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Der Kaiser Napoleon war nach den Tuilerien zurückgekehrt, er saß in einem tiefen Lehnstuhl, die Füße auf ein Taburett gelehnt und die zurückgesunkene Gestalt in einen weiten Schlafrock von wattiertem Sammet gehüllt. Sein Haar war frisiert, sein Bart sorgfältig geordnet. Aber sein Gesicht war bleich und erschöpft, sein Blick matt und große, dunkle Ringe umgaben seine Augen. Seine Hände ruhten schlaff auf dem Schoß, und zuweilen zitterten die Spitzen 369 seiner Finger und ein schmerzhaftes Zucken flog durch seinen Körper.
Sein Sekretär Pietri saß in der Nähe und war beschäftigt, dem Kaiser den Inhalt der eingegangenen Briefe vorzutragen.
Aber Napoleon hörte nicht wie sonst dem Vortrag zu. Die Zigarette, welche er angezündet hatte, lag auf einem ziselierten Teller neben der brennenden Kerze und verglimmte langsam, ohne daß der Kaiser daran dachte, ihren aromatischen Dampf mit seinen Lippen aufzufangen.
Pietri bemerkte diese Unaufmerksamkeit seines Herrn. Nachdem er die Vorlesung beendet hatte, blickte er, ein anderes Papier ergreifend, fragend auf, bevor er weiter zu lesen begann.
Napoleon fuhr zusammenzuckend mit der Hand nach seinem Knie und preßte einen Augenblick, wie um einen körperlichen Schmerz zu überwinden, seine Lippen aufeinander. Er sprach dann, tief aufseufzend:
»Lassen Sie, mein lieber Pietri; diese rheumatischen Schmerzen quälen mich so sehr, daß ich nicht imstande bin, dem Inhalt dessen scharf zu folgen, was Sie mir vorlesen. Alle diese Korrespondenzen haben ja kein augenblickliches Interesse, und ich bin, abgesehen von meinen Schmerzen, vollkommen durch den Gedanken in Anspruch genommen über die so ernstliche und bedenkliche Lage, in welche das Scheitern aller meiner Kombinationen mich versetzt hat. Scheint es doch, als ob jeder Versuch, den ich mache, dem Vordringen dieser preußischen Macht einen Damm entgegenzusetzen, mich nur dahin führt, mich noch mehr zu isolieren und den Einfluß dieses preußischen Ministers, der nur hier in Paris gewesen zu sein scheint, um zu lernen, wie man Frankreich angreifen muß, immer noch mehr zu verstärken. Italien wendet sich immer drohender gegen Rom und macht es mir schwerer und schwerer, den Papst zu schützen, den ich doch nicht aufgeben darf, wenn ich nicht die ganze Macht des Klerus gegen mich ins Feld rufen will, dieser Macht, der ich doch so sehr bedarf, um im Lande der demokratischen Propaganda entgegenzuwirken, und die noch bedeutungsvoller sein wird, wenn durch die Beschlüsse 370 des Konzils die geistliche Gewalt des Papstes ihre Fäden noch fester zusammenziehen wird.«
»Ich habe Eurer Majestät«, sagte Pietri, indem er seine Papiere zusammenlegte, »keinen Rat zu geben, doch möchte es mir fast scheinen, als ob die Gelegenheit nie günstiger gewesen wäre, die Idee zur Ausführung zu bringen, welche Eure Majestät ja schon seit langer Zeit für eine hochwichtige und heilige erkannt haben, die Idee nämlich der Herstellung einer von Rom unabhängigen gallikanischen Kirche. Die Bischöfe sind, wie sich ja aus allen Berichten ergibt, sehr wenig geneigt, sich dem Unfehlbarkeitsdogma zu unterwerfen, das sie zu willenlosen Dienern der Kurie machen soll, und sie werden in diesem Augenblicke geneigter sein als früher, auf die Idee einer französischen Nationalkirche unter einem eigenen Primat einzugehen. Der bayerische Minister Fürst Hohenlohe hat die Mächte aufgefordert, der römischen Kurie gegenüber gemeinschaftliche Verwahrung einzulegen gegen die Absicht, eine dogmatische Unfehlbarkeit des Papstes zu proklamieren, durch welche die Stellung der Staatsgewalt zur Kirche wesentlich alteriert würde. Wenn Eure Majestät im Sinn der Aufforderung des Fürsten Hohenlohe gegen Rom aufgetreten wären, so würde sich dadurch vielleicht eine Loslösung der französischen Kirche von der päpstlichen Zentralgewalt haben anbahnen lassen, und es würde Eurer Majestät leichter geworden sein, den Papst sich selbst zu überlassen und Frankreichs Kräfte nach einer anderen Richtung hin freizumachen. Zugleich würde dadurch ein Einverständnis und ein gemeinsames Vorgehen mit Bayern, dem mächtigsten Staate Süddeutschlands, ganz naturgemäß sich ergeben haben, und der regere Verkehr mit diesem durch geschichtliche Traditionen an das kaiserliche Frankreich geknüpften deutschen Königreich würde vielleicht auch zu einer festeren Annäherung auf anderen Gebieten geführt haben. Sie verzeihen, Sire,« sagte er, während der Kaiser ihn mit etwas belebteren Blicken ansah, »daß ich mir erlaube, so frei eine von Eurer Majestät Beschlüssen abweichende Ansicht auszusprechen. Aber Eure Majestät haben mir früher erlaubt, meine Gedanken über diese oder jene Frage Ihnen 371 mitzuteilen, und ich glaube, daß in dieser Richtung, welche ich soeben anzudeuten die Ehre hatte, in der Tat das auf verschiedenen Wegen bereits erstrebte Ziel erreicht werden könnte, Frankreich von diesem so peinlichen und lästigen Schutze des Papstes zu befreien und zugleich den Einfluß des französischen Klerus noch inniger und fester mit der Regierung zu verbinden.«
»Ich habe wohl daran gedacht,« sagte Napoleon, indem er sich etwas vorbeugte und das Kinn in die Hand stützte, »der alte Gedanke aller französischen Regierungen, Frankreich durch eine nationale Kirche von dem lähmenden Einfluß des Papstes zu befreien, hat auch mich zu allen Zeiten lebhaft beschäftigt. Vielleicht möchten in diesem Augenblick die französischen Bischöfe geneigter sein als früher, zur Ausführung eines solchen Gedankens die Hand zu bieten. Aber«, fuhr er fort, indem er wieder matt in die Polster seines Stuhls zurücksank, »um ein solches Werk zu beginnen und durchzuführen, dazu gehört die Kraft und Gesundheit der Jugend, dazu müßten wenigstens die nächsten Jahre mein sein. Und«, sagte er mit einem traurigen Lächeln, indem sein Blick über seine von den weiten Falten des Schlafrocks umhüllte Gestalt hinabglitt, »ich bin ein alter, ein gebrochener Mann, und ich weiß nicht, ob die nächsten Monate noch mir gehören.«
»So dürfen Eure Majestät nicht denken,« rief Pietri mit dem Ausdruck inniger, liebevoller Teilnahme, »ein augenblicklicher Anfall von Schmerz darf nicht entmutigen, nicht von der Ausführung großer Pläne zurückhalten.«
»Ein augenblicklicher Anfall?« sagte Napoleon mit demselben schmerzlichen Lächeln, – »mein lieber Pietri, der Anfall, unter dem ich leide, ist das Alter, und die schmerzlichen Symptome dieser Krankheit steigern sich von Tag zu Tage, bis die matter und matter brennende Flamme erlischt. Anfälle von Krankheit?« sagte er halb schmerzlich, halb scherzend, – »ich habe nur noch Anfälle von Gesundheit, und diese lichten Intervalle werden immer seltener.«
»Doch«, sagte er dann, sich wieder aufrichtend, »es ist nicht die Schwäche und Krankheit allein, welche mich abgehalten haben, auf jene Ideen einzugehen. Ich darf einen 372 so gefährlichen Kampf nicht aufnehmen in dem Augenblick, in welchem meine ganze Wachsamkeit nach dem Rhein hin und zugleich auf die in den Tiefen der Gesellschaft gegen mich arbeitenden Elemente gerichtet sein muß. Und die Verbindung mit Bayern,« fuhr er fort, »was würde sie nützen ohne ein festes Zusammenhalten mit Österreich? Sowohl die römische als die deutsche Frage kann von den Gesichtspunkten aus, von denen sie bisher betrachtet wurde, nicht berührt werden, ohne Österreichs vollkommen sicher zu sein. Und«, sagte er mit einem leichten Achselzucken, »Österreich ist für mich aus jeder Kombination ausgeschieden. Das Wort, welches man mir einst in den Mund legte, ist jetzt wirklich eine Wahrheit geworden, Österreich ist nur noch ein politischer Leichnam, den dieser Herr von Beust künstlich galvanisiert, dem er aber kein lebendiges Blut einzuflößen, keine Bewegung zu geben versteht. Seit vier Jahren habe ich es versucht, auf eine gemeinsame Aktion mit Österreich meine Politik zu bauen, neuerdings hat mir der General Türr im Einverständnis mit dem König Viktor Emanuel den alten Gedanken der Tripelallianz angeregt. Der Kaiser Franz Joseph hat trotz aller Abneigung, die er eigentlich innerlich gegen Italien und auch gegen mich hegt, den Gedanken erfaßt, aber Herr von Beust kann sich nicht zu einem entschiedenen Wollen und Handeln erheben, – Türr ist noch einmal nach Wien gegangen, um anzudeuten, welch reicher Ersatz nach anderer Seite hin für das Opfer der italienischen Gebiete Tirols geboten werden könne, aber – das alles wird zu keinem Ziele führen, es werden leere Verhandlungen bleiben, und wenn Frankreich seine Stellung wiedergewinnen will, so muß es von allen Kombinationen absehen, in welchen Österreich eine Stelle findet. Es ist eine alte Idee des Herrn von Beust,« sagte er nach einem augenblicklichen Nachdenken, »die Verbindung zwischen Rußland und Preußen zu trennen, welche schon im Jahre 1866 so verhängnisvoll wurde und welche seither mit schwerem Druck auf Europa lastet. Die Versuche, welche in dieser Richtung von Wien aus unternommen wurden, sind gänzlich gescheitert, – wie sie scheitern mußten, denn was kann das schwache und gebrochene Österreich dem großen Reich 373 des Ostens bieten, das den Undank seines früheren Alliierten nicht vergessen hat und das noch immer durch das Doppelspiel des Herrn von Beust in dem polnischen Galizien von neuem gereizt wird? Um dem Petersburger Hof die Freundschaft des mächtigen und siegreichen Preußens zu ersetzen, – dafür hat Österreich nichts zu bieten. Aber«, sagte er, »der Gedanke des Herrn von Beust ist darum vielleicht doch ein richtiger, wenn ich ihn annehme und – wenn ich ihn ausführen kann,« rief er, indem sein matter Blick höher aufleuchtete, »dann wird die Geschichte über dies schwankende, stets zwischen Wollen und Fürchten schwebende Österreich hinwegschreiten. Ich werde einen neuen Weg versuchen, – den einzigen, der jetzt noch übrigbleibt, und wenn auf diesem Wege nur noch einmal mein Stern leuchtet, so werde ich weder Österreichs noch dieser süddeutschen Fürsten bedürfen, welche trotz all ihres souveränen Eigensinns Stein auf Stein zusammenfügen, um ein neues Kaisertum in Deutschland zu erbauen.«
»Der General Fleury!« meldete der Kammerdiener.
Pietri stand auf und zog sich durch die den Durchgang zu seinem Bureau maskierende Portiere zurück, während der Kaiser den General einzuführen befahl.
Der General, eine kräftige, etwas untersetzte Gestalt, deren Haltung halb militärische Festigkeit des Soldaten, halb Geschmeidigkeit des Hofmannes ausdrückte, trat ein und näherte sich schnell dem Lehnstuhl des Kaisers. Das etwas volle, stark markierte Gesicht dieses langjährigen Vertrauten Napoleons III., mit dem großen, vollen Schnurrbart, dem dichten, gelockten Haar und den kleinen, aber scharf und listig blickenden Augen, zeigte innige und lebhafte Teilnahme, und indem er ehrfurchtsvoll die Hand ergriff, welche der Kaiser ihm entgegenstreckte, sagte er mit seiner vollen und kräftig klingenden, aber zugleich sanft einschmeichelnden Stimme:
»Wie glücklich bin ich, daß Eure Majestät sich wieder vollständig zu erholen beginnen! Meine Abreise wird mit leichterem Herzen stattfinden, wenn ich der Besorgnis um die Gesundheit meines teuren und geliebten Souveräns überhoben bin.«
374 Der Kaiser dankte mit einem matten Lächeln für die Worte des Generals und sagte dann, indem er, wie seinen Schmerz zurückdrängend, sich gerade emporrichtete:
»Setzen Sie sich zu mir, mein lieber General, ich habe Ernstes mit Ihnen zu sprechen.«
General Fleury ließ sich in einen Lehnstuhl zur Seite des Kaisers nieder, seine Züge nahmen den Ausdruck gespannter Aufmerksamkeit an.
»Ich habe Sie zum Botschafter in Petersburg ernannt«, fuhr Napoleon fort, »in der Überzeugung, daß niemand so geeignet sein könnte als Sie, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Kaiser und mir zu pflegen und zu erhalten. Ihre Mission aber hat eine ernste Seite, über welche ich Ihnen persönlich, im Vertrauen auf Ihren Eifer und Ihre Diskretion, meine Gedanken mitzuteilen wünsche. Ich überlasse es Ihrer Geschicklichkeit, dem Fürsten Gortschakoff und dem Kaiser Alexander die Angelegenheit in einer Weise mitzuteilen, welche uns die Möglichkeit gäbe, auf Grund derselben, wenn Sie entgegenkommende Aufnahme finden, zu festen Abschlüssen zu gelangen, oder aber uns, ohne uns engagiert und kompromittiert zu haben, zurückziehen zu können.«
»Mein Eifer und meine Diskretion sind Eurer Majestät bekannt«, erwiderte der General.
»Sie wissen,« fuhr der Kaiser fort, »daß die Erfolge Preußens im Jahr 1866 durch die Haltung, welche Rußland zur Zeit der Verhandlungen von Nikolsburg einnahm, sehr wesentlich unterstützt wurden, und daß die Durchführung der preußischen Pläne in Deutschland sehr wesentlich von der Freundschaft Rußlands abhängt, durch welches die Ostgrenzen der preußischen Monarchie freigehalten und zugleich Österreich in jeder möglichen Aktion gelähmt wird.«
Der General neigte den Kopf.
»Mir ist die große Vorliebe, welche das russische Kabinett für Preußen zur Schau trägt, vollständig bekannt: – ich sage: zur Schau trägt, Sire, denn unter der Oberfläche machen sich andere Strömungen bemerkbar, und der Cäsarewitsch ist in seinen Äußerungen sehr zurückhaltend. Doch 375 ist, nach den Andeutungen aller eingeweihten Kreise, das junge Rußland sehr wenig mit der Politik der Regierung einverstanden. Ich werde meine Fäden in dieser Beziehung immer weiter verfolgen und hoffe, bald genauer unterrichtet zu werden.«
Napoleon schüttelte den Kopf.
»Wenn der Thronfolger«, sagte er, »die Politik der Herrscher mißbilligt und wenn die Mißbilligung in den Kreisen seiner Umgebung sich noch schärfer kundgibt, so ist das eine allgemeine, wenig bedeutende Erscheinung, auf welche man vernünftigerweise keine politischen Berechnungen bauen kann. Außerdem liegt in Rußland die Möglichkeit eines Thronwechsels so fern, daß diese Eventualität für die Beurteilung der gegenwärtigen Lage Europas gar nicht in Betracht gezogen werden kann. Wir haben nicht mit dem Cäsarewitsch, nicht mit möglichen Männern der Zukunft, sondern mit dem Kaiser Alexander und dem Fürsten Gortschakoff zu rechnen oder vielmehr, was noch richtiger ist, Frankreich hat mit Rußland zu rechnen, denn die wahren Interessen dieser beiden Länder werden stets für ihre gegenseitigen Beziehungen maßgebend sein, und es kommt nur darauf an, diese wahren Interessen zu erkennen und zu gegenseitiger Unterstützung zu verbinden.«
Der General schwieg, ein wenig betroffen durch diese Bemerkung des Kaisers, deren Ton etwas schärfer gewesen war, als er sich sonst auszudrücken beliebte.
»Rußland muß sich,« fuhr der Kaiser fort, »nachdem es sich von den Wunden erholt hat, die ich einst gezwungen war ihm zu schlagen, mehr und mehr wieder seiner Aufgabe im Orient zuwenden, von deren Erfüllung seine Zukunft und die Entwickelung seiner Völker abhängt. Ich habe einst den Kaiser Nikolaus auf diesem Wege aufgehalten, nicht um Rußland zu schaden, sondern um den Vertreter des Legitimitätsprinzips, der sich mir feindlich gegenüberstellte, zur Anerkennung meines Kaisertums zu zwingen. Jene Rücksicht besteht für mich heute nicht mehr, und nichts stellt sich einer Verständigung mit Rußland entgegen. Es gibt überhaupt nur zwei Mächte,« fuhr er fort, während der General Fleury mit tiefer Aufmerksamkeit seinen 376 Worten folgte, »welche Rußland in der Verfolgung seiner naturgemäßen Ziele zu unterstützen imstande sind. Und diese Mächte sind Preußen und Frankreich. Österreich muß naturgemäß sich mit Rußland im Orient feindlich begegnen, England kann niemals gestatten, daß Rußland auf dem Schwarzen Meere mächtig wird oder sich gar in den Dardanellen festsetzt. Frankreich allein kann dies ruhig mit ansehen, ebenso wie Preußen, und beide Mächte können Rußland nützlich werden. Preußen, indem es Rußland den Rücken deckt und es ihm möglich macht, alle seine Kräfte nach dem Orient hin zu konzentrieren. Frankreich aber kann mehr tun. Es kann sich aktiv mit Rußland verbinden, um den Orient zu reformieren, und wenn Frankreich und Rußland eine bestimmte Form beschlossen haben, so sind sie imstande, auch allen Gegnern zum Trotz dieselbe durchzuführen.«
»Ich habe bereits Eure Majestät darauf aufmerksam gemacht,« sagte General Fleury, »daß diese Gesichtspunkte in Petersburg vollkommen gewürdigt werden, namentlich was das Verhältnis zu Preußen betrifft. An solche Freundschaft scheint man, wie ich fortwährend Gelegenheit habe zu bemerken, nicht recht zu glauben, – man vergißt zwar in Petersburg –«
»Eine kluge Politik«, fiel der Kaiser ein, »muß stets zu vergessen verstehen. Und Ihre Aufgabe, mein lieber General, ist es, nicht nur die Vergangenheit vergessen zu machen, sondern auch dem Gedanken einer künftigen Verständigung auf der Grundlage, die ich Ihnen soeben entwickelt, dort Eingang zu verschaffen. Sie werden sagen,« fuhr er fort, »daß, wie ich schon soeben bemerkte, Frankreich mehr für die Erfüllung der naturgemäßen politischen Wünsche Rußlands tun könne als Preußen, und daß es vor allen Dingen weniger verlangt, daß es von Rußland selbst gar nichts verlangt, als seinen Beistand zur Unterdrückung des in drohender und feindseliger Gestalt emporsteigenden Deutschen Reiches in der Mitte Europas. Ich glaube, man muß dies in Rußland begreifen. Und Ihre Sache ist es, dieselben Pläne dort wieder aufleben zu lassen, welche einst zwischen dem ersten Alexander und meinem 377 großen Oheim verabredet waren, dabei aber zugleich das Vertrauen zu erwecken, daß ich meinerseits nicht in den Fehler verfallen würde, der für den ersten Kaiser so verhängnisvoll war, mich von der Allianz mit Rußland abzuwenden. Sie können hinzufügen,« fuhr er fort, »daß auch Nordamerika, welches sich ja Rußland naturgemäß nähert und nähern muß, der alte Alliierte Frankreichs ist, und daß die Trübung, welche in unserem Verhältnis zu den Vereinigten Staaten durch die mexikanische Expedition eingetreten ist, durch die Vermittelung des Petersburger Kabinetts leicht beseitigt werden könnte.«
»Sire,« sagte der General, »es gibt eine große Frage, welche zwischen Frankreich und Rußland steht und über welche, wenn es sich um eine Herstellung engerer und besserer Beziehungen zwischen beiden Reichen handelt, nicht stillschweigend hinweggegangen werden kann. Diese Frage, Sire, ist die polnische, und ich möchte Eure Majestät bitten –«
»Polen,« sagte der Kaiser achselzuckend, »was heißt Polen? Das alte Polen war für Frankreich eine Etappe, um den Einfluß auf den Orient nicht zu verlieren. Die polnische Revolution ist heute für uns eine mächtige Waffe, welche wir sowohl gegen Rußland als gegen Preußen und Österreich kehren können und die wir nicht aus der Hand geben dürfen, solange wir nicht feste Garantien haben, auf lange hinaus mit Rußland gleiche Ziele in Europa zu verfolgen. Sobald diese Garantien geschaffen sind, sobald ich mich mit dem Kaiser Alexander verständigt habe, das Abend- und Morgenland zwischen Frankreich und Rußland zu teilen und Europa unter die Führung der lateinischen und slavischen Rassen zu stellen, habe ich kein Interesse daran, dieses immerhin zweischneidige Schwert, das die polnische Frage für uns bietet, länger in der Hand zu halten. Sie können das sehr bestimmt aussprechen,« fügte er hinzu, »und der Kaiser kann vollkommen sicher sein, daß jede direkte oder indirekte Begünstigung der polnischen Nationalitätsbestrebungen in demselben Augenblick aufhören wird, in welchem ein festes Bündnis zwischen Frankreich und Rußland geschlossen ist.«
378 »Eure Majestät befehlen also,« sagte der General, »daß ich in dieser Beziehung ganz bestimmte Anträge stellen soll?«
»Ich wünsche dies«, sagte der Kaiser, »und habe Ihnen die Punkte bezeichnet, welche für diese Anträge maßgebend sind. Polen kann kein Hindernis bilden, – um so weniger als der arme Walewsky tot ist, dieses große, edle und treue Herz, welches ein lebendiges Band zwischen dem kaiserlichen Frankreich und dem Blut der polnischen Nation bildete.«
Er versank einen Augenblick in trübes, schmerzliches Nachsinnen, dann schlug er das Auge groß und voll zu dem General auf, und indem sein Blick sich mit einem eigentümlichen Feuer beleuchtete, sprach er weiter:
»Dies sind die Gesichtspunkte, welche ich Ihnen zunächst als maßgebend für Ihre diplomatische Tätigkeit in Petersburg bezeichnen möchte, es sind die Gesichtspunkte, welche eine Politik zu bestimmen haben würde, die ich als Kabinettspolitik bezeichnen möchte. Sollten Sie aber finden,« fuhr er lebhafter fort, »daß der Kaiser Alexander und der Fürst Gortschakoff weiteren und größeren Ideen zugänglich sein möchten, daß es möglich wäre, sie aus den engen Grenzen der Kabinettspolitik auf die nationale Politik hinzuführen, dann, mein lieber General, werden Sie neue und größere Gesichtspunkte zu entwickeln haben. Sie werden dann darauf aufmerksam machen, daß es vielleicht im Interesse Rußlands und Frankreichs richtiger wäre, die nationale Entwickelung des Völker- und Staatslebens in Europa zum Abschluß gelangen zu lassen, und daß es besser wäre, ein konsolidiertes Deutschland bestehen zu lassen, als fortwährend die ringenden Elemente der deutschen Nation gewaltsam niederzuhalten und so die Welt fortwährend in Unruhe und Aufregung zu erhalten. Vielleicht würde es Rußland gelingen, das Berliner Kabinett zu einer Verständigung mit mir zu bestimmen, welche ich so lange schon vergeblich suche, und es zu denjenigen Konzessionen zu bewegen, welche ich verlangen muß, um die Aufrichtung des Deutschen Reiches zu gestatten. Dann könnten Frankreich und Rußland als mächtiger 379 Schiedsgerichtshof an die Spitze von Europa treten und die große Aufgabe erfüllen, welche sich einst die heilige Allianz gestellt hatte, – diese Allianz, die wirkungslos blieb und zusammenbrechen mußte, weil sie Frankreich ausgeschlossen hatte und weil sie Österreich, diesen künstlichen Staat ohne innere Lebenskraft, in sich aufnahm. Die lateinischen Rassen bis zum Rhein,« fuhr er fort, indem sein Auge sich weiter und weiter öffnete, »die germanischen Rassen bis zur Weichsel und bis zu den Alpen hinab und dann die Slaven in all den weiten Gebieten des Ostens, – wenn die Welt so geteilt wird und wenn diese drei großen nationalen Reiche, denen sich alle übrigen Staaten in nationaler Affinität anschließen müßten, untereinander einig sind, dann gehört ihnen die Welt, dann ist der Friede für immer gesichert. »Dann«, fügte er hinzu, indem ein düsteres Feuer aus seinen Augen blitzte, »wird auch die Rolle Englands in Europa ausgespielt sein, dieses Englands, das überall die Wege Frankreichs gekreuzt hat, das den Kaiser an den Felsen von Sankt Helena fesselte, – dann wird die wahre, die letzte Revanche für Waterloo genommen sein, und dann wird ohne Krieg, ohne Blutvergießen die Zukunft Europas, sowie die Zukunft Frankreichs und meines Hauses gesichert sein, – dann wird das Gebäude seine Krönung erhalten haben, an dessen Aufrichtung ich meines Lebens Arbeit und Kraft gesetzt.«
»Sire,« sagte der General, »Eure Majestät sehen mich von staunender Bewunderung erfüllt über die so großen, weltumfassenden und doch so einfachen Gedanken, welche Ihre Worte mir eröffnen, und ich bin glücklich und stolz, daß Allerhöchst Ihr Vertrauen mir eine so bedeutungsvolle Rolle in der Ausführung dieses Gedankens überträgt. Doch zugleich«, fuhr er fort, »fühle ich mich von banger Furcht bedrückt, ob es mir gelingen kann, die mir gestellte Aufgabe zu erfüllen. Die Schwierigkeiten sind groß, die Geschicklichkeit unserer Gegner tritt uns überall hemmend entgegen und – ich bin ein Neuling in der Diplomatie.«
»Gerade das«, sagte der Kaiser lächelnd, »ist die Bedingung des Gelingens. Um neue Bahnen zu verfolgen, darf man nicht durch die Gewohnheit im alten Geleise festgehalten werden. Die alte Diplomatie steckt zu tief in den 380 hergebrachten Formeln und Anschauungen, um nicht vor Zielen zurückzuschrecken, welche alle früheren Kombinationen über den Haufen werfen. Gehen Sie darum mutig an das Werk, in der Überzeugung, daß, wenn dasselbe gelingt, Sie nicht nur mir, sondern der ganzen Welt einen großen Dienst geleistet haben. Ich habe«, fuhr er fort, »die Idee, welche ich Ihnen ausgesprochen, mir in ihren Hauptgesichtspunkten notiert. Ich wollte sie Ihnen jedoch zunächst mündlich entwickeln, da der lebendige Gedanke sich besser durch das lebendige Wort mitteilt, als durch schriftliche Notizen, die sich, mögen sie so klar sein als sie immer wollen, zu dem gesprochenen Wort verhalten, wie ein Porträt zu dem lebenden und bewegten Menschenantlitz.«
Er erhob sich mit einiger Mühe aus dem Lehnstuhl, öffnete eine in seiner Nähe stehende Kassette und reichte dem General einen beschriebenen Bogen in Quartformat.
»Den ersten Teil dessen, was ich Ihnen gesagt habe, mein lieber General,« sprach er dann, indem er sich wieder auf seinen Stuhl niedersinken ließ, »werden Sie zum Gegenstand Ihrer Berichte an das auswärtige Ministerium machen. Über den zweiten, weiteren Gesichtspunkt meiner Instruktionen wollen Sie nur mir berichten, dabei aber bitte ich Sie, festzuhalten, daß gerade dieser zweite Gesichtspunkt der wichtigste ist, daß Sie meinen Wünschen am besten entsprechen werden, wenn Sie das große Werk der Herstellung des nationalen Gleichgewichts in Europa anzubahnen vermögen.«
Er reichte dem General die Hand und sagte mit freundlichem Lächeln:
»Ich sehe Sie noch vor Ihrer Abreise, doch nehme ich eigentlich jetzt schon Abschied von Ihnen, denn wir werden auf unser heutiges Gespräch nicht zurückkommen, – über die wichtigsten Dinge muß man nur einmal sprechen, – um dann zu handeln.«
»Verlassen sich Eure Majestät auf mich,« sagte der General, »ich werde –«
Der eintretende Kammerdiener meldete Madame Cornu.
Der Kaiser erhob sich, legte, leicht gegen den General den Kopf neigend, seinen Finger auf den Mund und ging 381 einer Dame von etwa sechzig bis einundsechzig Jahren entgegen, welche in einfacher, etwas matronenhafter Toilette, aber mit noch jugendlich elastischem Schritt in das Kabinett trat und die Hand des Kaisers mit inniger und herzlicher Vertraulichkeit drückte, während der General, sich an der Tür noch einmal tief verneigend, das Zimmer verließ.
Madame Cornu, die Milchschwester des Kaisers, deren scharfes, geistvolles Gesicht mit den hellen, glänzenden Augen zugleich freundliche Heiterkeit und wohlwollende Güte ausdrückte, stützte mit zärtlicher Sorgfalt den Arm Napoleons, der sich etwas unsicher aufrecht erhielt, und führte ihn zu seinem Lehnstuhl zurück, indem sie mit ihrer sanften, aber jedes Wort scharf akzentuierenden Stimme sprach:
»Mein Gott, mein teurer Sire, so ist es denn wirklich wahr, daß Sie wieder leidend sind? Sie sehen in der Tat angegriffen aus, Sie müssen sich schonen, Sie müssen sich mehr Ruhe gönnen.«
»Ruhe, meine liebe Freundin?« sagte der Kaiser seufzend, – »auf dem Thron Frankreichs gibt es keine Ruhe. Bald vielleicht«, fuhr er düster fort, »werde ich sie für immer finden. Aber weil mir diese letzte Ruhe so nahe ist, muß ich die Zeit, die mir noch bleibt, zur Arbeit benützen, um meines Kindes Zukunft sicherzustellen.«
»Sie glauben noch immer nicht«, sagte Madame Cornu, indem sie sich neben dem Kaiser niederließ und ihm treuherzig in die Augen sah, »an die Sicherheit der Zukunft, nachdem Ihr Thron nun schon seit zwanzig Jahren fest, immer fester und fester steht, weit fester, mein teurer Sire, als einst der Thron Ihres Oheims stand, dessen Kaisertum an der Spitze seines Degens hing, während das Ihrige auf der freien Zustimmung des Volkes ruht, das Sie liebt und Ihnen Glück und Wohlstand verdankt?«
»Was ist die Liebe des Volks,« sagte der Kaiser sinnend, – »und hängt nicht auch mein Kaisertum an der Spitze des Degens? Würde die Liebe des Volks mir bleiben ohne die Furcht, – wenn das Schwert in meiner Hand einst zerbrechen sollte? Oh, meine Freundin,« sagte er, »ich möchte oft, wie jener träumerische Karl V., mich aus der 382 Welt zurückziehen in die tiefe Einsamkeit, denn es scheint mir wahrlich oft nicht wert, so viel Mühe, Sorge und Arbeit daranzusetzen, um eine Welt zu beherrschen, die uns so wenig Dank weiß und uns so schnell vergißt, wenn das Glück sich von uns wendet.«
Madame Cornu lächelte, indem ein Zug neckischer Schalkhaftigkeit sich um ihre Lippen legte.
»Ich bedaure, daß ich Eure Majestät in einer solchen Eremitenlaune finde,« sagte sie dann, »denn ich war eigentlich in der Absicht hergekommen, mit Ihnen ein wenig von Politik zu sprechen, – von jener kleinen Hauspolitik, welche die Damen zuweilen machen und welche Sie mir zu machen erlaubt haben, um meinen Freunden nützlich zu sein und zugleich auch Ihnen, der Sie immer an der Spitze aller meiner Freunde stehen, zu dienen.«
»Ah, ah!« machte der Kaiser, indem ein Schimmer von Heiterkeit einen Augenblick über seine abgespannten und leidenden Züge flog, – »handelt es sich wieder etwa darum, einem Ihrer lieben Zöglinge, einem Prinzen von Hohenzollern, für welche alle Sie eine so große Zärtlichkeit haben, ein kleines, entlegenes Fürstentum zu verschaffen, oder wollen Sie gar dem kleinen Fürsten von Rumänien einen großen walachischen Thron errichten?«
»Das kann später kommen,« sagte Madame Cornu lachend, »mein lieber Charles von Rumänien scheint noch zu großen Dingen berufen zu sein, wenn jene glimmenden Kohlen im Osten, auf welche die europäischen Mächte gelegentlich ein wenig blasen, um einander zu schrecken, einmal wirklich zu hellen Flammen aufschlagen. Für jetzt aber wollen wir ihn mit seinen Ministern, die so unaussprechliche Namen haben, die armen Walachen konstitutionell dressieren lassen. Ich habe in diesem Augenblick nicht an den Fürsten Karl gedacht, aber ich wollte ein wenig mich über den Prinzen Leopold mit Eurer Majestät unterhalten, für den es doch eigentlich nicht angenehm ist, als ein kleiner, apanagierter Prinz durch die Welt zu ziehen, während sein jüngerer Bruder auf dem Thron sitzt, der, so unsicher und schwankend er sein mag, doch immer ein Thron ist und ihm Gelegenheit bietet, für seinen Ehrgeiz zu arbeiten.«
383 Der Kaiser wurde ernst, zu dem Ausdruck körperlichen Leidens, den sein Gesicht zeigte, gesellte sich eine trübe Stimmung.
»Und wohin wollen Sie«, fragte er, ohne auf den heitern Ton seiner Freundin einzugehen, »den Erbprinzen Leopold placieren? – Ich habe schon einmal daran gedacht,« sagte er leise, indem seine Augenbrauen sich finster zusammenzogen, »ihm ein sort zu machen. Aber meine Absicht fand da keine Unterstützung, wo man doch am meisten daran denken sollte, für die Hohenzollern zu sorgen.«
»Ich,« sagte Madame Cornu, indem sie ein wenig betroffen in das finstere Gesicht des Kaisers blickte, »ich denke eigentlich nicht daran, diesen lieben Leopold zu placieren. Aber man hat mir von einer Idee gesprochen, ihn auf den erledigten Thron von Spanien zu setzen, für welchen man bis jetzt überall Kandidaten gesucht hat und welcher auch zwar nicht angenehm und sicher ist, aber doch eine ruhmvolle und glänzende Stellung bietet und einem ehrgeizigen und charaktervollen Prinzen Gelegenheit zu einer großen Laufbahn geben kann.«
Der Kaiser sah ernst und forschend in das Gesicht der Madame Cornu.
»Und wer hat Ihnen davon gesprochen?« fragte er.
»Eigentlich, mein teurer Sire,« erwiderte sie, »habe ich versprochen, das nicht zu sagen, aber vor Ihnen, meinem Freunde und meinem gnädigen Souverän habe ich keine Geheimnisse. Ein Herr aus der Umgebung des Marschalls Prim, Campos, war hier, und durch ihn –«
»Prim,« rief der Kaiser, indem er sich erstaunt aufrichtete, »Prim hat diesen Gedanken, während ich glaubte, daß er für die Restauration des Prinzen von Asturien tätig sein würde?!«
»Das kann ich kaum glauben,« sagte Madame Cornu, »es sind mir in so bestimmter Weise die Vorteile einer Thronbesteigung des Prinzen Leopold auseinandergesetzt worden, daß ich annehmen muß, man wolle dieser Frage ernsthaft näher treten. Man hat mir gesagt,« fuhr sie fort, »daß die vielseitige Bildung des Prinzen ihn befähige, die so verwickelten politischen Verhältnisse in Spanien zu 384 beurteilen, daß sein militärisch fester Charakter ihm die Energie geben werde, die herrschsüchtigen Parteien unter die Monarchie zu beugen, daß seine Verwandtschaft mit dem portugiesischen Königshause ihn allen denjenigen angenehm machen würde, welche ein ungeteiltes iberisches Reich erstreben.«
»Das wäre die Beseitigung des englischen Einflusses auf der Halbinsel«, fiel der Kaiser ein, indem seine Züge sich ein wenig erheiterten.
»Endlich«, sagte Madame Cornu, »hat man betont, daß der Prinz mit Eurer Majestät verwandt sei, und daß dadurch die so wünschenswerte Einigkeit zwischen Spanien und Frankreich, welche stets das Ziel der französischen Politik war, solange die Bourbons auf dem Thron Frankreichs saßen, nun auch durch die napoleonische Dynastie hergestellt und neu befestigt werden würde.«
»Er ist mit mir verwandt,« sagte der Kaiser, sinnend vor sich hinblickend, – »aber erinnert er sich dessen? – er ist preußischer Offizier, – er führt den Namen Hohenzollern, – würde nicht seine Thronbesteigung in Spanien dort eine Filiale der preußischen Politik errichten? Würde nicht das preußische Haus dahin streben, dieselben Wege zu gehen, welche einst die Habsburger verfolgten, um Frankreich von zwei Seiten anzugreifen? – Es war ein deutscher Fürst auf dem spanischen Thron, welcher Franz I. gefangen hielt, – sie haben einen weitreichenden Arm, diese Könige aus dem Hause Hohenzollern in Preußen, und die preußische Uniform hat eine Art von magischer Kraft, sie umfaßt alle diejenigen, die sie jemals getragen, mit einer Art von Freimaurertum – –«
Er versank in schweigendes Nachsinnen.
»Endlich«, fuhr Madame Cornu fort, nachdem sie einen Augenblick auf eine Äußerung des Kaisers gewartet hatte, »hat man mir noch hervorgehoben, daß vielleicht eine solche Begünstigung des Prinzen von Hohenzollern dazu führen könne, den Konflikt zu lösen, welcher seit 1866 zwischen Frankreich und Preußen besteht.«
Der Kaiser schüttelte den Kopf und richtete sich empor.
»Man lehnt ja«, rief er mit einem zürnenden Ton der Stimme, »in Berlin jedes Entgegenkommen zur Lösung 385 dieses Konfliktes ab. Ich habe schon so oft und bei so vielen Gelegenheiten die Hand geboten, man will dies nicht begreifen, man bleibt dabei, sich Deutschland unterwerfen zu wollen, ohne Frankreich Kompensationen zu bieten. Erst jetzt noch hat der Graf Gurowsky in diesem Sinne dort sondiert, er hat keine Antwort erhalten, und doch waren seine Ideen vielleicht annehmbar, wenn man nur den guten Willen gehabt hätte. Freilich«, fuhr er dann ruhiger fort, »war dieser Graf kaum der richtige Unterhändler und die Restauration des Prinzen von Asturien würde nicht eine so gute Basis der Verständigung zu bieten imstande sein als die Erhebung des Erbprinzen von Hohenzollern.«
Er schwieg abermals einen Augenblick.
»Und wie denkt der Prinz Leopold?« fragte er dann plötzlich, den Blick scharf und fest auf Madame Cornu richtend.
»So wie ich den Prinzen kenne,« erwiderte diese mit unbefangenem Ton, »glaube ich, daß sein Ehrgeiz ihn reizen würde, die spanische Krone anzunehmen, und vielleicht würde auch seine Gemahlin nicht ungern mit ihm einen Thron besteigen, auf welchem sie von einer heimatlicheren Luft als derjenigen Berlins umweht würde.«
»Und was werden Sie auf die Ihnen gemachten Andeutungen antworten?« fragte Napoleon.
»Ich werde antworten,« erwiderte Madame Cornu, »sobald ich wissen werde, was mein gnädigster Kaiser über die Sache denkt.«
Napoleon stand langsam auf, legte seine Hand auf den Arm der Dame und machte, von derselben unterstützt, einige Schritte durch das Zimmer.
»Der Gedanke ist nicht übel,« sagte er, halb für sich, halb zu Madame Cornu sprechend, »er ist jedenfalls wert, ihn ein wenig zu verfolgen und kann Gelegenheit geben, nützliche Fäden anzuknüpfen. Und wenn der Prinz Leopold wirklich daran denken sollte, daß er mein Verwandter wäre, bevor er preußischer Prinz und Offizier wurde – – wenn Sie über die Sache sprechen,« sagte er dann, indem er sich etwas schwerfällig wieder in seinen Stuhl setzte, »so sagen Sie, daß Ihnen der ganze Plan sehr zweckmäßig und 386 nützlich erschiene, und suchen Sie eine weitere Verfolgung desselben anzuregen, – sprechen Sie aber nicht von mir, nennen Sie mich nicht, – man wird schon annehmen,« fügte er lächelnd hinzu, »daß Sie keine Ansicht aussprechen, welche mir ganz fremd wäre. Und vor allem«, fügte er lächelnd hinzu, »suchen Sie sich ganz auf vertraulichem Wege zu vergewissern, wie der Prinz Leopold über die Annahme der spanischen Krone denkt und wie er die Aufgabe erfaßt, welche ihm aus seiner Thronbesteigung erwachsen würde; – am besten wäre es, wenn die ganze Sache abgemacht werden könnte und wenn man imstande wäre, erst im letzten Augenblick mit derselben an Preußen heranzutreten, um sie zum Gegenstand eines Arrangements zu machen. Diese Hand ist geschickt genug,« sagte er lächelnd, indem er leicht die noch jugendlich frische und zarte Hand seiner Freundin berührte, »um, wie einst Penelope, das Gewebe zusammenzufügen, das man, wenn es sein muß, wieder aufzulösen imstande wäre.«
»Ich verstehe, mein teurer Sire,« sagte Madame Cornu, »und hoffe, in diesem Punkt die Gemahlin des Odysseus nachahmen zu können, wenn auch«, sagte sie seufzend, halb scherzend, halb wehmütig, »diese welkgewordene Hand kaum noch Hunderte von Freiern sich erwerben würde.«
»Ja, ja,« sagte der Kaiser, traurig das Haupt neigend, »die Zeit, die niemanden verschont, hat auch uns mit ihrem verdorrenden Stabe berührt – aber Sie sind glücklicher als ich, bei den Frauen bleibt der Geist jung und das Herz, das Herz vor allem, während wir, je höher wir stehen auf der Stufenleiter des Lebens, nur um so schneller stumpf und kalt werden.«
»Mein teurer Sire!« rief Madame Cornu, indem sie mit inniger Zärtlichkeit die Hand des Kaisers drückte, »die so traurigen und schmerzlichen Worte, die Sie sprechen, beweisen ja doch am besten, daß Ihr Herz noch fühlt, und Frankreich, ja die ganze Welt weiß es, wie klar und scharf Ihr Geist ist, vor dessen Überlegenheit sie sich beugt.«
»Mein Herz fühlt nur noch,« sagte der Kaiser dumpf, »um zu leiden; die freudigen Schläge seiner Jugend sind 387 zu schmerzhaften Zuckungen geworden, und die Überlegenheit meines Geistes,« sagte er, traurig den Kopf schüttelnd, »es gibt viele, die sie nicht anerkennen wollen –«
»Die sie aber empfinden werden,« fiel Madame Cornu ein, »sobald sie es wagen sollten, ihre heimlichen Wünsche zur Tat werden zu lassen und sich gegen Frankreich und seinen Kaiser zu erheben.«
Sie stand auf, und indem sie ihren frühern heitern Ton wieder annahm, sagte sie:
»So darf ich denn Eure Majestät verlassen mit der frohen Hoffnung, diesem guten, lieben Leopold eine Krone zu verschaffen, die glänzender sein wird, als der Fürstenhut des armen Karl von Rumänien?«
»Apropos,« sagte der Kaiser, »Sie sehen ja zuweilen Alexander Dumas und seine Tochter –«
»Eine vortreffliche Frau, Sire,« sagte Madame Cornu, »welche mit allen Talenten das beste und treueste Herz vereint und in der aufopferndsten Weise für ihren Vater sorgt.«
»Man hat mir«, sagte der Kaiser, »von der Idee gesprochen, diesem armen Dumas, dessen Verhältnisse leider nicht glänzend sind, ein Vermögen oder mindestens eine lebenslängliche Revenue zu schaffen. Die Stadt Paris soll sich an die Spitze dieses Werkes stellen, und alle seine zahlreichen Freunde und Verehrer sollen angeregt werden, dazu beizutragen.«
»Ich habe davon gehört,« sagte Madame Cornu, »und es wäre in der Tat eine Ehrenpflicht für die französische Nation, diesem so wahrhaft nationalen und liebenswürdigen Dichter, der in der Wohltätigkeit ebenso verschwenderisch war, wie in seinen geistigen Schöpfungen, den Abend seines Lebens sorgenfrei zu machen.«
»Er liebt mich nicht,« sagte der Kaiser mit einem sanften, freundlichen Lächeln, »er nennt mich Monsieur Buonaparte, er hat mich nicht anerkannt und er hat mir, um ein Buch aus meiner Privatbibliothek zu haben, einen Brief geschrieben, in welchem er mich nur als Kollegen wegen meines ›Leben Cäsars‹ behandelt – aber ich, ich liebe ihn als Schriftsteller wie als Mensch. Erkundigen Sie 388 sich ein wenig nach der Sache und teilen Sie mir mit, was ich tun kann, um dieselbe zu fördern und zu unterstützen. Ich werde mich meinerseits daran beteiligen und alles tun, um ihm zu beweisen, daß ich den Dichterfürsten anerkenne, wenn er auch den Kaiser nicht anerkennen will.«
»Oh, Sire!« rief Madame Cornu, »Sie machen mich glücklich und ich verlasse Sie voll Freude, denn ich nehme die Hoffnung mit, einem jungen Prinzen, den ich liebe, eine Krone zu schaffen und einen edlen und großen Geist vor dem Elend und den dringenden Sorgen des Lebens zu schützen. Gott segne Eure Majestät und erhalte Frankreich und Ihren Freunden noch lange das kaiserliche Herz, das trotz der Jahre nicht alt geworden ist, wenn es gilt, zu beglücken und wohlzutun.«
Sie drückte einige Augenblicke die Hand des Kaisers in der ihrigen, während sie ihm innig in die Augen sah, dann verließ sie das Zimmer, während der Kaiser ihr freundlich zunickte.
»Sie ist eine treue Freundin,« sagte er dann, indem er ihr nachblickte, – »aber wie viele Freunde bleiben mir noch?« – und der mein bester Freund werden sollte, für den ich diese Qual und Arbeit ertrage – er ist noch ein Kind, unfähig, des Lebens Stürmen zu widerstehen. Werde ich es erleben, ihn als Mann vor mir zu sehen?« Werde ich jemals mein vollendet Werk in seine kräftig erstarkten Hände niederlegen können?«
Er saß lange in trübem Sinnen da. Dann erhob er sich, öffnete die Portiere, welche zu seinem Geheimsekretär führte, und rief Pietri.
Fast unmittelbar darauf erschien der Gerufene.
»Ich habe noch einige Augenblicke Zeit,« sagte der Kaiser, »haben Sie noch Korrespondenzen, die einer eiligen Erledigung bedürfen?«
»Ich habe da«, fuhr er fort, bevor Pietri antworten konnte, »den Bericht der Person, die Sie kennen, über die preußischen Streitkräfte und die Organisation der preußischen Armee durchgelesen.«
Er reichte Pietri ein kleines Heft, das aus einem Tisch in der Nähe seines Lehnstuhles lag.
389 »Die Angaben stimmen fast überall mit denen des Obersten Stoffel überein. Es ist eine furchtbare, gewaltige Macht, die da an unseren Grenzen steht.«
»Der Marschall Niel, Sire,« erwiderte Pietri, »kennt ganz genau das Gefüge dieser Macht und war unermüdlich tätig, um die französische Armee derselben ebenbürtig und überlegen zu machen. Ich muß Eurer Majestät aufrichtig sagen, daß ich manche Äußerungen gehört habe, welche Zweifel aufsteigen lassen, ob das Werk des Marschalls ganz in seinem Geist erhalten und fortgeführt werde.«
»Leider, leider«, sagte Napoleon, »sind sie uns dort in vielen Dingen überlegen – ich weiß das sehr gut und wüßte ich es nicht, diesem Zustande verhängnisvoller Unsicherheit wäre schon längst ein Ende gemacht. Aber«, sagte er dann, »es gibt ein Wort, das mich beruhigt, und ich habe es auf diese Darstellung der preußischen Militärkräfte geschrieben.«
Pietri blickte auf das Papier, welches er in seiner Hand hielt.
Auf dem Umschlag des Berichts stand eine Zeile von des Kaisers kleiner und zierlicher Handschrift.
Pietri las:
»Die Mitrailleusen werden das Gleichgewicht wiederherstellen.«
»Ich hoffe, nicht das Gleichgewicht«, sagte er, »sondern das Übergewicht, welches Frankreich gebührt.«
»Ich bin mit dem Gleichgewicht zufrieden,« sagte Napoleon mit mattem Lächeln, »und am meisten zufrieden, wenn ich es ohne die Mitrailleusen herstellen kann. Was haben Sie noch?« fragte er dann.
Pietri öffnete seine Mappe und durchmusterte flüchtig die in derselben befindlichen Briefe.
»Hier ist«, begann er – doch plötzlich fuhr er, den Blick auf den Kaiser richtend, mit einem jähen Schrei des Schreckens empor.
Napoleon lag gebrochen und wie leblos in seinem Sessel, die Hände krampfhaft geballt, den Kopf auf die Lehne zurückgesunken. Seine Augen waren geschlossen, sein Gesicht erdfahl, aus dem geöffneten Munde drangen röchelnde Atemzüge hervor – ohne diese Atemzüge, das einzige 390 Zeichen des Lebens in diesem starren Körper, hätte man glauben können, eine Leiche vor sich zu sehen.
»Mein Gott, Sire,« rief Pietri, »welch ein Zufall! Was ist Eurer Majestät widerfahren?«
Er hob das Haupt des Kaisers empor. Napoleon öffnete einen Augenblick die Augen. Ein starrer, fast gebrochener Blick traf seinen Sekretär, dann senkten sich seine Augenlider wieder herab, ein schmerzliches Zucken lief durch seinen Körper. Kaum hörbar flüsterte er:
»Ich leide, Pietri, oh, welche Schmerzen! Es ist aus!«
Starr vor Entsetzen ergriff Pietri die kleine Handglocke des Kaisers und bewegte sie heftig.
In wenigen Augenblicken war der Kammerdiener, die Adjutanten vom Dienst und einige Lakaien im Zimmer.
Der Kaiser, welcher außer seinem schmerzlichen Stöhnen kein Lebenszeichen von sich gab, wurde entkleidet und in sein Schlafzimmer getragen.
Reitende Ordonnanzen flogen davon, um Doktor Nélaton und Doktor Conneau zu suchen.
Als der Kaiser auf seinem Bett lag, öffnete er die Augen. Er schien eine gewaltsame Willensanstrengung zu machen, um Herr über seine Schmerzen und seine Ohnmacht zu werden.
»Man soll kein Aufsehen machen,« sagte er mit fester Stimme, »niemand soll von diesem Anfall etwas erfahren – niemand, weder in den Tuilerien, noch in der Stadt«, und abermals versank er in eine starre Lethargie.
Nach einigen Minuten eilte die Kaiserin angstvoll und aufgeregt in das Schlafzimmer ihres Gemahls.
»Mein Gott, Louis!« rief sie, »was ist geschehen? was haben Sie?«
Der Kaiser antwortete nicht. Pietri erzählte der Kaiserin, wie der plötzliche Anfall gekommen sei, und wiederholte ihr den Wunsch des Kaisers, alles geheimzuhalten.
Der Doktor Conneau erschien zuerst. Bald folgte ihm Nélaton.
Die Kaiserin verließ das Schlafzimmer, und die Ärzte blieben mit dem gebrochen daliegenden Imperator allein.
391 Eine halbe Stunde lang wartete die Kaiserin in dem Kabinett ihres Gemahls, bald finster in sich zusammengebeugt in einem Lehnstuhl dasitzend, bald wieder mit heftigen Schritten voll unruhiger Angst und Erregung auf und nieder gehend.
Endlich erschienen die Ärzte.
In atemloser Spannung trat die Kaiserin ihnen entgegen.
»Es ist ein heftiger rheumatischer Anfall,« sagte Doktor Conneau, »der sich auf die Nerven und die inneren Teile geworfen hat und der die sorgfältigste Behandlung, die tiefste Ruhe erfordert.«
»Und ist Gefahr vorhanden?« fragte die Kaiserin mit starrem Blick. »Wird es vorübergehen?«
»Rheumatische Affektionen«, sagte Doktor Nélaton, »sind unberechenbar, Madame. Wenn die Kraft des Organismus ausreicht und keine ungünstigen Zufälle eintreten, so wird der Kaiser in einigen Monaten völlig wiederhergestellt sein. – Der Kaiser hat Eure Majestät zu sehen gewünscht,« fügte er hinzu, »aber ich bitte Sie, nicht lange bei ihm zu bleiben, denn die tiefste Ruhe ist unabweislich notwendig.«
Die Kaiserin eilte in das Schlafzimmer ihres Gemahls.
Napoleon lag ruhig, blaß und abgespannt, aber mit klaren Blicken in seinem Bett.
Zu den Füßen desselben stand ein tiefer Lehnstuhl, – die Kaiserin, schnell herantretend, ließ sich in denselben nieder und ergriff die auf der Decke des Bettes liegende Hand ihres Gemahls.
»Mein teurer Louis!« rief sie, – »was haben Sie? – ich bin –«
»Hören Sie mich an Eugenie,« fiel der Kaiser ein, indem sein groß geöffnetes Auge sich mit scharfem, durchdringendem Blick auf seine Gemahlin richtete, – »ich bin ins Leben hineingetroffen, – dieser Anfall war wirklich eine Berührung der Hand des Todes, welche sich an mein Herz legte –«
»Großer Gott, Louis!« rief die Kaiserin, »welcher Gedanke – –«
392 Napoleon erhob die Hand, um ihre weiteren Worte abzuschneiden, und sprach:
»Ich weiß das genau, – so etwas fühlt man, – die lebendige Natur schauert unter der ersten Annäherung ihrer Zerstörung – die Ärzte sagen mir, ich werde in einiger Zeit – immerhin in keiner kurzen Zeit – von diesem Anfall hergestellt sein, – ich glaube das, es mag möglich sein, – immerhin aber ist es gewiß, daß dies der Anfang vom Ende war –«
»Ich bitte Sie,« sagte die Kaiserin, in deren Blicken Angst und Besorgnis zitterten – »regen Sie sich nicht auf –«
»Ich bin ganz ruhig,« sprach der Kaiser, »und eben deshalb will ich an das Ende denken, dessen Möglichkeit mir durch diesen Anfall wieder so recht nahe vor Augen gestellt ist. – Eugenie,« sagte er, »wenn ich sterbe, muß die Regierung in Händen sein, welche das Vertrauen der liberalen Bourgeoisie besitzen, – denn ohne diese wird niemand eine Revolution machen, – und welche zugleich von Ihnen sich lenken lassen. – Ein Krieg zur Wiederherstellung der festen Grundlage unseres Thrones ist ja in diesem Augenblick unmöglich,« – er blickte seufzend auf seine blaß und abgemagert unter der gekräuselten Manschette hervorsehende Hand, welche fast derjenigen einer Leiche glich, – »ich kann in diesem Augenblick nichts tun«, sprach er dann weiter, »und bin vollauf beschäftigt, diese gebrochene Maschine wieder in Gang zu bringen,– Sie müssen das Erforderliche vorbereiten, Eugenie, – Ollivier –«
»Sie sind entschlossen, auf Ollivier zu greifen?« rief die Kaiserin mit funkelnden Blicken.
»Ich bin es,« sagte der Kaiser, –»ziehen Sie ihn heran, besprechen Sie alles mit ihm, so daß er sogleich Minister werden kann, sobald ich wiederhergestellt sein werde, – oder Ihr Regentschaftsrat, – wenn ich sterbe.«
Die Kaiserin blickte sinnend vor sich hin, – ein stolzes, freudiges Lächeln lag auf ihren Lippen.
»Ich stelle Pietri zu Ihrer Verfügung – er ist in alles eingeweiht, ihm können Sie vertrauen,« fuhr Napoleon 393 fort, – »vielleicht werden Sie noch besser mit Ollivier fertig als ich, – gehen Sie sogleich ans Werk, – dieser Mann wird nötigenfalls der Schild für die Unmündigkeit unseres Sohnes sein.
»Und nun, Eugenie,« sagte er, mühsam aufatmend, – »überlassen Sie mich dem Kampf gegen den Tod, – ich bedarf der Ruhe, – sie allein kann mir die Kraft geben, – und bitten Sie Gott,« fügte er sanft hinzu, »daß ich in diesem Kampfe Sieger bleibe!«
Die Kaiserin stand auf.
Noch einmal drückte sie die Hand ihres Gemahls und flüsterte leise, sich über ihn herabbeugend:
»Sie werden bald wieder kräftig und gesund werden und sollen dann mit mir zufrieden sein.«
Der Kaiser winkte ihr freundlich mit den Augen zu, – als sie sich dann abwendete und der Tür zuschritt, schloß er dieselben und blieb in starrer, leichenähnlicher Unbeweglichkeit auf seinen Kissen liegen.
Die Kaiserin schritt durch das Vorzimmer an den sich tief verneigenden Offizieren vom Dienst vorüber nach ihren Gemächern hin.
Als sie in ihr Zimmer getreten war, richtete sie sich stolz empor, – ihre Blicke leuchteten, ihre glühenden Lippen öffneten sich und leicht die Hand erhebend, als gebiete sie den unsichtbaren Geistern der Zukunft, sprach sie leise:
»Ollivier, – endlich, – alles fügt sich endlich meinem Willen, – ich werde Regentin sein, – ich werde meinen Krieg haben, – er – er wird mir meinen Krieg machen, den das Schicksal mir fast schon zu entreißen schien!«
Sie blickte eine Zeitlang unbeweglich vor sich hin, – immer stolzer erhob sich ihr Haupt, immer freudiger strahlten ihre Augen.
Dann trat sie zu ihrem Tisch und bewegte mit hellem Ton die Glocke.
»Ich lasse Herrn Pietri bitten«, sagte sie dem Salonkammerdiener, welcher eifrig davoneilte, um den Geheimsekretär des Kaisers zu Ihrer Majestät zu bescheiden. 394