Gregor Samarow
Kreuz und Schwert
Gregor Samarow

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Sechzehntes Kapitel

Die Touristen mit ihren Führern, die Andächtigen Roms, die fremden Maler und bildenden Künstler traten an einem hellen Morgen zahlreich wie gewöhnlich in die weiten Räume der St. Peterskirche, die, wenn sie auch die größten Menschenmassen aufgenommen haben, fast immer noch leer erscheinen.

Unter den Eintretenden befand sich auch ein Kapuziner in seiner Ordenstracht. Er trug, was nicht gewöhnlich ist, die Kapuze über den Kopf geschlagen, so daß dieselbe seine Züge fast ganz beschattete und nur einen langen weißen Bart sehen ließ, der den unteren Teil seines Gesichtes bedeckte. Dieser Mönch, dessen gebückte Haltung und dessen langsamer Gang auch ohne den unter der Kutte sichtbaren weißen Bart ein hohes Alter angezeigt haben würde, ging langsam in der Mitte des hohen Domes nach dem großen Hauptaltar hin, an welchem der Papst allein die Messe liest und in dem das ungeheure, mißgestaltete Tabernakel von Bernini sich erhebt. Er machte vor allen Altären und Heiligenbildern, an denen er vorüberschritt, die denselben gebührende Reverenz, indem er zugleich mit großer Aufmerksamkeit und oft stehen bleibend die Bilder und Statuen betrachtete. Er beugte die Knie vor dem Hauptaltar und wandte sich dann rechts nach der Tür der Aula hin, welche für das Konzil vorbereitet wurde und in welcher zahlreiche Arbeiter beschäftigt waren.

302 An der Tür dieser Aula standen zwei Diener des Vatikans, welche allen Künstlern und Fremden höflich, aber bestimmt erklärten, daß der Eintritt in diese Räume nicht erlaubt sei.

Der Kapuziner, nachdem er eine Zeitlang die in der Nähe der Tür befindlichen Arabesken betrachtet hatte, trat dann ruhigen und gleichmäßigen Schrittes in die Aula ein, indem er mit einer langsamen, halb demütigen und halb würdevollen Kopfbewegung die beiden Türhüter begrüßte, welche ihm gegenüber das, wie es schien, nur für die Laien geltende Verbot des Eintretens nicht aussprachen.

In einiger Entfernung folgten dem Kapuziner zwei Abbates in ihrer kleidsamen schwarzen Tracht. Auch sie wandten sich, als der Mönch in die Aula getreten war, der Tür derselben zu. Es schien, daß die Türhüter nicht geneigt waren, diesen noch jungen Weltgeistlichen dieselbe Freiheit des Eintritts zu gestatten, welche sie dem geistlichen Ordensbruder gewährt hatten. Doch einer der beiden Abbates machte ein gewisses, kaum bemerkbares Zeichen mit der Hand und flüsterte dem ihm entgegentretenden Wächter zwei Worte zu, worauf die Tür zu dem für das Konzil bestimmten Raum sich ohne Schwierigkeit und Hindernis öffnete. Die beiden Geistlichen traten in die Aula, in welcher viele Arbeiter beschäftigt waren, die Sitze für die Prälaten herzurichten und alle Vorkehrungen zu treffen, um den Raum für die ehrwürdige Versammlung in den Stand zu setzen, welche die katholische Kirche Europas umzugestalten und neu zu kräftigen bestimmt war und welche gerade hier tagen sollte, um aus unmittelbarer Nähe die heilige und erleuchtende Ausströmung aus dem Grabe St. Peters in sich aufzunehmen, diese Ausströmung, an deren wundertätige Kraft Seine Heiligkeit der Papst Pius IX. so fest und unumstößlich glaubte.

Die Abbates betrachteten mit großer Aufmerksamkeit alle diese Vorkehrungen, sie fragten die Arbeiter und deren Leiter nach der Bestimmung dieser oder jener Einrichtung und schienen in dem tiefen Interesse, das sie an der Ausstattung dieses hochbedeutenden Raumes nahmen, den Kapuziner nicht zu bemerken, der mit gleicher Aufmerksamkeit, 303 wie sie, die Arbeiten verfolgte, indem er langsam an der der Eingangstüre gegenüberliegenden Wand hinschritt. Zuweilen blieb er stehen und trat mit seinem mit harten Sandalen bekleideten Fuß stark auf den Boden, als suche er eine feste Stütze für seine vom Alter gebeugte Kraft. Er blickte nach der Kuppel hinauf, sah die Rednertribüne an, es schien, als messe er mit dem Blick die Entfernung und die Höhe der Wölbung und als wolle er in seinem Geist das Bild heraufsteigen lassen, wie das alles sein würde, wenn hier die Bischöfe der Christenheit aus allen Weltteilen der Erde versammelt sein würden.

Endlich schien er von der Betrachtung dieser heiligen Stätte, von seinen Gedanken so ergriffen, daß er, wie übermannt von seiner inneren Bewegung, in die Knie sank und in inbrünstigem Gebet das Haupt fast bis auf den Steinboden herabsenkte, welcher die unter der Aula liegenden Gewölbe bedeckte. Einige Zeit lag er, das Haupt auf die gefalteten Hände gestützt, da. Einer der bei der Anfertigung für die Sitze beschäftigten Arbeiter ging langsam an dieser Stelle vorüber; als seine Schritte auf den Fliesen ertönten, richtete sich der Mönch empor, als habe er sein Gebet beendet. Er stützte die Hand, um sich aufzurichten, auf eine Steinplatte, indem er den Zeigefinger vorstreckte und einen schnellen Blick auf den vorübergehenden Arbeiter warf.

In diesem Augenblick hatten die beiden Abbates sich dem knienden Kapuziner genähert, und als derselbe aufgestanden war, warfen sie im Vorübergehen einen schnellen, forschenden Blick unter seine über den Kopf gezogene Kapuze. Der Mönch zog dieselbe mit einer natürlichen Handbewegung fast ganz vor das Gesicht zusammen, wandte sich nach der anderen Seite und schritt dann langsam wieder dem Ausgang der Aula zu.

Ebenso natürlich, immer in die Betrachtung der an der Wand hängenden Bildwerke vertieft, schritten die Abbates, ohne daß die Entfernung zwischen ihnen und dem Kapuziner sich veränderte, auch ihrerseits dem Ausgang der Aula zu, und sie verließen dieselbe wenige Augenblicke, nachdem der Mönch in das große Schiff der St. Peterskirche eingetreten war.

304 Der Kapuziner beobachtete nichts und ging in demselben ruhigen, langsamen und etwas auffälligen Schritt, immer vor den Altären und Heiligenbildern sich verneigend, dem Ausgangsportal des gewaltigen Doms zu. Als er auf den Platz vor dem Portal getreten war, erschienen auch die Abbates wenige Schritte hinter ihm.

Ein Bettler näherte sich ihnen, um sie um ein Almosen anzusprechen; der eine der Abbates reichte demselben eine kleine Münze und sprach zugleich einige Worte zu ihm, indem sein Auge mit einem scharf bezeichnenden Blick auf dem durch die Menge dahinschreitenden Mönch ruhte. Der Bettler dankte mit lauten und etwas überschwenglichen Worten für die Gabe und folgte dann langsam und immer die Vorübergehenden ansprechend, den Schritten des Mönches.

Ein Blumenmädchen bot den beiden Geistlichen ihre Sträuße, der andere Abbate kaufte ein kleines Bukett, indem er abermals auch seinerseits einige Worte mit der Verkäuferin wechselte und abermals den ruhig dahinschreitenden Mönch mit dem Blick bezeichnete. Das junge Mädchen dankte und folgte in kurzer Entfernung dem hinter dem Kapuziner herschreitenden Bettler.

Die Abbates verloren sich in der Menge, welche den Platz erfüllte, und der Kapuziner, immer in seiner gebückten Haltung, mit seinem langsamen, vom Alter gehemmten Schritt, ging durch die lange, gerade Via della Longara hin zu den kleinen Straßen am Tiber und wandte sich endlich zu der Via del Moro, in welcher das von Pietro Barghili und seiner Tochter bewohnte Haus lag. Er trat in die Türen einiger Häuser der Via del Moro, eine Gabe erbittend und die Münzen, das Brot und die Früchte, die man ihm reichte, mit Dank und Segen in seine Kutte steckend, bis er endlich an das Haus von Pietro Barghili kam und auch hier in gleicher Weise eintrat, ohne jedoch wieder aus demselben zurückzukehren.

Der Bettler, welcher dem Kapuziner in gleichmäßiger Entfernung gefolgt war, schritt an dem Hause vorüber, ohne einen Blick auf dasselbe zu werfen.

Ihm folgte abermals in gleicher Entfernung das Blumenmädchen, und beide wandten sich dann nach der Via 305 della Lungareita, wo sie wieder mehr Gelegenheit fanden, die Wohltätigkeit und die Kauflust der Vorübergehenden anzusprechen.

Der Kapuziner war, mit einem schnellen und sicheren Griff die Tür öffnend, in das Zimmer getreten, in welchem Pietro Barghili, der am frühen Morgen bereits einem Maler als Modell eines Apostels gesessen hatte, sich eben damit beschäftigte, ein leichtes Frühstück, bestehend aus einem Glase Orvietoweins, einigen Brotschnitten, etwas Ziegenkäse und Knoblauch, mit vortrefflichem Appetit und unzerstörbarer Würde zu sich nehmen, während die schöne Lorenza, in einem Hausrock von grauem Wollenstoff, auf der Veranda vor dem Hause in einem großen Sessel von Rohrgeflecht ruhte und mit ihren Träumen und Gedanken beschäftigt schien.

Beim Eintritt des Kapuziners erhob sich Pietro Barghili und griff in seine Tasche, um mit einem ehrerbietigen Gruß dem Mitglied des auf die Wohltätigkeit der Gläubigen angewiesenen Ordens seine Gabe zu reichen.

Die gebeugte Gestalt des Mönches richtete sich hoch auf, mit raschem, kräftigem Griff seines Arms schlug er die Kapuze zurück, riß eine graue Perrücke von seinem Haupt, den langen Bart von seinem Gesicht, – Barbarino Falcones jugendfrisches Gesicht mit den gebräunten Wangen und den schwarzen, funkelnden Augen wurde sichtbar, noch wilder, noch kühner erscheinend in der dunklen, weiten Kutte des Orvieterordens.

Pietro Barghili blieb erstaunt stehen, langsam zog er die bereits ausgestreckte Hand mit der für den Bettelmönch bestimmten Gabe zurück und mit einer Stimme, in welcher tiefes Erstaunen und heitere Laune sich mischten, sprach er:

»Du, Barbarino, als Kapuziner! Das ist allerdings noch merkwürdiger und überraschender, als wenn ich mich im Kostüm des heiligen Petrus oder irgendeines Märtyrers malen lasse. Wenn du mir ins Handwerk pfuschen willst,« fuhr er lachend fort, »so mußt du nicht dieses Kostüm wählen, dazu paßt dein Gesicht nicht, – als alter Römer, als Mucins Scävola oder als Tiberius Gracchus würdest du besser auftreten können.«

306 Er füllte das vor ihm stehende Glas mit Orvietowein und reichte es dem jungen Mann, indem er zugleich mit der Hand auf den Teller mit Käse, Brot und Knoblauch deutete.

Barbarino leerte das ihm dargebotene Glas auf einen Zug und sprach dann, indem er seine düsteren, feuern-brennenden Blick auf das lächelnde Gesicht des alten Pietro richtete, mit dumpfer Stimme:

»Es ist durchaus kein Grund zur Heiterkeit; die Verkleidung, in der du mich hier siehst, gilt keinem Scherz und keiner leichten Sache. Du kennst,« fuhr er mit leisem Ton näher zu dem Alten herantretend, fort, »den Befehl, den wir von unserem Meister empfangen haben. Um jenen Befehl auszuführen, bin ich in dieser Verkleidung in die St. Peterskirche und in die Aula eingedrungen, und ich habe, wie ich glaube, sehr eingehende und nützliche Beobachtungen gemacht. Heute aber,« fuhr er fort, »hat es mir geschienen, als wäre ich beobachtet worden. Zwei Abbates, deren Gesichter mir nicht gefielen, sind mir gefolgt und haben sich bis zur Piazza di San Pietro hin in meiner Nähe gehalten, – wir Söhne der Berge haben den Instinkt und die Vorsicht des Raubtieres, – ich muß für einige Tage von hier verschwinden und will in dieser Kutte hier nicht wieder erscheinen. Heute will ich mich hier im Hause verbergen; sobald die Nacht hereingebrochen ist, kehre ich in die Berge zurück. Und heute«, sprach er, indem seine Lippen sich fest aufeinanderpreßten, »nehme ich Lorenza – meine Lorenza mit mir. Ein Priester dort wird uns vereinigen. Ich kann dies Doppelleben, diese Qual und Aufregung nicht länger ertragen, ich muß die Sicherheit meines Glückes, meiner Liebe gewinnen, um den Gefahren trotzen zu können, welche mit der Erreichung unseres großen Ziels verbunden sind.«

Erschrocken senkte der alte Pietro das Auge vor dem in flammender Leidenschaft glänzenden Blick Barbarinos.

»Du willst Lorenza, das zarte, ängstliche Mädchen, mit dir nehmen in das wilde, unruhige Leben der Berge, und so plötzlich? – Du wolltest warten, bis du ihr ein sicheres, ruhiges Los zu bieten imstande wärest!«

307 »Ich will nicht warten,« rief Barbarino, indem er mit seinen spitzen, glänzenden Zähnen in die vollen Lippen biß, »ich will nicht warten, ich will des Glückes vollen Kelch leeren, bevor ein unglückliches Ungefähr, ein verhängnisvoller Zufall mich vielleicht dem Verderben verfallen läßt, das auf allen meinen Schritten lauert. Und dann,« sagte er mit einem stechenden Blick auf den Alten, indem er heftig den Kopf schüttelte, so daß die dichten, dunklen Locken seines Haares bis zu den Augenbrauen herabfielen, – »jener deutsche Graf ist zurückgekehrt, – ich will nicht, daß dieses Doppelspiel wieder anfange, ich kann jene Höllenqualen des Zweifels und der Eifersucht nicht länger ertragen, – Lorenza muß heute mit mir gehen.«

Bei dem Geräusch der lauten Stimmen im Zimmer hatte sich das junge Mädchen aus der Veranda von ihrem Sessel erhoben, – sie erschien in der von gelblichem Weinlaub umrankten Öffnung der Tür. – Als sie Barbarino erblickte, flog eine schnelle Röte über ihr zartes, bleiches Gesicht. Sie schlug die großen, dunklen Augen nieder und kreuzte ihre schlanken Arme, von denen die weiten Ärmel ihres grauen Gewandes in reichen Falten zurückfielen, über der Brust.

Barbarino umfaßte die zierliche, vom vollen Tageslicht umflossene Gestalt mit einem Blick voll glühender, wilder Leidenschaft, rasch warf er die weite Kutte zurück, welche seine Glieder umhüllte und den einfachen Bauernanzug bedeckte, der seine kräftige Gestalt umschloß. Er eilte zu Lorenza hin, drückte sie fest in seine Arme und preßte seine Lippen in stürmischer Zärtlichkeit auf ihre reine Stirn, während das junge Mädchen, leise in sich zusammenschauernd, unbeweglich dastand.

»Lorenza, meine angebetete Lorenza,« rief er, »du mußt heute noch mein sein! Du wirst mit mir gehen in meine Berge, wo weder der Himmel noch die Hölle dich mir entreißen wird. Ich habe meinen Leib einem gefahrvollen Unternehmen geweiht, und um den Gefahren trotzen zu können, muß ich meines Glückes sicher sein, – sicher sein, daß kein fremder, vermessener Blick auf diesem süßen, geliebten Antlitz ruhen darf.« – – –

308 Lorenza erbebte, mit einer heftigen Bewegung stieß sie den jungen Mann zurück, und indem sie die ängstlich scheuen Blicke bald auf ihn, bald auf ihren Vater richtete, rief sie:

»Mit dir gehen! – jetzt – heute – das ist unmöglich!«

»Unmöglich?« rief Barbarino finster, – »warum unmöglich? Dein Vater kann es unmöglich, kann es bedenklich finden, – aber du, wenn du mich liebst, wie ich dich liebe, so mußt du aufjubeln in lautem Entzücken, wie ich es tue bei dem Gedanken, daß das Ziel unserer langen Sehnsucht uns so nahe liegt.«

Und mit düsterem, fast feindlichem Ausdruck, blickte er unter seinen dicht zusammengezogenen Augenbrauen auf das junge Mädchen hin. Lorenza richtete ihre Augen und ihren Blick wie hilfesuchend auf ihren Vater.

»Mein Gott,« sagte sie mit gepreßter Stimme, die mühsam aus ihrer tiefatmenden Brust herausdrang, »woher diese Eile? Es war ausgemacht, daß du erst eine sichere, eine über alle Gefahren erhobene Existenz dir schaffen solltest, – bevor wir –«

»Es war ausgemacht,« rief Barbarino heftig, »was ein liebendes Herz, ein Herz, das von altem Quiritenblut durchströmt wird, nicht ertragen kann, – jene Zeiten der Ruhe, der Resignation sind vorüber. Ich will nicht länger warten, ich kann nicht länger warten, und du,« fügte er, von glühender Leidenschaft, mit bitterem Lächeln hinzu, – »du solltest empfinden wie ich, du solltest nicht meine flammende Liebe zu kalter Geduld ermahnen.«

»Mein Gott!« rief Lorenza, indem sie die Augen mit der Hand bedeckte, »jetzt gerade, – jetzt,« fügte sie mit flüsternder Stimme hinzu, »wo er zurückgekehrt ist, wo er jeden Augenblick kommen kann. Er würde Himmel und Erde in Bewegung setzen, mich zu suchen, wenn er mich hier nicht findet, – es wäre unvorsichtig.«

Mit wildem Hohnlachen rief Barbarino:

»Ah, also du weißt auch, daß er zurückgekehrt ist, du weißt, daß er dich besuchen wird, – du erwartest ihn,« fuhr er mit häßlicher Verzerrung seines Gesichtes fort, – »das alles muß ein Ende nehmen. Gerade deshalb darf er dich nicht 309 finden. Mag er dich suchen dort in meinen Bergen, wo ich der Herr und Gebieter bin. Und wenn er dich findet, so soll er dich finden als mein Eigentum, als mein Weib. Der Augenblick, in dem er dich wiedersieht, wird dann zugleich der seines letzten Atemzuges sein.«

»Pietro,« sagte er kalt, »du kennst meinen Willen, du weißt, daß ich auszuführen gewohnt bin, was ich mir vorgenommen habe. Hüte dich, mir zu widerstehen, du kennst mich nur als Freund, nimm dich in acht, zu erfahren, was die Rache Barbarino Falcones bedeutet!«

»Sei ruhig, sei ruhig, Barbarino,« sagte Pietro unruhig und verlegen, »du weißt, sie ist leicht erregbar, alles Plötzliche erschreckt sie. Und die Sache ist auch ernst genug, um in ruhiger Überlegung erwogen zu werden.«

»Ich habe überlegt, ich habe erwogen,« rief Barbarino, »mein Entschluß steht fest, und wehe dir, wenn du seiner Ausführung Schwierigkeiten bereitest, wehe dir, wenn ihr Zögern mich an ihrer Liebe zweifeln läßt.«

Er füllte das Kelchglas mit dem funkelnden Wein und stürzte dessen Inhalt mit einem raschen Zuge hinunter.

Lorenza stand mit niedergesunkenen Armen und leicht vorgeneigtem Haupt einen Augenblick in starrer Unbeweglichkeit da. Dann blitzte es in ihren Augen auf, wie ein schnell emporschimmernder Gedanke, ein ruhiges, freundliches Lächeln erschien auf ihren Lippen. Sie näherte sich Barbarino, legte sanft den Arm auf seine Schulter und sprach mit jener harmonisch wohlklingenden Stimme, welche im Munde der Römerin fast wie Gesang erscheint:

»Verzeihe mir, Barbarino, daß diese so plötzliche und unvorbereitete Mitteilung mich erschreckt und bestürzt hat. – Du weißt, das ich mich allem unterwerfe, was der Wille meines Vaters über mich beschließt. Laß mir Zeit bis heute abend, darüber nachzudenken. Ich bedarf der Ruhe und Einkehr in mich selbst in einem so wichtigen und ernsten Augenblick.«

Barbarino legte seinen Arm um ihre Schulter und drückte sie heftig und stürmisch an seine Brust, während der alte Pietro in sinnendem Nachdenken dastand.

Man hörte starke Schritte auf dem Vorplatz.

310 »Was ist das?« rief Pietro auffahrend, »wenn dir wirklich Gefahr droht, so verbirg dich schnell, schnell dort in dem Zimmer meiner Tochter.«

Er ergriff die auf der Erde liegende Kutte, die Perücke und den Bart und drängte Barbarino nach der Tür zu dem Zimmer Lorenzas.

Das junge Mädchen trat einen Augenblick erschrocken, wie abwehrend, vor diese Tür, aber schnell faßte sie sich, und kehrte in die Mitte des Zimmers zurück, während Pietro den jungen Mann in das Nebengemach drängte und ihm die Gegenstände seiner Verkleidung nachreichte. Dann öffnete er die äußere Tür, an welche soeben mit starken Schlägen geklopft wurde.

Ein Lohndiener trat ein, er hielt einen kleinen versiegelten Brief in der Hand und sprach in gleichgültig fragendem Ton:

»Signora Lorenza Barghili?«

Lorenza trat rasch vor, ergriff das Billett und öffnete es, schnell das Siegel erbrechend, während der Lohndiener sich mit ruhigem Gruß wieder entfernte. Das junge Mädchen durchflog den Inhalt des kurzen Billetts.

»Er wird heute abend kommen,« rief sie, er hat die Einwilligung seiner Eltern erhalten, er will alles mit uns verabreden, um so schnell als möglich mir seine Hand zu reichen. Ich werde eine Dame, eine Gräfin sein, – ich werde glücklich sein.«

Einen Augenblick richtete sie die leuchtenden Augen aufwärts, ein Schimmer freudigen Glücks beleuchtete ihre Züge, – dann zuckte sie wie erschrocken zusammen, ihr Blick richtete sich auf die geschlossene Tür des Nebenzimmers. Rasch trat sie zu Pietro hin, umschlang ihn mit ihren Armen und flüsterte leise, fast sein Ohr mit ihren Lippen berührend:

»Oh, mein Vater, errette mich, ich kann nicht mit ihm gehen! Ich liebe ihn nicht, ich fürchte mich vor ihm. Mein Herz gehört«, fügte sie tief errötend hinzu, – »dem Grafen Francesco, die Trennung von ihm wird mein Tod sein.«

Erstaunt und betroffen blickte der Alte auf seine Tochter, die ihr Haupt an seiner Brust barg.

311 »Das habe ich nicht geglaubt, mein Kind,« sagte er leise, die Stimme dämpfend, »ich glaubte, du liebtest Barbarino.«

»O nein, nein,« rief sie, »ihn, der mich erschreckt, der mich fürchten und zittern läßt, ihn habe ich nie geliebt, – aber ich fürchte ihn und ich fürchte ihn so sehr, – mein Francesco wird mich vor ihm beschützen.«

Pietro Barghili warf einen scheuen Blick nach der Tür hin, dann sah er liebevoll und wehmütig zu seiner Tochter herab.

»Mein armes Kind,« sagte er, »ich kann dich nicht schützen, ich bin mit jenem,« fügte er, abermals ängstlich nach der Tür blickend, hinzu, »verbunden durch geheime, unauflösliche Bande, ich darf seinem Willen nicht entgegentreten, ohne mich einer sicheren und unerbittlichen Rache auszusetzen.«

»Oh, mein Vater,« rief Lorenza, »dann laß mich fliehen, laß mich hineilen zu meinem Geliebten. Er wird mich zu schützen wissen, wenn ich erst bei ihm bin und wenn ich ihm alles sagen kann, was ich bis jetzt unter tausend Qualen habe verheimlichen müssen. Und du, mein Vater, sollst keine Schuld haben, du sollst mich verleugnen, bis du imstande bist, dich der Rache dieses Entsetzlichen zu entziehen. Im Laufe dieses Tages bis zum Abend wird sich leicht eine Gelegenheit für mich zur Flucht bieten, sobald ich an der Ecke der nächsten Straße bin, bin ich gerettet. Und nur um das eine, das eine bitte ich dich, gehe jetzt eilends zu ihm hin und bringe ihm die Nachricht, oder nein, bringe sie ihm nicht, sende sie ihm durch einen deiner Bekannten, daß er heute nicht kommen möge, daß er zu Hause bleibe und auf eine Botschaft von mir warte. Es wäre entsetzlich, wenn er käme und hier mit Barbarino zusammenträfe, mit Barbarino in seiner wilden Erregung. Es gilt, ein großes Unglück zu verhüten. Ich bitte dich, mein Vater, ich beschwöre dich, gehe, ihm Botschaft zu bringen, zu verhüten, daß er heute hierherkommt.«

Pietro senkte sinnend den Kopf auf die Brust.

»Du würdest glücklich sein,« sagte er, »wenn du ihn liebst und noch dazu eine vornehme Dame wirst. Ich darf 312 dich nicht diesem wilden Sohn der Berge überlassen, – aber es wird schwer sein, gefahrvoll vielleicht, sein Arm reicht weit und sein rachsüchtiges Herz kennt keine Versöhnung.«

»Oh, mein Vater,« rief sie, »nur um dies eine bitte ich dich, bringe ihm die Botschaft, daß er nicht hierherkommt, daß er mich bei sich erwartet, und ich will alles übrige auf mich allein nehmen! Ich werde zu ihm fliehen, ich werde mich zu retten wissen ohne deine Teilnahme, ohne dein Wissen, – du sollst seiner Rache nicht ausgesetzt sein.«

Die Tür des Nebenzimmers öffnete sich, vorsichtig lauschend und spähend streckte Barbarino den Kopf hervor.

»Was war es?« fragte er.

»Ein Maler hat mich zu einer kurzen Sitzung bestellt, weil er noch etwas an einem Kopfe ändern wollte, den er nach mir gemalt,« erwiderte Pietro, während Lorenza, sich zum Fenster wendend, das Billett, welches sie erhalten hatte, in ihrem Busen verbarg.

Barbarino trat in das Zimmer und schloß die Tür hinter sich.

»Ich will gehen«, sagte Pietro, »und gleich meine Sitzung halten, um so bald als möglich zurückkehren zu können. Du bist hier in Sicherheit,« fuhr er zu Barbarino gewendet fort, »Lorenza soll dir das Frühstück besorgen, in kurzem bin ich wieder zurück und wir können überlegen, was weiter zu tun ist.«

»Sowie die Nacht hereingebrochen ist, gehen wir fort«, sagte Barbarino finster. »Draußen erwartet mich mein Pferd, es wird uns beide hintragen in die Berge, wo mein Wille herrscht, wo niemand es wagen darf, die Augen zu meiner Geliebten zu erheben.«

Seine Hand legte sich auf den Griff des Dolches, den er im Gürtel trug, und sein Auge ruhte mit wilder Leidenschaft und einer düsteren, argwöhnischen Frage auf dem jungen Mädchen, welches zwar mit niedergeschlagenen Blicken, aber mit einem heiteren, unbefangenen Lächeln auf den Lippen, ein weißes Tuch auf den Tisch breitete und aus einem kleinen Wandschrank die Vorräte an Früchten, Käse, Brot und Salami hervorholte, um mit jenem den 313 Römerinnen eigenen Schönheitssinn das einfache Frühstück für Barbarino zu ordnen.

Pietro grüßte Abschied nehmend mit der Hand und erwiderte einen bittenden Blick seiner Tochter mit einem kaum merkbaren Augenwink und ging hinaus.

Lorenza hatte das Arrangement des Tisches vollendet, füllte ein Glas mit Wein und reichte es, nachdem sie den Rand leicht mit den Lippen berührt hatte, Barbarino hin. Dieser leerte es in schnellem Zug, dann eilte er auf das junge Mädchen zu, schloß sie stürmisch in seine Arme, küßte ihr weiches, duftiges Haar und fragte, zu ihrem Ohr sich neigend, mit leisem, innigem Ton, indem sein glühender Atem ihre Wange streifte:

»Lorenza, meine geliebte Lorenza, willst du mit mir gehen, willst du mir folgen, um mir ganz zu gehören? Sage mir, ob du mich liebst und du glücklich bist wie ich, wenn uns nichts mehr trennt, wenn wir draußen in der Welt meiner Freiheit für uns allein leben, alles um uns her vergessend und vielleicht von allen vergessen.«

Lorenza zitterte in seinen Armen, leise zusammenschauernd. Einen Augenblick preßte sie ihre Lippen krampfhaft aufeinander, als zöge ein großer Schmerz ihr das Herz zusammen. Dann aber lächelte sie wieder, schlug die Augen mit klarem Blick zu Barbarino auf und sagte mit einem flüsternden Ton, der keine Bewegung in ihrer Stimme erkennen ließ:

»Kannst du mir zürnen, Barbarino, wenn der Gedanke, meinen Vater, meine Heimat hier zu verlassen, meine ganze Vergangenheit abzuschließen, – wenn der Gedanke mich einen Augenblick schmerzhaft bewegt und fast entsetzt hat?«

»Einen Augenblick,« rief Barbarino, indem ein Strahl von Entzücken aus seinen Augen blitzte, – »einen Augenblick, meine süße, geliebte Lorenza! Und ist dieser Augenblick vorüber?« fragte er, ihren Kopf in seinen Händen haltend und ihr tief in die Augen blickend.

»Er ist vorüber,« erwiderte Lorenza ruhig und fest, »ich habe mich entschlossen, meinen Vater, meine Heimat, alles zu verlassen und«, fügte sie ganz leise in fast 314 unhörbarem Ton hinzu, »dem zu folgen, dem die Liebe meines Herzens gehört.«

Er drückte sie fest an sich und bedeckte ihr Gesicht mit glühenden Küssen.

»Oh, meine Lorenza,« rief er, »ich danke dir, – ich danke dir! Du machst mich überglücklich! Verzeihe meinen Zweifel, meinen Argwohn, – meine Eifersucht,« sagte er, indem ein düsterer Schatten über sein Gesicht dahinflog. »Es kommt ja das alles nur von meiner Liebe zu dir, die so heiß ist, wie der brennende Strahl unserer Sonne, so tief wie das Meer und so wild wie die Schluchten meiner Heimat.«

Lorenza wand sich sanft aus seinen Armen und deutete lächelnd auf den Platz am Tisch, den sie für ihn bereitet hatte.

Er setzte sich mit glühenden Wangen und strahlendem Blick zu dem einfachen Mahl nieder. Sie nahm an seiner Seite Platz und bediente ihn heiter und freundlich, und oft drückte er seine Lippen auf ihre Hand, welche ihm eine Frucht oder eine Brotschnitte reichte.

Seine brennenden Lippen fühlten es nicht, daß ihre Hand kalt war wie Eis, seine von Glück und Seligkeit strahlenden Augen sahen es nicht, daß diese zarten Finger zitterten und zuckten und daß ihre Blicke sich zuweilen wie in angstvollem Gebet aufwärts richteten.

 


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