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VIII. Friedrichs Diplomatie und Kriegführung

Die auswärtige Politik des preußischen Militärstaats war durch seine Lebensbedingungen gegeben. Er konnte dauernd nicht bestehen, solange er sich, von ein paar Landparzellen am Rhein abgesehen, einzig auf die voneinander getrennten Landschaften Brandenburg und Ostpreußen stützte, von denen Ostpreußen zudem noch unter polnischer Lehnshoheit stand. Diese abzuschütteln, sich zwischen Polen und Schweden eine unabhängige Stellung zu sichern und den Zankapfel beider Mächte, die Herrschaft über die Ostsee, selbst an sich zu reißen, durch die Erwerbung der anderen ostelbischen Kolonisationen, namentlich Pommerns und Schlesiens, mit deren Besitze das ganze handelspolitische Gebiet der Oder unter preußische Hoheit kam, ein ökonomisch und politisch abgerundetes Gemeinwesen herzustellen – das war zunächst die auswärtige Politik des preußischen Militärstaats, die von selbst gegeben war und sich gewissermaßen auch von selbst durchsetzte. Die größere oder geringere »Genialität« der einzelnen Fürsten hatte dabei nur insofern mitzusprechen, als sie ihnen eine größere oder geringere Einsicht in den notwendigen Gang der Dinge ermöglichte und somit die Wahl gewährte, sich nach dem lateinischen Worte von den Geschicken leiten oder schleppen zu lassen.

Wir haben gesehen, daß schon der Kurfürst Friedrich Wilhelm den Plan zur Erwerbung Schlesiens entworfen und das Erlöschen des habsburgischen Mannesstammes als den Zeitpunkt angegeben hatte, wo diese Eroberung ins Werk zu setzen sei. Er selbst erwarb zunächst die Souveränität des Herzogtums Preußen, auf welche sein Nachfolger, Friedrich I., dann die Königswürde gründete. Für diesen Zweck warf sich der Kurfürst in den polnisch-schwedischen Kriegen um die Ostsee bald auf die eine, bald auf die andere Seite, mit einer Unbedenklichkeit in der Wahl der Mittel, die sogar den brandenburgischen Hofgeschichtsschreibern ein leises Schaudern einflößt. Es gelang dem Kurfürsten ferner, den größeren, aber hafenarmen Teil von Pommern an sich zu bringen; dagegen blieben Vorpommern und Stettin in den Händen der Schweden. Zweimal glaubte der Kurfürst auch diesen Teil von Pommern in der Hand zu haben; zweimal, im Westfälischen Frieden und im Frieden von St. Germain, mußte er zu seinem bittersten Verdrusse darauf verzichten. Schon im Jahre 1646 erklärte er, von der Oder könne und werde er ohne den Ruin seines Hauses nicht abstehen, und er kämpfte Schritt um Schritt um die Odermündungen. Aber wie er, so wußten auch seine Gegner, wessen der brandenburgisch-preußische Staat bedurfte. So unanfechtbar die Erbansprüche des Kurfürsten auf das ganze Pommern waren: Frankreich, Österreich, Schweden widersetzten sich ihnen gleichmäßig. Ehe sie dem Kurfürsten einen beherrschenden Platz an der Ostsee einräumten, stopften sie ihm lieber den Mund durch die Bistümer Kammin, Halberstadt, Minden und die Anwartschaft auf das Erzbistum Magdeburg, das heißt durch einen Besitz, der sowohl an Umfang wie an Kultur dem vorenthaltenen Teile von Pommern weit überlegen war. Nähere Daten darüber bei Stenzel, Geschichte des preußischen Staats, 2, 47 ff. Gleichwohl unterzeichnete der Kurfürst den westfälischen Friedensvertrag mit dem Stoßseufzer, daß er wünschte, nie schreiben gelernt zu haben. Erst seinem Enkel, dem Könige Friedrich Wilhelm I., gelang es, aus dem Schiffbruche des schwedischen Karl XII. Stettin und die Odermündungen sowie ein Stück von Vorpommern zu erwerben.

Der habsburgische Mannesstamm erlosch im Jahre 1740, wenige Monate nachdem Friedrich II. die Regierung angetreten hatte. Es war nun weder ein genialer Gedanke noch eine revolutionäre Insurrektion, sondern einfach die unverbrüchliche Politik des preußischen Militärstaats, die den König veranlaßte, sofort in Schlesien einzufallen, sogar noch ehe Maria Theresia seine Vorschläge zu einer friedlichen Einigung über die brandenburgischen Erbansprüche auf einzelne Teile dieser Landschaft abgelehnt hatte. Von diesen Erbansprüchen spricht Friedrich verständigerweise immer mit Ironie; er wollte einzig eine niemals wiederkehrende Gelegenheit benützen, um den preußischen Staat so abzurunden, daß sein Heer mit der wachsenden Militärmacht der großen Staaten einigermaßen Schritt halten konnte. Er wußte sehr gut, daß seine Erbansprüche in Wien nicht imponieren würden, und er machte sie allein aus taktischen Gründen geltend, teils um seiner Eroberungspolitik einen »rechtlichen« Anstrich zu geben, teils um den Bedenken des Marschalls Schwerin und des Ministers Podewils gerecht zu werden; deshalb sind auch nicht viele Worte darüber zu verlieren, daß er Schlesien besetzte, noch ehe er eine endgültige Absage aus Wien empfangen hatte. Aber freilich sind diese »friedlichen« Verhandlungen ein schlagender Beweis mehr gegen die revolutionäre Insurrektion; wäre Maria Theresia auf Friedrichs Angebote (Unterstützung durch Geld und Waffen gegen ihre sonstigen Feinde und die brandenburgische Kurstimme für die Wahl ihres Gemahls zum römischen Kaiser) eingegangen und hätte sie dafür auch nur Niederschlesien abgetreten, so würde Friedrich die »habsburgische Fremdherrschaft« und wie die schönen Schlagworte von heute sonst noch lauten, nach Kräften gestützt haben. Abgewiesen in Wien, mußte er sich zum Kriege entschließen, der nun aber auch weder eine »revolutionäre Insurrektion« noch eine »patriotische Reichsreform« werden konnte. Denn wenn das habsburgische Kaisertum von Papstes Gnaden ein Schatten war, so stellte das wittelsbachische Kaisertum von Frankreichs Gnaden, dessen Banner Friedrich nunmehr angeblich trug, höchstens eines Schattens Schatten dar. Dagegen war das Bündnis mit Frankreich gegen das habsburgische Kaisertum altbrandenburgische Hauspolitik; hatte doch Kurfürst Joachim I. 1519 dem französischen Könige Franz I., Kurfürst Friedrich Wilhelm 1679 dem französischen Könige Ludwig XIV. die deutsche Krone vertragsmäßig versprochen. Droysen, Geschichte der preußischen Politik, 2, 2, 68 ff. Ranke, Genesis, 335 ff.

Zu alledem kommt noch die merkwürdige Tatsache, daß nicht eigentlich Friedrich Schlesien eroberte, sondern sein Vater, jener kaiser- und reichsfromme Fürst, der lange Jahre zum Gespötte von ganz Europa durch den kaiserlichen Gesandten Seckendorff am Gängelbande geführt worden war. Aus der von ihm sehr ungeschickt eingeleiteten Schlacht bei Mollwitz floh Friedrich verzagt und vorzeitig nach einigen erfolgreichen Angriffen der österreichischen auf die preußische Reiterei, aber das preußische, von Friedrich Wilhelm I. und dem Fürsten von Dessau gedrillte Fußvolk stand wie eine Mauer und entschied ohne sonderlichen Einfluß einer höheren Führung den Sieg. Ebenso unglücklich war Friedrichs erstes Auftreten als Diplomat. In dem Vertrage von Kleinschnellendorf verriet er seinen französischen Bundesgenossen an Österreich, gestattete er dem österreichischen Heere, »um die Schlüssel einer einzigen, im Grunde nicht widerstandsfähigen Festung« Koser, König Friedrich der Große, 1, 153. sich auf seine französischen Verbündeten zu stürzen, die ihm, wie er selbst in seinen Denkwürdigkeiten bekennt, keinen Anlaß zu einem Bruche gegeben hatten. Über die Moral der Sache sind wieder nicht viele Worte zu verlieren; Frankreich und Preußen hatten das gleiche Interesse, Österreich zu schwächen, aber nur so weit, daß der eigene Bundesgenosse dadurch nicht zu stark wurde; es ist schwer zu sagen, ob Friedrich die Franzosen öfter in die Patsche gebracht hat oder sie ihn, wie denn das Gezeter der Zeitgenossen über Friedrichs »Treulosigkeit« gemeiniglich nicht sittliche Entrüstung, sondern nur der Schmerzensschrei eines geprellten Schelms war, über den anderthalb Schelme gekommen waren. Friedrich kannte schon Goethes geflügeltes Wort; er umschreibt es in einem Briefe an Podewils mit dem Satze: »Wenn düpiert werden muß, so seien wir denn Schelme (fourbes).« Aber der Vertrag von Kleinschnellendorf war eine Schelmerei, bei welcher Friedrich düpiert wurde, während er düpieren wollte, und ein Diplomat kann kein schlechteres Geschäft machen, als wenn er einen Bundesgenossen verrät, mit kaum nennenswertem Gewinne für sich, aber mit dem größten Gewinne für den gemeinsamen Gegner. Damals erwarb sich Friedrich den durch seine spätere Diplomatie nicht mehr gerechtfertigten Vorwurf, daß er den kleinsten Gewinn des Augenblicks den größten Vorteilen der Zukunft vorziehe. Eher schon erklärte sich die zweite Preisgabe seiner Bundesgenossen, als Friedrich den Sonderfrieden von Breslau schloß, worin ihm Maria Theresia, namentlich auf Betrieb der englischen Diplomatie, Schlesien abtrat, um den gefährlichsten Feind zunächst loszuwerden und gegenüber ihren sonstigen Gegnern freiere Hand zu bekommen, das heißt also: mit stillen Vorbehalten für die Zukunft.

Diese Vorbehalte lagen so sehr in der Luft, daß es sich abermals leicht erklärt, wenn Friedrich 1744, als im währenden Österreichischen Erbfolgekriege die Erfolge Maria Theresias gegenüber Frankreich und dem wittelsbachischen Schattenkaiser gar hoch gestiegen waren, ein neues Bündnis mit Frankreich schloß und als deutscher Reichsstand seine »Hilfsvölker« dem in seiner Ehre und Würde schwer verletzten Kaiser zuführte. Nur verfiel er auch diesmal einem schweren diplomatischen Fehler, indem er sich im geheimen ein gutes Stück von dem Königreich Böhmen, das er für den Kaiser zu erobern gedachte, für den preußischen Staat ausbedang. Das Geheimnis wurde bald ruchbar und stellte den König moralisch-politisch bloß um einer ganz illusionären Aussicht willen. Hier lag einer der Fälle vor, in denen sich Friedrich in der Tat über seine Machtmittel getäuscht hat. Denn so leicht sich Schlesien bei seiner geographischen Lage und seinen ökonomischen Lebensbedingungen dem preußischen Staate einverleiben ließ, so unlösbar war diese Aufgabe auch nur für einen Teil von Böhmen. Mit der Eroberung dieses Königreichs machte Friedrich denn auch sehr bittere Erfahrungen. Diesmal ließen seine französischen Bundesgenossen ihn im Stich, und der alte Marschall Traun, den Friedrich dann selbst stets mit erfreulicher Ehrlichkeit als seinen Lehrer in der Kriegskunst gepriesen hat, manövrierte ihn unter nahezu völliger Auflösung des preußischen Heeres über die schlesische Grenze zurück. Der Winter von 1744 bis 1745 war eine überaus schwere Zeit für Friedrich; wie er in ihr nach dem Zeugnisse der fremden Gesandten äußerlich zum Manne reifte, so machte er sich innerlich von allen Illusionen frei, mit denen ihn auf dem Gebiete der auswärtigen Politik bisweilen wohl Ehrgeiz, Ruhmbegierde oder, wie er sich gelegentlich ausdrückte, ein »geheimer Instinkt« genarrt hatten. Obgleich er im Jahre 1745 in einer ganzen Reihe von Schlachten und Treffen (Hohenfriedberg, Soor, Katholisch-Hennersdorf, Kesselsdorf) die Österreicher und die Sachsen mit seinem wiederhergestellten Heere schlug, so erbot er sich am Jahresschlusse doch, unter schmerzlichem Erstaunen Frankreichs, unter anfangs ungläubigem, dann freudigem Erstaunen Österreichs, zu einem zweiten Sonderfrieden, wofern ihm der Besitz Schlesiens bestätigt würde. Und nach Erfüllung dieser Bedingung kehrte er in seine Staaten zurück, entschlossen, sein Lebtag »keine Katze mehr anzugreifen«.

Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß es dem Könige voller Ernst mit diesem Entschlusse war. Zwar ist, als elf Jahre später der Siebenjährige Krieg ausbrach, sofort der Vorwurf gegen ihn erhoben worden, daß er in ehrgeiziger und mutwilliger Absicht wieder zu den Waffen gegriffen habe, und diese Anklage scheint um so schwerer ins Gewicht zu fallen, als sie zuerst von Friedrichs eigenen Brüdern erhoben wurde und unter der Mehrzahl seiner Generale und Minister heimliche Zustimmung fand. Auch erscheint sein plötzlicher Überfall Sachsens und die rücksichtslose Knebelung dieses Landes als ein ruchloser Landfriedensbruch. Allein der König entschloß sich zu dem Gewaltschritt höchst ungern und erst unter dem unerbittlichen Zwange der Umstände. Durch den Verrat österreichischer und sächsischer Beamten war er seit mehreren Jahren urkundlich auf dem laufenden erhalten worden über Verhandlungen zwischen Österreich, Sachsen und Rußland, die dahin abzielten, ihn zu überfallen und die aufstrebende Macht des preußischen Staats zu brechen. Die Tatsache dieser Verhandlungen ist und war schon damals unbestreitbar, aber die preußischen Prinzen meinten, das alles hätte noch gar sehr in der Luft geschwebt und wäre ohne das unzeitige Losbrechen des Königs möglicherweise in leeren Dunst zerflossen. Möglicherweise allerdings, und dieser Möglichkeit trug Friedrich auch alle Rechnung, indem er die österreichisch-sächsisch-russischen Verhandlungen jahrelang mit gespannter Aufmerksamkeit, aber sonst in unbeweglicher Ruhe verfolgte. Indessen es gab auch die entgegengesetzte Möglichkeit, die Friedrich nicht zur Gewißheit werden lassen durfte, wenn er nicht in die furchtbarste Pressung geraten wollte. Und diese Möglichkeit wuchs zur Gewißheit heran, als der ökonomische Interessengegensatz Englands und Frankreichs in den nordamerikanischen Kolonien in offenen Krieg ausbrach und damit auch ein Krieg im Innern Deutschlands entschieden war, denn ein Angriff Frankreichs auf Hannover als die wundeste Stelle Englands verstand sich von selbst. Das französisch-preußische Bündnis lief im Juni 1756 ab, und Friedrichs Versuche, es zu erneuern, waren gescheitert. Nicht wegen der freundlichen Gesinnung, die Maria Theresia, und wegen der unfreundlichen Gesinnung, die Friedrich der Pompadour bezeigt hatten, denn dergleichen Dinge spielten selbst in dem absolutistischen Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts für die großen politischen Entscheidungen höchstens in ganz nebensächlicher Weise, oder, wie es in der Sprache der Gerichte heißt, als »adminikulierendes Beiwerk« mit. Da der obenerwähnte Quark in den bürgerlichen Geschichtswerken immer wieder breitgetreten wird, so mag er beiläufig wenigstens insoweit berücksichtigt werden, als aus ihm Streiflichter auf die Sittengeschichte des vorigen Jahrhunderts fallen. Maria Theresia selbst hat in einem Schreiben an die sächsische Kurprinzessin Maria Antonia den persönlichen Briefwechsel mit der Pompadour bestritten, und die einfache Versicherung der, was ihre Person anbetrifft, edlen und hochherzigen Frau wirft den entgegengesetzten vagen Klatsch in den Memoiren von Duclos, Montgaillard, Richelieu und selbst die genaueren Angaben v. Hormayrs im Taschenbuche für die Vaterländische Geschichte von 1811 über den Haufen. Wenn aber die österreichischen Gesandten und Minister, um das französisch-preußische Bündnis zu sprengen, der Pompadour hofierten, so taten sie nur dasselbe, was der preußische Gesandte, Graf Rothenburg, zwölf Jahre früher bei Abschluß des Bündnisses getan hatte; der einzige Unterschied war, daß die königliche Mätresse 1744 nicht Pompadour, sondern Chateauroux hieß. Herr Koser, der ja neuerdings von der preußischen Staatsanwaltschaft als »objektiver und wissenschaftlicher Sachverständiger« über preußische Geschichte in Majestätsbeleidigungsprozessen zugezogen worden ist, erzählt 1, 219, daß »Graf Rothenburg wiederholt selbdritt mit dem Könige bei der Herzogin von Chateauroux zur Nacht speiste«, und fügt hinzu: »Wie hätte die Herzogin des Königs von Preußen ritterlichen Sendboten in seinen Bemühungen nicht fördern sollen, der wie sie selbst einen Appell an die edleren, an die königlichen Leidenschaften in Ludwigs Brust versuchte!« Ja, wie »hätte« sie nicht, und so kam »selbdritt« das preußisch-französische Bündnis von, 1714 zustande, für Preußen das Vorspiel zum Zweiten Schlesischen Kriege, für Frankreich ein neuer Aufschwung des Österreichischen Erbfolgekrieges, dem durch die Anwesenheit Ludwigs XV. im Felde – dies ist es, was Herr Koser »die edleren, die königlichen Leidenschaften« nennt – ein frischer Druck gegeben werden sollte.
Schon hieraus ergibt sich, daß Friedrichs Mißachtung der Pompadour keineswegs spießbürgerlichen Anstandsbegriffen entsprang, die ganz und gar nicht zu seinen Schwächen gehörten. Vielmehr: Wenn er nach dem Zeugnisse von Valori und Voltaire über die Pompadour vor dem Siebenjährigen Kriege – denn in den Nöten dieses Krieges hat er ihr sogar (siehe Schäfer, Siebenjähriger Krieg, 1, 415) das Fürstentum Neuchâtel für Lebenszeit anbieten lassen um den Preis des Friedens mit Frankreich – verächtlich zu sprechen pflegte, so geschah es einfach, weil die Marquise als einfache Antoinette Poisson aus der Roture emporgekommen war, im Gegensatze zur Chateauroux, die eine geborene Marquise de la Tournelle war. Friedrich machte hier denselben Unterschied, den bald nach seinem Tode der Hof und die »Gesellschaft« von Berlin, ja den bis heute die bürgerlich-preußische Geschichtsschreibung macht, indem sie alle Schmach des Mätressenregiments unter Friedrich Wilhelm II. auf die Gräfin Lichtenau, geborene Mamsell Encke, abwälzt und die adeligen Dirnen dieses Königs, die Voß, Dönhoff und wie sie sonst noch heißen, im heroisch-sentimentalen Brillantfeuer einer tragischen Liebesleidenschaft erscheinen läßt. Dem »Philosophen von Sanssouci« stand dieser Unterschied nur um so weniger an, als die Antoinette Poisson trotz alledem auch eine kleine Philosophin war. Sie rettete die Enzyklopädie, als das Parlament von Paris im großen Hofe des Justizpalastes den Scheiterhaufen für das berühmte Werk anzünden ließ; unter ihrem Schutze schrieb François Quesnay sein berühmtes Tableau économique, und dies wie anderes will doch ein wenig mehr bedeuten, als wenn die »hochgesinnte Kebse«, wie selbst Carlyle die Chateauroux nennt, ihren königlichen Liebhaber in ein Kriegsabenteuer jagte, zu dem er taugte wie der Esel zum Lautenschlagen.
Sondern beide Teile hatten bei dem Bündnisse ihre Rechnung nicht gefunden, und wenn die am französischen Hofe immer noch mächtige Partei, die getreu den Überlieferungen Richelieus und .Mazarins in der deutschen Zerrissenheit eine Quelle der französischen Macht sah und somit an dem preußischen, gegen das habsburgische Kaisertum gerichteten Bündnisse festhalten wollte, nochmals die Sendung eines Unterhändlers nach Berlin durchsetzte, so hatte dieser, ein Herzog von Nivernois, doch so viel zu verlangen und so wenig zu bieten, daß Friedrich sich unmöglich auf den Handel einlassen konnte. Der Herzog bot beispielsweise für die preußische Waffenhilfe in dem drohenden Kriege mit England die Insel Tobago, worauf Friedrich mit berechtigtem Spotte erwiderte: »Die Insel Tobago? Sie meinen wohl die Insel Barataria, für die ich aber nicht den Sancho Pansa machen kann.« Damals kannte nämlich die preußische Politik noch nicht jene großmäuligen Fanfaronaden des Herrn Bismarck, wonach das Flaggenhissen auf irgendeinem tropischen Sand- oder Sumpfflecken stets eine nationale Großtat ist.

Genug: Um nicht einer völligen Isolierung zu verfallen, schloß Friedrich am 16. Januar 1756 mit England die Neutralitätskonvention von Westminster ab, eine gegenseitige Übereinkunft, jede bewaffnete nichtdeutsche Macht, die deutschen Boden betrete, mit Gewalt zu vertreiben. Als Gegenschlag folgte am 1. Mai desselben Jahres das französisch-österreichische Schutzbündnis, und Österreich begann mit großen Rüstungen. Nunmehr richtete Friedrich zweimal eine diplomatische Anfrage nach Wien, einmal nach dem Zwecke dieser Rüstungen und dann darnach, ob er für dies und das folgende Jahr vor jedem österreichischen Angriffe sicher sei. Beide Male erhielt er ausweichende, nichtssagende, ja geradezu höhnische Antworten, und jetzt durfte er bei dem eigentümlichen Wesen des preußischen Militärstaats keinen Augenblick länger zögern. Nach einem treffenden Vergleiche von Carlyle besaß er ein ungleich kürzeres Schwert als Frankreich und Österreich, aber er brachte es dreimal so schnell aus der Scheide wie diese Großmächte, und er konnte schlechterdings nicht warten, bis dieser sein gewichtiger, aber auch einziger Vorzug vor seinen ihm sonst in jedem Betrachte überlegenen Gegnern illusorisch geworden war. Von seinem und seines Staates Interessenstandpunkte aus, und der ist doch für seine subjektive Beurteilung entscheidend, könnte man eher sagen, daß er schon zu lange gezögert hatte und daß er sich mindestens die zweite Anfrage nach Wien hätte sparen können. Vielleicht hätte er es auch getan, wenn ihm am Beginn des Feldzugs zu einer möglichst späten Jahreszeit nicht auch aus dem gewichtigen Grunde gelegen gewesen wäre, kein französisches Heer mehr in diesem Jahre auf deutschem Boden erscheinen zu sehen. Jedenfalls entstand seinem Plane, durch schnelle Schläge die gefährlichsten und nächsten Gegner, die Sachsen und Österreicher, so weit zu betäuben, daß sie sich gern zu dauerndem Frieden entschlössen, dadurch das erste Hindernis, daß Sachsen noch im letzten Augenblicke seine Truppen in das Felsenlager von Pirna zusammenziehen konnte.

Ein preußischer Eroberungskrieg war der Siebenjährige Krieg somit nicht, aber was war er dann? Die bürgerlich-preußischen Geschichtsschreiber antworten: eine Fortsetzung des Dreißigjährigen Krieges, ein Religionskrieg, die endgültige Rettung der deutschen Geistesfreiheit, die erste Begründung des deutschen Nationalstaats und wie die herrlichen Schlagworte alle lauten. Lassen wir die Tiraden ohne jeden greifbaren Inhalt beiseite und halten wir uns an den Religionskrieg, bei dem sich ungefähr etwas denken läßt. Es scheint ja auch auf flacher Hand zu liegen. Nach der Gruppierung der Mächte im Österreichischen Erbfolgekriege und den ersten Schlesischen Kriegen: Frankreich-Preußen hier, England-Österreich dort; nach diesen »weltlichen« Kriegen, in denen die Konfessionen bunt gemischt sind, nunmehr der »Religionskrieg«, der die Konfessionen streng scheidet: die katholischen Mächte Frankreich und Österreich mit dem segnenden Papste im Hintergrunde gegen die protestantischen Mächte England und Preußen; dort Finsternis, Mittelalter, Geistesknechtschaft, hier Licht, Zukunft, Geistesfreiheit; dort romanische Entartung oder slawische Barbarei, hier Zivilisation unter dem Zeichen des Germanentums. Schade nur, daß der Krieg nicht entstand aus einem Glaubens-, sondern aus einem Handelsgegensatze zwischen England und Frankreich; schade nur, daß er endete mit der politischen Hegemonie eines wirklichen Barbarenstaats über den einen der Freiheits- und Lichtkämpfer, und zwar einer Hegemonie, die der andere der Freiheits- und Lichtkämpfer wieder aus – handelspolitischen Rücksichten verschuldet hat.

Im Vertrage von Westminster, welcher der schon erwähnten Neutralitätskonvention ein Jahr später folgte, hatte England neben der Zahlung von Subsidien an Preußen versprochen, eine Flotte in die Ostsee zu senden, acht Linienschiffe und mehrere Fregatten und wenn nötig auch noch mehr Fahrzeuge. Die Bestimmung war klar und unzweideutig, ebenso ihr Zweck; die englische Flotte in der Ostsee hätte Ostpreußen und Pommern für Friedrich erhalten; sie hätte vor allem durch Sperrung der russischen Häfen, durch Vernichtung des russischen Handels diesem Barbarenstaate die Einmischung in die europäischen Händel verleidet. England hat aber nie daran gedacht, auch nur ein bewaffnetes Boot in die Ostsee zu senden; ja, es beließ sogar während des ganzen Krieges eine Gesandtschaft in Petersburg. Nicht das Interesse des protestantischen Bundesgenossen entschied, sondern das Interesse des englischen Handels. England besaß damals noch kein indisches Reich; seine nordamerikanischen Kolonien waren noch wenig angebaut und bevölkert; so durfte kein englischer Minister den Ostseehandel antasten. Als Pitt das Ruder ausschließlich in die Hand bekam, machte er dem Könige von Preußen auch gar kein Hehl daraus, daß Friedrich nie darauf rechnen dürfe, jene Bestimmung des Vertrags von Westminster ausgeführt zu sehen; alle Begeisterung der englischen Nation für die protestantische Sache im allgemeinen und für Friedrich im besonderen ändere gar nichts an der Tatsache, daß jedes Ministerium, welches eine Kriegsflotte in die Ostsee sende, sofort die Stimmenmehrheit im Parlamente verlieren würde. Kluge Staatsmänner wissen recht gut, daß die ökonomischen Tatsachen die Welt regieren, und unter sich machen sie auch gar kein Hehl daraus. Die ideologische Einkleidung überlassen sie den staatsmännischen Geschichtsschreibern, an denen es zum Heile der aufgeklärten und noch aufzuklärenden Menschheit ja auch noch in keinem Volke gefehlt hat.

Jenes handelspolitische Interesse der englischen Nation gab dem Siebenjährigen Kriege die entscheidende Wendung. Gefeit gegen jeden Angriff, konnte das russische Zarentum seine wüsten Eroberungs- und Raubinstinkte nach Gefallen austoben. Es hat sich denn auch dreimal den Luxus gegönnt, seine Stellung im Siebenjährigen Kriege zu ändern. Die erste und längste Zeit hindurch kämpfte das russische Heer gegen Preußen, heimste die Provinz Ostpreußen gänzlich ein, verwüstete in bestialischer Weise Pommern und die Mark, schlug fast immer die preußischen Truppen in vernichtenden Niederlagen, denn auch die Schlacht von Zorndorf war mehr ein unentschiedener Zusammenstoß als ein Sieg Friedrichs, kurzum, drängte den preußischen Staat bis an den Rand des Abgrunds, soweit getreu dem vom russischen Senat schon im Jahre 1753 zu einer »beständigen Staatsmaxime« erhobenen Beschlusse, sich nicht allein allem ferneren Anwachsen der preußischen Macht zu widersetzen, sondern auch die erste bequeme Gelegenheit zu ergreifen, um das Haus Brandenburg durch eine überwiegende Macht zu unterdrücken und in seinen vorigen mittelmäßigen Zustand zu versetzen. Offenbar schoß aber diese Maxime, die unter dem Einflusse der veralkoholisierten und wüterischen Zarin Elisabeth beschlossen worden war, weit über das Ziel hinaus; nicht die politische Vernichtung, sondern die politische Beherrschung des preußischen Staats war russisches Interesse; Preußen durfte kein Nebenbuhler Rußlands, es mußte sein Vasall werden, aber es mußte daneben doch immer ein Pfahl im Fleische Österreichs bleiben; so geboten es die russischen Eroberungszwecke, mochten sie sich nun auf Polen, die Türkei oder auf Deutschland selbst richten. Es ist auch sehr genau zu verfolgen, wie die russischen Generale sich ganz im Widerspruche mit dem Willen der Zarin immer davor hüten, dem preußischen Heere den letzten Gnadenstoß zu geben, was ihnen beispielsweise nach der Schlacht bei Kunersdorf ein leichtes gewesen wäre. Nach dem plötzlichen Tode der Zarin Elisabeth folgte dann das preußisch-russische Bündnis, das nichts als eine närrische Laune des närrischen Peter III. war. Einen armseligen Tritagonisten nennt ihn Lessing, ausersehen, in der Larve eines Gottes den ungeschickten Knoten eines blutigen Schauspiels zu zerschneiden. Aber entwirrt hat diesen Knoten erst Katharina II. Als sie ihren Gemahl Peter in bübischer Weise ermordet und ohne eine Spur von Recht den russischen Thron bestiegen hatte, begriff diese gescheite Person sofort das russische Interesse; durch ihre Neutralität ließ sie den Siebenjährigen Krieg an allgemeiner Erschöpfung sterben und pflückte dann seine Frucht in dem preußisch-russischen Bündnisse vom 14. April 1764, in dessen geheimen Artikeln schon die Teilung Polens angebahnt wurde. König Friedrich, der keineswegs eine bismärckische Hornhaut gegenüber russischen Unverschämtheiten besaß, fühlte sich als russischer Satrap im Innersten gedemütigt, aber er konnte dieser »furchtbaren Macht« nicht widerstehen; er mußte durch seine Subsidien die Türkenkriege Katharinas unterstützen; er mußte bei der ersten Teilung Polens den größten Teil des Hasses auf sich nehmen und durfte nur den kleinsten Teil der Beute davontragen; er mußte mitsamt Österreich 1779 im Teschener Frieden, der den Bayrischen Erbfolgekrieg beschloß, Rußland als »Garanten des Westfälischen Friedens« anerkennen.

Fortsetzung des Dreißigjährigen Krieges in der Tat, aber in gar sehr anderem Sinne, als die preußischen Mythologen meinen! Wie der Dreißigjährige, so endete der Siebenjährige Krieg mit dem Scheitern des Versuchs, Deutschland unter die Herrschaft des habsburgisch-päpstlichen Kaisertums zu bringen. Wie der Dreißigjährige, so erstarb auch der Siebenjährige Krieg an der allgemeinen Erschöpfung: Die Verwüstung Deutschlands nach dem einen wie dem andern war – so bezeugt wenigstens König Friedrich – gleich groß. Wie der Dreißigjährige Krieg mit der »Garantie des Westfälischen Friedens« durch Frankreich und Schweden, das heißt mit dem Rechte zur beliebigen Einmischung in die deutschen Verhältnisse, das heißt mit der Fremdherrschaft zweier Kulturvölker schloß, so der Siebenjährige Krieg mit der »Garantie des Westfälischen Friedens« durch Rußland, mit der Fremdherrschaft eines Barbarenstaats, deren unheilvolle Folgen bis heute noch nicht überwunden sind, wie denn ihre Überwindung überhaupt erst erhofft werden kann, seitdem die deutsche Arbeiterklasse zum politischen Bewußtsein erwacht ist.

Merkwürdig bei alledem, wie durch ebendiesen Siebenjährigen Krieg der »erste höhere Lebensgehalt« in das geistige Leben des deutschen Volkes gekommen sein soll!


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