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Zwanzigstes Kapitel

Dantons erste Frau (1792–1793)

Die Sammlung des Obersten Maurin, die unglücklicherweise verkauft und heute verstreut ist, enthielt unter anderen Kostbarkeiten einen sehr schönen Kopfabguß der ersten Frau Dantons, ich glaube die Totenmaske. Güte, Ruhe und Stärke prägte sich darauf aus. Man wundert sich nicht, daß sie eine solche Herrschaft über das Herz ihres Gatten ausgeübt und so viel Leid hinterlassen hatte.

Wie hätte es auch anders sein können? Sie war das Weib seiner Jugend und seiner Armut, seiner ersten dunklen Zeit. Danton, der damals Rechtsbeistand war, ein Anwalt ohne Klienten, und nichts als Schulden besaß, wurde von seinem Schwiegervater, dem Limonadenhändler an der Ecke des Pont Neuf ernährt, der ihm, wie man erzählt, einige Louis monatlich gab. Er lebte wie ein König auf dem Pflaster von Paris, hatte weder Sorge noch Unruhe, verdiente wenig und war ohne Wünsche. Wenn die Lebensmittel im Haushalt völlig fehlten, ging man eine Zeitlang in den Wald, nach Fontenai bei Vincennes, wo der Schwiegervater ein kleines Haus besaß.

Danton, dessen Natur reich an lasterhaften Neigungen war, hatte keine kostspieligen Laster. Er war weder Spieler noch Trinker. Er liebte die Frauen, das ist wahr, aber seine eigene ganz besonders. Die Frauen waren die schwache Seite, an der ihn die Parteien angriffen und ihn in die Hand zu bekommen suchten. So versuchte die orléanistische Partei, ihn durch die Geliebte des Prinzen, die schöne Frau von Buffon, zu bestricken. Danton war infolge seiner lebhaften Einbildungskraft und des Übermaßes seines stürmischen Temperamentes sehr beweglich. Indessen führte ihn sein Bedürfnis nach wahrer Liebe und Zuneigung unveränderlich jeden Abend ins Ehebett zurück, zu dem guten, teuern Weibe seiner Jugend, an den dunklen Herd des Danton von ehedem.

Ein Unglück für die arme Frau war es, daß sie plötzlich, im Jahre 1792, in das Justizministerium versetzt wurde, in dem furchtbaren Augenblick der Invasion und der Metzeleien in Paris. Sie wurde krank zum großen Kummer ihres Gatten. Ich zweifle durchaus nicht, daß sie zum großen Teile die Veranlassung gab, daß Danton im November oder Dezember einen letzten peinlichen und demütigenden Schritt tat, um sich der Gironde zu nähern und, wenn möglich, noch auf der Neigung des Abgrunds, der alles verschlingen zu wollen schien, zu bremsen.

Die zermalmende Schnelligkeit einer solchen Revolution, bei der Ereignis auf Ereignis ihr Herz bestürmte, hatte Madame Danton zerbrochen. Der furchtbare Ruf ihres Gatten, seine entsetzliche Prahlerei, die Septembermorde verursacht zu haben, hatten sie getötet. Mit Zittern hatte sie ihren Einzug in das verhängnisvolle Gebäude des Justizministeriums gehalten, tot, ich will sagen: zum Tode getroffen, kam sie wieder heraus. Ein Schatten kehrte in die kleine Wohnung an der Passage du Commerce zurück, in das finstere Haus, das ein Bogengewölbe bildet zwischen der Passage und der ebenfalls finsteren Rue des Cordeliers; heute heißt sie Rue de l'École de Médecine.

Es war ein harter Schlag für Danton. Er kam in die verhängnisvolle Zeit, wo beim Manne, wenn er durch die Zusammenfassung aller Kräfte die Hauptaufgabe seines Lebens erfüllt hat, die Einheitlichkeit des Wesens schwindet und seine andere Natur wieder zum Vorschein kommt. Wenn der Bereich des Willens weniger ausgedehnt ist, so kehren Natur und Herz, alles, was ursprünglich war im Manne, mit Gewalt zurück. Das geschieht im gewöhnlichen Verlauf der Dinge in zwei verschiedenen Lebensaltern, die durch die Zeit geschieden sind. Aber damals gab es, wie wir gesagt haben, keine Zeit mehr; die Revolution hatte sie getötet mit vielen anderen Dingen.

Schon war dieser Augenblick für Danton gekommen. Als sein Werk, die öffentliche Wohlfahrt im Jahre 1792, getan war, empörte sich die Natur gegen den momentan erschlafften Willen und ergriff Besitz von seinem Herzen, zerwühlte es ganz und gar, bis Hochmut und schnaubende Wut es wiederum in Besitz nahmen und es in den Tod leiteten.

Die Männer, die das Leben in so furchtbarer Überfülle nach außen drängen, die die Völker mit ihrem Wort, mit ihrer glühenden Brust, mit ihrem Herzblut ernähren, haben ein großes Bedürfnis nach dem häuslichen Herd. Das Herz muß wieder gesund werden, das Blut muß sich beruhigen. Und das geschieht immer nur durch eine Frau, und zwar eine sehr gute Frau, wie Madame Danton war. Sie war, nach dem Bilde und der Büste zu urteilen, ebenso stark und ruhig, wie schön und sanft; der Bericht von Arcis, wohin sie oft ging, fügt hinzu, daß sie fromm, von Natur melancholisch und von ängstlichem Charakter war.

Sie hatte in ihrer behaglichen und ruhigen Lage das Verdienst gehabt, sich dem Zufall anvertrauen, den jungen Mann kennen lernen und ihm folgen zu wollen, diesem unbeachteten Genie ohne Ruf und Vermögen. Sie war tugendhaft und hatte ihn trotz seiner Laster gewählt, die auf seinem düsteren und verwüsteten Gesicht geschrieben standen. Sie hatte sich diesem dunklen, schwankenden Schicksal, von dem man sagen konnte, daß es auf Sturm eingestellt war, verbunden. Sie war eine einfache Frau, besaß aber ein wackeres Herz und hatte diesen Engel der Finsternis und des Lichts im Vorübergehen festgehalten, um ihm durch die Abgründe zu folgen und mit ihm das dunkle Land zu betreten ... Da verließ sie die Kraft, und sie ging ein in Gottes Hand.

»Das Weib ist die Göttin des Glücks,« sagt irgendwo die Weisheit des Ostens. Es war nicht nur die Frau, die Danton verloren ging, das Glück selbst und sein guter Stern entglitt ihm, die Jugend und die Grazie, diese Gunst, mit der das Schicksal, als mit seiner schönsten Gabe, den Mann beschenkt, wenn er noch kein Verdienst sein eigen nennt. Sie war das Vertrauen und der Glaube, die erste Tat des Zutrauens, die man an ihm getan hatte. Als eine Anhängerin des arabischen Propheten ihn fragte, warum er immer noch seine erste Frau beklage, antwortete er: »Weil sie geglaubt hat, als niemand an mich glaubte.«

Ich zweifle durchaus nicht, daß Madame Danton es war, die ihren Gatten versprechen ließ, dem König, wenn er schon gestürzt werden müsse, wenigstens das Leben zu retten, wenigstens die Königin zu retten, die fromme Madame Elisabeth [ * ] Madame Elisabeth, Ludwigs XVI. Schwester, aber im übrigen eine ziemlich belanglose Dame, wurde Ende April 1794, nach Verkündung des Gesetzes über den Schrecken, hingerichtet. Es war ein völlig überflüssiger Mord. R. K. und die beiden Kinder. Auch er hatte zwei Kinder; das eine wurde – man sieht es aus den Daten – in dem heiligen Augenblick empfangen, der auf die Einnahme der Bastille folgte; das andere im Jahre 1791, an dem Tage, als Mirabeau tot war und die hinfällige konstituierende Versammlung die Zukunft Danton überließ, wo die neue Versammlung und der neue König des Wortes im Aufgang begriffen waren.

Diese Mutter wurde zwischen zwei Wiegen krank; Dantons Mutter pflegte sie. Jedesmal, wenn er zerschunden und verletzt von den Dingen draußen heimkehrte, wenn er die Rüstung des Politikers und die stählerne Maske an der Türe ließ, fand er diese so ganz andere Wunde, diese schreckliche, blutende Narbe: die Gewißheit, daß über ein kleines er am eigenen Fleisch zerrissen, in zwei Teile zerstückelt, daß sein Herz zerschnitten werden mußte. Er hatte diese ausgezeichnete Frau immer geliebt, aber sein Leichtsinn und sein Ungestüm hatten ihn bisweilen auf Abwege geführt. Und nun schied sie; da erst nahm er die Stärke und Tiefe seiner Leidenschaft zu ihr wahr. Und er konnte nichts tun; sie siechte dahin, entfloh, entwich seiner Hand, je enger seine Arme sich um sie schlangen.

Das bitterste war, daß es ihm nicht vergönnt war, sie wenigstens bis zum Ende zu sehen und ihre Abschiedsworte zu hören. Er konnte nicht dableiben; er mußte das Totenbett verlassen. Das Widersprechende seiner Lage kam zum Durchbruch; es war ihm unmöglich, Danton mit Danton zu versöhnen. Frankreich, die Welt blickten auf ihn bei diesem fatalen Vorgang. Er konnte weder reden noch schweigen. Wenn er keinen Ausweg fand, der den rechten Flügel und durch ihn das Zentrum, die Masse des Konvents wieder zusammenbrachte, so mußte er sich entfernen, von Paris fliehen, sich nach Belgien schicken lassen mit dem Vorbehalt der Rückkehr, wenn der Gang der Dinge und das Schicksal den Knoten entwirrt oder zerhauen hätten. Aber würde dann diese kranke, so schwer kranke Frau noch leben? Würde sie in ihrer Liebe genug Lebensodem und Stärke finden, nun, der Natur zum Trotz, so lange zu leben und den letzten Seufzer für ihren zurückgekehrten Gatten zu verhalten? Man konnte vorhersehen, was geschah: daß es zu spät sein, daß er bei seiner Rückkehr das Haus leer, die Kinder ohne Mutter und den so heiß geliebten Leib auf dem Grunde des Grabes finden würde. Danton glaubte nicht an die Seele, dem Leib folgte er und wollte ihn wiedersehen, den entriß er schrecklich entstellt nach sieben Nächten und sieben Tagen der Erde und machte ihn den Würmern streitig in rasender Umarmung [ * ] In den Tagen der Septembermorde war Danton Justizminister und neben Roland die führende Persönlichkeit in der Regierung. Wie weit sein Anteil an den Metzeleien in den Gefängnissen geht, darüber herrscht keine völlige Klarheit. Es fanden damals viele geheime Beratungen zwischen ihm, den wichtigsten Parteiführern und den Häuptern der Kommune statt, die den Aufstand inszenierte. Sicher ist, daß der Justizminister nichts tat, um die Lynchprozesse in den Gefängnissen zu verhindern. Und sicher ist ferner, daß nach den Septembermorden vom Justizministerium aus ein Aufruf an die Departements erging, sie sollten dem Beispiel von Paris folgen und sich auch der Royalisten entledigen. –

Einige Wochen später legte Danton den Posten als Justizminister nieder und widmete sich ganz der Diplomatie und dem Kriege. Er deckte den Verrat Dumouriez' auf. Er verhinderte die Verschwörung im Norden, die den Engländern und den Emigranten von Jersey den Weg nach Frankreich öffnen sollte. Er erreichte es durch seine wuchtigen, zündenden Reden, daß das Volk in Paris und in den Provinzen immer neue Opfer an Menschen und Gut für den Krieg brachte. – Über sein Verhalten im Prozeß des Königs war man lange unklar. Heute ist festgestellt, daß er am 15. Januar – er kam gerade von Belgien zurück – vor dem zögernden und schwankenden Konvent eine entscheidende Rede für die Verurteilung Ludwigs hielt. – Später beherrschte er eine Zeitlang den Wohlfahrtsausschuß, bis der Einfluß Robespierres ihn verdrängte. – Als er selbst vor dem Revolutionstribunal stand, mußte man ihm das Wort abschneiden, weil seine wirkungsvolle Verteidigungsrede das Volk in Aufruhr zu bringen drohte. Der Prozeß wurde dann kurz abgebrochen. R. K.
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