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Durch den sumpfigen, finsteren Wald, der in der Nähe des Rheinstromes zwischen der Festung Tres Tabernae und der vor kurzem von den Alamannen eroberten römischen Stadt Argentoratum liegt, irrten spät am Abend zwei Krieger: der eine, ein ungeschlachter Riese mit feuerrotem Haar und kindlich gutmütigem Gesicht, war ein Sarmat in römischen Diensten und hieß Aragarius; der andere war ein hagerer, runzeliger, von der Sonne gebräunter Syrer und hieß Strombicus.
Zwischen den Bäumen, die von Moos und Holzschwamm überwuchert waren, war es finster; durch die warme Luft rieselte lautlos ein feiner Regen; es roch nach frischen Birkenblättern und nassen Tannennadeln; irgendwo in der Ferne rief ein Kuckuck. Bei jedem Geräusch und Rascheln des trockenen Reisigs fuhr Strombicus angsterfüllt zusammen und griff nach der Hand seines Begleiters.
»Onkel, he, Onkel!«
Er nannte Aragarius Onkel, nicht weil sie etwa miteinander verwandt wären, sondern nur aus Freundschaft. Sie waren in römische Dienste von zwei entgegengesetzten Enden der Welt gekommen; der gefräßige und keusche Barbar aus dem Norden verachtete den feigen, wollüstigen und in Speise und Trank mäßigen Syrer; obwohl er sich immer lustig über ihn machte, bemutterte er ihn wie ein Kind.
»Onkel!« jammerte Strombicus von neuem.
»Was winselst du wieder? Laß mich in Ruhe.«
»Gibt es in diesem Walde Bären? Was glaubst du, Onkel?«
»Es gibt hier auch Bären,« antwortete Aragarius mürrisch.
»Wenn wir aber einem begegnen? Was dann?«
»Wir werden ihn töten, sein Fell abziehen, verkaufen und versaufen.«
»Wenn aber nicht wir ihn packen, sondern er uns?«
»Feigling! Man sieht gleich, daß du ein Christ bist.«
»Warum soll ein Christ unbedingt feig sein?« fragte Strombicus beleidigt.
»Du hast mir ja selbst erzählt, daß es in eurem Buche geschrieben steht: wenn man dich auf die linke Backe schlägt, so reiche die rechte hin.«
»Ja, das steht wirklich geschrieben.«
»Nun siehst du es selbst, wenn man wirklich danach handelt, so ist jeder Krieg zwecklos: der Feind schlägt dich auf die eine Backe, und du reichst ihm gleich die andere hin. Feiglinge seid ihr, das ist alles!«
»Unser Cäsar Julianus ist doch auch ein Christ, und dabei kein Feigling!« suchte sich Strombicus zu verteidigen.
»Ich weiß, lieber Neffe,« fuhr Aragarius fort, »daß ihr es versteht, euren Feinden zu vergeben, wenn es zu einer Schlacht kommt. Waschlappen seid ihr! Dein ganzer Bauch ist nicht größer als meine Faust. Wenn du eine Zwiebel gegessen hast, so bist du schon für einen ganzen Tag satt. Daher ist auch dein Blut wie trübes Sumpfwasser.«
»Ach Onkel, Onkel,« versetzte Strombicus vorwurfsvoll, »warum sprichst du vom Essen! Nun knurrt mir schon wieder der Magen. Lieber Onkel, gib mir doch eine Knoblauchzwiebel; ich weiß, daß du noch eine im Sacke hast.«
»Wenn ich dir das letzte gebe, so krepieren wir morgen beide vor Hunger.«
»Ach, mir ist es so schlecht! wenn du mir nichts gibst, werde ich ganz schwach, falle um, und dann wirst du mich auf dem Buckel tragen müssen.«
»Also in drei Teufels Namen! Da hast du, iß!«
»Auch Brot, ein Stückchen Brot,« bettelte Strombicus.
Aragarius gab dem Kameraden fluchend das letzte Stück des Soldatenzwiebacks. Er selbst hatte sich noch am vorigen Abend an Schweineschmalz und Bohnen so satt gegessen, daß es für mindestens zwei Tage langen mußte.
»Sei still!« sagte er, plötzlich stehen bleibend. »Ein Trompetensignal! Wir sind nicht weit vom Lager, wir müssen mehr nach Norden gehen.« Nach einer Pause fügte er nachdenklich hinzu: »Ich fürchte weniger die Bären, als den Centurio.«
Dieser allgemein verhaßte Centurio wurde von den Soldaten im Scherze »Cedo-Alteram« – »Gib eine andere her« – genannt, weil er, so oft die Rute, mit der er einen Schuldigen züchtigte, brach, freudig auszurufen pflegte: »Cedo alteram!« Diese zwei Worte bildeten daher seinen Spitznamen.
»Ich bin überzeugt,« sagte der Barbar, »daß Cedo-Alteram mit meinem Rücken ebenso verfahren wird, wie ein Gerber mit einer Ochsenhaut. Die Aussichten sind schlimm, liebes Kind!«
Sie waren vom Heere zurückgeblieben, weil sich Aragarius, nach seiner Gewohnheit, in einem ausgeplünderten Dorfe bis zur Bewußtlosigkeit betrunken hatte, während Strombicus durchgeprügelt worden war: der kleine Syrer wollte sich mit Gewalt die Gunst eines schönen Frankenmädchens erringen; die sechzehnjährige Schöne, die Tochter eines gefallenen Barbaren, gab ihm aber zwei solche Ohrfeigen, daß er auf den Rücken fiel; dann bearbeitete sie ihn noch mit ihren kräftigen, weißen Beinen. »Es war kein Mädel, sondern ein Teufel!« – erzählte Strombicus von diesem Abenteuer. »Ich habe sie nur etwas gekniffen, sie hat mir aber beinahe alle Rippen entzweigeschlagen!«
Das Trompetensignal ließ sich deutlicher vernehmen.
Aragarius zog den Wind mit der Nase ein und schnüffelte wie ein Spürhund. Es roch nach Rauch: die Feuer des römischen Lagers waren wohl nicht mehr weit.
Inzwischen war es so finster geworden, daß sie nur mit Mühe den Weg erkennen konnten; der enge Pfad verlor sich in einem Sumpf; sie sprangen von einem Erdhügel zum andern. Dichter Nebel stieg auf. Plötzlich raschelte etwas in einer großen Tanne, deren Äste mit Moos, wie mit Strähnen grauen Haares, bewachsen waren; dann flog etwas schreiend und raschelnd aus den Zweigen, Strombicus fiel vor Schrecken beinahe um. Es war ein Auerhahn.
Sie hatten sich ganz verirrt.
Strombicus erkletterte einen Baum.
»Die Feuer sind im Norden. Es ist nicht weit. Dort liegt auch ein großer Strom.«
»Das ist der Rhein!« rief Aragarius aus. »Gehen wir schneller!«
Sie bahnten sich den Weg zwischen uralten Birken und Tannen.
»Onkel, ich ertrinke!« winselte Strombicus. »Jemand zieht mich an den Beinen. Wo bist du?«
Aragaius zog ihn mit großer Mühe aus dem Sumpfe und nahm ihn fluchend auf seine Schultern. Der Sarmat spürte unter seinen Füßen die alten, halbverfaulten Balken des von den Römern einst errichteten Faschinendammes.
Der Damm führte nach der großen Heerstraße, die erst vor kurzem von den Soldaten des Severus, des Feldherrn Julianus', durch den Wald geschlagen worden war.
Die Barbaren hatten, wie sie es immer zu tun pflegten, die Straßen mit gefällten Bäumen gesperrt.
Nun hieß es über diese Bäume klettern; die riesengroßen, unordentlich durcheinandergeworfenen Stämme waren teils durchfault und nur oben mit Moos bedeckt, so daß sie unter jedem Schritte zerfielen, teils fest und glatt, so daß sie den Füßen keinen Halt gaben; sie erschwerten ungeheuer jede Fortbewegung. Auf solchen Straßen, und dazu noch unter fortwährender Angst, von den Feinden überrascht zu werden, mußte sich das dreißigtausend Mann starke Heer des Julianus, den alle seine Heerführer, mit Ausnahme des Severus, verräterisch im Stiche gelassen hatten, fortbewegen.
Strombicus jammerte, weinte und verfluchte seinen Kameraden.
»Weiter gehe ich nicht, du Heide! Ich will mich in den Sumpf legen und krepieren; so werde ich wenigstens dein verfluchtes Gesicht nicht mehr sehen müssen, Heide! Man sieht es dir gleich an, daß du am Halse kein Kreuz hast. Ist es denn eines Christen würdig, nachts auf solchen Straßen herumzurennen? Und wohin rennen wir? Geradewegs unter die Ruten des verdammten Centurios. Ich gehe nicht weiter! . . .«
Aragarius schleppte ihn gewaltsam weiter und nahm ihn, sobald der Weg etwas besser wurde, wieder auf seine Schultern. Der Syrer wehrte sich, fluchte und kniff ihn fortwährend.
Aber bald schlief Strombicus auf dem Rücken des »Heiden« sanft wie ein Kind ein.
Gegen Mitternacht erreichten sie die Tore des römischen Lagers. Alles war still. Die Zugbrücke über dem tiefen Graben war längst aufgezogen.
Die Freunde mußten den Rest der Nacht im Walde, vor der hinteren »porta Decumana« verbringen.
Als die Sonne aufging, erscholl wieder ein Trompetensignal. In dem nebeligen Wald, der vom Rauche der Wachfeuer erfüllt war, sang noch die Nachtigall; vom kriegerischen Lärm erschrocken, brach sie ihren Gesang ab. Als Aragarius erwachte und den Geruch der heißen Soldatensuppe spürte, weckte er Strombicus. Beide hatten solchen Hunger, daß sie ohne Angst vor dem Rutenbündel, mit dem sie der verhaßte Centurio Cedo-Alteram erwartete, ins Lager gingen und sich an dem Suppenkessel niederließen.
Im Hauptzelte an der Porta praetoriana war Julianus wach.
Von jenem Tage an, wo er in Mediolanum durch die Fürbitte der Kaiserin Eusebia zum Cäsar erhoben worden war, hatte er sich eifrig mit kriegerischen Übungen befaßt; er begnügte sich nicht mit dem theoretischen Studium der Kriegswissenschaft, in der ihn Severus unterrichtete, sondern wollte auch das Handwerk der gemeinen Soldaten erlernen: ganze Tage lang lernte er mit den Rekruten in dumpfen Kasernen, oder auf Exerzierfeldern, beim Klange der Trompetensignale, marschieren, den Bogen und die Schleuder handhaben, mit der vollständigen, sehr schweren Ausrüstung laufen und über Zäune und Graben springen. – Die mönchische Heuchelei seiner Jugend wurde in ihm von dem kriegerischen Blute des Konstantinischen Geschlechts, eines Geschlechts von strengen und hartnäckigen Kriegern, niedergerungen.
»O göttlicher Jamblichus und Plato, was hättet ihr gesagt, wenn ihr sehen könntet, was aus eurem Jünger geworden ist!« so rief er oft aus, sich den Schweiß aus der Stirne wischend; oder er sagte zu seinem Lehrer in der Kriegskunst, auf die schwere, eherne Rüstung zeigend:
»Nicht wahr, Severus, die Waffen stehen mir, dem friedlichen Schüler der Philosophen, ebensowenig, wie einer Kuh der Reitsattel?«
Severus sagte darauf nichts und lächelte nur schlau in sich hinein: er wußte zu gut, daß alle diese Klagen und Seufzer nur Komödie waren; in Wirklichkeit freute sich der Cäsar selbst über seine raschen Fortschritte in der Kriegskunst.
In wenigen Monaten hatte er sich derart verändert, war so groß und männlich geworden, daß man in ihm nur mit Mühe den früheren, schmächtigen »kleinen Griechen«, wie man ihn am Hofe des Constantius nannte, erkennen konnte; nur in seinen Augen leuchtete noch immer jenes seltsame, fieberhafte Feuer, das einem jeden, der ihn auch nur einmal sah, für immer in Erinnerung blieb.
Mit jedem Tage fühlte er sich stärker, und nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Zum ersten Male in seinem Leben hatte er das Glück der einfachen Liebe einfacher Leute kennen gelernt. Er hatte die Herzen der Legionäre gleich dadurch gewonnen, daß er, ein echter Cäsar und Vetter des Kaisers, das Kriegshandwerk in der Kaserne erlernte, ohne sich des rauhen Soldatenlebens zu schämen. Die mürrischen Gesichter der alten Krieger erstrahlten in einem zärtlichen Lächeln, so oft sie den Cäsar beobachteten und seine Gewandtheit und die raschen Fortschritte sahen; sie mußten jedesmal an ihre eigene Jugend denken. Er suchte sich ihnen zu nähern, zog sie ins Gespräch, ließ sie von den alten Feldzügen erzählen und holte bei ihnen Rat, wie man den Panzer festbinden müsse, damit die Riemen nicht drückten, oder wie man die Füße setzen müsse, um bei großen Tagesmärschen nicht zu ermüden. Manche behaupteten, daß der Kaiser Constantius den unerfahrenen Jüngling nach Gallien geschickt hätte, um ihn von den Barbaren abschlachten zu lassen und auf diese Weise den Nebenbuhler los zu werden, daß die Heerführer, von den Eunuchen des Hofes beeinflußt, den Cäsar verrieten. Alle diese Gerüchte stärkten noch die Liebe und die Ergebenheit der Soldaten zu Julianus.
Mit der äußersten Vorsicht und der Kunst, allen zu gefallen, die er seiner mönchischen Erziehung verdankte, tat er alles, was er nur konnte, um sich die Liebe der Soldaten zu sichern und ihren Haß gegen den Kaiser zu schüren. So oft er zu ihnen von seinem Vetter Constantius sprach, nahm sein Gesicht den Ausdruck von zweideutiger, tückischer Demut an; er schlug die Augen nieder und stellte sich als Opfer hin.
Er nahm die Herzen der Soldaten auch durch seine beispiellose Unerschrockenheit gefangen; dies fiel ihm um so leichter, als der Tod auf dem Schlachtfelde im Vergleich zu dem ruhmlosen Tode, der seinen Bruder Gallus ereilt, und den der Kaiser vielleicht auch ihm zugedacht hatte, beneidenswert erschien.
In seiner Lebensweise folgte Julianus dem Beispiele der altrömischen Feldherren; der Eunuch Mardonius hatte ihn mit stoischer Weisheit von seiner frühesten Kindheit an zu der größten Bedürfnislosigkeit herangezogen.
Er schlief weniger als jeder gemeine Soldat, und zwar nicht in einem Bett, sondern auf der »Subura«, einem harten, langhaarigen Teppich. Das erste Drittel der Nacht widmete er der Ruhe, das zweite der Erledigung von Kriegs- und Staatsgeschäften und das dritte den Musen.
Bei allen Feldzügen hatte er stets seine Lieblingsbücher bei sich. Er begeisterte sich bald für Marcus Aurelius, bald für Plutarch, bald für Suetonius, bald für Cato Censorius. Am Tage suchte er das, was er über Nacht aus den Büchern geschöpft hatte, ins Werk umzusetzen.
An jenem denkwürdigen Morgen vor der Schlacht bei Argentoratum legte Julianus, sobald er das Wecken vernahm, seine volle Kriegsrüstung an und befahl, ihm sein Pferd zu bringen.
Dann zog er sich in den Hintergrund seines Zeltes zurück, wo ein kleines Bildwerk des Mercurius, des Gottes der Bewegung, des Gelingens und der Freude, des beflügelten und fliegenden Gottes mit dem Caduceus, stand. Julianus kniete vor dem Gotte nieder und warf auf den Opferdreifuß einige Körner Weihrauch. Nach der Richtung, in der der Rauch aufstieg, suchte er zu erraten, ob ihm ein glücklicher oder unglücklicher Tag bevorstehe; der Cäsar war auf seine Erfahrungen in der Wahrsagekunst sehr stolz. Nachts hatte er rechts von seinem Zelte dreimal einen Raben krächzen hören, was eine schlimme Vorbedeutung ist.
Er war fest davon überzeugt, daß es bei seinen unerwarteten Erfolgen in Gallien nicht mit rechten Dingen zugehe, und wurde von Tag zu Tag abergläubischer.
Beim Verlassen des Zeltes stolperte er über den Holzbalken, der als Schwelle diente. Sein Gesicht verfinsterte sich. Alle Vorzeichen waren ihm ungünstig. So beschloß er im geheimen, die Schlacht auf den nächsten Tag zu verschieben.
Die Legionen rückten aus. Der Weg durch den Wald war sehr schwierig, denn die Feinde hatten die Straßen mit Haufen von Baumstämmen gesperrt.
Der Tag versprach heiß zu werden. Als es Mittag wurde, hatten die Römer nur die Hälfte des Weges zurückgelegt; bis zum Lager der Barbaren, das sich am linken Rheinufer befand, waren noch immer einundzwanzigtausend Schritte Weges.
Die Soldaten waren erschöpft.
Sobald man den Wald verlassen hatte, stellte der Cäsar sein Heer im Kreise, wie die Zuschauer in einem Amphitheater, auf, so daß er selbst im Zentrum des Kreises stand, und die Kohorten und Centurien von ihm wie Strahlen ausgingen; so war die Stimme des Feldherrn fast allen Soldaten vernehmbar.
In einfachen und kurzen Sätzen erklärte er ihnen, daß die Zeit schon sehr vorgeschritten sei, daß die Ermüdung den Erfolg in Frage stellen könne, und daß es vernünftiger sei, auf dem Platze, wo sie sich gerade befanden, das Lager aufzuschlagen, auszuruhen und erst am nächsten Morgen mit frischen Kräften in die Schlacht zu gehen.
Das Heer war unzufrieden. Die Soldaten klopften mit den Lanzen an die Schilde, was ein Zeichen ihrer Ungeduld war, und schrien, er möchte sie sofort in die Schlacht führen. Der Cäsar ersah aus dem Gesichtsausdrucke der Soldaten, daß es unvernünftig sei, ihnen zu widersprechen. Er nahm in den Legionen die ihm wohlbekannte, drohende Erregung wahr, die für den Sieg notwendig ist, doch bei der geringsten Unvorsichtigkeit in eine Empörung übergehen kann.
Er sprang auf sein Pferd und gab das Zeichen: das Heer setzte seinen Marsch fort.
Als die Nachmittagssonne sich bereits gen Abend neigte, erreichten sie die Ebene von Argentoratum. Zwischen den niederen Hügeln schimmerte der Rhein. Im Süden waren die schwarzen, bewaldeten Vogesen sichtbar. Über dem Spiegel des majestätischen, einsamen, deutschen Stromes zogen die Schwalben; Weiden neigten über ihm ihre blassen Zweige.
Plötzlich erschienen auf einem nahen Hügel drei Reiter: es waren die Barbaren.
Die Römer machten Halt und stellten sich in Schlachtordnung auf. Julianus, von sechshundert Reitern in Eisenpanzern, den »Clibariern«, umgeben, führte auf dem rechten Flügel die Reiterei an; das Fußvolk auf dem linken Flügel befehligte der alte und erfahrene Feldherr Severus, dem der junge Cäsar in allen Dingen gehorchte. Die Barbaren stellten gegen Julianus ihre Reiterei auf, die der alamannische König Chnodomar selbst anführte; gegen Severus rückte der junge Neffe des Königs, Agenarich, mit dem Fußvolke aus.
Die Kriegshörner, kupferne Trompeten und gewundene Buccinas erklangen; Feldzeichen, mit den Namen der Kohorten, purpurne Drachen und eherne Römeradler kamen in Bewegung; an der Spitze marschierten mit gemessenen und schweren Schritten, von denen die Erde erzitterte, mit ruhigen und ernsten Gesichtern, die an Siege gewohnten Schwertträger und »Primopilarier«.
Plötzlich blieb das Fußvolk des Severus auf dem linken Flügel stehen. Die Barbaren, die sich in einem Graben versteckt hatten, sprangen plötzlich aus dem Hinterhalt hervor und überfielen die Römer. Julianus bemerkte aus der Ferne die dadurch entstandene Verwirrung und eilte zu Hilfe. Er suchte die Soldaten zu beruhigen, indem er sich bald an die eine, bald an die andere Kohorte mit ermutigenden Worten wandte; den kurzen und starken Stil der Ansprachen des Julius Cäsar nachahmend, während der sechsundzwanzigjährige Jüngling die Worte sprach: »exsurgamus, viri fortes«, oder: »advenit, socii, justum pugnandi jam tempus«, fühlte er nicht ohne Stolz: »Jetzt gleiche ich dem oder jenem Helden des Altertums!« Selbst mitten in der blutigen Schlacht fühlte er sich von seinen Büchern umgeben und freute sich, daß sich alles wirklich so abspielte, wie es bei Titus Livius, Plutarch und Sallust beschrieben war. – Der erfahrenere Severus dämpfte mit seiner weisen Ruhe die übermäßige Leidenschaftlichkeit des Cäsars; er gewährte ihm einige Selbständigkeit, ohne die Gesamtleitung des Heeres aus den Händen zu geben.
Pfeile, Speere, die die Barbaren an langen Wurfschlingen warfen, und Steingeschosse der Wurfmaschinen schwirrten und pfiffen über den Köpfen.
Endlich standen die Römer von Angesicht zu Angesicht vor jenen schrecklichen und geheimnisvollen Männern des Nordens, den Bewohnern der rheinischen Wälder, von denen so viele unglaubliche Dinge berichtet wurden. – Sie sahen hier die seltsamsten Rüstungen: die einen trugen auf den nackten Riesenkörpern als einzige Rüstung Bärenhäute und auf den zottigen Haaren Bärenköpfe mit offenen Rachen und weißen Zähnen; die anderen hatten ihre Helme mit Hirschgeweihen und Ochsenhörnern geschmückt. Die Alamannen fochten mit Todesverachtung und stürzten sich oft ganz nackt, nur mit einem Schwert und einem Speer bewaffnet, in die Schlacht; ihre roten Haare banden sie auf dem Scheitel in einen Knoten zusammen und liehen sie als große Mähne oder als Zopf in den Nacken fallen; der blonde Schnurrbart hing von den roten Gesichtern in langen Strähnen herab, viele von ihnen waren noch so wild, daß sie nicht einmal den Gebrauch von Eisen kannten, und an ihren Speeren Spitzen aus Fischgräten hatten; die Gräten waren mit einem tödlichen Gifte versehen, das sie gefährlicher als Eisenspeere machte: ein einziger Stich dieser schrecklichen Nadeln genügte, um den Feind eines langsamen und qualvollen Todes sterben zu lassen. Statt mit Panzern waren sie von Kopf bis zu Fuß mit feinen, aus Pferdehufen geschnittenen Hornplatten, die an eine Unterlage aus Leinen genäht waren, bedeckt. Die Wilden erschienen in dieser Ausrüstung wie sonderbare, mit Vogelfedern und Fischschuppen bedeckte Märchenungeheuer. Hier waren blauäuige Sachsen, die sich vor keinem Meere fürchteten, doch vor der Erde, auf die ihre Füße traten, heilige Scheu hatten; Sikamber, die sich nach einer früheren Niederlage zum Zeichen der Trauer ihre Haare kurz geschoren hatten und sie jetzt wieder wachsen ließen; Herulen, mit Augen so grün, wie der Ozean in jener entfernten Bucht, an der sie wohnten; Burgunder, Bataver und Sarmaten und noch viele andere namenlose Halbtiere und Halbmenschen, deren schreckliche Gesichter die Römer nur vor dem Tode sahen.
Die Primopilarier hatten ihre Schilde nebeneinander gestellt, so daß diese eine dichte, eherne, feste Mauer bildeten, und rückten langsam vor. Die Alamannen stürzten sich ihnen mit Bärengeheul entgegen. Es entstand ein Handgemenge, Brust an Brust, Schild gegen Schild. Über der ganzen Ebene erhob sich eine Staubwolke, die die Sonne verdeckte.
In diesem Augenblicke geriet die eiserne Reiterei der Clibarier auf dem rechten Flügel ins Schwanken und wendete sich zur Flucht. Sie konnte dabei leicht die hinteren Legionen zertreten. Durch die Schwärme der Pfeile und Wurfspeere leuchtete im staubigen Sonnenlichte die feuerrote Stirnbinde des riesengroßen Königs Chnodomar.
Julianus kam noch zur rechten Zeit herbei. Er hatte die List der Barbaren begriffen: zwischen den Reihen der Reiter waren Fußsoldaten versteckt, die unter die Pferde der Römer krochen und ihnen mit kurzen Schwertern den Bauch aufschlitzten; die Pferde stürzten und rissen die eisengepanzerten Catafractarier, die wegen ihrer schweren Rüstungen sich nicht wieder erheben konnten, mit sich.
Julianus stellte sich den fliehenden Reitern in den Weg, um sie in ihrer Flucht aufzuhalten, oder von ihnen zertreten zu werden. Das Pferd eines fliehenden Tribunen der Clibarier stieß mit dem Pferde des Cäsars zusammen. Der Tribun erkannte Julianus und blieb, vor Scham und Angst erblassend, vor ihm stehen. Das ganze Blut stieg Julianus ins Gesicht. Jetzt dachte er nicht mehr an seine Bücherweisheit; er neigte sich vor, packte den Flüchtling an der Kehle und schrie mit einer Stimme, die ihm selbst fremd und wild vorkam: »Feigling!«
Der Cäsar kehrte ihn mit dem Gesichte den Feinden zu.
Jetzt machten alle Catafractarier Halt; sie hatten die in vielen Schlachten zerfetzte, purpurne Drachenfahne des Cäsars erkannt und wurden von Scham ergriffen. In einem Augenblick schwenkte die ganze eisengepanzerte Masse um und stürzte sich auf die Barbaren zurück.
Alles kam durcheinander. Ein Speer traf Julianus gegen die Brust; sein Panzer rettete ihn. Ein Pfeil flog so dicht an seinem Ohre vorbei, daß die Federn seine Wangen streiften.
In diesem Augenblicke schickte Severus die gefürchteten Legionen der Chornuten und der Bracaren der geschwächten Reiterei zu Hilfe. Diese halbwilden Bundesgenossen der Römer pflegten im Rausche der Schlacht, wenn sie den Tod von Angesicht zu Angesicht sahen, ihren Schlachtgesang, den »Barritus«, anzustimmen.
Sie stimmten auch jetzt diesen Gesang an; die ersten Töne klangen klagend und leise, wie nächtliches Blätterrauschen; der Gesang wurde aber immer lauter, feierlicher und drohender und verwandelte sich schließlich in ein wahnsinniges Geheul; es war wie das Tosen der wilden Wogen des Ozeans, wenn sie an Felsen zerschellen. An diesem Gesänge berauschten sie sich bis zur Tollwut.
Julianus sah und hörte nichts mehr; er spürte nur Durst in der Kehle und schmerzhafte Ermüdung im rechten Arme, der das Schwert hielt; er hatte jedes Gefühl für Zeit verloren, Severus, der die Geistesgegenwart bewahrt hatte, leitete mit weiser Umsicht die Schlacht.
Plötzlich bemerkte der Cäsar mit Erstaunen und Verzweiflung, daß die feuerrote Stirnbinde des dicken Königs Chnodomars bereits in der Mitte der römischen Truppen aufgetaucht war: die Reiterei der Barbaren hatte sich wie ein Keil in die Reihen der Römer hineingedrängt. Julianus sagte sich: »Es ist zu Ende, alles ist verloren!« Er dachte an die unglückseligen Vorzeichen, die er am Morgen wahrgenommen hatte, und wandte sich an die Götter mit dem letzten Gebet: »Helft mir, Olympier! Denn wer soll noch auf Erden eure Macht wiederherstellen, wenn ich es nicht tue?! . . .«
Im Herzen des römischen Heeres waren die ältesten Krieger der Legion der »Petulanten« – der Siedenden, – so wegen ihres Mutes benannt – aufgestellt; Severus setzte auf sie seine Hoffnung und täuschte sich darin nicht. Einer der Petulanten rief aus:
»Viri fortissimi! Tapfere Männer! Wir wollen unserm Rom und dem Cäsar treu bleiben. Sterben wir für Julianus!«
»Es lebe Cäsar Julianus! Für Rom! Für Rom!«
Und nun gingen die unter den Fahnen ergrauten Legionäre wieder ruhig und entschlossen in den Tod.
Julianus traten Freudetränen in die Augen. Er gesellte sich zu ihnen, um mit ihnen zu sterben. Und wieder fühlte er, wie ihn die Macht der einfältigen Liebe, die Macht des Volkes auf ihren Schwingen emporhob.
Die Barbaren wurden von Schrecken ergriffen; sie erbebten und wandten sich zur Flucht.
Die ehernen Adler der Legionen stürmten wieder vorwärts; ihre blutrünstigen Schnäbel und ausgebreiteten Flügel glänzten drohend in der Sonne, den fliehenden Völkern den Sieg der Ewigen Stadt verkündend.
Die Alamannen und Franken kämpften bis zum letzten Atemzuge.
Ein Barbar kniete in einer Blutlache und hielt in seiner erlahmenden Hand noch immer das stumpf gewordene Schwert oder das Stück eines Speeres; in seinen erlöschenden Augen war keine Furcht und keine Verzweiflung, sondern nur der Durst nach Rache zu lesen.
Selbst diejenigen, die man schon für tot hielt, erhoben sich zuweilen, halb zertreten, von der Erde, bissen sich mit den Zähnen in die Beine der Feinde fest, so daß die Römer sie an der Erde mitschleifen mußten.
Sechstausend Männer des Nordens blieben auf dem Schlachtfelde oder ertranken im Rhein.
Noch an diesem Abend brachte man dem Cäsar Julianus, als er auf einem Hügel, von den Strahlen der untergehenden Sonne wie mit einem Heiligenscheine umgeben, stand, den König Chnodomar, den man auf dem rechten Rheinufer gefangen genommen hatte; schwer atmend, schweißbedeckt und blaß, mit auf dem Rücken gefesselten Händen, kniete der Alamanne vor seinem Sieger, und der sechsundzwanzigjährige, römische Cäsar legte seine kleine Hand auf die rote Mähne des Barbarenkönigs.