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Friedrich II. regierte von 1740 bis 1786. Sein aufgeklärter Despotismus gilt als die höchste Form des modernen Absolutismus und zwar in beiderlei Sinn des Wortes: sowohl nach der Unbeschränktheit der fürstlichen Macht hin als auch nach der Verwendung dieser Macht für die Wohlfahrt des Volkes. Die eine wie die andere Behauptung bedarf aber der Einschränkung durch den Satz: innerhalb der Grenzen, die durch die ökonomischen Grundlagen dieses Despotismus gegeben waren. Die preußenfreundlichen Mythologen täten nachgerade wohl daran, sich endlich zu dieser wissenschaftlichen Auffassung zu bekehren; denn in dem holden Streite mit ihren preußenfeindlichen Gegenfüßlern müssen sie hundert Niederlagen gegen einen Sieg davontragen, wenn auf Grund der Einbildung gekämpft wird, daß die Macht Friedrichs unbeschränkt und daß es seine Pflicht gewesen sei, diese Macht im Interesse der Volksmasse zu handhaben.
Es ist richtig: Die Schranken des Despotismus, die beispielsweise in Frankreich und Österreich durch den Hof und die Kirche errichtet waren, bestanden für Friedrich nicht. Aber um so fester steckte er in dem eisernen Hemde des auf feudaler Grundlage, erwachsenen Militarismus. Sein beweglicher und lebendiger, obschon etwas flacher Geist war für literarische und philosophische Arbeiten wie geschaffen; Friedrich artete mehr nach der Mutter als nach dem Vater, war mehr Welfe als Hohenzoller, wie denn namentlich in seinen jungen Jahren die fremden Gesandten den »hannöverschen Typus« an ihm hervorheben. Unter den Welfen waren aber literarische Neigungen schon seit dem Mittelalter erblich; am Hofe Heinrichs des Löwen dichteten Vorläufer der höfischen mittelalterlichen Poesie; Herzog Heinrich Julius von Braunschweig, der Zeitgenosse Shakespeares, hielt an seinem Hofe eine Truppe englischer Schauspieler und schrieb selbst Theaterstücke; Herzog August gründete die Wolfenbütteler Bibliothek; Herzog Anton Ulrich dichtete Kirchenlieder und Romane; dann lebte Leibniz im Schutze des Welfenhauses, und Friedrichs Großmutter, die Königin Sophie Charlotte, im guten und schlimmen eine echte Welfin, zog ihn vorübergehend auch nach Berlin. Im Vorbeigehen lohnt es sich auch vielleicht zu bemerken, daß sich unter Friedrichs Urgroßmüttern ein französisches Edelfräulein befand, Eleonore d'Olbreuze, die Gemahlin eines welfischen Herzogs, die einige Tropfen frischen und munteren Blutes in das alte Geschlecht gesprengt hatte. Der schier unnatürliche Haß, mit dem Friedrich und sein Vater einander betrachteten, ein Haß, der sich dann zwischen Friedrich und seinem durchaus nach dem Vater artenden Bruder August Wilhelm, dem Stammvater der späteren Könige, wiederholte und hier in dem Tode des Bruders tragisch endete wie dort in der Enthauptung von Friedrichs Freunde Katte, läßt sich kaum anders als auf physiologische Ursachen zurückführen, sowenig damit auf den verleumderischen Hofklatsch über Friedrichs Mutter, dem selbst sein Vater zeitweise zugänglich war, irgend angespielt werden soll. Die wiederholten Heiraten zwischen Hohenzollern und Welfen ließen nur Friedrich, wie seine Schwester Wilhelmine und seinen Bruder Heinrich, stark auf den welfischen Typus zurückschlagen. Friedrichs Ehrgeiz strebte in erster Reihe nach dem Lorbeer des Dichters und Schriftstellers; als Mensch hat er sein ganzes Leben darnach gerungen; lieber wollte er Racines »Athalie« gedichtet als den Siebenjährigen Krieg geführt haben. Aber als König war er sich auch sein ganzes Leben darüber klar, unter welchen Bedingungen er überhaupt nur regieren könne. So führte er jenes Doppelleben, das einen manchmal schier unglaublichen Widerspruch zwischen seinen Taten und seinen Worten aufweist, das ihm so oft den scheinbar unwiderleglichen Vorwurf der Heuchelei eingetragen hat und das von seinen Bewunderern nicht minder oft durch die unwürdigsten Sophismen erläutert worden ist. Und doch hat Lessing schon den Sinn dieses Lebens treffend gezeichnet in den von Herrn Erich Schmidt und anderen für byzantinische Zwecke mißbrauchten Worten: »Wenn ich mich recht untersuche, so beneide ich alle itzt regierenden Könige in Europa, den einzigen König von Preußen ausgenommen, der es einzig mit der Tat beweist, Königswürde sei eine glorreiche Sklaverei.« In der Tat erkannte Friedrich von Anfang an, daß gemäß der preußischen Verfassung jeder preußische König unweigerlich den alten Kurs zu segeln hat, und darin, daß er auch nicht einmal versuchte, wider den Stachel zu löcken, obgleich ihm nach Anlagen und Neigungen eine solche Versuchung unter allen preußischen Königen weitaus am nächsten lag, wurzelt sein Anspruch auf historische Bedeutung oder – wenn denn einmal das Wort gebraucht werden soll – auf historische Größe.
Aber eben weil dazu ein nicht gewöhnlicher Charakter und ein nicht gewöhnlicher Geist gehörten, liegt es von vornherein auf der Hand, daß jene »Reformen Friedrichs im Innern«, von denen Lassalle spricht, niemals bestanden haben und niemals auch nur geplant worden sind. Friedrichs Thronbesteigung wurde ein Tag der Enttäuschungen, wie einer der schmerzlich Enttäuschten selber schrieb. Der von seinem Vater so arg mißhandelte »Querpfeifer und Poet«, der seine Uniform einen »Sterbekittel« genannt hatte, erließ das kurze und bündige Regierungsprogramm: Alles bleibt auf dem Fuße, auf dem mein Väter es eingerichtet hat; nur das Heer will ich um soundso viel Bataillone und Schwadronen vermehren. Die Mittel dazu gewann Friedrich zunächst durch die Auflösung des Riesenregiments, das sein Vater in einer närrischen Liebhaberei aus menschlichen, durch greuliche Gewalttaten und um wahnsinnige Summen aus allen Enden der Welt herbeigeschafften Kolossen zusammengesetzt hatte. Sonst änderte Friedrich aber nichts oder doch nichts Wesentliches an den Einrichtungen Friedrich Wilhelms I., weil er trotz aller philosophischen und poetischen Schwärmerei und trotz des schroffsten persönlichen Gegensatzes zu seinem Vater sehr wohl wußte, daß er nichts daran ändern konnte, daß der preußische Staat so bestehen mußte, wie er bestand, oder überhaupt nicht bestehen konnte.
Eine einzige wichtige Änderung scheint Friedrich nun aber doch an dem bisherigen Regierungssystem vorgenommen zu haben, nämlich die schon erwähnte Steigerung der fürstlichen Machtvollkommenheit, die in dem geflügelten Worte von dem Fürsten als dem ersten Diener des Staats ihren ideologischen Ausdruck gefunden hat. Da hat anscheinend doch der überlegene Wille eines kräftigen Herrschers einen tiefen Schnitt in die auf ökonomischen Grundlagen beruhende Verfassung des Staats getan. Allein dieser Schein trügt vollständig. Es vollzog sich hier ein ähnlicher Prozeß wie hundert Jahre vorher unter Friedrichs Urgroßvater. Damals verzichteten die Junker scheinbar auf ihre politischen Vorrechte, indem sie die Errichtung des fürstlichen Absolutismus durch das stehende Heer und die ständige Steuer zugaben, aber was sie in ihren verfallenen Ständetagen preisgegeben hatten, gewannen sie zehnfach durch die ökonomischen, sozialen und militärischen Vorrechte wieder, die ihnen der Absolutismus einräumen mußte, ehe sie ihm ihren Segen gaben. In ganz ähnlicher Weise regierte Friedrich II. mit einigen subalternen Schreibern aus seinem Kabinett den Staat, während tatsächlich unter seiner Regierung jenes Adelsregiment aufwucherte, das bei Jena ein schmachvolles, aber hundertfach verdientes wenn auch leider noch immer nicht endgültig besiegeltes Schicksal ereilt hat.
Die ideologische Geschichtsschreibung ist bisher unfähig gewesen, die Aufklärung des friderizianischen Despotismus zu analysieren; sie hat nur verstanden, mit preisenden oder scheltenden, mit schmeichelnden oder schimpfenden, aber stets ganz allgemeinen und leeren Redensarten darüber hinwegzutappen. Aber von der materialistischen Geschichtsauffassung wissen wir, daß die »Geschichte aller bisherigen Gesellschaft die Geschichte von Klassenkämpfen« ist. Das hatte Friedrich Wilhelm I. auf seine Weise ganz gut begriffen, Friedrich II. aber begriff es nicht. Wenn man unter aufgeklärtem Despotismus das Verständnis für die historische Möglichkeit und damit auch für die historische Berechtigung des Despotismus versteht, so war Friedrich Wilhelm I. ein sehr viel aufgeklärterer Despot als sein Sohn. Indem er der herrschenden Klasse des Junkertums, so gut er es vermochte, den Boden streitig machte, indem er sich ein fürstliches Heer, ein fürstliches Beamtentum zu schaffen suchte, indem er möglichst viel bürgerliche Elemente in die Staatsverwaltung zog, vertrat er den Despotismus, der nach den allgemeinen Zeitverhältnissen möglich und über die feudale Wirtschaft des Mittelalters hinaus ein historischer Fortschritt war. Friedrich dagegen besaß zwar jenes welfische Herrscherbewußtsein, das dem hohenzollernschen, wie alte und neue Beispiele zeigen, noch überlegen ist, aber von dem fürstlichen Klassenbewußtsein seines Vaters hatte er viel zuwenig. Friedrich Wilhelm I. witterte mit gutem Klasseninstinkte in der »Hoffart« seines Sohnes eine schwere Gefahr für den fürstlichen Despotismus; sie verhieß dem Junkerregimente, das er selbst auszurotten getrachtet hatte, eine neue Blüte. Selbst in seiner Küstriner Gefangenschaft, in einem Leben voll der schwersten Demütigungen, machte Friedrich ungezogene Bemerkungen darüber, daß adlige Landräte an den bürgerlichen Kammerdirektor Hille als an ihren Vorgesetzten berichten mußten, worauf Hille mit treffender Ironie erwiderte, die Welt sei allerdings auf den Kopf gestellt, wie könnten sonst Fürsten, die nicht recht klug wären oder sich nur mit Tand abgäben, vernünftigen Leuten Befehle erteilen? Die derbe Lektion fruchtete so wenig wie die Schläge des Vaters. Friedrich hat nie begriffen, daß die despotische Macht, die sein Vorgänger ihm vererbte, im Kampfe gegen das Junkertum erobert war und also auch nur im Kampfe gegen das Junkertum erhalten oder gar gesteigert werden konnte.
Dies in der Tat ist der springende Punkt, aus dem sich der Despotismus Friedrichs erklärt, soweit er sich von dem Despotismus seines Vaters unterschied. So töricht war der König nicht, den Selbstherrscher in dem Sinne spielen zu wollen, in dem er ihn nach den heutigen Bewunderern seines aufgeklärten Despotismus gespielt haben soll; um sich mit einem sic volo sic jubeo über die tatsächlichen Machtverhältnisse hinwegzusetzen, dazu war er viel zu einsichtig. Wollte er den ersten Diener des Staats vorstellen, wollte er sich unabhängig machen von dem Mitraten und Mittaten des Beamtentums, so mußte er den Adel bei seiner gnädigen Laune erhalten. Das wußte und berücksichtigte er sehr gut. Er überhäufte den Adel in sehr unphilosophischer Weise mit allen erdenklichen Begünstigungen und Vorrechten; er förderte die Junkerherrlichkeit in einer Weise, die seinem Vater ganz fremd gewesen war. Während Friedrich Wilhelm die Tüchtigkeit der Beamten an ihrer Widerstandskraft gegen die junkerlichen Interessen abmaß, empfahl Friedrich dem Generaldirektorium als den Hauptzweck der staatlichen Verwaltung die Erhaltung des Adels. Während Friedrich Wilhelm das Landratsamt den Junkern zu entreißen bemüht war, machte Friedrich das ständische Vorschlagsrecht nicht nur zu einem wirklichen Wahlrecht, indem er seine Bestätigung immer unweigerlich gab, sondern er schloß noch obendrein die Domänen, die Amtsstädte, die Güter in städtischem Besitze von der Wahl der Landräte aus. Und so in allem. Friedrich Wilhelm suchte den Klassenkampf mit dem Adel, Friedrich wich ihm aus. Was jener erkämpfen wollte, das wollte dieser erkaufen. Aber der Vater verstand viel besser, worauf es im Widerstreite der sozialen Interessen ankommt, als der Sohn. Mochte Friedrich Wilhelm im Kriege gegen das Junkertum verhältnismäßig wenig erreichen, es war tatsächlich viel mehr als das verhältnismäßig Große, das der berühmteste Selbstherrscher des achtzehnten Jahrhunderts erreicht zu haben schien. Die Steigerung der Souveränität, die Friedrich dem Adel abkaufen wollte, war ebendeshalb ein leerer Dunst. Er gab das Wesen der Macht hin für ihren Schein. Es kam hinzu oder vielmehr: Es hing mit der Verschiedenheit in dem fürstlichen Klassenbewußtsein der beiden Könige zusammen, daß Friedrich Wilhelm, der über wenig mehr als zwei Millionen Einwohner herrschte, täglich fünf bis sechs Stunden mit seinen Kabinettsräten, mit dem Generaldirektorium arbeitete; Friedrich II. aber, unter dem die Bevölkerungsziffer auf sechs Millionen anwuchs, machte täglich – mit Ausnahme der militärischen Revuen – alles in anderthalb Stunden ab, ohne die Minister zu hören, ja mit geflissentlicher Mißachtung und Mißhandlung des Beamtentums. Menschlich mag es sehr wohl zu verstehen sein, daß ein geistig angeregter Mann sich möglichst schnell aus dem eintönigen und traurigen Räderwerk dieses Staatswesens zu seinen Dichtern, Musikern und Philosophen flüchtete; politisch ist es aber klar, daß Friedrich, der auf diese Weise das ganze staatliche Getriebe bis auf die kleinste Einzelheit zu übersehen und zu leiten glaubte, tatsächlich gar wenig übersah und leitete. Die wirkliche Regierung fiel dem Adel um so sicherer zu, als Friedrich ihm auch, abermals in scharfem Gegensatze zu seinem Vater, alle maßgebenden Stellen der bürgerlichen Verwaltung eingeräumt hatte. Der glänzende Schein seines aufgeklärten Despotismus verhüllte einzig ein wucherisches Junkerregiment. So setzt die Dialektik der ökonomischen Entwicklung, je »genialer« sie mißachtet wird, sich um so rücksichtsloser und verhängnisvoller durch.
Nach alledem kann von »Friedrichs Reformen im Innern« so wenig gesprochen werden, daß im Gegenteile unter seiner Regierung der preußische Militärstaat schon von der Höhe herabsank, die er unter Friedrich Wilhelm erreicht hatte. Als Friedrich den Thron bestieg, hatte er sich mit allerlei literarischen und philosophischen Fragen befaßt, aber seine staats- und volkswirtschaftlichen Kenntnisse waren selbst für den Maßstab seiner Zeit sehr lückenhaft und unvollständig; die patriotische Fabel von dem praktischen Kursus, den er während seiner Küstriner Gefangenschaft in diesen Dingen gemacht haben soll, ist gegenüber den urkundlichen Zeugnissen selbst von den loyalen Geschichtsschreibern aufgegeben worden. Den Kleinbetrieb der Verwaltung, den er nach dem Willen seines Vaters in Küstrin lernen sollte, hat er nicht gelernt, nicht einmal lernen wollen; darüber sind die Klagen der Küstriner Behörden unerschöpflich, und der Kammerdirektor Hille tröstete sich mit der Hoffnung, daß er als Regent sich um die kleinen Einzelheiten nicht kümmern werde. Koser, Friedrich der Große als Kronprinz, 91 f. Aber bekanntlich kümmerte sich Friedrich als erster Diener des Staats um jeden Quark, und dazu verknöcherte die Art seines Selbstherrschertums noch die sehr unreifen Ansichten, mit denen er die Regierung angetreten hatte. Mit Recht hebt ein bürgerlicher Ökonom hervor, daß Friedrich, wie er selbst und seine Dienerschaft im Jahre 1786 nicht anders gekleidet gingen wie im Jahre 1740, so auch in anderen »wichtigeren Dingen zeitlebens bei den Anschauungen beharrte, die er als Kronprinz gewonnen hatte« Roscher, Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland, 414.. In den zwölfhundert Kabinettsordern, deren Wortlaut Preuß in den Urkundenbüchern zu Friedrichs Lebensgeschichte veröffentlicht, kann man von Jahr zu Jahr verfolgen, wie der König nicht eigentlich beschränkter – denn die Beschränktheit blieb immer dieselbe –, wohl aber eigensinniger und höhnischer gegen die fortschreitende Erkenntnis der Zeit wurde, und der vielgepriesene »Geist« dieser Verordnungen besteht tatsächlich nur in bald guten, bald schlechten, aber immer gleich peinlichen Witzen, worüber schon Lessing das erschöpfende Urteil gefällt hat: »Gott hat keinen Witz, und die Könige sollten auch keinen haben, denn hat ein König Witz, wer steht uns für die Gefahr, daß er deswegen einen ungerechten Ausspruch tut, weil er einen witzigen Einfall dabei anbringen kann?« Dieser Gefahr ist Friedrich immer wieder erlegen, und nicht zum wenigsten deshalb ging bei seinem Tode ein frohes Aufatmen durch die ganze Bevölkerung, weil sein Despotismus, wie in den Grundsätzen beschränkt und zäh, so in ihrer Handhabung launenhaft und willkürlich war. Goethe hörte bei einem Besuche in Berlin »über den großen Menschen seine eigenen Lumpenhunde räsonieren«; schade, daß er nicht ein paar Jahre unter dem Zepter Friedrichs lebte, um zu einem gründlichen Verständnisse dessen zu gelangen, was es mit den »Lumpenhunden« einer- und den »großen Menschen« andererseits auf sich hat.
In erster Reihe das Heer, das Rückgrat des Militärstaats, verfiel unter Friedrich. Es ist lehrreich zu sehen, wie es ihm auch hier im Gegensatze zu seinem Vater mehr auf den Schein als das Wesen der Macht ankam. Während Friedrich Wilhelm I. die ökonomische Ausbeutung des Heeres durch die Junker nach Kräften hinderte, aber die Offiziere als seine Kameraden behandelte und den kameradschaftlichen Geist unter ihnen pflegte, ließ sein Sohn dem ausbeuterischen Treiben der Junker die Zügel schießen, während er sich nach dem Satze: Teile und herrsche! über die Offiziere als unnahbarer Kriegsherr aufzuschwingen und sie in jeder Weise zu schikanieren suchte. Gleich nach seiner Thronbesteigung stellte Friedrich dem Feldmarschalle seines Vaters, dem Fürsten von Dessau, einen andern Feldmarschall in dem Grafen Schwerin entgegen, und indem er bald den einen, bald den andern vorzog, bald den einen, bald den andern zurücksetzte, verhetzte er sie mit so glücklichem Erfolge, daß sich durch das ganze Offizierkorps eine anhaltinische und eine schwerinische Partei bildete, die dann auch nach dem Tode ihrer Häupter sich zu befehden fortfuhren. Ein ähnlicher Zwiespalt wie an der Spitze des ganzen Heeres wiederholte sich an der Spitze jedes einzelnen Regiments, indem Friedrich die Beziehungen zwischen Chef und Kommandeur in »einer nicht genau bestimmten Mischung von Subordinations- und sogenannt kollegialischem Verhältnisse« beließ. Fouqué, Lebensbeschreibung des Generals Fouqué, 55. Bekannt ist der eifersüchtige Neid, womit Friedrich im Kriege jeden General verfolgte, der ihn selbst verdunkelte oder auch nur zu verdunkeln schien; wie oft haben Schwerin und Seydlitz seine »Ungnade« erfahren müssen! Aber die Verehrer des Königs tun ihm zuviel, wenn sie als eine Schwäche seines persönlichen Charakters zu beschönigen suchen, was tatsächlich nur eine Schwäche seiner sozialen Stellung war. Friedrich war durchaus kein miles gloriosus; in seinen Schriften spricht er mit anständiger Bescheidenheit von seinen kriegerischen Erfolgen, mit anständiger Offenheit von den Mißgriffen seiner Feldherrnlaufbahn. Aber er glaubte den unumschränkten Kriegsherrn nur so spielen zu können, daß er keinen Junker zu einer überragenden Stellung im Heere kommen ließ. Nach dem Siebenjährigen Kriege ernannte er überhaupt keinen Feldmarschall mehr und kaum zwei oder drei Generale; bei seinem Tode war unter den aktiven Offizieren des Heeres nur ein einziger, auch schon halb abgedankter General, der alte Tauentzien, Lessings bekannter Freund.
Während der König aber auf diese Weise die militärische Tüchtigkeit des Offizierkorps verringerte, ließ er seiner ökonomischen Entartung den freisten Spielraum. Er verstand nicht seines Vaters Meinung, daß des Königs Kriegsknecht es besser haben müsse als des Gutsherrn Ackerknecht; er gestattete dem Offizier, den Kriegsknecht auszubeuten, wie nur immer der Junker den Ackerknecht ausbeuten mochte. In der ersten Hälfte von Friedrichs Regierung hielt die alte Überlieferung, die ewige Kriegsnot, vielleicht auch die frischere Kraft des Königs das Gefüge des Heeres noch einigermaßen aufrecht trotz aller Mißbräuche, die auch damals schon eingerissen waren. Nachdem aber der Siebenjährige Krieg das alte Heer verschlungen hatte, wußte Friedrich nur ein neues Heer zu schaffen, das schon bei der ersten Probe; im Bayerischen Erbfolgekriege von 1778, vollständig versagte. In dem einen Feldzuge verlor es mehr Mannschaften durch Desertion als im ganzen Siebenjährigen Kriege. Friedrich war überrascht, aber er wurde keineswegs durch den argen Mißerfolg belehrt. Er war wohl flink bei der Hand mit dem Kassieren einzelner Offiziere, aber er änderte nichts an seinem falschen System. Während schon zu seiner Zeit scharfsichtige Beobachter erkannten, daß dies Heer verfallen mußte, weil es mehr und mehr von einer bevorzugten Klasse ausgebeutet wurde, warf Friedrich die bürgerlichen Offiziere, die er in den letzten Notjahren des Siebenjährigen Krieges hatte ernennen müssen, nach dem Frieden trotz aller Verdienste einfach aufs Pflaster und füllte die Lücken lieber durch adelige Abenteurer aus der Fremde, denn er sah nun einmal »den ersten Schritt zum Verfalle des Staats« in der Anstellung bürgerlicher Offiziere. Œuvres, 9, 186.
Hier aber lag die Wurzel des Übels. Die Kompaniewirtschaft der Junker, die Friedrich Wilhelm möglichst in Schranken zu halten suchte, nahm unter Friedrich zunächst folgende Gestalt an. Der König zahlte Jahr für Jahr die Monatslöhnung von drei Taler fünf Groschen auf den Gemeinen für die gesamte Kopf stärke der Kompanie. Die Exerzierzeit war aber schon von drei Monaten auf zwei zusammengeschrumpft; während zehn Monaten des Jahres durften die Hauptleute 50 bis 60 von den etwa 70 Inländern der Kompanie beurlauben und den entsprechenden Betrag der Gesamtlöhnung in die Tasche stecken. Dafür waren sie verpflichtet, den Bestand der Ausländer, 50 bis 60 Mann auf die Kompanie, vollständig zu erhalten, und zwar in bestimmten Größen – nicht unter fünf Fuß zehn Zoll. Im allgemeinen rechnete man den jährlichen Abgang von Ausländern bei einer Kompanie auf vier Mann, zu deren Ersatz ungefähr 500 Taler nötig waren. Ferner hatten die Kompaniechefs für die Instandhaltung der gelieferten und den Ersatz der fehlenden kleinen Montierungsstücke zu sorgen. Immer aber blieb ihnen ein bedeutender Reingewinn. Jähns, 3, 2259. Nach Pertz, Gneisenau, 1, 51, bezog selbst Gneisenau, an dem kein Verdacht unredlichen Gewinns haftet, von seiner Kompanie bis 2000 Taler jährlich. Die Beschaffung der großen Montierungsstücke (Rock, Hose, Weste, Hut oder Mütze, Strümpfe und Reiterstiefel) besorgte die Kleiderkasse des Regiments, für die jedem Unteroffizier und Gemeinen ein Teil der Löhnung abgezogen wurde; von dem monatlichen Solde gingen ein Taler fünf Groschen für Kleider und sonstige Regimentsunkosten drauf.
Diese Kompaniewirtschaft rührte im wesentlichen noch aus Friedrich Wilhelms Zeit her, sosehr sie unter Friedrich auch schon dadurch verschlechtert worden war, daß jedes Gegengewicht gegen die durch diese ganze Wirtschaft immer wieder angereizte Ausbeutungslust der Junker fehlte. Nach dem Siebenjährigen Kriege entschloß sich der König aber zu einer »Reform«, die dem Fasse den Boden ausschlug. Er entzog nämlich einem großen Teil der Regimenter, besonders denen, die im Kriege seine Unzufriedenheit erregt hatten, die eigene Werbung. Er ließ den betreffenden Kompaniechefs etwa noch 30 oder 20 oder auch nur 10 Beurlaubte zugute kommen, den Rest nahm er auf eigene Rechnung, wofür aus der sogenannten »großen Werbung«, die er selbst betrieb, die abgehenden Ausländer ersetzt wurden.
Zunächst ergab sich daraus eine erhebliche Verschlechterung des Menschenmaterials. Bei der eigenen Werbung hatten die Kompaniechefs immerhin ein gewisses Interesse, auf einen möglichst starken und zuverlässigen Menschenschlag zu sehen; je weniger Abgang von Ausländern sie hatten, um so größer war ihr Profit. Des Königs Werbeoffiziere hatten gerade im Gegenteile das Interesse, den verrufensten Menschenkehricht aus aller Herren Länder aufzutreiben, denn der war am billigsten zu haben, und je billiger sie warben, um so mehr profitierten sie an den Werbegeldern. »Es gibt Offiziers, die den Menschenhandel so gut verstehen wie die Juden, welche den Engländern und Franzosen ihre Sklaven für die Kolonien liefern«, schrieb der preußische Leutnant Rahmel, nachdem er in den amerikanischen Dienst übergetreten war. Boyen aber schreibt von den Ergebnissen der »großen Werbung«, man könne ohne Übertreibung sagen, daß von den jährlich in die Armee eintretenden ausländischen Rekruten höchstens die Hälfte leichtsinnige, aber nicht durchaus verdorbene Menschen waren, während die andere Hälfte aus nichtsnutzigen Wesen bestand, die das Desertieren aus einem Dienste in den andern, um sich im neuen Handgeld berauschen zu können, zum Gewerbe ihres Lebens machten, in der Zwischenzeit aber durch Betrug und Diebstahl sich eine Zulage in ihrer Garnison zu erhaschen suchten. Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Hermann v. Boyen, 1, 195 ff. Boyen ist der berühmte Schüler von Scharnhorst, der Freund und Gesinnungsgenosse von Gneisenau, Grolman, Clausewitz, der preußische Kriegsminister von 1814 bis 1819, der nach dem endgültigen Siege der junkerlichen Reaktion in den Karlsbader Beschlüssen sein Amt niederlegte. Seine Memoiren sind ein höchst bedeutendes Werk, das unter der preußischen Legende die fürchterlichsten Verheerungen anrichtet, worauf hier leider nicht näher eingegangen werden kann. Es sei aber ausdrücklich erwähnt, daß die obige Darstellung der friderizianischen Kriegsverfassung teils auf Boyens Memoiren, teils auf dem großen, schon mehrfach angezogenen Werke des Generalstabsmajors Jähns beruht. Andere Quellen, wie das bekannte von der preußischen Geschichtsschreibung als tendenziös angefochtene und jedenfalls nicht in gleichem Maße quellenmäßige Werk von Mirabeau-Mauvillon, sind absichtlich unberücksichtigt geblieben. Um dies Gesindel, dessen unausgesetzte Exzesse den Soldatenstand in den übelsten Ruf brachten, einigermaßen bändigen und an die Fahne fesseln zu können, war die gewaltsamste Behandlung notwendig, und diese wirkte dann wieder im höchsten Grade demoralisierend auf die besseren Elemente der Truppe zurück. Um nur eins zu erwähnen: Man legte den schlechten Soldaten, namentlich zur Überwachung während der Nacht, zu einem guten ins Zimmer; gelang dem schlechten dennoch die Desertion, so mußte der gute unbarmherzig Spießruten laufen. Die Soldatenmißhandlungen stiegen ins Unerträgliche; die »abscheulichen Stubenexekutionen« gewannen damals zuerst ihren unheimlichen Ruf; Selbstmord und Wahnsinn rafften die noch nicht jeden Ehrgefühls baren Rekruten dahin. Wie der Reichskanzler v. Caprivi noch nach dem Erscheinen von Boyens Erinnerungen, von allen andern urkundlichen Zeugnissen abgesehen, im Reichstage bestreiten konnte, daß die Soldatenmißhandlungen der Kitt des friderizianischen Heeres gewesen seien, ist ein völliges Rätsel. Der Stock gehörte zu diesem Heere wie der Schatten zum Körper, und wenn er leider auch noch im deutschen Heere der Gegenwart eine jammervolle Rolle spielt, so geschieht es deshalb, weil dies Heer eben kein »Volk in Waffen« ist, sondern mit der allgemeinen Wehrpflicht wesentliche Teile der friderizianischen Kriegsverfassung verbindet. Solange es ein bevorrechtetes, als besondere Kaste von Heer und Volk abgesondertes Offizierkorps, eine besondere militärische Gerichtsbarkeit, grausame Arreststrafen, die an gewissem Raffinement fast noch die friderizianischen Kriegsartikel überbieten, und anderes der Art mehr gibt, werden auch die Soldatenmißhandlungen nicht aufhören. Mit Verboten ist dagegen nichts zu machen. Sie sind gar nicht einmal eine Errungenschaft »moderner Humanität«, sondern auch nur eine Überlieferung des Söldnerheeres; das erste Verbot der Soldatenmißhandlungen hat sogar schon der Kurfürst Friedrich Wilhelm am 29. Januar 1688 erlassen. Die Mißhandlungen, die darin gerügt sind, können sich übrigens nicht entfernt mit den schaudererregenden Torturen messen, die der bekannte Erlaß des Herzogs Georg von Sachsen aufzählt. Und mit alledem noch nicht genug. Die inländische Rekrutierung verdarb auf diese Weise auch vollständig. Der Kriegsdienst war die entehrendste und peinvollste Strafe in preußischen Landen geworden und wurde zuletzt vom Könige auch als solche verhängt, so über Preßvergehen, wie wir schon gesehen haben. Die natürliche Folge davon war, daß alle Bevölkerungsklassen, die überhaupt noch etwas zu verlieren hatten, vom Kriegsdienste »eximiert« werden mußten. Man durfte gar nicht daran denken, den höherentwickelten westlichen Landesteilen mit der Kantonpflicht zu nahen, eine ökonomische Notwendigkeit, deren bitteren Beigeschmack sich Friedrich durch die Behauptung versüßte, daß der rheinisch-westfälischen Bevölkerung »Treue und Ausdauer im militärischen Dienstverhältnis fehle«. Aber auch in den ostelbischen Provinzen reichten die »Exemtionen« herab bis auf die Arbeiter, die »nützliche Gewerbe trieben«. Für die Enrollierung blieb nur übrig einerseits landstreicherisches und verbrecherisches Gesindel, andererseits die – ärmste Armut, der jedes Mittel zur Flucht und zum Widerstande fehlte, es sei denn, daß die einen sich den Daumen verstümmelten, was den König zu besonderen verbietenden Edikten veranlaßte, oder daß die anderen sich für Schinder- und Scharfrichterknechte ausgaben, welche erdichtete Infamie sie im Bayerischen Erbfolgekriege aber auch nicht vor Aufnahme in die Freikorps schützte. Treffend nennt Boyen die Rekrutierung unter Friedrich eine »an der Armut ausgeübte Gewalttat«.
Ferner aber hatte die »Reform« des Königs noch eine andere verhängnisvolle Seite. Wenn er die Einkünfte der Junker-Offiziere durch die »große Werbung« schmälerte, so waren diese braven Patrioten keineswegs geneigt, sich ihren Profit schmälern zu lassen. Für das, was ihnen der Kriegsherr nahm, erholten sie sich an dem Kriegsknechte. Die Kompaniechefs bewirtschafteten ihre Aushebungsbezirke wie eine Art Eigentum; das Grauen der Bevölkerung vor dem Kriegsdienste gab ihnen trotz aller »Exemtionen« willkommenen Anlaß zu allerlei Erpressungen; mit barem Gelde mußten sich die Kantonisten, auch wenn sie gar nicht zum Kriegsdienste herangezogen werden durften, die Erlaubnis zur bürgerlichen Niederlassung und zur Verheiratung einhandeln. Dann aber wurde eine neue Form der Beurlaubung erfunden. Der König hatte 1763 bestimmt, daß wenigstens 76 sogenannte Diensttuer auf die Kompanie beständig bei den Fahnen bleiben sollten, aber bald mußte er nachgeben, daß auch von diesen 76 noch 26 Mann als Freiwächter, das heißt, da es sich zumeist um Ausländer handelte, innerhalb der Garnisonmauern beurlaubt werden konnten. Aus den 26 machten die Hauptleute aber oft 40 und noch mehr, so daß für zehn Monate des Jahres höchstens 50 bis 40 Mann auf die Kompanie bei den Fahnen standen; der Sold der Freiwächter, die selber sehen mochten, wo sie Beschäftigung fanden, fiel in die Tasche der Hauptleute. In dasselbe Gebiet gehört es auch, daß die inländischen Rekruten, die bei ihrem Eintritt in das Heer zunächst ein Jahr unter den Waffen bleiben sollten, schon nach einmaliger Exerzierzeit ohne jede Rücksicht auf ihre militärische Ausbildung beurlaubt wurden. Weiter wurden die Kleiderkassen wahre Goldgruben für die Junker-Offiziere. Sie verschlechterten die Montierungsstücke, um in ihren eigenen Geldbeutel zu wirtschaften. Sie kürzten den Schnitt der Röcke, wodurch eine bedeutende Anzahl Ellen des Zeuges gespart wurden. Die Weste der Soldaten wurde nach und nach von der junkerlichen Profitwut ganz verspeist; man begann damit, ihre Ärmel abzuschneiden und endete damit, sie durch einen zwischen den vorderen Rockklappen angenähten Lappen zu markieren. Ein leckeres Gericht für die Hauptleute war auch das Schuhzeug der Mannschaft; »wenn Dido«, so schreibt der schon erwähnte Leutnant Rahmel, »aus einer Kuhhaut den Platz zur Erbauung einer Stadt schnitt, so wollen die Kapitäns aus den Schuhsohlen ihrer Kompanie den Plan zu ein paar Rittergütern schneiden«. Anderes, beispielsweise wie bei der Lieferung der Fourage für die Kavallerie die Bauern übers Ohr gehauen wurden, wie in den Listen gestorbene Soldaten als lebend fortgeführt, wie bei den Revuen die Lazarette ausgeleert wurden, um die Rotten zu füllen, und sonstige Einzelheiten dieses höchst raffiniert ausgebildeten Gaunersystems übergehen wir; die angeführten Tatsachen genügen zur Erklärung dafür, daß Boyen die Offiziere dieses friderizianischen Heeres nicht mehr Soldaten, sondern »wuchernde Krämer« nennt.
All dem Unwesen sah der König ruhig zu. Höchstens daß er mal eine Order gegen das Überhandnehmen der Freiwächter erließ, aber wenn sie nicht half, so gab er sich auch zufrieden. In dem Heere selbst fehlte jede Kontrolle, denn auch wenn der Hauptmann zum Obersten oder General aufrückte, behielt er eine Kompanie; diesen Fleischtopf nahm er bis zu den höchsten Chargen mit, und da somit alle höheren Offiziere Krähen waren, so hackte keiner dem andern die Augen aus. Was dabei aus dem kriegerischen Geiste dieser Offiziere wurde, liegt auf der Hand. Die preußischen Historiker pflegen, wenn sie das friderizianische Heer feiern, als drastischen Gegensatz die Kriegsknechte des Bischofs von Hildesheim anzuführen, an deren Hüten geschrieben stand: Gib Friede, Herr, in unsern Tagen! Nun, an den Hüten der preußischen Hauptleute und Obersten war das freilich nicht zu lesen, aber um so breiter stand das friderizianische Offizierkorps nach dem Siebenjährigen Kriege auf diesem frommen Wunsche. Denn da die »wuchernden Krämer« nur im Frieden ausbeuten konnten, so begreift man leicht, wie anfeuernd der Krieg auf den »Heldengeist« dieses »Heldenheeres« wirkte. Erst die ökonomischen Voraussetzungen des friderizianischen Heeres erklären die ganze Schmach von 1806, erklären den feigen Verrat der Junker-Offiziere, erklären das frohe Aufatmen, womit viele Tausende von Soldaten nach der Niederlage die Fahnen verließen, erklären endlich die ingrimmige Freude der Bevölkerung über die zermalmenden Schläge, mit denen die »Federbüsche« für den scheußlichen Wucher von Jahrzehnten gestraft worden waren. Aber es ist fraglich, ob das Heer zur Zeit von Jena noch ganz so schlecht war wie in den letzten Jahrzehnten des Königs Friedrich. Denn etwas von dem Hauche der Französischen Revolution war doch über die Elbe gedrungen, und einzelne Offiziere wie Scharnhorst, Blücher, Gneisenau, auch tüchtige Junker wie Yorck hatten gar manches an der Heeresverfassung gebessert.
Während nun aber Friedrich in der Militärverwaltung den junkerlichen Offizieren völlig freie Hand ließ, führte er in der Zivilverwaltung einen wahrhaft selbstmörderischen Krieg gegen das Beamtentum, in dem sein Vater sich eine Stütze der königlichen Gewalt gegenüber den Junkern zu sichern gesucht hatte. Auch die Bürokratie wurde wenigstens in ihren maßgebenden Stellen von bürgerlichen Elementen gereinigt; während seiner ganzen Regierung hat Friedrich nur einen bürgerlichen Minister ernannt. Ebenso gehörten die Landes- und Provinzialkollegien dem Adel; einzig als Präsidenten der Oberrechenkammer bevorzugte der König, bezeichnend genug, Bürgerliche. Immerhin hatte sich ein gewisses Klassen- und Pflichtbewußtsein in der Bürokratie erhalten, und es gereichte dem Generaldirektorium zur Ehre, als es sich nach dem Siebenjährigen Kriege der Absicht des Königs, für militärische Zwecke den jährlichen Steuerertrag um zwei Millionen Taler zu erhöhen, entschieden widersetzte und jede weitere Belastung des Volkes für unmöglich erklärte. Man muß sich nur die damaligen Zustände des Landes vergegenwärtigen, die Schmoller folgendermaßen schildert: »Zu Ende des Krieges waren die preußischen Provinzen in einem entsetzlichen Zustande; die Menschen-, Vieh-, Kapitalverluste waren übermäßig; ein Drittel der Berliner lebte von Armenunterstützung; in der Neumark gab es notorisch fast kein Vieh mehr; Tausende von Häusern und Hütten waren niedergebrannt; eine volkswirtschaftliche Krise der schlimmsten Art folgte dem Frieden und dauerte noch mehrere Jahre.« Somit war das Generaldirektorium in seinem guten Rechte, wenn es dem bis auf den Tod erschöpften Lande zu den schon bestehenden schweren Lasten nicht noch neue Steuern auferlegt wissen wollte. Vielleicht war das Verständnis der Bürokratie für die Leiden der Bevölkerung auch dadurch geschärft worden, daß die Beamten während der letzten vier Kriegsjahre statt ihrer Gehälter sogenannte »Kassenscheine« erhalten hatten, die beim Wechsler nur mit vier Fünftel Verlust untergebracht werden konnten und die nach dem Frieden von den königlichen Kassen mit dem schlechten Kriegsgelde, also mit ungeheurem Kursverlust, eingelöst wurden.
Statt nun aber auf den pflicht- und sachgemäßen Einspruch des Generaldirektoriums zu hören, benützte der König die willkommene Gelegenheit, dem preußischen Beamtentum einen letzten, vernichtenden Schlag zu versetzen. Er ließ aus Frankreich einen Haufen von Steuer- und Zollbeamten kommen, »eine Bande unwissender Spitzbuben«, wie Hamann sagte; »Sansfassons und Raubmarquis, die man zur Ferme kommen ließ«, wie Bürger in einer Ballade sang; »lauter Schurkenzeug«, wie der König selbst nach fast zwanzigjähriger Bekanntschaft sie nannte. Ihnen übertrug er die Verwaltung der Akzise und der Zölle, denn aus den direkten Steuern war – wir werden gleich sehen, weshalb nicht – nichts mehr herauszupressen. Wie das so in Preußen alte Sitte ist, wurde die Erhöhung der Steuerlast abermals als eine »Reform« der Steuern ausposaunt. Der König sagte dem Franzosen de Launay, dem Leiter der neuen »Generaladministration der königlichen Gefälle«, die im Volksmunde den kürzeren Namen der Regie erhielt: »Nehmen Sie nur von denen, die bezahlen können; ich gebe sie Ihnen preis.« In einem Briefe an Launay nannte er sich den Anwalt der Arbeiter und Soldaten, deren Vorteile er bei der Steuerverwaltung wahrzunehmen habe, und in einem öffentlichen Patente erläuterte er die »Reform« der Steuern dahin, daß »die Reichen mit ihrem Überfluß in gewisser Weise zur Entlastung der Armen beitragen und daß zwischen beiden ein gerechtes und verständiges Verhältnis besteht«. Dies sind die Sätze, auf denen die schöne Legende des friderizianischen »Sozialismus« beruht. Schade nur, daß die Apostel dieser Legende sich an der Bewunderung von Friedrichs Worten genügen lassen und stets hinzuzufügen vergessen, daß seine Taten über seine Worte dahinjagten wie ein Regiment schwerer Kavallerie über den Töpfermarkt.
Beispielsweise hatte der »Anwalt der Arbeiter und Soldaten« mit Worten die denkbar höchste Steigerung der Weinsteuer befürwortet, denn »so was bezahlt der Arme nicht«, dagegen eine Herabsetzung der Branntweinsteuer verlangt und höchstens eine kleine Steigerung der Biersteuer zugelassen. Dagegen verfügte der König mit Taten eine kleine Erhöhung der Weinsteuer, eine Steigerung der Branntweinsteuer mindestens um die Hälfte und die Verdoppelung der Biersteuer. In Wirklichkeit brachte die Regie den Volksmassen einzig eine teilweise Ermäßigung der Brotsteuer; dagegen erhöhte sie in mehr oder minder erheblichem Maße die Steuern auf Fleisch und Getränke, fügte sie zu dem drückenden Salzmonopol ein ebenso drückendes Tabak- und Kaffeemonopol, unterwarf sie überhaupt alles, was der Mensch zum Leben und Sterben braucht, der Akzise, so daß beispielsweise das Verzeichnis der Akzisegegenstände für Berlin 107 Folioseiten umfaßte, deren jede durchschnittlich 30 bis 40 Artikel enthielt. Befreit von allen diesen Lasten blieb nach wie vor die reichste Klasse der Bevölkerung, nämlich der Adel. Zwar wollten die »Sansfassons und Raubmarquis«, die es sich nicht vergebens hatten sagen lassen, daß ihnen die wohlhabenden Klassen preisgegeben seien, und denen ohnehin in beklagenswerter Weise das historische Verständnis für die durch Lug und Trug ergatterte Steuerfreiheit der Junker fehlte, auch dem Adel ihre Schröpfköpfe ansetzen, aber hier legte der König ein sehr entschiedenes Veto ein. Nominell war zwar das platte Land überhaupt von der Akzise frei, aber da ebendeshalb der Betrieb von Handwerk und Industrie mit wenigen Ausnahmen auf dem Lande verboten war, so mußte die ländliche Bevölkerung, was sie an Kleidung und Nahrung, an Arbeitswerkzeugen und Genußmitteln nicht selbst produzierte, aus den Städten entnehmen und in dem Preise, den sie dort entrichtete, auch die Verbrauchssteuer mit bezahlen. Hier also mußte die »gesetzliche« Steuerfreiheit des Landadels gegen die Gelüste der Regie noch besonders verpanzert werden, und so verfügte Friedrich, daß, was die Junker an Bier, Wein und sonstigen steuerpflichtigen Gegenständen auf ihre Güter einführten, von der Akzise völlig befreit sein solle. Dagegen mußte der Bauer in dem Pfluge, mit dem er arbeitete, in dem Rocke, mit dem er zur Kirche ging, in dem Glase Bier oder der Pfeife Tabak, mit denen er auf Augenblicke seine nagenden Sorgen betäubte, auch noch zur Akzise mitsteuern.
Trotz alledem erreichte der König seinen Zweck nicht; die Regie hat ihm die jährlichen Mehreinkünfte nicht in dem ersehnten Maße gebracht. Nach den günstigsten Berechnungen hat sie in den 21 Jahren ihres Bestehens etwa ebenso viele Millionen Mehrertrag abgeworfen, nach den wahrscheinlichsten noch erheblich weniger, etwa 700 000 bis 800 000 Taler fürs Jahr. Und mit Recht hat schon der alte loyale Preuß hervorgehoben, daß diese höheren Einnahmen in der langen, nur durch ein Kriegsjahr unterbrochenen Friedenszeit von 1766 bis 1787 »durch erhöheten Wohlstand und vermehrte Bevölkerung bei redlicher Verwaltung« gleichfalls erzielt worden wäre. Die Ursachen des Mißlingens liegen auch auf der Hand. Die Kosten der Akzise- und Zollverwaltung stiegen durch die Regie von 300 000 auf 800 000 Taler; außerdem waren die französischen Beamten durch Tantiemen beteiligt, und die meisten wirtschafteten daneben in ihre Taschen. Dazu kam, daß eine so drückende und raffinierte Besteuerung ununterbrochene Defraudationen erzeugte. Zwar bedrohte der König die Hinterziehungen der Akzise mit sehr schweren Strafen, und zu ihrer Verhütung entstand ein wahrhaft scheußliches Denunziations- und Spioniersystem, aber das alles half, wie immer in solchen Fällen, wenig oder nichts. Die Masse der Bevölkerung stand eben hinter den Schmugglern, und von Gewissensbedenken brauchte sie sich um so weniger plagen zu lassen, als der Schmuggel, soweit es sich um die Einschwärzung preußischer Waren durch die Zollschranken der benachbarten Gebiete handelte, keinen eifrigeren Beschützer besaß als den König. Unter diesen Umständen war es noch eine Art grönländischen Sonnenscheins, daß wenigstens das Haupt der französischen Beamten gerade kein »unwissender Spitzbube« war. Nicht als ob Launay irgendwelche Anwandlungen von sentimentalem Mitleid mit der so arg ausgebeutelten Bevölkerung gehabt hätte, aber von den technischen Möglichkeiten der Volksauspressung hatte er richtigere Begriffe als Friedrich. Er ließ sich eine fast unumschränkte Vollmacht über die Akzise- und Zollverwaltung sowie über ihre Beamten geben; er nahm für sich und drei ihm anfangs beigeordnete Regisseure Jahresgehälter von je 15 000 Taler an, während der ihnen anfangs zum Scheine vorgesetzte Minister v. Horst nur 4000 Taler bezog. Aber als der König für die Berechnung der Tantiemen ihm und seinen Genossen 25 Prozent von dem Überschusse anbot, den sie über den Reinertrag der Akzise im Etatsjahre 1764/1765 erzielen würden, hob Launay hervor, daß dieser Ertrag wegen der Nachwirkungen des Krieges mit noch nicht ganz 3½ Millionen Talern nicht normalmäßig sei; er ließ als Norm erst den Reinertrag von 1765/1766 mit etwas über 4½ Millionen gelten, und von dem über diese Summe zu erzielenden Überschusse beanspruchte er auch nur 5 Prozent Tantiemen. Launay setzte auch durch, daß wenigstens die unteren Stellen der Regieverwaltung mit preußischen Beamten besetzt wurden, während der König die einheimischen Beamten hermetisch von der Regieverwaltung ausgeschlossen wissen wollte. Die obigen Einzelheiten entstammen archivalischen Quellen. Siehe Walter Schultze, Geschichte der preußischen Regieverwaltung, 40 ff. In der »Neuen Zeit«, 10, 2, 769 ff., ist näher dargelegt, wie es Herrn Schultze dennoch gelingt nachzuweisen, daß der »Sozialismus«, den Friedrich bei Einrichtung der Regie bewährte, »tiefer, idealischer, heroischer« sei als der proletarische Sozialismus von heute.
Gegen die ganze fürchterliche Plackerei der Regie, die Friedrich mit Stolz »mein Werk« zu nennen pflegte, machte die preußische Bürokratie nun aber noch einen pflicht- und sachgemäßen Vorstoß. Die ungeheuerliche Mehrbelastung des Massenverzehrs verursachte in dem dünn bevölkerten Lande, in dem die Arbeitskräfte sehr gesucht waren, eine Steigerung des Arbeitslohnes. Darüber erhoben die Kapitalisten das unvermeidliche Lamento, und der König forderte von dem Generaldirektorium amtliche Auskunft über die Gründe der »noch immer fortdauernden Klagen derer Fabricanten und Kaufleute«. In einer »Pflichtmäßigen Anzeige« wies darauf diese Behörde die »Behinderungen im Commercio in denen Königlichen Landen« nach; in der ruhigsten und sachlichsten Weise entwickelte sie die Schädlichkeit der Regie, hob sie die »verschiedenen im Lande eingeführten Monopolia, insonderheit den allergrößten Bedruck aus der General-Tabaks-Verpachtung«, als »dem allgemeinen Commercio höchst schädlich« hervor, erklärte sie die Steigerung des Arbeitslohns aus der höheren Belastung der Getränke, des Fleisches usw. Kaum aber hatte der König diese Eingabe am 2. Oktober 1766 erhalten, als er eigenhändig auf ihrem Rande verfügte: »Ich erstaune über der impertinenten Relation so sie mir schicken, ich entschuldige die Ministres mit ihre Ignorence, aber die Malice und die corruption des Concipienten muß exemplarich bestraffet werden sonsten bringe ich die Canaillen niemahls in der Subordination.« Am nächsten Tage erfolgte dann auch schon die Kabinettsorder, worin Se. K. M. dero General-Directorio bekanntmachen, »wie allerhöchst Dieselbe den Geheimen Finanzrath Ursinus cassiret und nach Spandau zur Festung bringen lassen«, und worin allen denjenigen, die sich auf den Wegen des Ursinus betreten lassen, angedroht wird, daß »Se. K. M. selbige, es mögen Räthe oder Ministres sein, ohne alle Umstände arretiren und auf Zeit Lebens werden zur Festung bringen lassen«. Mit dieser Gewalttat war der preußischen Bürokratie für Friedrichs Regierungszeit das Rückgrat gebrochen.
Wir haben die beiden großen Eingriffe des Königs in die Finanz- und Militärverfassung des Staats etwas ausführlicher geschildert, sowohl weil sie am klarsten zeigen, was es mit dem aufgeklärten Despotismus dieses Fürsten auf sich hat, als auch weil sich an ihnen das Wesen der großen Männer studieren läßt, die regelmäßig das größte Unheil anrichten, wenn sie anfangen, die »Geschichte zu machen«. Wir haben aber schon gesehen, daß Friedrich im allgemeinen viel vernünftiger war als seine Bewunderer und daß er sich gar wohl in die ökonomischen Lebensbedingungen zu finden wußte, die ihm gegeben waren. Diesen Bedingungen entsprach es durchaus, daß er in seiner Wirtschaftspolitik einem platten Merkantilismus huldigte. Die merkantilistische Theorie war das ideologische Wirtschaftssystem des fürstlichen Absolutismus, der sich aus dem Warenhandel und der Warenproduktion entwickelt hatte. Die ökonomischen Zustände, welche sie widerspiegelte, ergaben ihre einseitige Betonung des Handels und der Verarbeitungsgewerbe, ihre Überschätzung der Bevölkerungsdichtigkeit und des baren Geldes als der Ware aller Waren und endlich ihre Forderung, daß die neuentstandene Staatsgewalt alles zu fördern habe, woraus und weswegen sie entstanden sei: also Handel und Gewerbe, die Vermehrung der Volkszahl und der Geldmasse. Aber der Hammer schlägt nicht nur den Amboß, sondern der Amboß schlägt auch den Hammer; die Praxis erzeugt immer erst die Theorie, aber die Theorie gestaltet dann auch die Praxis. Das Merkantilsystem wurde für den Absolutismus ein Hebel seiner dynastischen Interessen: Es ermöglichte ihm das Sophisma, wonach Geldbesitz und Reichtum einer Nation ein und dasselbe seien, und damit hatte er gewonnen Spiel für die fiskalische Ausbeutung des Volkes. Je mehr Geld die Fürsten für ihre Heere und Höfe ins Land ziehen und im Lande behalten konnten, um so reicher wurde das Volk, und auch die sinnloseste Verschwendung war unbedenklich, »wenn das Geld nur im Lande blieb«.
Überall wo der Warenhandel und die Warenproduktion sich naturwüchsig in bedeutendem Umfange entwickelt hatten, so beispielsweise in Frankreich, konnte das Merkantilsystem nicht so leicht entarten, weil die Praxis unausgesetzt die Theorie im Zaume hielt; Colbert, der bedeutendste Staatsmann des Merkantilismus, wußte gar wohl, daß es »im Staate nichts Köstlicheres als die Arbeit der Menschen« gäbe, und eine Glanzseite seiner Verwaltung war der Bau von Landstraßen, um den Verkehr zu fördern. In Deutschland dagegen hatte der Absolutismus mehr einen feudalen als einen kapitalistischen Ursprung, und so konnte oder mußte aus der ökonomischen Vernunft der merkantilistischen Theorie um so leichter eine absolutistische Unvernunft werden. Friedrich verfocht die »ebenso einleuchtende wie wahre« Ansicht: »Nimmt man alle Tage Geld aus einem Beutel und steckt nichts dagegen wieder hinein, so wird er bald leer werden«, was denn eben die platteste Auffassung des Merkantilismus war, und er ließ die Landstraßen verfallen, damit ausländische Reisende um so länger aufgehalten würden und um soviel mehr Geld im Lande verbrauchten. Noch weit bezeichnender als der Vergleich zwischen Colbert und Friedrich ist der Briefwechsel, den der König im Jahre 1765 mit der Kurfürstin-Regentin Maria Antonia von Sachsen wegen der gegenseitigen Handelssperre führte. Sachsen war unter den deutschen Teilstaaten der ökonomisch entwickeltste; die Leipziger Kaufleute verlangten schon den ganz freien Handel, und so schrieb die Kurfürstin an Friedrich: »Unser großes Prinzip ist die Freiheit des Handels und die Reziprozität der Vorteile.« Aber Friedrich weiß darauf nichts zu erwidern als einige sentimentale Phrasen über die schlimmen Seiten von Gold und Silber, die leider notwendige Übel geworden seien. Und solche Notwendigkeit lege die Pflicht auf, diese an sich gemeinen und verächtlichen Metalle zu suchen. Er blieb der Ansicht seines Launay, daß die Schädigung des Auslands der Vorteil des Vaterlandes sei, eine Ansicht, die freilich auch noch Voltaire vertreten hatte, aber die Mirabeau doch schon »monströs und eines Staatsmanns im elften Jahrhundert würdig« nennt.
Gerade im brandenburgisch-preußischen Staat war der Merkantilismus nicht aus der ökonomischen Entwicklung erwachsen, sondern wurde die ökonomische Entwicklung nach den merkantilistischen Lehren zu leiten gesucht. Als der Merkantilismus im westlichen Europa längst in voller Blüte stand, gab die Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm kurz vor seinem Tode die erste namhafte Gelegenheit, große Kapitalien ins Land zu ziehen. Nicht ein religiöser, sondern ein ökonomischer Beweggrund veranlaßte ihn, die vertriebenen Glaubensgenossen in seine Staaten zu laden. Er hatte schon vorher einzelne kleine Versuche mit einer Seifen- und einer Zuckersiederei, mit einer Porzellanbäckerei gemacht, aber die ersten Fabriken und Manufakturen in größerem Umfange datieren erst aus der Zeit der französischen Einwanderung. Indessen auf diesem agrarisch-feudalen Boden mit seinen verkümmerten Kleinstädten blieben sie ein künstliches Gewächs, das im Treibhause der merkantilistischen Lehren mühsam gepflegt werden mußte. Es stimmte äußerlich vortrefflich mit diesen Lehren, daß der wachsende Militärstaat nach immer mehr Geld und Menschen schrie, aber dieser Militärstaat verschlang den Zuwachs an Geld und Menschen, den das Merkantilsystem für die Belebung von Handel und Industrie forderte, für seine Kanonen und seine Rekruten. Für Handel und Industrie blieb wenig oder nichts übrig, während gerade für sie, wenn sie in dem ungünstigen Boden der ostelbischen Landschaften gedeihen sollten, viel oder alles hätte aufgewandt werden sollen. Um aber die künstliche Pflanze dennoch am Leben zu erhalten, schenkte ihr der preußische Absolutismus seine liebevolle Sorgfalt in allerlei schönen Dingen, die ihn nichts kosteten: in Monopolen und Privilegien, in Aus- und Einfuhrverboten, in Lohn- und Preistaxen, in technischen Betriebsvorschriften, kurz, in jenem verworrenen Chaos eines entarteten und seinem ursprünglichen Sinne gänzlich entfremdeten Merkantilismus, das in Mirabeau einen so beredten Ankläger gefunden hat. Er kann es nicht bitter genug tadeln, daß der König im Jahre 1766 die Einfuhr von nicht weniger als 490 Artikeln einfach verbot oder im Jahre 1774 auf die Ausfuhr der Wolle Todesstrafe setzte, aber er übersah, daß dieser besondere Merkantilismus eben die ideologische Wirtschaftsform dieses besonderen Militärstaats war und sein mußte. Friedrichs ökonomische Einsichten und Kenntnisse hätten ungleich bedeutender sein können, als sie waren, und es wäre doch nicht anders gewesen. So viel sah der König schon ein, daß die feinere Gewebeindustrie der Höhepunkt der damaligen ökonomischen Entwicklung war – sie war für das achtzehnte Jahrhundert, was die Eisen- und Kohlenindustrie für das neunzehnte Jahrhundert ist –, und er handelte im eigentlichen Geiste des Merkantilsystems, wenn er gleich nach seinem Regierungsantritt im Generaldirektorium ein eigenes Kommerzien- und Manufakturdepartement einrichtete, dem er besonders anbefahl, eine neue Industrie der seidenen Zeuge, der französischen Gold- und Silberstoffe usw. einzuführen. Aber während Frankreich und England die größten Opfer für ihre Seidenindustrie brachten, hat Friedrich während seiner ganzen Regierung nur etwa zwei Millionen Taler auf dies verzärtelte Lieblingskind gewandt. Schmoller, Die preußische Seidenindustrie im achtzehnten Jahrhundert, 35. Er gab ihm wenig zu essen und zu trinken; dafür hütete er um so ängstlicher seinen dünnen Lebensfaden, indem er es in fest geschlossenen Räumen auf Schritt und Tritt gängelte. Bei dieser ihm so ans Herz gewachsenen, schließlich aber doch abgestorbenen Industrie ist es klar, daß der König nicht mehr tat, weil er nicht mehr tun wollte, sondern weil er nicht mehr tun konnte. Die Mittel fehlten ihm mehr als die Einsicht. In dem feudalen Militärstaate Preußen mußte der Merkantilismus ebenso auf die mittelalterlichen Bann- und Zwangsrechte zurückschlagen, wie er sich in dem bürgerlichen Industrielande England zum Freihandel entwickeln mußte.
Im Grunde tut die friderizianische Legende dem Könige bitteres Unrecht, wenn sie an allen zehn Fingern die bei alledem unzähligen Millionen aufzählt, die er namentlich nach dem Siebenjährigen Kriege in »landesväterlicher Fürsorge« für die Hebung der allgemeinen Wohlfahrt ausgegeben haben soll. Hätte der König wirklich die freie Verfügung über so bedeutende Mittel gehabt, wie er angeblich mit verschwenderischer Hand ausgestreut hat, so wäre seine Wirtschaftspolitik von dem Vorwurfe ungewöhnlicher Beschränktheit schwer freizusprechen. Tatsächlich hat er aber in den 23 Jahren von 1763 bis 1786 nach der Berechnung des Ministers v. Hertzberg, des verhältnismäßig sachkundigsten Urteilers, nicht mehr als 24 399 838 Taler für jenen Zweck ausgegeben. Wir sagen: des verhältnismäßig sachkundigsten Urteilers, denn wenngleich Hertzberg der bedeutendste und erfahrenste Minister in Friedrichs Spätzeit war, so gehörte es doch zu den unverbrüchlichen Grundsätzen des ersten Dieners des Staats, daß kein Minister eine volle Einsicht in die Lage des Staatshaushaltes gewinnen durfte. Alle Überschüsse der jährlichen Staatseinkünfte über die etatsmäßigen Ausgaben sowie gewisse Regalien und Steuern flossen in die sogenannte Dispositionskasse, die der König allein mit einigen untergeordneten Werkzeugen verwaltete. Eine ziffernmäßig genaue Übersicht der friderizianischen Finanzwirtschaft ist dadurch sehr erschwert, wenn nicht ganz unmöglich gemacht; allein die Frage, auf die es uns hier allein ankommt, die Frage nach den Aufwendungen dieses aufgeklärten Despoten für das, was seine Bewunderer seine »sozialistische Staatshilfe« nennen, läßt sich wenigstens für die Zeit nach Einführung der Regie, also für die letzten zwanzig Jahre Friedrichs, wenn nicht mit absoluter, so doch mit relativer Sicherheit beantworten.
Er selbst gibt die jährlichen Staatseinkünfte für diese Zeit auf 21 700 000 Taler an. Sie werden von keiner Seite höher, von den meisten sonst sachkundigen Urteilern wie Boyen, Krug und Riedel usw. erheblich niedriger geschätzt. Jedenfalls sind sie erst in den letzten Jahren des Königs so hoch gestiegen, der starken Akziseausfälle in den Hungerjahren 1770 und 1771, in dem Kriegsjahre 1778 nicht erst zu gedenken. Lassen wir es aber bei der von Friedrich angegebenen Ziffer für den ganzen Zeitraum bewenden! Von diesen Einkünften rechnet er 5 700 000 Taler als Überschuß, den er für den Kriegsschatz, Festungsbauten, Landesverbesserungen oder sonstige außergewöhnliche Ausgaben verwenden konnte. Diese Summe ist wieder denkbar hoch gegriffen. Denn 16 Millionen beanspruchte der regelmäßige Etat mindestens. Das Heer kostete jährlich 13 Millionen, die Hofstaatskasse, was wir heute Zivilliste nennen, erhielt 492 000, und die Regieverwaltung verschlang 800 000 Taler, so daß für die ganze übrige Staatsverwaltung nur rund 1 700 000 Taler übrigblieben, eine fast unglaublich niedrige Summe, selbst wenn man die miserable Besoldung der deutschen Beamten in gebührenden Anschlag bringt. Auf keinen Fall hat Friedrich mehr als die von ihm selbst angegebenen 5 700 000 Taler Überschuß gehabt. Dagegen ist seine Angabe, daß er davon regelmäßig 2 Millionen in den Kriegsschatz gelegt habe, nichts weniger als zweifelsfrei. Da er vor dem Jahre 1766 nicht wohl mit der Bildung eines neuen Schatzes beginnen konnte, so hätten bei seinem Tode 40 Millionen darin sein müssen; alle sonstigen Berechnungen, soweit sie auch von 55 Millionen (Krug und Riedel) bis 76 Millionen (Lombard) auseinandergehen, stimmen darin überein, daß der König einen beträchtlich größeren Schatz hinterlassen hat, als nach seiner eigenen Angabe hätte erwartet werden dürfen. Lassen wir es indessen bei seinen 2 Millionen auf das Jahr bewenden!
Dann blieben ihm jährlich noch 3 700 000 Taler für außergewöhnliche Ausgaben, auf 20 Jahre gerechnet also 74 Millionen Taler. Nun hat er in dieser Zeit rund 8 Millionen für den Bau von Festungen, für Artillerie usw. verwandt; der Bayerische Erbfolgekrieg kostete 29 Millionen; endlich zahlte Friedrich 3 Millionen Subsidien an die Kaiserin Katharina für ihre Türkenkriege. Das sind im ganzen 40 Millionen. Ferner aber hatte der König, obgleich er persönlich aller höfischen Verschwendung abgeneigt war und nach einer Versicherung seines Testaments für seine Person nie mehr als 220 000 Taler jährlich verbrauchte, doch einzelne sehr kostspielige Liebhabereien. In seinem Nachlasse fanden sich 130 mit Brillanten und andern kostbaren Steinen besetzte Dosen, die einen Gesamtwert von gegen 1½ Millionen darstellten. Viel schwerer noch fiel ins Gewicht, daß er in reichlichem Maße die Bauwut aller Despoten teilte. Die eine Tatsache, daß er gleich nach dem Kriege, mitten in dem fürchterlichsten Elend des Landes, den ebenso kostspieligen wie zwecklosen Bau des Neuen Palais in Potsdam begann, sollte ehrliche Leute schon hindern, den Mund gar zu voll zu nehmen von seiner »landesväterlichen Fürsorge«. Nach Retzow kostete dieser Bau 11 Millionen und ebensoviel seine innere Ausstattung. Retzow, Charakteristik der wichtigsten Ereignisse des Siebenjährigen Krieges, 2, 455. Nehmen wir indessen an, daß Retzow, der dem Könige nicht wohlgesinnt war, arg übertrieben hat, so gibt doch ein unterrichteter und wohlgesinnter Zeuge, ein Baumeister Friedrichs, die Summe dessen, was allein in und bei Potsdam verbaut worden ist, auf mehr als 10½ Millionen an. Manger, Baugeschichte von Potsdam, 3, 825. Es mag nun ganz unberechnet bleiben, was Friedrich für Bauten in Breslau, Königsberg, Berlin (die Bibliothek, die großen Kirchen auf dem Gendarmenmarkte, mehrere Brückenkolonnaden und anderes mehr) aufgewandt hat: Mangers 10½ und die für Dosen verausgabten 1½ Millionen ergeben weitere 12 Millionen, die von den 74 Millionen abzuziehen sind, über die Friedrich in den letzten zwanzig Jahren seiner Regierung für außergewöhnliche Ausgaben verfügt hat. Es bleiben also für Hebung des Volkswohlstandes nur 22 Millionen übrig, und um überhaupt auf Hertzbergs Ziffer zu kommen, muß man die gegen 2½ Millionen einrechnen, die Friedrich nach seiner Angabe gleich beim Friedensschlusse von Hubertusburg von den für den nächsten Feldzug bereitliegenden Geldern für die notdürftigste Wiederherstellung des Landes aufgewandt hat.
Es sei nochmals hervorgehoben, daß diese Ziffern keinen absoluten Wert haben sollen. Um ein möglichst erschöpfendes und zutreffendes Bild der friderizianischen Finanzwirtschaft zu geben, wäre bei der verwickelten Kassenführung des Königs und den höchst tendenziösen Darstellungen, die darüber veröffentlicht worden sind, ein eigenes Buch notwendig. Für unsern Zweck: nämlich festzustellen, welche Summe Friedrich günstigstenfalls für Landesverbesserungen verbraucht haben kann, war es aber erlaubt, auch mit ungewissen Ziffern zu rechnen, wenn wir unter den abweichenden Angaben immer die höchsten für seine gesamten Einkünfte und immer die niedrigsten für seine sonstigen Ausgaben einstellten. Dies haben wir durchweg getan, auch wenn wir in einem besonderen Falle es einmal nicht getan zu haben scheinen. So haben wir uns nicht entschließen können, die etatsmäßigen Heereskosten Friedrichs von den 13 Millionen, die ältere und unbefangene Schriftsteller mit großer Übereinstimmung angeben, auf die 12 100 978 Taler herabzusetzen, die ein neuerer Historiker berechnet. Indessen dieser Historiker berechnet auch den hinterlassenen Kriegsschatz des Königs auf 63 Millionen, während wir dafür nach Friedrichs Angaben nur 40 Millionen angesetzt haben. Ein leichtes Rechenexempel ergibt, daß wir somit die Gesamtausgaben für Kriegsheer und Kriegsschatz noch immer niedriger eingeschätzt haben als jener Historiker. Und so darf man denn mit aller unter den obwaltenden Umständen erreichbaren Sicherheit sagen, daß Friedrich nach dem Siebenjährigen Kriege für die Bevölkerung des preußischen Staates an Geschenken, Erlassen, Unterstützungen, Vergütigungen und industriellen Unternehmungen im günstigsten und leider nicht einmal wahrscheinlichen Falle die rund 24 bis 25 Millionen Taler verbraucht hat, die Hertzberg berechnet.
Die Summe selbst beträgt gerade den fünften Teil der Brandschatzungen allein in barem Gelde, die das Land im Kriege an die auswärtigen Feinde zu zahlen gehabt hatte. Das wäre nicht viel, aber es wäre immerhin etwas. Leider verdunkelt die Art, wie diese Summe auf die verschiedenen Klassen der Bevölkerung verwandt wurde, gar sehr den Schein des patriarchalischen Wohllebens, den sie etwa noch auszustrahlen scheint. Die Städte und die städtische Industrie erhielten davon wenig genug, die Bauern noch viel weniger, den Löwenanteil aber die Junker. Gegenüber den 25000 Talern, die Friedrich den westfälischen Städten nach dem Friedensschlusse zum Wiederaufbau ihrer Häuser und Straßen schenkte, oder selbst den 100 000 Talern, die Frankfurt a. O., die bedeutendste Handelsstadt der Mark, zu gleicher Zeit und zu gleichem Zwecke erhielt, scheffeln gleich ganz anders die mehr als 2½ Millionen, die allein für den Adel Pommerns und der Neumark, zweier ungefähr den sechsten Teil des Staatsgebiets umfassender Provinzen, nach dem Siebenjährigen Kriege aufgewandt wurden, teils als Geschenke zur Bezahlung seiner Schulden, teils als Meliorationskapitalien für seine Güter. Diese Kapitalien waren unkündbar, und wenn sie mit 1 bis 2 Prozent verzinst werden mußten, so waren »die Interessen« zu »Pensionen für arme Offizierswitwen und vom Adel« bestimmt. Wir gehen indes auf diese Verhältnisse nicht näher ein und verweilen lieber etwas ausführlicher bei dem, was Friedrich für die große Masse der arbeitenden Bevölkerung, nämlich für die Bauern, getan hat. Einesteils fällt damit das schärfste Licht auf Friedrichs »landesväterliche Fürsorge«, andererseits sind wir gerade über diese Frage durch eine ganz unanfechtbare Urkunde ausführlich unterrichtet.
Einer der wenigen deutschen Beamten, die Friedrichs Vertrauen bis an ihren Tod genossen, war Johann Rembert Roden. Ein guter Organisator, hatte er sich in dem Hauptquartiere des Herzogs Ferdinand von Braunschweig ausgezeichnet und war von diesem nach dem Kriege an den König empfohlen worden. Friedrich benutzte ihn vielfach bei der Wiederherstellung des Landes, übertrug ihm namentlich auch die Organisation von Westpreußen nach der ersten Teilung Polens im Jahre 1772 und machte ihn dann zum Präsidenten der Oberrechenkammer. Als solcher erhielt Roden 1774 den Auftrag, durch eine Reihe von Vorträgen den Thronfolger in die Finanzverwaltung des preußischen Staates einzuweihen, und er übergab dann zum Schlüsse seines Unterrichts dem Prinzen eine »Kurzgefaßte Nachricht von dem Finanzwesen«. Diese lehrreiche, überall aktenmäßig begründete Urkunde ist glücklicherweise schon durch den alten Preuß, der noch nicht wie die heutigen, mit dem Zutritte zu den Archiven begnadigten Forscher vom Apfel der Erkenntnis gegessen hatte, unverstümmelt ans Tageslicht gezogen worden. Preuß, 4, 415 ff. Sie ist nicht frei von großen Lücken, denn Roden gleitet über die Akziseverfassung mit wenigen Sätzen hinweg; das Schicksal des Geheimen Finanzrates Ursinus mußte ihm warnend vor Augen schweben. Um so ausführlicher und gründlicher handelt er von der Kontributionsverfassung, das heißt von der direkten Steuer, welche die bäuerliche Bevölkerung aufzubringen hatte, und dabei wirft er Schlaglichter auf die Lage dieser Bevölkerung, die von größtem Interesse sind.
Die Kontribution war nach der Ertragsfähigkeit der einzelnen Ländereien umgelegt, so zwar, daß sie einen bestimmten Teil dessen betrug, was der Bauer für seinen eigenen Bedarf und für den Verkauf erntete. Dieser bestimmte Teil war nicht in allen Provinzen ganz gleich bemessen; in der Mark und in Westpreußen belief er sich auf 33½, in Schlesien auf 34, in Pommern auf 42½ Prozent, in andern Landesteilen noch höher. Roden erläutert die Art dieser Steuer an einem Bauer im Dorfe Tempelhof bei Berlin, der von jeder Hufe zu 30 Magdeburgischen Morgen 8 Taler 3 Groschen Kontribution zu zahlen hatte (der Taler wurde damals zu 24 Groschen berechnet; nach heutigem Gelde betrug der Groschen also 12½ Pfennig). Nun konnte der Bauer außer dem eigenen Verbrauch aber nur 15 Scheffel von dem Ertrage der Hufe verkaufen, welche, zu 18 Groschen gerechnet, ihm 9 Taler 18 Groschen eintrugen. Nach eingehender Darlegung dieser Verhältnisse fährt Roden dann wörtlich fort:
»Der Bauer behielte also von seinem Gewinste auf einer Hufe, nach Abzug der bezahlten Kontribution, nur 1 Taler 15 Groschen übrig, wovon er seine übrigen Prästanda unmöglich leisten kann. Diese sind:
Ferner hat der Bauer zu prästieren die Feuersozietätsgelder, die Vorspannfuhren, die Bau- und Krepel-, auch Nachbarfuhren, die Dorfauflagen und andere Vorfälle mehr, das Gesindelohn, da er besonders Knechte wegen der vielen Hofedienste halten muß, so ihm zur größten Last gereichen: zu welchem Ende er auch mehr Pferde halten muß, weswegen die Einschränkung dieser Dienste eine vortreffliche Sache wäre.«
Wir unterbrechen hier Roden für einen Augenblick, um zu bemerken, daß unter den »andern Vorfällen mehr« sich auch noch sehr drückende Lasten befanden: so die Grasung der Kavalleriepferde auf den Wiesen der Dorfgemeinden während der Monate Juni bis September, in denen der Reiter eine brutale Herrschaft im Hause des Bauern führte; ferner für die anderen Monate des Jahres die Lieferung der Fourage, die zwar zu einem geringen Preise bezahlt, aber oft viele Meilen herangefahren und, wenn sie ohne weitere Scherereien abgenommen werden sollte, mit einem tüchtigen Überschuß zugunsten des Rittmeisters beladen sein mußte, endlich auch der schon erwähnte indirekte Beitrag der Bauern zur städtischen Akzise. Roden fährt dann fort:
»Der Bauer würde, nach diesen angeführten Umständen, nicht bestehen können, wenn er sich nicht auf eine andere Art soutenierte, z. B. daß er auf eine Hufe fast 1/3 mehr aussäet, als ihm zur Kontribution angeschlagen, daß er aus dem Viehstand Geld erwirbt und sich sonst durchzubringen sucht. Aber er muß allen Fleiß anwenden und sich kümmerlich behelfen, wenn er sich ehrlich ernähren und durchbringen will, zumal wenn er sonst nichts anderes als sein eigenes Wohnhaus und Hofgebäude, so er noch selbsten in Würden unterhalten muß, nebst dem dazugehörigen Acker im Vermögen hat. Er kann daher keine Unglücksfälle, als Mißwachs, Hagelschaden, Mäusefraß, Überschwemmungen usw., übertragen, daferne ihm nicht alsdann durch Remission unter die Arme gegriffen wird, um ihn noch in etwas zu unterhalten. In ordinären Fällen wird ihm aus der Kreiskasse geholfen, in extraordinären aber tritt der Landesherr zu und läßt die Gelder bar an den Kreis übermachen oder auch Brot- und Saatkorn in natura geben.«
Man sieht darnach, was es mit den so viel gepriesenen Steuererlassen, Geldvorschüssen, Kornlieferungen, wodurch Friedrich angeblich den Bauernstand in die Höhe gebracht haben soll, tatsächlich auf sich gehabt hat. Sie waren einzig dazu bestimmt, den Bauer, ohne den freilich weder der König noch der Junker leben konnte, auf der schmalen Grenze zwischen Hungerleben und Hungertod zu erhalten. Von hier aus fällt denn auch das richtige Licht auf die gleichfalls viel gepriesenen Kornmagazine Friedrichs, die »Blüte friderizianischer Wirtschaftspolitik«, in der er »seinem Ideale des allgemeinen Hausvaters am nächsten komme«, wie selbst ziemlich unbefangene Forscher sagen. Friedrich verbot die Ausfuhr des Getreides, um seinen Preis möglichst niedrig zu halten; in einer seiner Instruktionen an das Generaldirektorium verlangt er, daß der Preis des Scheffels Roggen immer zwischen 18 Groschen und 1 Taler festgehalten werde. Das geschah, um für sein Heer billiges Brot und für den Kriegsfall gefüllte Magazine zu haben, aber wenn er diese Magazine nun auch benutzte, um der bäuerlichen Bevölkerung Brot- und Saatkorn zu liefern, sobald ihr Hungerleben durch irgendein unglückliches Naturereignis in den Hungertod umzuschlagen drohte, so läßt sich dieser »Sozialismus« am Ende noch mit gemäßigter Hochachtung bewundern.
Man würde übrigens irren, wenn man in dem Bauern aus Tempelhof bei Berlin, den Roden schildert, den elendesten Typus des friderizianischen Bauern sehen wollte. In der Mark war der Prozentsatz der Kontribution noch am niedrigsten bemessen; wo er, wie in Friedrichs westfälischen Besitzungen, auf mehr als 50 Prozent stieg, verschlechterte sich entsprechend die Lage der bäuerlichen Bevölkerung. Roden schreibt darüber:
»Die Kontributionsprinzipia sind im Mindenschen so angelegt, daß zuvörderst die sämtlichen Ländereien, Gärten und Wiesen durch diverse vereidete Taxatoren nach dem jährlichen Ertrage abgeschätzt sind; darnach ist die Kontribution dergestalt ausgemittelt, daß von jedem Taler Ertrag jährlich an Kontribution 13 Groschen bezahlt wird. Die Hufe à 30 Morgen Magdeburgisch kommt im Durchschnitt der Totalité auf 19 Taler 5 Groschen ½ Pfennige, obgleich viel schlecht Land vorhanden: Solchergestalt hat der Landmann noch 11 Groschen pro Taler übrig. Davon soll er sich und seine Familie unterhalten, die Haushaltung führen, Gesindelohn geben, dem Erb- oder Gutsherrn sein Pacht zahlen und die übrigen Lasten tragen, so schlechterdings unmöglich wäre, wenn der Bauer sich sonst nicht durchzuhelfen suchte. Im Minden- und Ravensbergischen ist er mit Frau, Kindern und Gesinde, sobald er nur vom Ackerbau eine Zeit oder gar nur Stunden übrig hat, zumal im Herbst bei den langen Abenden und den Winter hindurch, mit Garnspinnen zu Leinwand beschäftigt, und damit sucht er sich zu ernähren; sonst müßte er davonlaufen, indem es dort viele Bauernhöfe gibt, die mehr Abgaben haben, als die Höfe auch in den besten Jahren aufbringen können.«
So der kundigste Verwaltungsbeamte des friderizianischen Staats in offiziellster Urkunde, in dem Berichte, durch den er auf Befehl des Königs den Thronfolger in das Finanzwesen der Monarchie einweihen sollte.
Wir wollen um der Gerechtigkeit willen aus Rodens Darstellung nicht unerwähnt lassen, daß Friedrich wenigstens in den beiden von ihm eroberten Provinzen, in Schlesien und Westpreußen, den Adel zur Kontribution heranzog; hier standen ihm die Junker nicht mit altererbter Macht gegenüber, und er mußte sie wegen ihrer Anhänglichkeit an Österreich und Polen scharf im Zügel halten. Aber auch auf diesem verhältnismäßig lichtesten Gebiete der friderizianischen Steuerpolitik ist ihre Tendenz nicht, wie sie selbst behauptete, Entlastung des Armen auf Kosten des Reichen, sondern Belastung des Armen zugunsten des Reichen. So zahlte in Westpreußen – unter fast durchgängigem Wegfalle der Lehnpferdegelder – der evangelische Edelmann 20, der katholische – Grundgedanke des Nathan? – 25, der Bauer aber 33½ Prozent Kontribution. Und ähnlich in Schlesien. In einer Anmerkung des Kapitals, 1, 762), erwähnt Marx die elende Lage des friderizianischen Bauern unter Anziehung einiger Sätze von Mirabeau, wofür er von preußischen Historikern der tendenziösen Darstellung geziehen worden ist. Wir haben aus schon angeführten Gründen das Werk von Mirabeau-Mauvillon ganz beiseite gelassen, möchten aber bemerken, daß die von Marx beiläufig angezogenen Sätze Mirabeaus ein nicht so krasses Bild der Sachlage geben wie der amtliche Bericht von Roden. Überhaupt tun die wenigen Worte, die Marx im Vorbeigehen dem friderizianischen »Regierungsmischmasch von Despotismus, Bürokratie und Feudalismus« widmet, diesem seltsamen Gebilde eher zuwenig als zuviel. Wenn beispielsweise Marx sagt, Friedrich habe in den meisten Provinzen Preußens den Bauern Eigentumsrecht gesichert, so gilt das tatsächlich nur von den Domänenbauern. Am 20. Februar 1777 verfügte Friedrich, »daß an allen Orten, wo es noch nicht geschehen, die unter die Ämter gehörigen Bauerngüter den Untertanen erb- und eigentümlich übergeben werden«. Siehe die Order bei Preuß, 4, 466 f.
Stellt man nun aber jenen erdrückenden Belastungen der Bauern die ängstliche Sorgfalt gegenüber, womit Friedrich im allgemeinen die Steuerfreiheit des Adels beschützte, so kann man die edle Dreistigkeit jener Hofgeschichtsschreiber bewundern, die von dem »Bauernkönige« Friedrich schwatzen und die Hohenzollern durch Beschützung des kleinen Mannes groß werden lassen, so kann man den herrlichen Wert jener »Schulreform« ermessen, die nach diesem Leitmotive den Geschichtsunterricht an den deutschen Schulen klittern will. Da sollten wir »gemütvollen« und »tiefsinnigen« Deutschen uns doch nur ja vor den »leichtfertigen« und »oberflächlichen« Franzosen verkriechen! Denen konnte Marx schon im Jahre 1869 nachrühmen, daß sie der napoleonischen Legende mit allen Waffen der Forschung, der Kritik, der Satire, des Witzes den Garaus gemacht haben, und was ist die napoleonische Legende doch für ein ander Ding als die friderizianische! Der napoleonische Staat besteht in allem wesentlichen, in der Heeresverfassung, in der inneren Verwaltung, im Finanz-, Justiz-, Unterrichtswesen noch fort, wie der erste Konsul ihn im Jahre 1804 begründet hat – natürlich nicht als großer Mann, sondern als Erbe des Konvents –, und eine bürgerliche Verfassung, die drei Dynastien, drei Invasionen und selbst drei Revolutionen überstanden hat, kann denn doch eher schon zum Heroenkultus des Mannes führen, auf dessen Namen sie nun einmal getauft ist. Aber der friderizianische Staat, der bei Jena in tausend Stücke zerschmettert wurde unter der stürmischen Zustimmung der bürgerlichen und arbeitenden Klassen, die in ihm zu leben verurteilt waren, und eine feudal-militärische Verfassung, deren wüste Trümmer wie ein betäubender Alp auf allem gesunden Leben der Gegenwart lasten, dürfen sich immer noch, ja je länger je unbeschämter in einer Legende spiegeln, deren schüchterne Kritik im Reiche der Gottesfurcht und frommen Sitte schon als Hochverrat und Majestätsverbrechen gilt.
Friedrich selbst darf natürlich dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Er ist ganz unschuldig an der kecksten Unwahrheit dieses Jahrhunderts, dem sogenannten »sozialen Königtum«, und er würde den Humbug nicht einmal verstehen, wenn er seine wohlgesinnten Geschichtsschreiber von heute lesen könnte. Was ihm als »monarchische Sozialpolitik« angerechnet wird, war einzig durch militärpolitische Gesichtspunkte bestimmt. An sich zwar gehörte es zu den Aufgaben des absoluten Königtums, die Leibeigenschaft der Bauern zu beseitigen, nicht aus Humanität, die ihm ganz fremd war und auch ganz fremd sein mußte, sondern aus fürstlichem Klasseninteresse. Die Leibeigenschaft stand wie eine Mauer zwischen dem Despoten und der Mehrheit der Bevölkerung; solange sie währte, hatte der Junker über die Bauern zu verfügen und der König höchstens insoweit, als es ihm der Junker gestattete. Wir haben gesehen, wie sich seit der Entwicklung des stehenden Heeres dieser Interessengegensatz zwischen dem Könige und dem Junkertum bildete und verschärfte; schon die beiden ersten preußischen Könige rüttelten an der Leibeigenschaft, und namentlich Friedrich Wilhelm I. erklärte, »was es denn vor eine edle Sache sei, wenn die Unterthanen statt der Leibeigenschaft sich der Freiheit rühmen«. Er war denn freilich auch wohl ehrlich genug, den Kabinettsordern, worin er den Behörden die »Konservation« der »Untertanen« empfahl, die Worte hinzuzufügen: »Damit der Landesherr seine Steuern erhalte«, was bei der höchst merkwürdigen Ausbildung der alten deutschen Sprache im neuen deutschen Reiche heute zu lesen ist: »Soziales Königtum der Hohenzollern«. Friedrich selbst spricht in seinen Schriften mit lebhaftestem Abscheu von der Leibeigenschaft als einem »barbarischen Gebrauch«, einer »abscheulichen Einrichtung«, aber er bekennt auch offen, daß es nicht in seinem guten Willen liege, damit aufzuräumen. Daraus läßt sich ihm gewiß kein Vorwurf machen. Er konnte wirklich nicht, auch wenn er wollte, die Leibeigenschaft abschaffen. Sie war die ökonomische Zelle der Gesellschaft, deren politischer Repräsentant der preußische Militärstaat war, und der »erste Diener« dieses Staats konnte ihr ebensowenig anhaben, als etwa die Zinne eines Turms auf den verwegenen Einfall geraten kann, die Mauer umzustürzen, worauf sie ruht.
Ergibt sich diese Auffassung von selbst aus der ganzen Lage, so fügt es sich glücklich, daß sie sich sogar urkundlich bestätigen läßt. Einmal nämlich siegte der despotische Größenwahn über Friedrichs nüchternen Sinn, und am 25. Mai 1765 dekretierte er von Kolberg aus: »Sollen absolut, und ohne das geringste Raisonniren, alle Leibeigenschaften, sowohl in Königlichen, Adligen, als Stadteigentumsdörfern, von Stund an gänzlich abgeschafft werden, und alle diejenigen, so sich dagegen opponiren würden, soweit möglich mit Güte, in deren Entstehung aber mit force dahin gebracht werden, daß diese von Sr. K. M. festgesetzte Idee zum Nutzen der ganzen Provinz ins Werk gerichtet werde.« Darauf versammelten sich am 29. Juni die vorpommerschen Landstände in Demmin und richteten eine Promemoria an den König, worin sie sich halb als gekränkte Unschuld und verkannte Wohltäter der Bauern aufspielten, halb aber mit »Depeuplierung des Landes und Desertion vom Militär« drohten, »weil kein Bauer imstande ist, den Hof, das Zuchtvieh und Ackergerät zu bezahlen, keiner aber auf den Fall, es ihm umsonst zu lassen, schuldig, folglich ein jeder sich anderswohin zu begeben bedacht sein würde«. So dummdreist diese Drohung war – denn der Junker hatte gar kein Recht auf den Hof des Bauern, und was half ihm der Hof, wenn kein Bauer da war, ihn zu bewirtschaften? –, so genügte sie doch vollkommen, den König lahmzulegen. Weder Gewalt noch Recht konnten ihm helfen, denn das Heer befehligten die Junker, und in den Gerichtshöfen sprachen sie Recht. Er gab also klein bei, sosehr es sonst unter seinen Grundsätzen obenan stand, um seiner despotischen Unfehlbarkeit willen niemals einen Befehl zurückzunehmen.
So mußte sich Friedrich denn darauf beschränken, in einem fortdauernden Kleinkriege seine militärpolitischen Interessen möglichst gegenüber dem gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse zu wahren. Es gibt eine große Anzahl von Kabinettsordern, worin er diesem Ziele nachstrebt. Er kämpfte gegen das Bauernlegen, die »Abmeierung der Bauern«, und bemühte sich, den Bauern das Eigentums- und Erbrecht an ihren Schollen zu sichern. Man kann sogar anerkennen, daß er in dieser Beziehung weiter blickte als der heutige Militärstaat. Wenn dieser in erstaunlicher Seelenruhe es ruhig mit ansieht, wie in weiten Fabrikdistrikten die Masse der arbeitenden Bevölkerung verkrüppelt, so eiferte Friedrich sehr häufig gegen die gesundheitsschädlichen Mißhandlungen der Bauern durch die Junker und die Domänenpächter. Wenn der heutige Militärstaat sich hartnäckig weigert, die unmäßige Arbeitszeit durch einen gesetzlichen Normalarbeitstag zu beschränken, weil er in seiner überstiegenen Weisheit davon eine Schädigung der Industrie befürchtet, so war sich Friedrich schon im Jahre 1748 darüber klar, wie er in einer Instruktion an das Generaldirektorium sagte, daß »bei den schweren und ganz unerträglichen Diensten mehrenteils vor den Gutsherrn wenig Nutzen, vor den Bauersmann aber sein gänzlicher Verderb augenscheinlich herauskommt«. Der König verlangt deshalb eine »serieuse Untersuchung, ob nicht sowohl Amts- als auch Städte- und adlige Unterthanen von diesem dem Bauer so gar ruineusen Umstände in gewisse Maße befreiet und die Sache dergestalt eingerichtet werden könne, daß, anstatt daß der Bauer jetzo die ganze Woche hindurch dienen muß, derselbe die Woche über nicht mehr als drei oder vier Tage zu Hofe dienen dürfe. Es wird dieses zwar anfangs etwas Geschrei geben, allein da es vor dem gemeinen Mann nicht auszustehen ist, wenn er wöchentlich fünf Tage oder gar sechs Tage dienen soll, die Arbeit an sich auch bei denen elenden Umständen, worin er dadurch gesetzt wird, von ihm sehr schlecht verrichtet werden muß, so muß darunter einmal durchgegriffen werden, und werden alle vernünftigen Gutsherrn sich hoffentlich wohl accomodiren, in diese Veränderung derer Diensttage ohne Schwierigkeit zu willigen, um so mehr, da sie in der That ersehen werden, daß, wenn der Bauer sich nur erst ein wenig wieder erholt hat, er in denen wenigen Tagen ebensoviel und vielleicht noch mehr und besser arbeiten wird, als er vorhin in denen vielen Tagen gethan hat.« Eine hausbackene, aber treffliche Wahrheit, die der »geniale« Herr Bismarck bekanntlich nie begreifen konnte und die der neue Kurs im deutschen Reiche bekanntlich auch noch immer nicht begreifen zu können scheint.
Wie vernünftig nun aber diese und ähnliche Instruktionen Friedrichs nicht nur klingen, sondern auch sind, so darf man dabei doch mehrerlei nicht übersehen. Erstens daß der König nicht für den Bauer gegen den Junker, sondern gegen den Junker um den Bauer kämpft. Er wollte eine andere Verteilung des aus dem Bauern gezapften Mehrwerts, eine für ihn günstigere und deshalb für das Junkertum ungünstigere, aber wenn der Proletarier etwa seinen Lohn auf Kosten des Mehrwerts zu steigern gedachte, so war Friedrich immer auf Seite der möglichst erschöpfenden Ausbeutung. So bedrohte er in der Gesindeordnung sowohl die Empfänger als unter Umständen auch die Geber eines die Taxe überschreitenden Lohns mit Zuchthausstrafe, wogegen »es sich von selbst versteht«, daß ein unter der Taxe bleibender Lohn erlaubt ist. Und wenn gar die Bauern unruhig wurden über die »unerträglichen Dienste« und »ruineusen Umstände«, dann wußte Friedrich auch nichts anderes, als was große Männer unter solchen Umständen immer nur wissen, also was Luther im sechzehnten und Bismarck im neunzehnten Jahrhundert wußte. Als ein Jahr vor Friedrichs Tode die schlesischen Arbeiter zu murren begannen, schrieb der König an den schlesischen Provinzialminister v. Hoym: »Das mehrste zur Beruhigung der Leute wird beitragen, da sie doch im Gebirge meistens evangelisch sind, wenn die Prediger ihnen zureden und alles ordentlich erklären ... Sodann müssen auch die Schulzen, besonders da im Gebirge, scharf vigiliren, wenn sich etwa fremdes Gesindel sehen läßt, das Zusammenkünfte hält und dem gemeinen Volk allerhand Dinge in den Kopf setzt; diese müssen sie auf der Spur verfolgen und sobald sie den geringsten Unrath merken, sie sogleich bei den Ohren nehmen und an die Gerichte abliefern.« Die Order ist, wie gesagt, im Jahre 1785 erlassen. Sonst könnte man fast meinen, sie stamme aus dem Jahre 1878, wo auch erst die Religion dem Volke erhalten werden sollte und dann das Sozialistengesetz auf dem Fuße hinterdreinmarschiert kam.
Zweitens aber hat Friedrich mit jenem Kleinkriege nicht viel erreicht. Am ehesten noch etwas in den beiden eroberten Provinzen Schlesien und Westpreußen, wo der König leichteres Spiel mit den Junkern hatte. So zwang er die schlesischen Grundherren zur Wiederherstellung der bäuerlichen Hütten und Scheunen, zur Ausstattung der Bauerngüter mit Vieh und Gerät. Aber sein eigenes Interesse, die Sorgen um seine Kassen und seine Rekruten, war auch hier die Grenze, die er nicht überschritt. Zudem liegt auf der Hand, wie wenig damit gesagt, geschweige denn getan war, wenn er den schlesischen Bauern das Recht gewährte, sich über strenge körperliche Züchtigung bei den Regierungen zu beschweren, oder wenn er in Westpreußen die »polnische Sklaverei«, den »harten, polnischen Fuß« auf die »preußische Landesart« gemildert wissen wollte. Die ehrlicheren bürgerlichen Historiker machen dann auch kein Hehl aus der Erfolglosigkeit dieser Bemühungen. »Die alten Verhältnisse blieben ... Bei dem allen blieb der Landmann gebunden, scholleigen der Masse nach« (Preuß); »praktisch hat dies alles fast gar keine Frucht getragen: nicht einmal auf den Domänen, wo der Erfolg doch so leicht gewesen wäre« (Roscher). Als der König vierzehn Tage vor seinem Tode bei dem Kammerpräsidenten von Königsberg anfragte, ob »nicht alle Bauern in Meinen Ämtern aus der Leibeigenschaft« gesetzet werden können, schrieb er selbst das treffendste Urteil über seine Bauernpolitik.
Drittens und letztens aber – selbst wenn man Friedrichs angebliche Verdienste um die Bauernbefreiung so hoch schätzen wollte wie die preußischen Byzantiner, so würden diese Verdienste dennoch mehr als aufgewogen durch Friedrichs Gemeinteilungsgesetze, die Aufteilung der Gemeinweiden, die seltsamerweise auch von den besseren bürgerlichen Historikern, so von Freytag und Roscher, als eine Art sozialer Reform aufgefaßt werden, tatsächlich aber nach einem Worte von Rudolf Meyer darauf hinausliefen, daß die Gemeinweiden »meist den großen Gütern zugeschlagen und damit die kleinen Leute, wenn auch teilweise gegen Entschädigung, der freien Viehweide beraubt, teilweise proletarisiert und somit für den Gutsgesindedienst adaptiert wurden«. Dies »eifrige Wegräumen aller solchen Beschränkungen des freien Grundeigentums, die mit dem mittelalterlichen Gemeindewesen zusammenhängen«, lief in der Tat auf die Proletarisierung der bäuerlichen Bevölkerung hinaus, und wenn Roscher darin die helle Seite des »Januskopfes« sieht, den Friedrichs agrarische Sozialpolitik biete, so mag man sich nicht leicht einen zu dunklen Begriff von dessen dunkler Seite machen. Siehe Rudolf Meyer, Das nahende Ende des landwirtschaftlichen Großbetriebs, in der »Neuen Zeit«, 11, 1, 304. Ferner Roscher, 399. Sonst ist Roschers Darstellung der friderizianischen Sozialpolitik in der bürgerlichen Geschichtsliteratur wohl noch die unbefangenste. Für die Einzelheiten sind die Kabinettsordern des Königs und teilweise auch seine Schriften einzusehen, dann aber auch die ältere preußische Geschichtsschreibung etwa bis zum Jahre 1848. Die neuere Literatur, namentlich soweit sie aus Archiven schöpft, ist nicht wertlos, doch müssen diese Bücher wie Palimpseste behandelt werden. Man muß zunächst die frommen Lobgesänge auf den friderizianischen »Sozialismus« beseitigen und dann untersuchen, was sich von dem verkratzten und verwischten Urtext noch entziffern läßt. Natürlich gibt es auch vortreffliche Ausnahmen; so Knapp, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen Preußens, wo in der Einleitung bemerkenswerte Einzelheiten über die Erfolglosigkeit der friderizianischen Bauernpolitik gegeben sind.
Unter solchen Umständen ist der Verfall des preußischen Ackerbaus unter Friedrich, den sogar die patriotischen Geschichtsschreiber anerkennen, leicht zu erklären – trotz der reichen Geldspenden, die er für die »notleidende Landwirtschaft«, will sagen die Junker, stets bei der Hand hatte, und auch trotz seiner so viel gepriesenen »Kolonisationen«. An sich waren seine Landesmeliorationen, die Verwaltung der Netze und der Warthe, die Urbarmachung des Drömlings und des Oderbruchs sowie vieler kleinerer Sumpfstrecken in Pommern, in der Mark, im Magdeburgischen gewiß der beste Teil seiner Wirtschaftspolitik, und wohl mochte der König mit berechtigtem Selbstgefühle sagen, hier habe er im Frieden eine neue Provinz erobert. Allein es ist eine tragikomische Entstellung der Sachlage, wenn dabei seine Bewunderer in seine Seele das faustische Sehnen dichten, auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehen. Da klingt es viel prosaischer, ist aber viel richtiger, wenn Roden schreibt: »Sr. K. M. allergnädigste Intention gehet dahin, daß, wenn bei den Städten oder denen von Adel wüste Gründe und Brücher vorhanden, diese aber nicht im Stande wären, solche urbar zu machen, alsdann der Landesherr zutreten, solche auf Höchstdero Kosten urbar machen, Häuser bauen und solche mit Familien besetzen lassen müßte; die Revenuen blieben zwar der Stadt und dem von Adel, das Land würde aber doch dadurch immer mehr und mehr peuplieret und per indirectum profitierten doch die Königlichen Kassen und der Staat davon.« Den Hauptvorteil zog »der von Adel«, denn gegen den adligen Landbesitz war der städtische kaum zu rechnen. Mit der Ansetzung der Kolonisten hatte der König wenig Glück. Er nahm dazu nicht etwa die jüngeren Söhne der heimischen Bauern, wie schon zeitgenössische Schriftsteller rieten, sondern suchte in der einseitigen Bevölkerungspolitik seines Merkantilismus möglichst viel fremdes Volk ins Land zu ziehen. Da aber sein Despotismus im Reiche und im Auslande durchaus keines einladenden Rufes genoß, so mußte er den Einwanderern die größten Vorrechte in Sachen der bäuerlichen, militärischen und steuerlichen Lasten versprechen, ohne doch viel anderes zu bekommen als verlorenes Gesindel. Statt wirklicher Bauern kamen, wie er einmal sagt, »Perruquiers und Commedianten« oder, wie er ein andermal klagt, »Barbiere, Destillateure, Viktualienhändler, Apotheker, Köche, Kuchenbäcker, Glücksbudner«; ein drittes Mal suchte er gar die türkischen Tataren anzulocken unter dem Versprechen, ihnen Moscheen zu bauen. Über die Kolonien in Ostfriesland schreibt der alte Schlosser: »Gesindel aller Art strömte herbei, der Verfasser dieser Schrift selbst hat gesehen, wie unsicher dadurch die an sich unzugänglichen Gegenden wurden, wie des kargen Königs Geld dabei verschwendet ward und wie die Bewohner seiner kostspieligen Anlagen schon nach zwanzig Jahren durch Elend, Trägheit, Schmutz, Bettelei, Raub und Mord ein Schrecken der alten Einwohner geworden waren.« Schlosser, Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts, 2, 246. Die 300000 Kolonisten, die Friedrich angesetzt haben soll, waren also eine sehr zweifelhafte Vermehrung der Bevölkerung, und der an sich wohlgemeinte Versuch des Königs, die durch die Leibeigenschaft »faule und schläfrige Art des Landmanns durch neues Blut zu korrigieren und dem Lande ein Exempel besserer Wirtschaft zu geben«, verdient nicht ganz die Lobeshymnen der patriotischen Historiker.
Am schärfsten tritt die Kurzsichtigkeit von Friedrichs innerer Politik auf solchen Gebieten hervor, auf denen man gerade von ihm, dem Philosophen und Poeten, ein besseres Verständnis seiner Pflichten hätte erwarten sollen. Sein Vater war ein banausischer Verächter von Bildung und Wissenschaft, aber er hatte doch eine Ahnung davon, daß geistige Kenntnisse zur Hebung des Wohlstandes und damit zur Stärkung der Finanzen beitragen. Er gründete Militär- und Volksschulen; er führte die allgemeine Schulpflicht wenigstens auf dem Papier ein. Das wurde unter Friedrich anders und viel schlechter. Er kümmerte sich um die Volksschulen sehr wenig, so gut wie gar nicht, oder um das Ding beim richtigen Namen zu nennen: Er schlug sie einfach tot. Kurz vor dem Hubertusburger Frieden sandte er aus Sachsen, dem in seiner Art klassischen Lande des deutschen Schulwesens, acht Schullehrer nach Preußen, von denen vier in der Kurmark und vier in Hinterpommern angestellt wurden, aber dann verfügte der König, daß seine invaliden Soldaten die Schullehrerstellen erhalten sollten, so daß, »war der Vorgänger ein nur nicht ganz unwissender Mann, die Schüler unterrichteter waren als der in Waffen ergraute Lehrer«. Was alles den modernen Byzantinismus nicht gehindert hat, in Friedrich den »Heros der Aufklärung auf dem Gebiete des Schulwesens« zu feiern. Weber in seiner Weltgeschichte nennt den König so. Wir beschränken uns auf wenige Worte über die Volksschule unter Friedrich, da diese Seite seiner Regententätigkeit in der bekannten trefflichen Schrift von Seidel schon gründlich erörtert worden ist. Allerdings machte der König auf diesem Gebiete keinen Unterschied zwischen seinen glücklichen Untertanen. Um die Hochschulen stand es ebenso elend wie um die Volksschulen. Man braucht nur einen Blick auf die kläglichen Etats der vier Landesuniversitäten zu werfen. Duisburg hatte 5678, Königsberg 6920, Frankfurt a. O. 12648 und Halle 18116 Taler Einkünfte. Die Besoldungen der Professoren waren jammervoll, die wissenschaftlichen Institute fast durchweg im tiefsten Verfalle. Preuß, 3, 111 ff. und – ausführlicher – Martin Philippson, Geschichte des preußischen Staatswesens vom Tode Friedrichs des Großen bis zu den Freiheitskriegen, 1, 133 ff. Von diesem Werke sind nur die beiden ersten bis zum Tode Friedrich Wilhelms II. reichenden Bände erschienen; nach deren Veröffentlichung wurden dem Verfasser die preußischen Archive gesperrt – von wegen seiner Tendenz. Gegen diese Tendenz ist nun allerdings insofern manches einzuwenden, als sie eine einseitig preußisch-patriotische ist. Herr Philippson weiß von Friedrichs »wahrhaft sozialistischer Allsorgfalt« zu erzählen und steckt auch sonst voller Illusionen über die friderizianische Zeit. Aber ein Hofgeschichtsschreiber ist er nicht. Er beschönigt die häßlichen und traurigen Dinge, die er in den Akten findet, nicht geflissentlich, sondern teilt sie offen mit, auf daß die Gegenwart aus den Fehlern der Vergangenheit lerne. Und diese höchst veraltete Anschauung ist für die reine Wissenschaft des neuen Deutschen Reichs natürlich strafwürdige – Tendenz. Von dem einzigen Manne ersten Ranges unter den preußischen Universitätslehrern, von Kant in Königsberg, hat Friedrich nichts gewußt, wobei immerhin nicht vergessen werden darf, daß Kants epochemachendes Hauptwerk erst 1781 erschien und erst 1789, nach dem Tode Friedrichs, allgemein bekannt wurde. Dagegen würden wir von dem einzigen Universitätslehrer, dem Friedrich eine ansehnliche, ja glänzende Stellung gab, nichts mehr wissen, wenn Lessing diesem Geheimbderat Klotz in Halle als einem Kabalenmacher und Nichtswisser ersten Ranges nicht eine unerfreuliche Unsterblichkeit beschert hätte. Und dabei mußten sich die preußischen Untertanen an jenen vier verfallenen Quellen wissenschaftlicher Erkenntnis genügen lassen; nach wiederholten Verfügungen Friedrichs sollte das Studieren auf nichtpreußischen Universitäten, und wenn es nur ein Vierteljahr gedauert hatte, mit lebenslänglicher Ausschließung von allen Kirchen- und Zivilämtern, bei Adeligen sogar noch mit Einziehung des Vermögens bestraft werden.
Es gibt nur ein einziges Gebiet der inneren Verwaltung, auf dem Friedrich wirklich reformiert oder doch zu reformieren versucht hat, und es ist ein vor allem wichtiges Gebiet: nämlich die Rechtspflege. Er beseitigte gleich nach seinem Regierungsantritte die Folter; ferner hob er, wie für andere Beamte, so namentlich auch für die richterlichen, die »Infamie« des Ämterkaufs auf, obschon er an einer Besoldungssteuer festhielt; er verfügte auch, daß alle Sporteln der Gerichte nicht dem einzelnen Richter, der sie veranlaßt hatte, sondern einer gemeinsamen Kasse zufließen sollten. Ferner sorgte er für ein beschleunigtes Gerichtsverfahren mit der Maßgabe, daß gemeiniglich jeder Prozeß im Laufe eines Jahres zum rechtskräftigen Abschlusse gebracht sein müsse. Endlich wollte er auch die Unabhängigkeit der Gerichte verbürgen; er sprach sich wiederholt gegen jede Kabinettsjustiz aus. Aber freilich hatten auch hier die Dinge keineswegs jenes ideale Aussehen, das ihnen die französische Fabel von dem Müller in Sanssouci scheinbar gegeben hat. Friedrich schrieb wohl: Die Gesetze müssen sprechen und der Souverän muß schweigen, aber er handelte allzuoft nach dem umgekehrten Grundsatze. Als Philosoph sah er in der Wahrung des Rechts die stärkste Wurzel der fürstlichen Souveränität, aber als König glaubte er ebendeshalb überall eingreifen zu müssen, wo ihm die Gerichte das Recht nicht richtig zu handhaben schienen, womit dann die Kabinettsjustiz seines Vaters glücklich wiederhergestellt war.
Es liegt im Wesen des aufgeklärten Despotismus, daß der aufgeklärte Despot sich auch dann oder vielmehr dann erst recht in einem verderblichen Kreise herumbewegt, wenn er wirklich einmal einen Kulturfortschritt anbahnen will. Friedrich haßte die »Justiz nach der alten Leier«, die nach seiner triftigen Behauptung immer den reichen Leuten geholfen hatte, die halb verkäufliche, halb versimpelte Justiz seines Vaters, der die Richterstellen teils nach den Einzahlungen in die Rekrutenkasse vergab, teils nach dem Grundsatze, daß Bewerber von »Kop« der Verwaltung, »dume Teuffel« aber der Justiz überwiesen werden sollten. Friedrich empfand auch ganz richtig, daß eine herkulische Arbeit zu vollbringen, ein wahrer Augiasstall zu reinigen sei, wenn er eine »prompte und unparteiische, kurze und solide Justiz administrirt« haben wollte. Aber die Schlußfolgerung, die er daraus zog und vom Standpunkt des aufgeklärten Despotismus nicht mit Unrecht zog, daß er nämlich »sich selbst darein meliren«, daß er selbst auf dem Posten sein und jeden Augenblick dreinfahren müsse, wenn die Kabale sich einzuschleichen drohe, führte notgedrungen wiederum zu der verderblichen Kabinettsjustiz.
Man kann es dem König nicht eigentlich zum Vorwurfe machen, daß er es in erster Instanz bei der Patrimonialgerichtsbarkeit bewenden ließ, der Gerichtsbarkeit der Junker über die Bauern, bei welcher nach einem zeitgenössischen Worte »der Stock die Gelehrsamkeit ersetzte«. Denn daran konnte er aus schon entwickelten Gründen beim besten Willen nichts ändern. Aber Friedrich hat auch in den landesherrlichen Gerichten der oberen Instanzen niemals für eine unabhängige Justiz gesorgt; er hat stets den Grundsatz zurückgewiesen, daß Richter nicht durch königliche Machtsprüche, sondern nur kraft eines richterlichen Urteils abgesetzt werden könnten. So fegte Cocceji, des Königs rechte Hand in Justizsachen, einmal das ganze Kammergericht bis auf zwei Räte aus, darunter Männer, die seit Jahrzehnten unverweislich ihre Pflicht erfüllt hatten, ohne jedes Urteil, ja ohne jede Anklage, nur um die erledigten Stellen mit seinen Kreaturen zu besetzen. Friedrichs gesunder Widerwille gegen jede Justizverschleppung machte es nach und nach bei ihm zur fixen Idee, daß die Beendigung jedes Prozesses im Laufe eines Jahres der Inbegriff nicht nur einer »kurzen«, sondern auch »soliden« Justiz sei; die Prozeßordnung, die Cocceji entwerfen mußte, nennt sich schon in ihrem Titel »das Projekt des Codicis Fridericiani Marchici, nach welchem alle Prozesse in einem Jahr durch alle Instanzen zu Ende gebracht werden sollen und müssen«. Um dieses Ziel zu erreichen, umging Friedrich die ordentlichen Gerichte und setzte Immediat-Kommissionen ein; »mit wahrem Vergnügen« stellt er in einer Kabinettsorder vom 11. Mai 1747 fest, daß eine solche Kommission unter Coccejis Vorsitz binnen Jahresfrist am Hofgericht in Stettin 1600 und am Hofgericht in Köslin 720 Prozesse »abgetan« hat. Wie es bei dieser summarischen Justiz herging, sagt erschöpfend das lakonische Wort des Justizministers Jarriges: »Marsch! was fällt, das fällt.« Nicht ohne Grund sah Friedrich eine Ursache der Prozeßverschleppung in der damaligen Advokatur, die von seinem Vater grausam verfolgt worden war und infolgedessen zweifelhafte Subjekte reichlich genug in ihren Reihen hatte. Aber es trug gewiß nicht zur Hebung dieses Berufs bei, daß Friedrich neben mancher verständigeren Anordnung als Hauptmittel der Besserung die Kassation fortdauernd über dem Haupte jedes Advokaten schweben ließ; fehlten andere Gründe, so wurden des abschreckenden Beispiels wegen von Zeit zu Zeit einige beseitigt. So im Jahre 1775 ihrer sieben.
Der König hielt sich für den obersten Richter, der nur wegen der praktischen Unmöglichkeit, jeden einzelnen Rechtsfall selbst zu entscheiden, einen Teil seiner richterlichen Gewalt auf andere übertragen habe, und in seinem königlichen Willen sah er die Quelle, welche die dürre Heide des geschriebenen und überlieferten Rechts gewissermaßen erst befruchtete. Vor allem auf dem Gebiete des Kriminalrechts suchte er diese Auffassung, soweit als nur immer möglich war, praktisch durchzuführen. In allen wichtigeren Fällen mußten die Erkenntnisse durch landesherrliche Gerichte gefällt und, wenn es sich um bedeutendere Strafen handelte, vom Landesherrn bestätigt werden. Sträflinge durften auf den Festungen nur auf Grund einer königlichen Order angenommen werden. Friedrich ließ hieran nie etwas ändern; er glaubte so die Untertanen am besten vor Unterdrückung gesichert; er wollte sich auch wohl vorbehalten, die scheußlichen Strafen der Karolina, die noch immer das preußische Strafrecht war, zu mildern. Aber der Justizminister v. Arnim, der als Chef des Kriminaldepartements die genaueste Sachkenntnis gewonnen hatte und übrigens den König lebhaft bewunderte, hat gleich nach dessen Tode in einer ausführlichen Schrift dargetan, wie wenig auf diesem Wege erreicht wurde. Indem der König sich an keine Grundsätze binden wollte, verfiel er in Launen, und gemeiniglich verschlimmerte er das Übel, das er beseitigen wollte.
Sogleich bei seiner berühmtesten Justizreform: der Aufhebung der Folter. Die Tortur war nicht in dem Sinne eine sinn- und zwecklose Grausamkeit, daß sie von bösen oder dummen Menschen erfunden worden war und von einsichtigen oder guten Menschen einfach aufgehoben zu werden brauchte. Sie bildete vielmehr die Spitze des damaligen Kriminalprozesses, der die gesetzliche Strafe nicht ohne Eingeständnis des Angeklagten verhängen durfte und deshalb die Folter anwenden mußte, um einem nach der Überzeugung des Gerichtshofes sonst überführten Verbrecher auch das zur Verurteilung notwendige Geständnis zu entreißen. Deshalb hatte selbst Thomasius die Tortur nicht unbedingt zu verwerfen gewagt, und wenn Friedrich wirklich mit der barbarischen Gewohnheit brechen wollte, so mußte er eben den Kriminalprozeß gesetzlich reformieren. Aber daran dachte er nicht im entferntesten; er entschied von Fall zu Fall, sicher, daß er in jedem Falle das Rechte treffen werde. Ein aufsehenerregender Fall, in dem die Unschuld des Angeklagten gerade noch entdeckt wurde, als er schon auf die Folter gebracht werden sollte, veranlaßte ihn zur Anweisung an die Gerichte, nicht mehr auf Tortur zu erkennen. Dann aber verfügte der König in einem anderen Falle, in dem die Verurteilung eines zweifellos schuldigen Verbrechers an dessen Leugnen zu scheitern drohte, das mangelnde Geständnis durch – Prügel zu erzwingen. Damit war denn die Tortur in einer neuen und gefährlicheren Form wiederhergestellt. Sie hatte früher nur auf Grund eines förmlichen Erkenntnisses landesherrlicher Gerichte angewandt werden dürfen, während nunmehr jedem Untersuchungsrichter gestattet war, nach Herzenslust zu prügeln; »die Inquirenten bedurften dazu keiner höhern Ermächtigung und wandten das erwünschte Mittel so energisch an, daß man bald einige eklatante Justizmorde zu beklagen hatte« Alte und neue Rechtszustände in Preußen; Preußische Jahrbücher, 5, 390..
Mit dem Willen des Königs als höchstem Gesetz hat es seine eigentümliche Bewandtnis. Entweder rüttelt er in eitlem Fürwitz an dem organischen Zusammenhange der historischen Entwicklung, und dann scheitert er oder zerstört, wo er schaffen möchte. Oder aber er begnügt sich mit dem Spielraume, den jeweilig die fürstliche Klasse hat, und dann erweist er sich keineswegs als Kind einer überirdischen Weisheit, sondern als das sehr irdische Erzeugnis von Klasseninteressen. Wer daran zweifelt, daß die geistigen Lebensformen durch die materiellen Lebensverhältnisse bestimmt werden, mag nur einmal Friedrichs Strafrechtspflege studieren; das Beispiel ist um so beweiskräftiger, als es dem Könige mit seiner Justizreform bitterer Ernst war, als er auf keinem Gebiete so kräftig wie auf diesem seine philosophischen Anschauungen in seinem fürstlichen Handwerke zu verwirklichen strebte. Sein Moral- und Strafkodex in Sachen der sogenannten fleischlichen Verbrechen spiegelt mit fast grotesker Schärfe seine Bevölkerungspolitik wider. Er verbot die Kirchenbuße gefallener Mädchen und untersagte jedem, ihnen wegen ihres Fehltritts Vorwürfe zu machen. Er gestattete zwar, daß, wenn einer in puncto sexti sich vergangen hatte, zwei Prediger ihm den begangenen Fehler zu Gemüte führen könnten, aber er fügte hinzu, »ohne zu poltern oder zu schelten«, und keiner der Geistlichen dürfe davon etwas verlauten lassen bei Strafe der Kassation; es müsse alles wie in der Beichte gesprochen angesehen werden. Er begnadigte gänzlich in Fällen von Blutschande, die dennoch vor die Gerichte gelangt waren, oder, was noch bezeichnender ist, als sich ein Ehemann bei Lebzeiten der Ehefrau mit der Tochter vergangen hatte, lehnte er die Begnadigung mit der Begründung ab: »Das ist zu gropf.« Er gewann dadurch überhaupt eine so weitherzige Ansicht von den fleischlichen Verbrechen, daß er das über einen Kavalleristen wegen Sodomiterei gefällte Todesurteil mit der klassischen Randschrift kassierte: »Der Kerl ist ein Schwein; er soll zur Infanterie.« Er beseitigte die Todesstrafe, die auf Abtreibung der Leibesfrucht gesetzt war, damit die Mutter durch spätere Fortpflanzung ihr Verbrechen wieder gutmachen könne. Er ließ die Bigamie nicht nur ungestraft, sondern erkannte sie rechtlich an, wie beispielsweise beim General Favrat. Friedrich selbst hatte bekanntlich schon an einer Frau zuviel, und es wäre lächerlich, seine juridische und moralische Weitherzigkeit in geschlechtlichen Dingen einer persönlichen Lasterhaftigkeit zuzurechnen. Doch ist zu bemerken, daß diese Weitherzigkeit den König nicht etwa verleitete, mit der katholischen Kirche wegen der kirchlichen Strafen anzubinden, die sie auf die Übertretung kirchlicher Eheverbote setzte. Friedrich war viel zu gescheit, um so »genial« wie der Herr Bismarck im »Kulturkampfe« zu sein. Einen Übergriff seiner Behörden in dieser Beziehung redressierte er sofort, indem er verfügte: »Indem sie (die katholischen Geistlichen) gedachtem Berkmeier die Absolution und das Abendmahl versagen, so geschieht ja dadurch kein Eingriff in unsere Rechte, welche uns in Ansehung der Dispensation in Ehesachen zustehen, sondern sie tun anderes nicht, als daß sie den Supplikanten von einem Genuß ausschließen, dessen er sich durch seine in der römischen Kirche verbotene Heirat verlustig gemacht und den er nicht verlangen kann, solange er ein Mitglied dieser Kirche ist.«
In schroffem Gegensatze zu dieser Weitherzigkeit und doch in vollkommenem Einklänge mit ihr stand die barbarische Grausamkeit der friderizianischen Rechtspflege, soweit es sich nicht um die Lieferung, sondern um die Trainierung des Menschenmaterials für despotische Zwecke handelte. Bei militärischen und politischen Verbrechen, mochten sie auch nur »Verbrechen« nach der damaligen Staatsräson sein, schreckte Friedrich vor keiner noch so brutalen Verletzung der Rechtsformen, vor keiner noch so entsetzlichen Strafe zurück. Da betrachtete er sich als unbeschränkten Herrn über Freiheit und Leben seiner Untertanen; da verhängte er Freiheits- und Lebensstrafen, wenn es ihm paßte, aus eigener Machtvollkommenheit und verschärfte ins Ungeheuerliche die richterlichen Urteile, die seiner Bestätigung bedurften. Er schlug es rundweg ab, wenn ihn einmal ein Oberst bei stark mildernden Umständen eines einzelnen Falles um eine Milderung der blutigen Kriegsartikel bat; er ließ den Geheimrat Ferber ohne Urteil und Recht wegen Verbreitung angeblich landesverräterischer Nachrichten in Spandau enthaupten und seinen Kopf auf einen Pfahl stecken. Namentlich mit den wachsenden Jahren des Königs nahm seine Kabinettsjustiz sehr überhand. Um ihr einigermaßen zu steuern, vermied das Kammergericht nach Möglichkeit, auf Festungsstrafe zu erkennen; in einem Falle konnte es einen offenbaren Justizmord, auf den es nach Befehl des Königs erkennen sollte, nur dadurch hindern, daß es die Erledigung des Verfahrens bis über den Tod Friedrichs verschleppte.
In der Sache des Müllers Arnold, dem bekanntesten Falle der friderizianischen Kabinettsjustiz, spielten verschiedene Gesichtspunkte durcheinander. Eine Justiz, die das Recht des Bauern rücksichtslos gegen den Junker zu wahren schien, war ein treffliches Anziehungsmittel für bäuerliche Ansiedler aus der Fremde, und sie war auch ein derber Denkzettel für die gar zu patriarchalische Gerichtsbarkeit der Junker. Aber Friedrich wurde dabei doch in sehr empfindlicher Weise an die Grenzen seiner Macht erinnert. Er bog das Recht, um in einem einzelnen Falle einem einzelnen Bauern zu helfen, aber als nunmehr Schwärme von Bauern das Schloß umlagerten und zu den Fenstern des Königs gerichtliche Urteile emporhoben, durch die sie viel schlimmeres Unrecht erfahren haben wollten als der Müller Arnold, da konnte er ihnen nicht helfen. Dazu wirkte noch ein militärpolitischer Gesichtspunkt in dieser berühmten Affäre mit. Der Müller Arnold hatte seine Beschwerden auf militärischem Wege zu den Ohren des Königs zu bringen gewußt, und Friedrich hatte irgendeinen unwissenden Kriegsknecht von Obersten mit der Untersuchung der Angelegenheit betraut. Auf dessen Bericht hin kassierte er die Richter des Kammergerichts, die gegen den Müller entschieden hatten, in schimpflichster Weise und schrieb an den Minister v. Zedlitz, der sich weigerte, dem Gewaltakte hilfreiche Hand zu leisten: »Das Federzeug verstehet nichts. Wenn Soldaten etwas untersuchen und dazu Order kriegen, so gehen sie den geraden Weg und auf den Grund der Sache. Allein ihr könnt das nur gewiß sein, daß ich einem ehrlichen Offizier, der Ehre im Leibe hat, mehr glaube als allen euren Advokaten und Richtern.« In der Sache des Müllers Arnold geben die preußischen Mythologen meistens der Wahrheit die Ehre, und es ist deshalb zu bedauern, daß Dühring, Sache, Leben und Feinde, 394, sie wegen ihrer »meist feige verhaltenen, aber doch hinreichend sichtbaren Bosheit gegen jene wirkliche Großtat des originalen Königs« verhöhnt. Eher versteht man es schon, wenn neuestens irgendein patriotischer preußischer Amtsrichter in guter Witterung der Zeit die rettende soziale Tat des Königs preist, die sich über formale Gesetzesbedenken hinweggesetzt habe. Übrigens scheint Friedrich selbst seinen Gewaltschritt bald als solchen erkannt und nur deshalb nicht zurückgetan zu haben, weil er seine königliche Unfehlbarkeit nicht bloßstellen wollte. Interessante Einzelheiten darüber bei Preuß, 3, 522 ff.
So haben wir denn den aufgeklärten Despotismus Friedrichs nach seinem innern Zusammenhange, seinen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in großen Umrissen geschildert. Ließ sich dabei eine gewisse Ausführlichkeit nicht vermeiden, so können wir uns über die Moral von der Geschichte um so kürzer fassen. Es hieße Wasser in die Spree tragen, wenn wir noch nachweisen wollten, daß dieser aufgeklärte Despotismus mit dem Zeitalter der deutschen Humanität, dem Lessing die erste Bahn brach, schlechterdings gar nichts zu tun hat. An einem Dornstrauche können keine Feigen wachsen.
Es bleibt noch übrig, die Diplomatie und die Kriegführung Friedrichs auf den gleichen Gesichtspunkt zu untersuchen.