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Man brachte Julianus in sein Zelt und legte ihn auf sein Feldbett; er war bewußtlos und stöhnte nur zuweilen auf.
Der Arzt Oribasius zog ihm die Lanzenspitze aus dem Leibe, untersuchte und wusch die tiefe Wunde und legte einen Verband an. Victor fragte mit stummen Blicken, ob noch Hoffnung sei. Oribasius schüttelte traurig den Kopf.
Nachdem der Verband angelegt worden war, holte Julianus schwer Atem und öffnete die Augen.
»Wo bin ich? . . .« fragte er erstaunt um sich blickend, als ob er aus einem tiefen Schlafe erwache.
Aus der Ferne hörte man noch das Toben der Schlacht. Plötzlich fiel ihm alles wieder ein, und er richtete sich mit Anstrengung halb auf.
»Wo ist mein Pferd? Rasch, Victor . . .«
Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz; alle beeilten sich, ihn zu stützen. Er stieß aber Victor und Oribasius zurück.
»Laßt das! . . . Ich muß dort mit ihnen bis ans Ende bleiben! . . .«
Er stand langsam auf. Auf seinen blassen Lippen spielte ein Lächeln, seine Augen brannten.
»Seht ihr, – ich kann es noch . . . Rasch den Schild und das Schwert! Mein Roß! . . .«
Seine Seele kämpfte mit dem Tode. Victor reichte ihm den Schild und das Schwert.
Julianus ergriff die Waffen und machte, schwankend wie ein Kind, das eben gehen lernt, zwei Schritte.
Die Wunde brach auf. Er ließ die Waffen fallen und sank in die Arme des Oribasius und Victor. Er hob die Augen gen Himmel und rief:
»Es ist zu Ende . . . Du hast gesiegt, Galiläer!«
Er leistete weiter keinen Widerstand und ließ sich von seinen Getreuen ins Bett bringen.
»Ja, es ist zu Ende, Freunde,« wiederholte er leise, »ich sterbe . . .«
Oribasius beugte sich über ihn, versuchte ihn zu trösten und versicherte, daß solche Wunden nicht immer tödlich seien.
»Betrüge mich nicht,« entgegnete Julianus sanft, »wozu? Ich fürchte mich nicht . . .«
Feierlich fügte er hinzu:
»Ich sterbe den Tod eines Weisen.«
Gegen Abend verlor er das Bewußtsein. Stunden verrannen. Die Sonne war untergegangen. Der Lärm der Schlacht war verstummt. Im Zelte wurde eine Nachtlampe angezündet. Die Nacht brach an. Er kam noch immer nicht zum Bewußtsein. Sein Atem ging immer schwächer. Alle glaubten schon, daß es der Tod sei. Plötzlich schlug er langsam die Augen auf. Er starrte unverwandt in eine Ecke des Zeltes; seinen Lippen entfuhr ein hastiges, schwaches Geflüster; er phantasierte:
»Du? . . . Hier? . . . Wozu? . . . Es ist einerlei, alles ist zu Ende. Geh fort! Hast du gehaßt? . . . Das werden wir dir nicht verzeihen . . .«
Für einige Minuten kam er wieder zu sich und fragte Oribasius:
»Wieviel Uhr ist es? Werde ich noch die Sonne sehen? . . .«
Nach einer Pause fügte er traurig lächelnd hinzu:
»Oribasius, ist denn die Vernunft so machtlos? . . . Ich weiß, daß es die Schwäche des Körpers ist. Das Blut überströmt das Gehirn und ruft so Visionen hervor. Ich muß aber siegen . . . Die Vernunft soll . . .«
Seine Gedanken wurden wieder wirr, der Blick wieder unbeweglich.
»Ich will nicht! . . . Hörst du? . . . Geh fort, Versucher! Ich glaube nicht . . . Sokrates starb wie ein Gott . . . Die Vernunft soll . . . Victor! O Victor . . . Galiläer, was willst du von mir? Deine Liebe ist schrecklicher als der Tod. Dein Joch ist das schwerste Joch. Warum siehst Du mich so an? . . . Wie habe ich Dich geliebt, Du guter Hirte, nur Dich allein . . . Nein, nein! Durchbohrte Hände und Füße? Blut? Finsternis? Ich will die Sonne, die Sonne! . . . Warum verdeckst Du mir die Sonne? . . .«
Es war die dunkelste und stillste Stunde der Nacht.
Die Legionäre waren ins Lager zurückgekommen. Der errungene Sieg freute sie nicht. Trotz der Ermüdung schlief fast niemand. Man wartete auf Nachrichten aus dem Kaiserzelt. Manche schlummerten vor Erschöpfung, bei den verlöschenden Feuern stehend und sich mit einer Hand auf die langen Lanzen stützend, ein. Man hörte nur, wie die angekoppelten Pferde schwer atmend ihren Hafer kauten.
Zwischen den dunklen Zelten traten am Horizont helle Streifen hervor. Die Sterne leuchteten gleichsam aus größerer Ferne und kälter. Ein feuchter Hauch zog über die Ebene. Der Stahl der Speere und das Kupfer der Schilde wurden von dem grauen Anflug des Taues getrübt. Die Hähne der etruskischen Wahrsager, die heiligen Vögel, die die Priester trotz des Befehles des Augustus nicht ertränkt hatten, krähten. Eine stille Trauer lag auf Erde und Himmel. Alles erschien gespensterhaft, das Nahe fern, und das Ferne nahe.
Am Eingange zum Zelte des Cäsars drängten sich seine Freunde, Heerführer und Getreuen; in der Morgendämmerung erschienen sie einander als blasse Schatten.
Im Inneren des Zeltes herrschte eine noch feierlichere Stille. Der Arzt Oribasius zerrieb in einem kupfernen Mörser Heilkräuter zu einem erfrischenden Getränke.
Der Kranke hatte sich beruhigt und phantasierte nicht mehr.
Vor Tagesanbruch hatte er den letzten lichten Augenblick; er fragte ungeduldig:
»Wann kommt die Sonne? . . .«
»In einer Stunde,« erwiderte Oribasius, einen Blick auf den Wasserstand im Glasgefäße der Wasseruhr werfend.
»Ruft die Feldherren her,« befahl Julianus, »ich muß noch zu ihnen sprechen.«
»Gnädigster Cäsar, du bedarfst der Ruhe,« bemerkte Oribasius.
»Es ist einerlei. Vor Sonnenaufgang sterbe ich doch nicht. – Victor, hebe meinen Kopf höher . . . So ist es gut.«
Man berichtete ihm vom Sieg über die Perser, von der Flucht des Anführers der feindlichen Reiterei, Meranus, mit den beiden Söhnen des Königs, über den Tod von fünfzig Satrapen. Er zeigte weder Verwunderung, noch Freude; sein Gesichtsausdruck blieb teilnahmslos.
Seine Getreuen betraten das Zelt: Dagalaifus, Nevita, Hormisdas, Arinthäus, Lucillianus, der Präfekt des Ostens – Sallustius; an ihrer Spitze – der Comes Jovianus. Viele, die an die Zukunft dachten, hegten den Wunsch, auf dem Throne diesen letzteren zu sehen; denn er war schwächlich und schüchtern und niemandem gefährlich. Man hoffte, unter seiner Regierung nach der allzu stürmischen Regierungszeit Julianus' ausruhen zu können. Jovianus besaß die Fähigkeit, es allen recht zu machen. Er war schlank und wohlgestaltet und hatte ein nichtssagendes, in der Menge verschwindendes Gesicht. Sein Wesen war tugendhaft, doch unbedeutend.
Unter diesen Männern befand sich auch der junge Centurio der Gardeschildträger, der spätere Historiker Ammianus Marcellinus. Alle wußten, daß er über den Feldzug ein Tagebuch führte. Ammianus holte sofort seine Wachstafeln und einen kupfernen Stift hervor, um die letzten Worte des Kaisers aufzuschreiben.
»Zieht den Vorhang weg,« befahl Julianus.
Der Vorhang am Eingange des Zeltes wurde zurückgeschlagen. Alle traten zur Seite. Die kalte Morgenluft wehte dem Sterbenden ins Gesicht. Der Eingang lag gegen Osten. Etwas weiter fiel die Ebene jäh ab, so daß nichts den Horizont verhüllte.
Julianus erblickte die hellen Wolken; sie waren kalt und durchsichtig wie Eis. Er seufzte auf und sagte:
»So, es ist gut. Löscht die Lampe aus . . .«
Man löschte die Flamme aus; Dämmerung erfüllte das Zelt.
Alle schwiegen erwartungsvoll.
»Hört, meine Freunde,« begann der Cäsar seine letzte Rede; er sprach leise, doch deutlich; sein Gesicht blieb ruhig.
Ammianus Marcellinus schrieb sich diese Worte auf.
»Hört, meine Freunde, – meine Stunde hat geschlagen, vielleicht noch etwas zu früh; ihr seht aber, daß ich mich freue, denn ich gebe der Natur, wie ein ehrlicher Schuldner, mein Leben zurück; in meiner Seele ist weder Trauer noch Furcht, sondern nur die stille Freude der Weisen, das Vorgefühl der ewigen Ruhe. Ich habe meine Pflicht erfüllt, und wenn ich an mein Leben zurückdenke, so empfinde ich keine Reue. In jenen Tagen, als ich von allen verfolgt in der kappadocischen Wüste, in der Festung Macellum, stündlich den Tod erwartete, und auch später auf dem Gipfel der Macht, im Purpur des römischen Cäsars, – habe ich meine Seele unbefleckt erhalten und stets nach hohen Zielen gestrebt. Wenn ich auch nicht alles, wonach ich strebte, erfüllt und erreicht habe, so müßt ihr bedenken, meine Kinder, daß die irdischen Geschehnisse von den Mächten des Schicksals geleitet werden. – Jetzt segne ich den Ewigen, weil er mich weder an einer schleichenden Krankheit, noch durch die Hand eines Henkers oder Meuchelmörders sterben läßt, sondern mir den Tod auf dem Schlachtfelde, in der Blüte meiner Jahre, mitten unter unvollendeten Heldentaten beschieden hat.
»Erzählt es, meine Vielgeliebten, meinen Feinden und Freunden, wie die durch die alte Weisheit gestärkten Hellenen sterben.«
Er schwieg. Alle knieten nieder. Viele weinten.
»Warum weint ihr, ihr Armen?« fragte Julianus lächelnd. »Es ziemt sich nicht, einen, der in seine Heimat zurückkehrt, zu beweinen . . . Victor, tröste dich! . . .«
Der Greis wollte etwas sagen, doch er konnte es nicht; er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und schluchzte noch heftiger.
»Still, still,« sagte Julianus, seinen Blick auf den fernen Himmel richtend. »Da ist sie! . . .«
Die Wolkenränder erglühten. Die Dämmerung im Zelte nahm den warmen Ton von Bernstein an. Der erste Sonnenstrahl leuchtete auf. Der Sterbende wendete ihm sein Gesicht zu.
Da näherte sich der Präfekt des Ostens, Sallustius Secundus, dem Sterbenden, küßte seine Hand und fragte:
»Göttlicher Augustus, wen bestimmst du zu deinem Nachfolger?«
»Es ist gleich,« antwortete der Kaiser. »Das Schicksal wird es entscheiden. Man soll nicht gegen das Schicksal ankämpfen. Mögen die Galiläer triumphieren. Wir werden doch noch siegen und – mit uns ist die Sonne! – Seht, da ist sie, da ist sie! . . .«
Ein schwaches Zittern überlief seinen ganzen Körper – mit der letzten Anstrengung erhob er seine Arme, als ob er der Sonne entgegeneilen wolle. Schwarzes Blut brach aus der Wunde; an den Schläfen und am Halse traten die Adern hervor.
»Trinken, Trinken!« flüsterte er, um Atem ringend.
Victor führte an seine Lippen eine tiefe, goldene, glänzende Schale, die bis zum Rande mit reinem Quellwasser gefüllt war. Julianus sah in die Sonne und schlürfte langsam und gierig das durchsichtige, eiskalte Wasser.
Dann sank sein Kopf zurück. Den halbgeöffneten Lippen entfuhr der letzte Seufzer, das letzte Flüstern:
»Freut euch! . . . Der Tod ist – die Sonne . . . Ich bin wie du, o Helios! . . .«
Seine Augen erloschen. Victor drückte sie ihm zu.
In den Strahlen der aufgehenden Sonne glich das Antlitz des toten Kaisers dem eines schlafenden Gottes.