Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundzwanzigstes Kapitel

Die Damen Saint-Amaranthe (Juni 1794)

Diese Geschichte mit der Mutter Gottes verschlimmerte sich durch eine andere, viel weniger verdiente Anklage, deren Gegenstand Robespierre war.

Man behauptete ohne Grund, daß der Apostel der Jakobiner bis in die Spielhöllen Anhänger und unter den Damen, welche die Spieler empfingen, Schülerinnen gesucht habe.

In Wirklichkeit verwechselte man boshafter- und verleumderischerweise den älteren mit dem jüngeren Robespierre, der diese Häuser oft besuchte.

Der jüngere Robespierre, ein Anwalt von Beruf, ein gefälliger und banaler Redner, Gesellschafts- und Vergnügungsmensch, hatte kein ausreichendes Empfinden dafür, welche Rücksichten der hohe und gefürchtete Ruf seines Bruders verlangte. Bei seinen Missionen, wo sein Name ihm eine große und schwer zu spielende Rolle auferlegte, wachte er zu wenig darüber. Überall und sogar in den Klubs sah man ihn in Begleitung einer äußerst zweideutigen Frau.

Bei seiner Jugend und seinem guten Herzen hatte er lebhaft die Hoffnung begrüßt, sein Bruder könne die Revolution dämpfen. Er verbarg diese Hoffnung durchaus nicht und trug den Hindernissen und Aufschüben, denen ihre Verwirklichung unterlag, zu wenig Rechnung. In der Provence bewies er Menschlichkeit und schonte girondistische Gemeinden. In Paris hatte er den Mut, mehrere Personen zu retten, unter anderen den Direktor der geistlichen Verwaltung (der später Schwiegervater von Geoffroy-Saint-Hilaire wurde).

In seinem gegen die Schreckensherrschaft gewandten Übereifer geschah es ihm bisweilen, daß er hitzige Patrioten, die sich ohne Vorbehalt für die Revolution eingesetzt hatten, zum Schweigen brachte und demütigte. In Jura zum Beispiel gebot er herrisch dem Abgeordneten Bernard de Saintes Ruhe. Dieser sehr ergreifende Vorgang flößte den Gegenrevolutionären des Jura unbegrenztes Vertrauen ein. Leichtsinnig meinten sie (einer von ihnen, Nodier, berichtet es): »Wir genießen den Schutz der Herren de Robespierre.«

In Paris besuchte der jüngere Robespierre häufig ein durchaus verdächtiges Haus im Palais Royal, gegenüber der Freitreppe, an der Ecke der Rue Vivienne, das alte Stadthaus der Helvétius. Die Freitreppe war, wie man weiß, der Mittelpunkt der Spekulanten, Börsenjobber, Gold- und Assignatenhändler, der Weiberverkäufer. Prächtige Spielhäuser waren rings herum, in denen die Aristokraten verkehrten. Ich habe an anderer Stelle gesagt, wie alle alten Parteien, je weiter sie sich auflösten, zwischen Weibern und Spiel dort zu Tode kamen. Die Mitglieder der Konstituierenden endeten da, die Talleyrand, die Chapeliers. Da verschleppten sich die Orléanisten. Manche Girondisten kamen hin. Auch der junge Robespierre, der durch seine Tätigkeit im Fürstendienst angekränkelt war, liebte es, Überreste der alten Gesellschaft dort aufzusuchen.

Das Haus, worin er spielte, wurde von zwei sehr hübschen royalistischen Damen gehalten, einem Mädchen von siebzehn Jahren und dessen Mutter, die noch nicht vierzig war. Die letztere, Madame de Saint-Amaranthe, war, wie sie sagte, Witwe eines Leibgardisten, der am 6. Oktober getötet worden war, und hatte ihre Tochter in eine Familie verheiratet, die im Polizeiwesen einen berühmten Namen besaß, nämlich mit dem jungen Sartine, dem Sohne des Ministers von der Pompadour Gnaden, den Latude unsterblich gemacht hat.

Madame de Saint-Amaranthe ließ in aller Öffentlichkeit vor den Augen der Spieler die Bilder des Königs und der Königin hängen. Dieses Kennzeichen des Royalismus schadete dem Hause nicht. Die Reichen blieben Royalisten. Aber diese Damen trugen Sorge, hohe Beschützer unter den Patrioten zu haben. Die kleine Saint-Amaranthe wurde sehr geliebt von Jacobin Desfieux, einem Agenten des Sicherheitsausschusses (während der Ausschuß unter Chabots Leitung stand); er war ein vertrauter Freund Prolys und wohnte in demselben Zimmer, auch war er mit Junius Frey befreundet, dem prächtigen patriotischen Bankier, der Chabot seine Schwester zur Frau gab. All das war in dem Prozeß gegen Desfieux zutage getreten, der wie der gegen Proly in den Prozeß der Hebertisten verlief.

Als Desfieux am 24. März mit Hébert hingerichtet worden war, stellte Saint-Just dem Sicherheitsausschuß eine Note zu gegen das Haus, das jener zu besuchen pflegte, und dieser ließ am 31. die Saint-Amaranthe und Sartine verhaften. (Nationalarchiv, Sicherheitsausschuß, Register 642, 10. Germinal.)

Aber der jüngere Robespierre war ebenso wie Desfieux dem Hause befreundet; daher genossen diese Damen zweifellos den Vorzug, ziemlich lange ohne Urteil gefangen zu sitzen. Der Sicherheitsausschuß, an den er sich wenden mußte, um Aufschub für sie zu erlangen, war von der Sache unterrichtet. Und der hatte so ein Mittel, ein Schwert gegen seinen Feind in der Hand. Da konnte man ihn festnageln! Wenn die Sache geschickt gemacht wurde, dann konnte Robespierre als der Schutzherr der Spielhöllen erscheinen.

Robespierre? Welcher von den beiden? Man hütete sich zu sagen: der Jüngere. Das hätte der Sache ihre ganze Bedeutung genommen.

Er wurde bald benachrichtigt, zweifellos von seinem Bruder selbst, der ihm beichtete. Er sah den Abgrund und schauderte.

Man weiß nicht, ob er sich zu den Ausschüssen begab, oder ob die Ausschüsse zu ihm schickten. Sicher ist, daß sich am Abend des 25. Prairial (14. Juni) zwei schlimme Vorgänge zwischen ihm und ihnen abspielten.

Er überlegte, daß die Sache nicht wieder gut zu machen war, daß ihre Wirkung durch einen Widerstand verstärkt werden würde, daß er Vorteil daraus ziehen und als Erwiderung auf ihre nichtige Schadenfreude eine neue Gewalt über die Ausschüsse erlangen müsse, mit der er sie vielleicht treffen könne, daß er auf jeden Fall einen entscheidenden Schritt auf seinem Wege zur richterlichen Diktatur tun müsse.

Als daher der alte Vadier mit lauernder Miene zu ihm sagte: »Morgen bringen wir den Bericht über die Angelegenheit Saint-Amaranthe ein,« gab er wider Erwarten eine lässige Antwort.

Jeder glaubte, Robespierre stände mit der Saint-Amaranthe in Verbindung, und dabei kannte er sie allem Anschein nach nicht einmal. Die Unwahrscheinlichkeit der Sache hielt niemanden ab. Daß ein so düster-ernster Mensch, der so fieberhaft tätig war und so erbittert sein tragisches Geschick erfüllte, sich in einem solchen Hause, bei so übelbeleumdeten Damen wie ein Barrère, wie ein Marquis in der Schreckenszeit zu zerstreuen suchte, das fand man natürlich! Die Wut machte sie leichtgläubig und legte ihnen die Binde um die Augen.

Dennoch war zu befürchten, daß Billigkeit und gesunder Menschenverstand wieder ein wenig zu ihrem Rechte kamen und daß wenigstens ein paar Leute die so einfache Sache bedachten: es gibt zwei Robespierre.

Im Juni fand unter großem Lärm und mit unglaublichen Zurüstungen die feierliche Hinrichtung der angeblichen Mörder Robespierres statt, unter die man auch die Saint-Amaranthe eingereiht hatte.

Das Drama der Hinrichtung, das außerordentlich sorgfältig und wirksam vorbereitet war, wies vierundfünfzig Personen auf; alle trugen das Kleid, das bisher nur Charlotte Corday getragen hatte, das dunkelrote Hemd der Elternmörder und der Mörder der Väter des Volkes, der Abgeordneten. Der Aufzug brauchte von der Conciergerie bis zum Place la Révolution drei Stunden, und die Hinrichtung dauerte eine Stunde.

In dieser langen Spanne von vier Stunden konnte also das Volk die »Mörder Robespierres« [ * ] Am 25. Mai 1794 erschien ein junges Mädchen, Cécile Renault, im Hofe des Hauses Duplay und verlangte Robespierre zu sprechen. Da sie sehr verwirrt schien, schöpfte man Verdacht, untersuchte sie und fand zwei kleine Messer in ihren Taschen. Man folgerte daraus die Absicht eines Attentates auf Robespierre, und der Sicherheitsausschuß ließ den Vater des Mädchens, einen royalistischen Papierhändler, sowie ihren Bruder und mehrere Bekannte verhaften. Man verknüpfte die Sache mit dem Fall Ladmiral, der von der Treppe des Konvents aus auf Collot d'Herbois geschossen hatte, und mit der Sache Saint-Amaranthe, machte eine royalistische Verschwörung daraus und richtete alle »beteiligten« Personen, im ganzen vierundfünfzig, hin. R. K. ansehen, zählen, kennen lernen, ausforschen und ihre ganze Geschichte erfahren.

Kanonen folgten den Karren und eine Unmenge Truppen. Ein pompöser und furchtbarer Apparat, wie man ihn seit der Hinrichtung Ludwigs XVI. nicht mehr gesehen hatte. »Wie –,« meinte man, »das alles, um einen Mann zu rächen! Und was würde man erst beginnen, wenn Robespierre König wäre?«

Fünf oder sechs hübsche und drei ganz junge Frauen waren dabei. Darauf besonders wurde das Volk aufmerksam, das konnte es nicht verschmerzen; – und zu diesen reizenden Frauen gehörte deren ganze Familie, die Saint-Amaranthe mit all den Ihrigen, die Renault mit den Ihrigen, eine vollkommene Tragödie auf jedem Wagen, Weinen und Klagen wechselseitig. Rufe hin und her zum Herz zerbrechen. Madame de Saint-Amaranthe, die anfangs stolz und entschlossen war, wurde jeden Augenblick ohnmächtig.

Eine italienische Schauspielerin, Fräulein Grandmaison, beanspruchte das meiste Interesse. Sie war früher die Geliebte Sartines und blieb ihm auch nach seiner Heirat mit der jungen Saint-Amaranthe treu. [ * ] Unter den vierundfünfzig Opfern der Guillotine war auch der junge Sartine selbst. – Die Schauspielerin Grandmaison wurde weniger ihrer Beziehungen zu Sartine, als ihrer Freundschaft mit dem Baron von Batz wegen hingerichtet. Der berühmte Agent hatte sich ihrer bei einer ganzen Reihe seiner realistischen Geschäfte bedient. – Unter den Verurteilten war auch eine arme Schneiderin von siebzehn Jahren, namens Nicolle. Sie hatte niemandem etwas zuleide getan und war nur wie durch Zufall in die Angelegenheit verwickelt worden. Kein Mensch wußte, warum sie guillotiniert wurde, sie selbst am wenigsten. R. K. . Für ihn hatte sie sich zugrunde gerichtet. Da saßen sie zusammen auf demselben Karren, die beiden Unglücklichen, die im Tode Schwestern geworden waren und um die gleiche Liebe starben.

Ein Gerücht lief in der Menge um, eine scheußliche Verleumdung, Saint-Just habe die junge Saint-Amaranthe besitzen wollen und sie aus Eifersucht und Wut angezeigt.

Daß Robespierre so die Saint-Amaranthe, die man für seine Jüngerinnen hielt, im Stich gelassen hatte, das gab Anlaß zu maßlosem Staunen.

Alle Bedingungen des Schreckens und des Lächerlichen schienen in dieser Angelegenheit vereinigt. Der Sicherheitsausschuß, der die Sache gemacht hatte, hatte in seinem wilden Drama, in dem sich Wahres und Falsches mischten, Komödie und Tragödie zugleich übertroffen und alle großen Meister in den Schatten gestellt. Der Unveränderliche und Unbestechliche, auf den heimlichen Wegen seiner leichtfertigen Kunststücke ertappt und, beider Masken beraubt, in seiner Blöße gezeigt: das war der Bosheit ein gefundenes Fressen, und man glaubte alles, griff alles begierig auf, ließ kein Wort aus. Philosoph bei dem Tischler, Messias bei den alten Weibern in der Rue Saint-Jacques – und Spielhalter im Palais-Royal! Man braucht nur diese drei Rollen nebeneinander aufmarschieren zu lassen und sich das blasse Gesicht des unerbittlichen Sittenrichters dazuzudenken! Shakespeare konnte dagegen nicht an, Molière war überwunden; Talma und Garrick waren nichts daneben.

Und wenn man dann gleichzeitig an den feigen Egoismus dachte, mit dem er die Seinigen vorschob und sie im Stich ließ! An die unendliche Klugheit dieses Heilandes, dieses Retters, der nur sich selber rettete und seine Apostel mitsamt Maria Magdalena dem Judas auslieferte, damit sie statt seiner ans Kreuz kämen! Oh! Wut und Verachtung schäumten über in allen Herzen!

Gestern noch Diktator, Papst und Gott, glitt der unglückliche Robespierre heute hinab in den Abgrund der Schande.

So scharf, brennend und unaufhaltsam war der Eindruck der Verleumdung auf die wohlvorbereiteten Seelen. Sein ganzes Leben lang hatte er sich fadenscheiniger Anklagen bedient. Und nun, an diesem letzten Tage, schienen sie ihm heimgezahlt werden zu sollen in einer schwarzen Flut blutigen Schlammes ...

Fürchterlich waren die Schmähungen, die am folgenden Morgen die Kolporteure ausriefen! »Die heilige Guillotine«, »Die Vierundfünfzig in roten Mänteln«, »Die Mörder Robespierres«, so tönte ihr heulender Ruf, und noch lauter brüllten sie: »Die Geheimnisse der Mutter Gottes!« Es regnete kleine Schmähschriften, und Millionen Sticheleien, welche die stürmische Stunde gebar, flogen unter diesem Titel umher. Diese Kolporteure, Anhänger Marats und Héberts, die immer noch ihren Beschützern nachtrauerten, sorgten durch ihr infernalisches Geschrei, daß der Bericht, der auf einen Befehl hin in beinahe hunderttausend Exemplaren bereits gedruckt war, in die allerbreiteste Öffentlichkeit gelangte.

Man stellte diesen Leuten nach. Aber da half nichts: Der Kampf der großen Gewalthaber wurde auf ihrem Rücken ausgefochten. Die Gemeinde Robespierres setzte sie entschlossen in Haft. Aber der Sicherheitsausschuß ließ sie sofort wieder frei. Sie wurden nur um so wilder und rasender in ihrem Geschrei. Von der Versammlung bis zu den Jakobinern und von da bis zum Hause Duplay, gegenüber der Himmelfahrtskirche, hallte die ganze Rue Saint-Honoré wider von ihren Rufen, die Fensterscheiben zitterten davon. Der »große Zorn des Vater Duchesne« [ * ] »Père Duchesne« war der Titel eines radikal-republikanischen sehr populären Blattes, das von dem »tollen« Hébert herausgegeben wurde. R. K. schien triumphierend wiedergekehrt zu sein in ihren schamlosen Mäulern und ihren verzerrten Gesichtern.


 << zurück weiter >>