweglich daneben. – Er konnte nichts helfen, der Sturm dieser furchtbaren Gemütsbewegung mußte austoben.

Endlich sprang die Kaiserin empor.

»Wo ist Palikao?« rief sie, »warum habe ich von ihm diese Nachricht nicht erhalten? Man soll Palikao rufen! Hier ist sein Platz in diesem Augenblick, neben mir, neben der Regentin, die seinen Souverän, seinen Kaiser vertritt.

621 »Ich bitte Eure Majestät«, sagte der Fürst Metternich ruhig, »zu warten. Der Graf Palikao wird nicht verfehlen, Eurer Majestät spezielle Nachrichten über dieses unglückliche Ereignis mitzuteilen. Aber bedenken Sie, daß er den ersten Anlauf auszuhalten hat, daß seine Anwesenheit in dem Ministerium, in der Kammer unumgänglich notwendig ist, entziehen Sie ihn in diesem Augenblick nicht den dringenden Pflichten seiner Stellung.«

»Aber was soll ich tun?« rief die Kaiserin, »es müssen Entschlüsse gefaßt werden, es muß etwas geschehen, man muß ganz Frankreich bewaffnen, man muß das Volk an die Stelle dieser vernichteten Armeen treten lassen!«

»Ich glaube nicht,« sagte der Fürst Metternich, achselzuckend, mit trauriger Stimme, »daß auf diesem Wege durch eine Fortsetzung des Krieges noch etwas zu erreichen sein möchte, – doch steht es mir nicht zu, in dieser Beziehung Eurer Majestät eine Meinung auszusprechen. Wenn ich mir erlauben darf, Ihnen, Madame, persönlich meinen Rat, den Rat eines tief ergebenen Freundes zu geben, so würde ich Eurer Majestät empfehlen, für einige Zeit Paris zu verlassen und, fern von dem Einfluß der durch dieses Ereignis natürlich in hohem Grade aufgeregten Volksmassen, die Zukunft zu erwarten und zu überlegen, was zu tun übrigbleibt.«

»Paris verlassen«, rief die Kaiserin mit flammendem Blick, »im Augenblick der Gefahr den Platz verlassen, auf welchen der Kaiser, mein Gemahl, mich hingestellt hat, – den Platz, welchen ich behaupten muß für die Zukunft meines Sohnes? – nimmermehr, mein Fürst! Dadurch würde ich vielleicht mein Leben und meine Person in Sicherheit bringen, aber – eine Kaiserin muß auch zu sterben wissen –«

»Wenn dies Opfer seinen Preis wert ist«, erwiderte der Fürst. »In diesem Augenblick aber, Madame, wird die Zukunft nicht in Paris entschieden werden. Und Eure Majestät sind hier von zwei Seiten bedroht, Sie sind bedroht von dem aufgeregten Volk und bedroht von den feindlichen Armeen, welche sich nunmehr in raschen Märschen hierherbewegen und die Hauptstadt angreifen werden. 622 In einem Augenblick aber, wie der gegenwärtige, muß die Regierung des Landes vor allem von innerem und äußerem Druck frei sein, und deswegen bleibe ich dabei, daß Eure Majestät Paris so schnell wie möglich verlassen müssen. Denn schon nach kurzer Zeit möchten Sie vielleicht gezwungen sein können, Frankreich zu verlassen.«

Die Kaiserin schritt unschlüssig auf und nieder.

»Ich kann mich nicht entschließen,« sagte sie endlich, vor dem Fürsten stehenbleibend, »wie würden sie jubeln, alle meine Feinde, wie würden sie alle mögliche Schmach an meinen Namen heften, wie würden sie mir nachsagen, daß ich vor der Gefahr geflohen sei, nachdem ich das Glück und den Glanz eines Thrones genossen! Verzeihen Sie,« sagte sie, dem Fürsten die Hand reichend, »ich zweifle nicht an der Aufrichtigkeit Ihres treugemeinten Rates, aber ich kann mich nicht zu einem so schweren Schritt entschließen, ohne wenigstens die unmittelbaren nächsten Ereignisse abzuwarten, ohne den Rat meiner Minister gehört zu haben.«

Der Fürst verneigte sich.

»Es steht mir nicht zu,« sagte er, »in Eure Majestät zu dringen, – ich bin nicht befugt, eine solche Verantwortlichkeit auf mich zu nehmen. Gestatten Eure Majestät mir, mich zurückzuziehen, und vergönnen Sie mir, nur noch einmal zu bemerken, daß die Zeit in solchen Krisen, wie die gegenwärtige, unendlich schnell fortschreitet und schnelle Entschließungen fordert. Mag geschehen, was da wolle,« fügte er mit Wärme hinzu, »Eure Majestät haben über mich zu gebieten und werden mich im Augenblick der Gefahr an Ihrer Seite sehen.«

Er küßte die Hand der Kaiserin und ging hinaus.

Die Kaiserin sah ihm lange nach.

»Er hat recht,« sagte sie, »die Zeit geht schnell, Entschlüsse müssen gefaßt werden, aber – was – was soll ich tun? – Paris verlassen? – das heißt alles aufgeben – das heißt die Abdankung – das heißt der Sturz in das Nichts. Und Palikao, der mich hier allein läßt, ich muß ihn sprechen oder irgendeinen anderen von den Ministern. Sehen Sie, wer im Vorzimmer ist, wen ich dorthin senden kann«, sagte sie zu Madame Lebreton.

623 Diese ging hinaus und kehrte nach einigen Augenblicken, noch ernster und trauriger als vorher, zurück.

»Es ist niemand da,« sagte sie, »das Vorzimmer ist leer.«

»Niemand da!« rief die Kaiserin mit einem fast krankhaften Hohnlachen, »die Kaiserin von Frankreich hat niemanden, den sie zu ihrem Minister senden könnte, – aber bin ich noch die Kaiserin? Bin ich nicht die Gemahlin eines Besiegten, eines Gefangenen, dem man nicht zögern wird, die Krone vom Haupt zu reißen, – oh, warum bin ich nicht draußen gewesen, dort hätte ich vielleicht etwas tun können, zu etwas nützen, hier bin ich allein – allein, hilflos und wehrlos in diesen blutgetränkten Mauern, welche schon so viele Throne zertrümmern sahen, – o mein Gott, welch ein Schicksal – und welch einen Ausgang wird das alles nehmen!«

Sie sank zusammenbrechend auf ihren Stuhl nieder; fahle Blässe bedeckte ihr Gesicht.

»Mag kommen, was da wolle,« rief Madame Lebreton, indem sie den Kopf der Kaiserin in ihre Hände nahm, »Eure Majestät bedürfen zunächst der Ruhe, um irgendeinen Entschluß zu fassen. Ich beschwöre Sie, Madame, legen Sie sich nieder, nur für kurze Zeit, – Sie werden die offiziellen Nachrichten erhalten, die Minister werden kommen, und Sie werden dann die Kraft haben, zu beschließen und zu handeln.«

Langsam richtete sich die Kaiserin auf, und fast willenlos, starr vor sich hinblickend, mit schlaff herabhängenden Armen, ließ sich die unglückliche Fürstin von ihrer treuen Dienerin nach ihrem Schlafzimmer führen, wo sie ganz angekleidet auf ihr Bett niedersank und in einen Schlummer der Ermattung verfiel.

 


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