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Julianus und Arsinoe gingen durch eine Cypressenallee dem Meere zu. Ein silberner, mondbeleuchteter Pfad lief durch die Wellen bis an den Horizont. Die Brandung rauschte an den Kreidefelsen der Küste. Über einer halbrunden Steinbank erhob sich eine Statue der Jägerin Artemis in einer kurzen Tunika, mit dem Halbmonde in den Locken, mit Bogen und Köcher und zwei schlanken Hunden; sie schien im Mondlichte wie lebendig. Die beiden setzten sich auf die Bank.
Das Mädchen wies auf den Hügel der Akropolis, mit den kaum sichtbaren, weißschimmernden Säulen des Parthenons hin und erneuerte das Gespräch, das sie schon oft miteinander geführt hatten:
»Sieh nur, wie schön das ist! Und das alles willst du zerstören, Julianus? . . .«
Er antwortete nicht und schlug die Augen nieder.
»Ich habe viel darüber nachgedacht, was du mir neulich gesagt hast, von eurer Demut . . .« fuhr Arsinoe ganz leise, wie vor sich hin, fort. »War zum Beispiel Alexander, der Sohn Philipps, demütig? Und besaß er vielleicht wenig Tugend?«
Julianus schwieg.
»Und Brutus, Brutus, der Mörder Julius Cäsars? Wenn Brutus seine linke Backe hingehalten hätte, als man ihn auf die rechte schlug, – glaubst du, daß er dann schöner gewesen wäre? Oder haltet ihr, Galiläer, Brutus für einen Verbrecher? – Warum scheint es mir zuweilen, daß du heuchelst, Julianus, und daß dieses dunkle Gewand dir schlecht steht? . . .«
Plötzlich wendete sie ihm ihr vom Mondlicht übergossenes Gesicht zu und blickte ihm durchdringend in die Augen.
»Was willst du, Arsinoe?« rief er erblassend.
»Ich will dich zum Feinde haben!« rief das Mädchen leidenschaftlich aus. »Du darfst nicht an mir so vorübergehen, ohne mir zu sagen, wer du eigentlich bist. Weißt du, ich denke mir oft: es wäre besser, wenn Athen und Rom in Trümmern lägen, denn es ist besser, die Leiche zu verbrennen, als sie unbeerdigt zu lassen. Alle unsere Freunde, die Grammatiker, Rhetoren, Poeten die Verfasser der Lobeshymnen auf die Kaiser, – sind nur eine verwesende Leiche von Hellas und Rom. Der Umgang mit ihnen ist ebenso schrecklich, wie die Gesellschaft von Toten. Ihr Galiläer könnt wirklich triumphieren! Bald wird es auf der Erde nichts mehr geben, als Totengerippe und Trümmerhaufen. Und du, Julianus . . . Nein, nein! Es kann nicht sein. Ich kann es nicht glauben, daß du mit ihnen, gegen mich, gegen Hellas bist! . . .«
Julianus stand vor ihr, blaß und stumm. Er wollte sie verlassen, aber sie ergriff seine Hand und sagte herausfordernd und verzweifelnd:
»Sage mir, sage mir doch, daß du mein Feind bist!«
»Arsinoe! Wozu?«
»Sage mir alles! Ich muß alles wissen. Fühlst du denn nicht, wie nahe wir uns sind? Oder fürchtest du dich? . . .«
»In zwei Tagen verlasse ich Athen, lebe wohl . . .« flüsterte Julianus.
»Du gehst fort? Wozu? Wohin?«
»Ein Brief des Constantius. Der Kaiser beruft mich an den Hof, vielleicht, um mich zu töten. Ich glaube, daß ich dich zum letzten Male sehe.«
»Julianus, glaubst du an Ihn?« rief Arsinoe und versuchte mit ihren durchdringenden Augen den Blick des Mönches aufzufangen.
»Still, still! Was willst du? . . .«
Er erhob sich von der Bank, ging mit kaum hörbaren Schritten zur Seite und spähte nach allen Richtungen aus: auf die mondbeschienene Straße, auf die schwarzen Schatten der Sträucher und selbst auf das Meer, als ob auch dort Spione sein könnten. Dann kehrte er zurück und setzte sich, war aber noch immer nicht beruhigt. Er stützte sich mit der einen Hand auf den Marmor der Bank, neigte sich zu ihrem Ohre, so daß sie seinen heißen Atem spürte, und flüsterte ihr eilig, wie im Fieber zu:
»Ja, ja, wie sollte ich an Ihn glauben? . . . Höre, Mädchen, ich werde dir jetzt Dinge sagen, die ich mir noch nie selbst einzugestehen wagte. Ich hasse den Galiläer! – solange ich aber lebe, habe ich immer gelogen. Die Lüge ist in meine Seele tief eingedrungen, hat sich an sie festgeklebt, wie dieses schwarze Gewand an meinen Körper; weißt du, wie es in der Legende vom vergifteten Gewand des Tentauren Nessus heißt? Herakles riß ihm das Gewand mit Fetzen von Haut und Fleisch ab, und doch konnte er es nicht ganz herunterreißen und Nessus mußte sterben, so werde auch ich in der Lüge der Galiläer ersticken! . . .«
Jedes seiner Worte kostete ihm die größte Anstrengung. Arsinoe sah ihn an: sein von Leid und Haß entstelltes Gesicht erschien ihr fremd und schrecklich.
»Beruhige dich, mein Freund,« sagte sie zu ihm. »Sage mir alles, ich werde dich verstehen, wie niemand anderer unter den Menschen.«
»Ich möchte dir alles sagen, aber ich kann es nicht,« erwiderte er mit bösem Lächeln. »Ich habe zu lange geschwiegen. – Siehst du, Arsinoe, wer ihnen einmal in die Klauen gefallen ist, der ist verloren! Die Weisen und Demütigen verstümmeln einen und lehren ihn so lügen und kriechen, daß er sich nie wieder aufrichten, nie wieder seinen Kopf erheben kann!«
Das Blut stieg ihm ins Gesicht; die Adern auf seiner Stirn schwollen an; er biß die Zähne in ohnmächtiger Wut zusammen und keuchte:
»Es ist eine Gemeinheit, eine echt galiläische Gemeinheit: seinen Feind so zu hassen, wie ich den Constantius hasse, und ihm doch zu verzeihen, gleich einer Schlange vor ihm im Staube zu kriechen, und ihn in christlicher Demut um Gnade anzuflehen: ›Laß deinen schwachsinnigen Knecht, den Mönch Julianus, nur noch ein Jahr leben; dann verfahre mit ihm nach deinem und deiner Berater, der Eunuchen, Gutdünken, du Frömmster!‹ Diese Gemeinheit! . . .«
»Nein, Julianus,« rief Arsinoe aus, »wenn es dem wirklich so ist, so wirst du siegen! Deine Lüge ist deine Stärke. Kannst du dich noch an den Esel mit der Löwenhaut in der Äsopschen Fabel erinnern? Hier ist es umgekehrt: ich sehe einen Löwen mit einer Eselshaut, einen Helden im Mönchsgewande! . . .«
Sie lachte:
»Und wie werden sich die Dummen erschrecken, wenn du ihnen deine Löwenkrallen zeigst! Das wird komisch sein und schrecklich zugleich! – Sage mir, Julianus, strebst du nach Macht?«
»Macht!« Er schlug die Hände zusammen, sich an dem Klange dieses Wortes berauschend und in vollen Zügen die kühle Luft einatmend:
»Macht! O hätte ich nur ein Jahr, einige Monate, wenige Tage Macht, so würde ich es schon diesen demütigen und giftigen Geschöpfen, die sich Christen nennen, beibringen, was das weise Wort ihres eigenen Meisters bedeutet: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist. Ja, ich schwöre es beim Sonnengott, ich würde sie schon zwingen, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist!«
Er erhob den Kopf; seine Augen brannten vor Haß; sein Gesicht leuchtete wie verjüngt. Arsinoe blickte ihn lächelnd an.
Doch bald ließ Julianus seinen Kopf wieder sinken. Ängstlich um sich blickend setzte er sich wieder hin; unwillkürlich kreuzte er seine Arme nach Mönchsart auf der Brust und flüsterte:
»Doch wozu soll ich mich betrügen? Es wird nie und nimmer sein. Ich werde untergehen. Der Haß wird mich erwürgen. – Höre: Jede Nacht, wenn ich den ganzen Tag über in der Kirche an den Särgen galiläischer Leichen gekniet habe und müde und erschöpft heimkehre, werfe ich mich auf mein Bett, verberge mein Gesicht in den Kissen und weine, weine und beiße die Kissen, um nicht vor Schmerz und Wut zu schreien. Arsinoe, du weißt noch nichts von dem galiläischen Schrecken und von dem Gestank, in dem ich seit zwanzig Jahren sterbe und doch nicht sterben kann; denn du mußt wissen, daß wir, Christen, ein ebenso zähes Leben haben, wie die Schlangen: wenn man uns entzweihaut, wachsen wir wieder zusammen! Früher suchte ich noch Trost in der Tugend der Weisen und der Theurgen. Vergeblich. Ich bin weder tugendhaft, noch weise. Ich bin nur böse und möchte noch böser werden, stark und schrecklich sein, wie der Teufel, mein einziger Bruder! – Doch warum, warum kann ich nicht vergessen, daß es auch etwas anderes – die Schönheit gibt, warum habe ich dich, Arsinoe, kennen gelernt! . . .«
Arsinoe erhob plötzlich ihre schönen, nackten Arme, umschlang seinen Hals und zog ihn so stark, so nahe zu sich heran, daß er durch ihre Kleidung die unschuldige Frische ihres Körpers spürte. Sie flüsterte:
»Was würdest du sagen, Jüngling, wenn ich als eine wahrsagende Sibylle gekommen bin, um dir großen Ruhm zu verkünden? Unter allen Toten bist du der einzige Lebende. Du bist stark, was kümmert es mich, daß du keine weißen Schwanenflügel, sondern schreckliche, schwarze Fittiche und krumme, böse Krallen wie ein Raubvogel hast? Ich liebe alle Ausgestoßenen, hörst du, Julianus? Ich liebe die einsamen und stolzen Adler mehr, als die weißen Schwäne. Du mußt aber noch böser sein, noch stärker werden! Wage es bis ans Ende, böse zu sein. Lüge und schäme dich nicht, denn es ist besser zu lügen, als sich zu demütigen. Fürchte den Haß nicht: er ist die wilde Kraft deiner Flügel. – Willst du, so wollen wir ein Bündnis schließen: du gibst mir deine Kraft, und ich gebe dir meine Schönheit? Willst du, Julianus? . . .«
Durch die leichten Falten ihres altertümlichen Peplos sah er wieder, wie einst in der Palästra, die schlanken Linien der nackten Jägerin Artemis, und es war ihm, als ob ihr Leib, zart und goldig durch das luftige Gewebe hindurch schimmere.
Es schwindelte ihm. Im Dämmerlichte des Mondes, das sie umfloß, sah er, wie sich ihre lachenden Lippen herausfordernd den seinigen näherten.
Zum letzten Male ging ihm der Gedanke durch den Kopf:
»Ich muß fortgehen. Sie liebt mich nicht und wird mich nie lieben. Sie strebt nur nach Macht. Es ist Lüge . . .«
Doch gleich darauf fügte er mit ohnmächtigem Lächeln hinzu:
»Und wenn es auch nur Lüge ist! . . .«
Die Kälte ihres zu keuschen, das Verlangen nicht stillen könnenden Kusses drang ihm in die Tiefe seines Herzens, wie die Kälte des Todes.
Es war ihm, als ob die jungfräuliche Artemis zu ihm in dem durchsichtigen Dämmerlichte des Mondes herabgestiegen sei und ihn mit dem trügerischen Kusse der kalten Mondstrahlen liebkose.
*
Am nächsten Morgen trafen die beiden Freunde, Basilius von Nazianz und Gregorius von Cäsarea, Julianus in einer der Basiliken von Athen.
Er kniete vor einem Heiligenbilde und betete. Die beiden Mönche blickten ihn erstaunt an. Sie hatten in seinen Zügen noch nie solche Demut und Klarheit wahrgenommen.
»Bruder,« flüsterte Basilius seinem Freunde zu, »wir haben gesündigt: wir haben in unseren Herzen einen Gerechten verurteilt.«
Gregorius schüttelte den Kopf.
»Gott verzeihe mir, wenn ich mich irre,« sagte er langsam, ohne den gespannten Blick von Julianus abzuwenden, »denke nur daran, Bruder Basilius, wie oft uns schon der Satan selbst, der Vater der Lüge, in Gestalt eines lichten Engels erschienen ist.«