Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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XII.

Vierzig Stadien von Antiochia entfernt lag am Flusse Orontes der berühmte, dem Apollo geweihte Hain der Daphne.

Die Dichter erzählten: Einst war eine keusche Nymphe vor den Nachstellungen Apollos vom Gestade des Peneus geflohen; beim Orontes blieb sie erschöpft stehen, während sie der Gott bereits einholte. Sie betete zu ihrer Mutter, der Göttin Latona, und diese bewahrte sie vor der Umarmung des Sonnengottes, indem sie sie in einen Lorbeerbaum – Daphne – verwandelte. Seit jener Zeit liebt Apollo Daphne mehr, als alle anderen Bäume; mit dem stolzen Laube des Lorbeerbaumes, das für die Sonnenstrahlen stets undurchdringlich bleibt und von ihnen doch immer liebkost wird, umwindet er seine Leier und seine Locken. Phöbus besucht oft den dichten Lorbeerhain im Tale des Orontes, den Ort, wo sich die Verwandlung Daphnes vollzogen hat; er trauert und atmet den Duft des dunklen Laubes ein, das von der Sonne erwärmt, doch nie besiegt wird, das geheimnisvoll und selbst im hellen Mittagslichte traurig bleibt. Hier wurde ihm ein Tempel errichtet; jährlich feierten hier die Menschen eine Panegyris zu Ehren des Sonnengottes.

Julianus hatte Antiochia in einer frühen Morgenstunde verlassen, ohne jemand davon zu benachrichtigen: er wollte erfahren, ob die Antiochier sich noch an das heilige Fest Apollos erinnerten. Unterwegs dachte er an das bevorstehende Fest und hoffte, große Scharen von Pilgern anzutreffen, Chöre zu Ehren des Sonnengottes zu hören, Trankopfer, Opferrauch, Jünglinge und Jungfrauen, die in weißen Gewändern, dem Symbol der keuschen Jugend, die Stufen zum Tempel hinaufsteigen, zu sehen.

Der Weg war beschwerlich. Von den steinigen Tälern der Chalybonischen Beröa kam stoßweise ein heißer Wind. Die Luft war mit dem scharfen Qualm eines Waldbrandes erfüllt; aus den bewaldeten Klüften des Berges Kasios stieg ein blauer Hauch empor. Der Staub reizte die Augen und die Kehle und knirschte unter den Zähnen. Das Sonnenlicht erschien durch den rauchigen, heißen Dunst hindurch trübrot und krank.

Kaum betrat aber der Kaiser den geheimnisvollen Hain des Daphnischen Apollos, als ihn wohlduftende Frische umfing. Der Hain maß achtzig Stadien im Umfange. Unter dem undurchdringlichen Blätterdache der riesenhaften Lorbeerbäume, die viele Jahrhunderte alt waren, herrschte ewiges Dunkel.

Der Kaiser erstaunte, da er weder Pilger, noch Opfer und Weihrauch, noch irgendwelche Vorbereitungen sah. Er sagte sich, daß das Volk sich bereits im Tempel befinde, und ging weiter.

Mit jedem Schritte wurde es aber einsamer. Kein Laut störte die seltsame Stille; es war wie auf einem Friedhofe. Man hörte selbst keine Vögel; der Schatten der Lorbeerbäume war ihnen zu düster, und sie kamen fast nie in den Hain. Im Grase begann eine Zikade zu zirpen, aber sie verstummte, gleichsam von ihrer eigenen Stimme erschreckt. Nur in einen schmalen Sonnenstreifen, der durch die Äste drang, summten die Insekten schläfrig und leise ihr Mittagslied; sie wagten aber nicht, aus der Sonne in den Schatten zu fliegen.

Julianus stieß zuweilen auf etwas breitere Alleen, die von zwei schwarzsamtenen, titanischen Mauern aus uralten Zypressen eingefaßt waren; die Bäume warfen einen Schatten vor sich hin, der schwarz wie der Schatten der Nacht war. Ein süßer, unheildrohender Duft entstieg diesen Bäumen.

Hie und da sickerten durch das weiche Moos unterirdische Gewässer. Überall gab es Quellen, kalt wie eben geschmolzener Schnee, doch stumm und traurig, wie alles in diesem Haine.

Aus einer moosumwachsenen Felsspalte fielen langsame, durchsichtige Tropfen. Das tiefe Moos dämpfte aber ihren Fall, und sie waren stumm, wie die Tränen der stummen Liebe.

Es gab auch Wiesen mit wildwachsenden Narzissen, Margeriten und Lilien. Über den Blumen schwärmten Falter, die jedoch nicht bunt, sondern schwarz waren. Strahlen der Mittagssonne, die mit großer Mühe durch das Laub des Lorbeers und der Cypressen drangen, wurden bleich wie Mondlicht und traurig, als ob sie durch einen schwarzen Schleier oder den Rauch von Begräbnisfackeln schienen.

Gott Phöbus schien durch den unstillbaren Gram um Daphne, die unter den heißesten Küssen der Sonne finster und undurchdringlich blieb und unter ihren Zweigen eine nächtliche Dämmerung und Kühle bewahrte, für ewig verblaßt zu sein. Im Haine herrschten Einsamkeit, Stille und die süße Trauer des verliebten Gottes.

Julianus sah bereits die blendend weißen, majestätischen Marmorsäulen und Stufen des Daphnischen Tempels, der noch zur Zeit der Diadochen erbaut worden war, zwischen den Cypressen hindurchschimmern; er hatte aber noch immer keine Menschenseele angetroffen.

Endlich erblickte er einen Knaben, der auf einem dicht mit Hyazinthen überwucherten Pfade ging. Es war ein schwächliches und, wahrscheinlich, auch krankes Kind; die schwarzen, leuchtenden Augen standen seltsam in dem blassen Gesicht von alter, echt hellenischer Schönheit. Das goldige Haar fiel in weichen Locken auf den schlanken Hals herab; an den Schläfen traten hellblaue Adern hervor, wie an den allzu durchsichtigen Blättern der im Schatten wachsenden Blumen.

»Weißt du nicht, mein Kind, wo das Volk und die Priester sind?« fragte Julianus.

Das Kind antwortete nicht, als ob es die Frage gar nicht gehört hätte.

»Hör einmal, Knabe, kannst du mich nicht zum Oberpriester des Apollo führen?«

Der Knabe schüttelte stumm den Kopf und lächelte.

»Was hast du? Warum antwortest du nicht?«

Der schöne Knabe zeigte zuerst auf seine Lippen, dann auf seine beiden Ohren und schüttelte wieder, jedoch ohne noch zu lächeln, den Kopf.

Julianus dachte sich: er ist wohl taubstumm.

Der Knabe legte einen Finger an die blassen Lippen und blickte den Kaiser mißtrauisch an.

»Ein böses Vorzeichen!« flüsterte Julianus vor sich hin.

Die Stille, die Einsamkeit und das Dunkel des Apollohaines und dieser taubstumme Knabe, der ihm unverwandt und geheimnisvoll in die Augen starrte und schön war, wie ein kleiner Gott, kamen dem Kaiser beinahe unheimlich vor.

Endlich wies der Knabe auf einen Greis, der eben unter den Bäumen vorbeischritt; an seinem geflickten und schmierigen Gewande erkannte Julianus in ihm einen Priester. Der gebrechliche, gebeugte Greis schwankte hin und her wie ein Betrunkener, lachte und murmelte etwas vor sich hin. Er hatte eine rote Nase, eine große, spiegelblanke Glatze, die von kleinen, grauen Löckchen umrahmt war; diese waren leicht und flockig und standen wie Vogelflaum aufrecht. Die kurzsichtigen, tränenden Augen drückten List und Gutmütigkeit aus. Er trug einen ziemlich großen Weidenkorb.

»Ein Priester Apollos?« fragte Julianus.

»Ja, das bin ich! Ich heiße Gorgius. Was suchst du aber hier, lieber Freund?«

»Kannst du mir nicht sagen, wo ich den Oberpriester des Tempels und die Pilger finde?«

Gorgius gab zuerst keine Antwort. Er setzte seinen Korb auf die Erde, rieb sich eifrig mit der Handfläche die Glatze; schließlich stemmte er beide Arme in die Hüften, neigte den Kopf etwas zur Seite und kniff das linke Auge schelmisch zusammen.

»Warum sollte ich nicht selbst der Oberpriester Apollos sein?« sagte er gedehnt. »Von welchen Pilgern redest du übrigens, mein Sohn? Die Olympier mögen dir gnädig sein!«

Er roch wie ein Weinfaß. Julianus, dem dieser Oberpriester mißfiel, wollte ihm einen Verweis wegen seines unpassenden Aussehens erteilen.

»Du bist wohl betrunken, Alter? . . .«

Dies machte jedoch auf Gorgius nicht den geringsten Eindruck; er rieb sich noch eifriger seine Glatze und kniff das linke Auge noch schelmischer zusammen.

»Betrunken bin ich eigentlich nicht. Aber so an die fünf Becher habe ich mir wegen des Festes genehmigt! . . . Und dies auch noch mehr aus Kummer als aus Freude. – So so, mein Sohn, – mögen dir die Olympier gnädig sein! . . . Wer bist du aber selbst? Deiner Kleidung nach zu urteilen, ein wandernder Philosoph, oder vielleicht ein Schullehrer aus Antiochia?«

Der Kaiser lächelte und nickte. Er wollte den Priester unerkannt ausfragen.

»Du hast es erraten. Ich bin ein Schullehrer.«

»Ein Christ?«

»Nein, ein Hellene.«

»Das ist gut – es schleicht hier soviel von diesem gottlosen Gesindel herum . . .«

»Du hast mir noch immer nicht gesagt, Alter, wo das Volk ist. Hat man dir aus Antiochia viele Opfer geschickt? Sind die Chöre bereit?«

»Opfer? Was dir nicht einfällt!« kicherte der Alte, vor Erstaunen beinahe umfallend. »Nein, mein Lieber, Opfer haben wir seit langer Zeit nicht mehr gesehen, seit den Tagen Konstantins! . . .«

Gorgius winkte hoffnungslos mit der Hand und pfiff.

»Es versteht sich ja von selbst! Die Menschen haben die Götter vergessen . . . Von Opfertieren gar nicht zu reden, oft fehlt uns selbst eine Handvoll Opfermehl, um dem Gott einen Fladen zu backen; wir haben kein Körnchen Weihrauch, keinen Tropfen Lampenöl; und wenn du auch stirbst, bekommst du keins! – So ist es, mein Sohn, – die Olympier mögen dir gnädig sein! Alles haben uns die Mönche weggenommen. Und dabei sind sie noch frech und übermütig vor Fett . . . Unser Lied ist aus! Die Zeiten sind schlecht . . . Du sagst aber, ich soll nicht trinken, wie soll man nicht vor Kummer trinken, Verehrtester? Ohne Wein hätte ich mich schon längst erhängt! . . .«

»Ist denn zum großen Fest niemand von den Hellenen gekommen?« fragte Julianus.

»Niemand außer dir, mein Sohn! Ich bin der Priester, du bist die Gemeinde. So wollen wir zusammen das Opfer darbringen.«

»Du sagtest doch eben, du hättest kein Opfertier?«

Gorgius betätschelte wieder seine Glatze und sagte:

»Ich habe zwar kein fremdes, dafür aber ein eigenes. Ich habe selbst dafür gesorgt! Ich und Euphorion« – er wies auf den taubstummen Knaben hin – »haben drei Tage lang gehungert und uns das Geld zu einem Opfer für Apollo vom Munde abgespart. Sieh nur her!«

Er lüftete etwas den Deckel des Weidenkorbes: eine gefesselte Gans steckte sofort den Kopf heraus und schnatterte.

»Ist es denn kein anständiges Opfer?« kicherte der Alte selbstbewußt. »Die Gans ist zwar weder jung, noch besonders fett, immerhin aber ein gutes, heiliges Opfertier. Die wird gebraten gut riechen. Der Gott muß bei den jetzigen Zeiten auch damit zufrieden sein! . . . Die Götter schätzen gebratene Gänse über alles!« fügte er, seine Augen wieder zusammenkneifend, hinzu.

»Wie lange bist du Priester?« fragte Julianus.

»Seit langem. Es sind schon vierzig Jahre, vielleicht auch mehr.«

»Ist es dein Sohn?« fragte Julianus, auf Euphorion hinweisend, der ihn die ganze Zeit über aufmerksam und nachdenklich betrachtet hatte, als ob er erraten wolle, worüber sie sich unterhielten.

»Nein, es ist nicht mein Sohn. Ich bin allein, habe weder Kinder, noch Verwandte. Euphorion hilft mir nur beim Gottesdienste.«

»Wer sind denn seine Eltern?«

»Seinen Vater kenne ich nicht; ich zweifle auch, ob ihn überhaupt jemand kennt, seine Mutter war aber die große Sibylle Diotime, die viele Jahre lang bei diesem Tempel gelebt hat. Sie sprach mit niemandem ein Wort, entschleierte sich nie vor einem Manne, war keusch wie eine Vestalin. Als sie ein Kind gebar, waren wir alle erstaunt und wußten nicht, was wir uns denken sollten. Aber ein weiser, alter Hierophant, der über hundert Jahre alt war, hat uns erklärt . . .«

Gorgius hielt sich mit geheimnisvoller Miene die Hand vor den Mund und fuhr im Flüstertone fort, als ob es der Knabe hören könnte:

»Der Hierophant hat uns erklärt, daß der Knabe kein Sohn eines Menschen, sondern eines Gottes sei. Der Gott sei nachts heimlich in die Arme der Sibylle, während sie im Tempel schlief, herabgestiegen. – Siehst du, wie schön er ist!«

»Der Taubstumme – der Sohn eines Gottes?« fragte der Kaiser erstaunt.

»Warum denn nicht?« entgegnete Gorgius. »wenn der Sohn eines Gottes und einer Prophetin nicht taubstumm wäre, so müßte er bei den jetzigen Zeiten vor Kummer sterben. Du siehst ja, wie blaß und schwächlich er ist . . .«

»Wer weiß?« flüsterte Julianus traurig lächelnd, »vielleicht hast du auch recht, Alter: heutzutage wäre es für einen Propheten besser, taubstumm zu sein . . .«

Der Knabe näherte sich plötzlich Julianus, sah ihm mit einem tiefen, seltsamen Blicke in die Augen, ergriff schnell seine Hand und küßte sie.

Julianus fuhr zusammen.

»Mein Sohn!« sprach der Greis mit feierlichem und freudigem Lächeln, »die Olympier mögen dir gnädig sein! Du bist wohl ein guter Mensch. Mein Knabe würde nie einen Bösen oder Gottlosen küssen. Die Mönche flieht er aber wie die Pest. Mir scheint immer, er sieht und hört mehr, als wir beide; nur kann er es nicht sagen. Es ist schon vorgekommen, daß ich ihn allein im Tempel getroffen habe; stundenlang sitzt er vor der Statue Apollos und sieht den Gott so an, als ob er mit ihm spräche . . .«

Euphorions Gesicht verfinsterte sich; er ging leise zur Seite.

Gorgius schlug sich ärgerlich mit der Handfläche auf die Glatze, schüttelte sich und sagte:

»Wir haben übrigens genug geplaudert! Die Sonne steht schon hoch. Es ist Zeit, das Opfer darzubringen. Wollen wir gehen.«

»Warte noch, Alter,« sagte der Kaiser, »ich wollte dich noch nach Einem fragen: hast du schon etwas davon gehört, daß der Augustus Julianus die Verehrung der alten Götter wieder einführen wolle?«

»Gewiß habe ich es gehört!« Der Priester schüttelte den Kopf und winkte wegwerfend mit der Hand. »Das bringt der Arme nie fertig! . . . Es kann dabei doch nichts herauskommen. Dummheiten! Ich sage dir ja, das Lied ist aus!«

»Du glaubst doch an die Götter,« entgegnete Julianus; »können denn die Olympier die Menschen für immer verlassen?«

Der Alte seufzte schwer auf und ließ den Kopf sinken. Endlich sagte er:

»Mein Sohn, du bist noch jung, obwohl in deinen Haaren ein frühzeitiges Grau schimmert und deine Stirne Runzeln durchfurchen; doch schon in jenen Tagen, als mein silberweißes Haar noch schwarz war und die jungen Mädchen sich nach mir umsahen, geschah folgendes: Wir fuhren einst auf einem Schiffe in der Nähe von Thessalonich und erblickten vom Meere aus den Olymp; die Sohle und die Mitte des Berges waren von Nebel verhüllt, seine schneebedeckten Gipfel hingen aber in der Luft; in der Pracht des Himmels und des Meeres schwebten sie strahlend und unerreichbar über den Nebeln! Ich dachte mir: Hier wohnen die Götter! Und eine tiefe Rührung und Andacht ergriffen mich. Auf dem gleichen Schiffe fuhr aber ein Greis, der ein böser Spötter war und sich als Epikureer bezeichnete. Er wies auf den Berg hin und sprach: ›Meine Freunde, es sind schon viele Jahre her, seit Reisende zuerst den Gipfel des Olymps bestiegen haben, sie sahen, daß es ein ganz gewöhnlicher Berg ist, der sich in keiner Weise von den anderen Bergen unterscheidet. Denn es gibt dort nichts als Eis, Schnee und Stein.‹ So sprach er, und diese Worte drangen so tief in meine Seele ein, daß ich mich ihrer immer und immer wieder erinnern muß . . .«

Der Kaiser lächelte.

»Alter, dein Glaube ist kindlich. Wenn es auf dem Olymp keine Götter gibt, warum sollten sie denn nicht noch höher, im Reiche der ewigen Ideen, im Reiche des geistigen Lichtes wohnen?«

Gorgius ließ seinen Kopf noch tiefer hängen und kratzte sich hoffnungslos seine Glatze.

»Ja, das mag ja alles stimmen . . . Und doch – das Lied ist aus. Der Olymp ist leer geworden!«

Julianus blickte ihn schweigend und erstaunt an.

»Siehst du,« fuhr Gorgius fort, »die Erde gebiert heute ebenso schwache, wie grausame Menschen; die Götter können ihnen nicht ernstlich zürnen, sie können sie nur verhöhnen; es verlohnt sich nicht einmal, sie zu vernichten: sie werden schon selbst an ihren Krankheiten, Lastern und Sorgen zugrunde gehen. Die Götter sind der Menschen überdrüssig geworden und haben sich daher zurückgezogen . . .«

»Glaubst du, Gorgius, daß das Menschengeschlecht untergehen muß?«

Der Priester sagte kopfschüttelnd:

»Ach ja, mein Sohn, – die Olympier mögen dir gnädig sein! – Alles wird kleinlicher, alles verfällt. Die Erde wird alt. Die Flüsse fließen langsamer. Die Frühlingsblumen duften nicht mehr so stark wie einst. Neulich erzählte mir ein alter Schiffer, daß man bei Sizilien den Ätna vom Meere aus nicht mehr auf die gleiche Entfernung sehen könne, wie vor Jahren; die Luft ist dicker und dunkler, die Sonne trüber geworden . . . Das Ende der Welt naht . . .«

»Sage mir, Gorgius, hast du schon bessere Zeiten erlebt?«

Der Alte wurde lebhaft und seine Augen erstrahlten im Lichte der Erinnerungen.

»Als ich noch in den ersten Regierungsjahren des Kaisers Konstantin hierher kam,« sagte er freudig erregt, »wurden hier noch jährlich die großen Panegyrien zu Ehren Apollos gefeiert. Wie viele verliebte Jünglinge und Mädchen kamen dann in diesen Hain! Wie hell schien dann der Mond, wie stark dufteten die Cypressen, wie süß sangen die Nachtigallen! Wenn ihr Gesang verklungen war, erzitterte die Luft von den nächtlichen Küssen und Liebesseufzern, wie vom Rauschen unsichtbarer Flügel . . . Ja, es waren andere Zeiten!«

Er verstummte traurig und nachdenklich.

In diesem Augenblicke hörte man hinter den Bäumen ganz deutlich die traurige Melodie eines Kirchenliedes.

»Was ist das?« fragte Julianus.

»Es sind die Mönche: täglich beten sie hier über den Gebeinen eines toten Galiläers . . .«

»Wie? Hier, im heiligen Haine Apollos liegt ein toter Galiläer?«

»Ja. Sie nennen ihn den Märtyrer Babylas. Vor zehn Jahren brachte Cäsar Gallus, der Bruder des Kaisers Julianus, die Gebeine Babylas aus Antiochia in den Hain der Daphne, wo er für sie einen prunkvollen Sarkophag errichtete. Seit jenem Tage sind die Prophezeiungen verstummt: der Gott hat seinen entweihten Tempel verlassen . . .«

»Welche Gotteslästerung!« rief der Kaiser aus.

»Im gleichen Jahre,« fuhr der Alte fort, »gebar die jungfräuliche Sibylle Diotime einen taubstummen Sohn; das war ein böses Vorzeichen. Auf den Kastalischen Quell wälzten sie einen Stein; das Wasser versiegte und verlor die prophetische Kraft. Nur eine einzige Quelle, die wir die ›Sonnenträne‹ nennen, ist uns noch erhalten; siehst du, dort, wo jetzt mein Knabe sitzt, sickern die Tropfen aus dem moosbewachsenen Gestein. Man sagt, daß es die Tränen Apollos seien, der hier die in den Lorbeerbaum verwandelte Nymphe beweint . . . Euphorion verbringt hier ganze Tage.«

Julianus sah hin. Unter dem moosbewachsenen Felsen saß der Knabe regungslos und fing die Tropfen mit der hohlen Hand auf. Ein Sonnenstrahl drang durch das Laub und funkelte in den langsam herabfallenden reinen und stillen Tränen. Seltsame Schatten regten sich um ihn; Julianus glaubte plötzlich auf dem Rücken des Knaben, der schön wie ein Gott war, zwei durchsichtige Flügel zittern zu sehen. Das Kind war so blaß, so traurig und so schön, daß dem Kaiser der Gedanke kam: »Es ist Eros selbst, der kleine, alte Liebesgott, der in unserem Zeitalter des galiläischen Trübsinns dahinsiecht und stirbt. Er sammelt die letzten Tränen der Liebe, die Tränen des Gottes um Daphne, um die verlorene Schönheit.«

Der Taubstumme saß unbeweglich; ein großer, schwarzer Schmetterling, der zarte Schatten des Todes, hatte sich auf seinem Kopfe niedergelassen. Er fühlte ihn aber nicht und bewegte sich nicht. Der Schmetterling flatterte unheilverkündend über seinem gesenkten Kopfe. Die goldenen Tränen der Sonne fielen langsam, eine nach der anderen in seine Hand, und über ihm schwebten die traurigen und hoffnungslosen Töne des Kirchengesanges immer stärker und stärker, immer näher und näher.

Plötzlich erklangen hinter den Cypressen ganz nahe neue Stimmen:

»Der Augustus ist hier! . . .«

»Wozu sollte er allein zum Haine der Daphne kommen?«

»Wie? Heute sind doch die großen Panegyrien Apollos. – Seht, da ist er ja! – Julianus, wir suchen dich seit dem frühen Morgen!«

Es waren die griechischen Sophisten, Gelehrte und Rhetoren, die gewöhnlichen Begleiter Julianus'; hier war der große Faster, der Neopythagoreer Priscus aus Epirus, der gallige Skeptiker Junius Mauricus, der weise Sallustius Secundus, und der ehrgeizigste unter allen Menschen, der berühmte antiochische Rhetor Libanius.

Augustus schenkte ihnen aber keine Beachtung und begrüßte sie nicht einmal.

»Was hat er denn?« flüsterte Junius dem Priscus ins Ohr.

»Er zürnt wohl, daß zum Feste nichts vorbereitet worden ist. Wir haben es ja ganz vergessen! Kein einziges Opfertier . . .«

Julianus wandte sich an den ehemaligen christlichen Rhetor und nunmehrigen Hohenpriester der Astarte, Hecebolius:

»Geh in die nahe Kapelle und sage den Galiläern, die dort über den Gebeinen beten, daß sie herkommen möchten.«

Hecebolius ging zu der Kapelle, die hinter den Bäumen lag, von wo der Kirchengesang tönte.

Gorgius, den Korb mit der Gans in der Hand, stand regungslos da, mit weit aufgerissenem Mund und mit stieren Augen. Ab und zu rieb er sich verzweifelt seine Glatze. Er glaubte, etwas zuviel getrunken zu haben und alles im Traume zu sehen. Als ihm einfiel, was er nicht alles diesem »Schullehrer« über den Augustus Julianus und die Götter erzählt hatte, trat ihm kalter Schweiß in die Stirne. Vor Entsetzen zitterten ihm die Beine und er fiel in die Knie.

»Gnade, Cäsar! Denke nicht an meine frechen Reden . . . ich wußte nicht . . .«

Einer der Philosophen wollte, dienstfertig wie er war, den Alten wegstoßen und schrie ihn an:

»Mach daß du fortkommst, Dummkopf! Was belästigt du den Kaiser?«

Julianus verwehrte es ihm aber und sagte:

»Beleidige nicht den Priester! – Stehe auf, Gorgius. Hier hast du meine Hand. Fürchte nicht. Solange ich lebe, wird man dir und deinem Knaben kein Haar krümmen. Wir sind beide zu den Panegyrien gekommen, wir lieben beide die alten Götter; laß uns also Freunde sein und das Fest des Sonnengottes mit freudigem Herzen begehen!«

Der Kirchengesang verstummte. In der Cypressenallee erschienen blasse, erschrockene Mönche, Diakonen und der Geistliche selbst, der noch seinen Ornat anhatte. Hecebolius führte sie. Der Presbyter, ein wohlbeleibter Mann mit glänzendem, kupferrotem Gesicht, watschelte wie eine Gans, keuchte, prustete und wischte sich den Schweiß aus der Stirne. Vor Julianus blieb er stehen, machte eine tiefe Verbeugung, berührte mit der Hand die Erde und sagte mit einer singenden, angenehmen, tiefen Stimme, wegen der ihn seine Pfarrkinder besonders schätzten:

»Der allergnädigste Augustus sei seinen unwürdigen Knechten gnädig!«

Er verneigte sich noch tiefer, und als er sich keuchend wieder aufrichtete, halfen ihm dabei von beiden Seiten zwei junge, flinke Novizen, die einander zum Verwechseln ähnlich sahen; beide waren lang und dürr und hatten wachsgelbe, lange Gesichter. Der eine von ihnen hatte noch sein Räucherfaß in der Hand, aus dem eine dünne Rauchsäule emporstieg. Als Euphorion die Mönche aus der Ferne bemerkte, lief er eilig davon. Julianus sagte:

»Galiläer! Ich befehle euch, bis morgen nacht den heiligen Hain Apollos von dem Totengebein zu säubern. Wir wollen vorläufig keine Gewalt anwenden; wenn aber unser Wille nicht erfüllt wird, werden wir selbst dafür sorgen, daß Helios von der entweihenden Nähe einer galiläischen Leiche befreit wird: ich werde meine Soldaten herschicken, damit sie die Gebeine ausgraben, verbrennen und ihre Asche in alle Winde streuen. So ist unser Wille, Bürger!«

Der Presbyter hüstelte devot, indem er sich den Mund mit der Hand verdeckte, und sagte schließlich mit demütiger Stimme:

»Allergnädigster Cäsar! Dies ist für uns sehr betrübend, denn die heiligen Reliquien ruhen hier seit vielen Jahren nach dem Willen des Cäsars Gallus. Es geschehe aber dein Wille; ich will es dem Bischof melden.«

In der Menge ließ sich ein Murren vernehmen. Ein Gassenjunge verkroch sich in das Dickicht und sang das Spottlied:

Der Metzger kommt,
Der Metzger kommt,
Mit scharfem Beil,
Mit langem Bart,
Mit schwarzem Fell,
Mit langem Fell,
Mit einem Ziegenbart,
Draus einen Strick er flicht . . .

Jemand versetzte aber dem Gassenjungen eine solche Ohrfeige, daß er heulend davonlief.

Der Presbyter glaubte, daß es der Anstand erheische, für die Reliquien etwas energischer einzutreten; er hüstelte wieder demütig und begann von neuem:

»Wenn deine Weisheit geruht, es in Anbetracht des Götzen . . .«

Er verbesserte sich sofort:

»Des hellenischen Gottes Helios . . .«

Die Augen des Kaisers funkelten zornig.

»Ja, des Götzen! So sprecht ihr. Ihr haltet uns doch wirklich für Narren, wenn ihr behauptet, daß wir nur den Stoff der Götzenbilder – Kupfer, Stein oder Holz vergöttern. Alle eure Prediger bemühen sich, die anderen und sich selbst davon zu überzeugen. Es ist aber eine schamlose Lüge! Wir verehren weder den toten Stein, noch das Kupfer oder das Holz, sondern den Geist, den lebenden Geist der Schönheit, der auf unseren Götterbildern, den Mustern der reinsten göttlichen Schönheit ruht. Nicht wir sind Götzendiener, sondern ihr, die ihr euch wie Tiere wegen der Worte ὁμοούσιος und ὁμοιούσιος, wegen eines einzigen Jotas zerfleischt, ihr, die ihr die faulen Knochen der wegen Verletzung der römischen Gesetze hingerichteten Verbrecher küßt und den Brudermörder Constantius – ›Heiligkeit‹ und ›Ewigkeit‹ nennt! Ist es denn nicht vernünftiger, ein herrliches Werk des Phidias anzubeten, als sich vor zwei kreuzweise übereinandergelegten Balken, vor einem schändlichen Marterwerkzeuge zu verbeugen? Soll ich für euch erröten, euch bemitleiden oder euch hassen? Das ist doch wirklich der Gipfel von Wahnsinn und Ruhmlosigkeit, wenn die Nachkommen der Hellenen, die den Plato und Homer lesen, – o Schmach und Schande! – zu einem verworfenen Volke, das Vespasianus und Titus beinahe ausgerottet haben, laufen, um einen toten Juden anzubeten! . . . Und ihr wagt es noch, uns Götzendiener zu nennen!«

Der Presbyter kämmte sich während dieser Rede mit den fünf Fingern seinen weichen, schwarzen hie und da wie Silber schimmernden Bart, wischte sich die großen Schweißtropfen aus seiner breiten, glänzenden Stirne und schielte ermüdet und gelangweilt auf Julianus.

Der Kaiser wandte sich an den Philosophen Priscus:

»Mein Freund, du kennst doch die alten hellenischen Gebräuche; vollführe die Mysterien von Delos, die notwendig sind, um den Tempel von der entweihenden Nähe der Totengebeine zu reinigen. Lasse auch den Stein vom Kastalischen Quell entfernen, damit der Gott in sein Haus zurückkehre und die alten Prophezeiungen sich wieder erneuern.«

Der Presbyter schloß die Unterredung mit einer tiefen Verbeugung und demütigen Worten, in denen man aber einen unbesiegbaren Eigensinn erkennen konnte.

»Dein Wille geschehe, mächtigster Augustus! Wir sind Kinder, du bist der Vater. In der heiligen Schrift heißt es: ›Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott.‹«

»Ihr Heuchler!« rief der Kaiser aus. »Ich kenne zu gut eure Demut und euren Gehorsam. Erhebt euch doch gegen mich und kämpft wie Menschen! Eure Demut ist euer Schlangenstachel. Ihr verwundet denjenigen, vor dem ihr im Staube kriecht. Wahr hat über euch euer eigener Meister, der Galiläer, geredet: ›Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr gleich seid wie die übertünchten Gräber, welche auswendig hübsch scheinen, aber inwendig sind sie voller Totenbeine und alles Unflats!‹ Wahrlich, ihr habt die Welt mit übertünchten Gräbern und mit Unflat angefüllt! Ihr kniet vor den Totenbeinen nieder und erwartet von ihnen eure Rettung; ihr nährt euch wie die Grabwürmer von Verwesung. Hat euch das Jesus gelehrt? Hat er euch geboten, eure Brüder, die ihr Ketzer nennt, zu hassen, nur weil sie etwas anders glauben als ihr? – So vernehmt denn aus meinem Munde die Worte des Gekreuzigten: Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr Schlangen, ihr Otterngezüchte, wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?«

Er wandte sich zum Gehen, als plötzlich ein Greis und eine Greisin aus der Menge hervortraten und vor ihm in die Knie fielen. Beide waren ärmlich, doch sauber gekleidet und sahen einander auffallend ähnlich. Mit ihren frischen und hübschen Gesichtern, die einen rührend kindlichen Zug hatten, und mit den Runzeln, die wie Strahlen ihre gutmütigen, halb erblindeten Augen umgaben, erinnerten sie an Philemon und Baucis.

»Schütze uns, gerechter Cäsar!« begann der Alte eilig zu stammeln. »In der Vorstadt, am Fuße des Staurinus besitzen wir ein Häuschen, wir lebten da zwanzig Jahre, haben niemanden etwas Böses getan und waren immer fromm und gottesfürchtig. Neulich kamen aber die Decurionen . . .«

Der Alte schlug in seiner Verzweiflung die Hände zusammen, und die Alte tat sofort das gleiche: sie ahmte unwillkürlich jede seiner Bewegungen nach.

»Die Decurionen kamen also und sagten: Das Haus gehört nicht euch. – Wieso gehört es nicht uns? Gott sei mit euch! Wir leben schon seit zwanzig Jahren da. – Ja, es ist eben ungesetzlich: der Grund gehört dem Gotte Aesculapius, und das Fundament des Hauses besteht aus den Steinen seines Tempels. Man wird euch euren Besitz nehmen und dem Gotte zurückgeben. – Was soll das nun heißen? Erbarme dich unser, Vater! . . .«

Die beiden Alten knieten vor ihm, reinlich gekleidet, sanft und lieblich wie Kinder, und küßten unter Tränen seine Füße. Julianus bemerkte am Halse der Alten ein Kreuzchen aus Bernstein.

»Seid ihr Christen?«

»Ja.«

»Ich möchte wirklich gerne eure Bitte erfüllen. Was kann ich aber machen? Grund und Boden gehören dem Gott. Ich werde übrigens befehlen, daß man euch den Geldwert des Besitzes ersetzt.«

»Nein, das wollen wir nicht!« flehten die Alten. »Es handelt sich nicht um das Geld; wir sind an diese Stelle gewöhnt. Da ist alles unser, wir kennen jeden Grashalm! . . .«

»Da ist alles unser,« wiederholte die Alte wie ein Echo, »unser Weingarten, unsere Olivenbäume, Hühner, Kuh und Schweine, alles gehört uns. Da ist auch eine Steinbank, auf der wir seit zwanzig Jahren in der Abendsonne zu sitzen pflegen, um unsere alten Knochen zu wärmen . . .«

Der Kaiser wandte sich, ohne auf die Alte zu hören, an die erschrockene Volksmenge im Hintergrunde:

»In der letzten Zeit belästigen mich die Galiläer mit immerwährenden Bitten um Zurückgabe der kirchlichen Ländereien. So beschweren sich die Valentianer aus Edessa über die Arianer, die ihnen angeblich Kirchengüter weggenommen haben. Um diesen Streitigkeiten ein Ende zu machen, haben wir einen Teil des strittigen Besitzes den gallischen Veteranen verliehen und den Rest für den Fiskus eingezogen. So wollen wir auch in der Zukunft verfahren. Ihr werdet mich fragen: nach welchem Recht? Sagt ihr aber nicht selbst, daß ein Kamel eher durch ein Nadelöhr geht, als ein Reicher ins Reich Gottes kommt? Ihr seht, daß ich euch helfen will, diesem so schweren Gebot nachzukommen. Wie es aller Welt bekannt ist, schätzt ihr, Galiläer, am höchsten die Armut. Warum empört ihr euch dann gegen mich? Wenn ich euch den Besitz, den ihr bei euren eigenen Brüdern, den Ketzern, oder aus den hellenischen Tempeln geraubt habt, wegnehme, so bringe ich euch nur auf den Weg der heilsamen Armut, der doch ins Himmelreich führt, zurück . . .«

Ein böses Lächeln verzerrte seine Lippen.

»Wir werden ungesetzlich verfolgt!« stöhnten die Alten.

»Nun, ihr müßt diese Verfolgung eben ertragen!« erwiderte Julianus. »Ihr müßt euch über alle Verfolgungen und Beleidigungen freuen, wie es euch euer Jesus gelehrt hat: ›Dieser Zeit Leiden sind der Herrlichkeit nicht wert, die an uns soll offenbart werden!‹ . . .«

Der Alte war auf solche Beweisführung nicht vorbereitet; er verlor ganz seine Fassung und lallte beinahe hoffnungslos:

»Augustus, wir sind deine getreuen Knechte! Mein Sohn dient dir als Gehilfe des Strategen in einer entfernten Garnison an der römischen Grenze, und seine Vorgesetzten sind mit ihm zufrieden . . .«

»Ist er auch Galiläer?« unterbrach ihn Julianus.

»Ja.«

»Nun, es ist gut, daß du mich selbst darauf aufmerksam machst: von heute ab dürfen die Galiläer, unsere offenbaren Feinde, keine höheren Ämter im Reiche, besonders aber keine militärischen, bekleiden. Auch in diesem Punkte, wie in vielen anderen, stimme ich mit eurem Meister mehr überein, als ihr selbst. Ist es denn gerecht, daß die römischen Gesetze von Menschen gehandhabt werden, die Jünger des Mannes sind, der da sagte: ›Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet?‹ Oder daß die Christen von uns das Schwert zum Schutze des Reiches empfangen, während euer Meister warnt: ›Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen?‹ Und an einer anderen Stelle heißt es ebenso deutlich: ›Widersetze dich dem Bösen nicht mit Gewalt?‹ Wir sind um das Seelenheil der Galiläer besorgt und entziehen ihnen daher die römische Gerichtsbarkeit und das römische Schwert, damit sie, wehrlos und schutzlos und allem Irdischen fremd, um so leichter ins Himmelreich kommen können! . . .«

Stumm in sich hinein lachend und so seinen Haß stillend, wandte er sich von ihnen ab und ging mit schnellen Schritten zum Apollotempel.

Die beiden Alten streckten nach ihm die Arme aus und weinten:

»Cäsar, Gnade! Wir wußten nicht . . . Nimm uns unser Häuschen und unser Land, nimm alles, was wir besitzen, begnadige aber unsern Sohn! . . .«

Die Philosophen wollten mit dem Kaiser in den Tempel treten. Er verwehrte es ihnen aber mit einer Handbewegung.

»Ich bin allein zum Fest gekommen und werde auch allein mein Opfer darbringen.«

»Treten wir ein,« wandte er sich an den Priester, »Sperre die Türe ab, damit niemand hereinkommt. Procul este profani! – Die Ungeweihten mögen sich entfernen!«

Die Türe wurde den Philosophen vor der Nase zugeschlagen.

»Ungeweihte! Wie gefällt es euch?« fragte Gargilianus verdutzt.

Libanius zuckte schweigend mit den Achseln und machte ein finsteres Gesicht.

Junius Mauricus führte die Freunde mit geheimnisvoller Miene in einen Winkel des Porticus und flüsterte etwas, mit dem Finger auf seine Stirne zeigend.

»Versteht ihr?«

Alle waren erstaunt.

»Ist es denn möglich? . . .«

Er begann an den Fingern abzuzählen:

»Ein bleiches Gesicht, brennende Augen, zerzauste Haare, ungleichmäßige Schritte, zusammenhanglose Reden. Ferner eine übertriebene Reizbarkeit und Grausamkeit. Und schließlich dieser sinnlose Krieg mit den Persern; bei Pallas, das ist ja offenbarer Wahnsinn! . . .«

Die Freunde traten noch näher zusammen und begannen die Frage mit freudigem Flüstern zu erörtern.

Sallustius blieb in einiger Entfernung und sah sie mit verächtlichem Lächeln an.

Im Inneren des Tempels traf Julianus Euphorion. Der Knabe war erfreut, ihn zu sehen, blickte ihm während des Gottesdienstes mehrmals in die Augen und lächelte ihm zutraulich zu, als hätten sie ein gemeinsames Geheimnis zu bewahren.

Die kolossale Statue des Daphnischen Apollo ragte von der Sonne beschienen in der Mitte des Tempels; der Leib war aus Elfenbein, die Kleidung aus Gold, wie bei der Zeusstatue des Phidias zu Olympia. Der Gott stand leicht vornüber geneigt und opferte aus einer Schale der Mutter Erde, damit sie ihm die Daphne zurückgebe.

Eine leichte Wolke zog vorbei; auf dem vor Alter goldgelben Elfenbein huschten die Schatten, und Julianus schien es, als ob sich der Gott zu ihnen herabneige und von ihnen, seinen letzten Getreuen, – dem alten Priester, dem abtrünnigen Kaiser und dem taubstummen Sohn der Sibylle – mit einem huldvollen Lächeln das letzte Opfer empfange. Julianus betete mit kindlicher Freude im Herzen:

»Das ist mein Lohn, Apollo, und ich will keinen anderen! Ich danke dir dafür, daß ich verdammt und verstoßen bin wie du, daß ich im Leben wie im Tode so einsam bin wie du. Wo der Pöbel betet, gibt es keinen Gott. Du stehst hier in dem entweihten Tempel. O du von den Menschen verspotteter Gott, jetzt bist du schöner als in den Tagen, da dich die Menschen noch anbeteten! Am Tage, den die Parze vorausbestimmt hat, laß mich, o Freudiger, mit dir vereint untergehen! Laß mich, o Sonne, in dir sterben, wie die Flamme des letzten Opfers auf dem Altare in deinen Strahlen verglimmt!«

So betete der Kaiser. Stille Tränen liefen seine Wangen herab, und die stillen Tropfen des Opferblutes fielen wie Tränen in die verglimmende Kohlenglut des Altars.


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