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Oft, oft im Leben, wenn wir vor wichtigen, tief in unser Dasein einschneidenden Ereignissen stehen, sind wir geneigt, die Stimmung der Natur unserer eigenen anzupassen, in ihr gewissermaßen zu suchen ein Omen für die Zukunft.
Glück verheißend fällt heiterer Sonnenschein auf den Kirchweg der von schüchternen Ahnungen durchbebten Braut; wie Thränen erscheinen den Leidtragenden die von niedrig hängendem Gewölk in die offene Gruft hinabgesandten Regentropfen. Und dennoch, wie oft rieselt es an Freudentagen feucht und kalt vom Himmel nieder, durchwärmen glänzende Sonnenstrahlen milde die frisch aufgeworfene kühle Friedhofserde!
Als der biedere Hänge mit mir durch die Straßen der Stadt wandelte, die fortan meine Heimat sein sollte, leuchtete mir kein freundlicher Hoffnungsstrahl. Aber auch kein Regen strömte. Ueber mir hing es dagegen bleifarbig und eintönig, als hätte der schwere Himmel sich niedersenken und mich unter seiner Wucht erdrücken wollen. Ebenso schwer lastete auf meinem Gemüth die Erinnerung an den Abschied von der schier verzweifelnden Winkelliese, ebenso eintönig erschien mir die sich vor mir eröffnende Zukunft.
Schweigend und Hand in Hand wanderten wir durch die engen, unregelmäßigen Straßen. Nur wenn Hänge sich nach der Richtung unseres Weges erkundigte, wurde seine Stimme laut. Beklommen blickte ich zu den hohen, übergebauten Giebeln empor, fürchtend, daß ein Windstoß sie erschüttern und über uns hinstürzen würde. Die heimliche Hoffnung, daß der Doctor Sachs seines Titels wegen in einer breiten, luftigen, wohl gar mit Bäumen bepflanzten Straße wohne, sollte bitter enttäuscht werden. Traute ich doch kaum meinen Augen, als wir in eine schmale, unsaubere Gasse einbogen und auf deren Ecke lasen: ›Jesuitenweg.‹
»Hier in der Nähe muß es sein,« bemerkte Hänge. Dann folgten wir dem Gäßchen nach, die schwer leserlichen Hausnummern über den Thüren prüfend, zugleich den düsterfarbigen Mauern mit den ausgetretenen Thürschwellen, den erblindeten Scheiben und den mit Gerümpel aller Art besetzten Schaufenstern unsere Aufmerksamkeit zuwendend.
Namenloses Grauen bemächtigte sich meiner. Es erschien mir unmöglich, daß die räucherigen Gebäude, die Firmen auf den Schildern, die Pumpe mit dem kreischenden, blankgegriffenen Schwengel und die verschossenen Uniformstücke, grünspandurchzogenen Tressen und verrosteten Waffen in manchen offenen Thüren mir ebenso vertraute Gegenstände werden würden, wie die Linden und Kastanienbäume im heimatlichen Dorfe, wie die Storchnester auf den strohgedeckten Ställen, die epheuumrankte Kirchhofsmauer und endlich mein lebhafter Freund der Blech-Ulan auf der Gaisblattlaube.
Ringsum klirrte und klapperte es; auch heisere Stimmen vernahm ich, die Bücklinge ausriefen, frühzeitiges Obst und – ich erstaunte – elenden weißen Sand, wie er bei uns daheim mit geringer Mühe in jedem Waldwinkel fuhrenweise und sogar umsonst ausgegraben werden konnte.
Weiter abwärts gellte eine verstimmte Drehorgel ihre tausendmal abgeleierten Melodien. Ich gedachte des munteren Dreischlages der Drescher, des Klapperns der altväterlich dareinschauenden Windmühle, des Läutens der Kuhglocken, und nur mit Mühe bekämpfte ich meine Thränen.
Hänge empfand wohl Aehnliches; denn er kaute eifrig bald auf der einen, bald auf der anderen Schnurrbarthälfte. Hätte die Winkelliese statt seiner mich begleitet, sie würde, von Entsetzen erfüllt, unstreitig mit mir umgekehrt sein. Der Gensdarm Hänge aber war ein Mann des Gesetzes, der nicht das kleinste Titelchen eines ihm von dem Herrn Landrath ertheilten Befehls vernachlässigte oder gar ganz verabsäumte.
»Man gewöhnt sich an Alles,« bemerkte er einmal, wie im Traume, »und so wird auch Dir, lieber Balde, diese merkwürdige Umgebung nicht lange fremd bleiben, 's ist Alles nicht so schlimm, wie es aussieht, Balde, und gute Menschen giebt es überall.«
Ich antwortete nicht. Meine Blicke ruhten auf einer Anzahl verrosteter Ketten, welche von dem Hausthürpfosten eines Eisenkrämers niederhingen. Dieselben schienen mir dazu bestimmt, mich am Entlaufen zu hindern.
Ein dreistöckiges, vier Fenster breites Haus lag auf der anderen Seite der Straße vor uns, als Hänge plötzlich stehen blieb und, meine Hand fester umspannend, mir zuflüsterte, daß wir zur Stelle seien.
Mir stockte der Athem.
› Sachs‹, las ich auf dem über zwei Fenster fortreichenden, altersschwachen Schilde. Darunter stand: ›Leihbibliothek; Ein- und Verkauf von gebrauchten Büchern, Atlanten und Kunstblättern.‹ Zur Illustration dieser Ankündigung waren die beiden Fenster zu Schaukasten hergerichtet worden. Eine Anzahl in Schweinsleder gebundener Bücher, Landkarten, Bilderfibeln, verblichene Photographien und mehrere bestaubte Lithographien reihten sich bunt aneinander. In jedem Fenster stand auf einfachem Fußgestell ein gewaltiger, abgenutzter Globus. Ich hielt sie für die riesenhaften Augäpfel des nach mir ausschauenden Hauses, die traurig darauf harrten, von der sie bedeckenden Staublage befreit zu werden. Sie blickten starr und theilnahmlos. Unwillkürlich dachte ich an das Burgfräulein im Walde. Die übrigen Fenster des Gebäudes riefen den Eindruck hervor, als seien sie vor vielen, vielen Jahren einmal auf das Mauerwerk gemalt worden. Kaum vermochte man hinter den erblindeten Scheiben Proben kattunener Gardinen zu erkennen.
Mehrere Minuten verharrten wir schweigend auf derselben Stelle. Hänge empfand offenbar einen tiefen Widerwillen, mich in das düstere Haus hineinzuführen, und wer weiß, ob dieser Widerwille nicht den Sieg über sein Pflichtgefühl davongetragen hätte, wäre nicht im entscheidenden Augenblick in der uns gegenüberliegenden Thür ein junger Mensch erschienen, welcher uns unverschämt anstierte.
Eine dumpfe Ahnung sagte mir, daß ich sehr bald genauer mit ihm bekannt werden würde. Bange klopfenden Herzens betrachtete ich daher die kurze knochige Gestalt, welche, wie um sich im ungünstigsten Lichte zu zeigen, mit weitgespreitzten Füßen eine Haltung angenommen hatte, die an den großen Schlachtenkaiser erinnerte. Ein dunkelgrüner Reitrock und unförmlich groß gewürfelte helle Beinkleider schmiegten sich an die hohen Schultern, die langen Arme und die wadenlosen, in den Knieen nach innen gebogenen Beine an, als wäre Beides ursprünglich nicht für ihn bestimmt gewesen oder vielleicht aus seiner Einsegnungszeit mit herübergekommen. Um das Straffe zu erhöhen, hatte er außerdem die gewaltigen Fäuste in die kurzen Taschen seiner Beinkleider gezwängt, diese aber mittelst schmaler Riemen unter den seinen Fäusten entsprechenden Stiefeln befestigt.
Der Charakter der seltsamen Erscheinung war eigentlich schon ausreichend in ihrer äußeren Haltung ausgeprägt; verdeutlicht wurde er indessen durch ein aufgedunsenes, sommersprossiges Gesicht mit wulstigen breiten Lippen, einem noch zweifelhaften, orangegelben Bartanflug, platter Negernase und blinzelnden Fuchsaugen, ferner durch struppiges, röthlich-blondes Haar, welches, theils durch Kunst, theils seiner natürlichen Neigung folgend, so steil aufrecht stand, als ob jede einzelne der glanzlosen Borsten von der stillen Hoffnung beseelt gewesen wäre, über kurz oder lang mittelst eines gesunden Strickes zu irgend einem gesunden Querbalken emporgewunden zu werden.
»Ich glaube, er winkt uns,« bemerkte Hänge, der gleich mir den wunderlich aufgeblasenen Menschen aufmerksam betrachtete.
»Ich glaube fast,« antwortete ich leise und erstaunt, daß der alte gediente Reitersmann, welcher Furcht nur dem Namen nach kannte, plötzlich so zaghaft geworden und willig dem an uns ergangenen, kaum bemerkbaren Winke Folge leistete. Dann schritten wir über die Gasse hinüber.
»Gensdarm Hänge, vermuthe ich,« redete der Bursche uns herablassend an, und da er zwei Stufen höher stand, als wir, gelang es ihm, wie ich gewahrt, sein Gesicht in dem blank lackirten Helm meines kleinmüthigen Beschützers zu spiegeln.
»Hänge ist mein Name,« bestätigte dieser, nach alter Gewohnheit, wie zufällig, mit dem Säbel klirrend.
»Ich vermuthete es,« fuhr der Bursche trotz des ehrfurchtgebietenden Säbelgerassels zuversichtlich fort, »wir erwarten nämlich einen gewissen Gensdarm Hänge, welcher uns einen Pensionär Baldrian, Indigo – classischer Name, auf Ehre – überbringen soll.«
»Sie selber sind nicht der Herr Doctor Sachs?« fragte Hänge mit erwachender Entrüstung.
»Nicht ganz,« hieß es geringschätzig zurück, »allein sein Procurist. Mein Freund Sachs ist abwesend; treten Sie indessen näher und nehmen Sie Platz. Junger Mann,« wendete er sich mir zu, indem er mich dem gleich hinter der Hausthür seitwärts in den Geschäftsraum eintretenden Hänge unsanft nachschob, »Du bist ja die reine Unschuld vom Lande – auf Ehre. Ich vermuthe, Du hast's hinter den Ohren; und wirst Du nicht der schlauste Gaudieb, der jemals seinem Lehrer gestoßenen Zucker auf die Perrücke streute, will ich mir von allen Ritter, Räuber- und Gespensterbüchern unserer Bibliothek 'nen Häringssalat bereiten lassen – classisch – auf Ehre!«
Hänge hielt es unter seiner Würde, die unverschämte Anrede des jungen Menschen zu beachten. Ich dagegen war so eingeschüchtert, daß ich sogar körperliche Mißhandlungen ohne Klage erduldet hätte.
Schweigend nahmen wir auf zwei Brettschemeln Platz, welche der sommersprossige Geschäftsführer so für uns hingeschoben hatte, daß das volle Licht des einen Schaufensters uns streifte, wir aber zugleich die ganze Räumlichkeit zu übersehen vermochten.
Alles war schwärzlich und unsauber: der Ladentisch, der Fußboden, das mit mancherlei Papieren und Büchern beladene wurmstichige Schreibpult und die bis zur geschwärzten Decke hinauf sich übereinanderreihenden Tragebretter. Tausende von Bücherrücken starrten mir von allen Seiten entgegen. Dieselben schienen aus der Fabrik eines Lichtziehers hervorgegangen zu sein, so fettig glänzten sie. Selbst die mit Nummern versehenen gelben Papierchen erinnerten an ungesäuberte Oellampen.
Wir hatten hinreichend Muße, Alles genau zu betrachten, denn der sommersprossige Geschäftsführer wurde durch eintreffende Kunden in Anspruch genommen; außerdem aber schien er, seitdem er den Laden betreten hatte, sich unter einem gewissen Zwange zu befinden. Er beachtete uns wenigstens nicht mehr, beschäftigte sich dagegen desto angelegentlicher mit einem einfältig verschmitzt darein schauenden Knaben meines Alters, welchen er mit schnarrender Stimme und dem Hersagen mir endlos erscheinender Nummern eine leicht bewegliche Leiter hinauf und hinunterjagte. Ich wußte nicht, wen ich mehr bewundern sollte: den Herrn Splint, wie die Leute ihn nannten, der genau wußte, wo die zahllosen verschiedenen Bücher zerstreut standen, oder den Knaben, welcher die bezeichneten Bände jedesmal auf der Stelle zu finden wußte und dabei genügend Zeit erübrigte, mir gelegentlich mit einem koboldartigen Grinsen zwei bis drei Zoll seiner breiten rothen Zunge zu zeigen.
Und Mancher erschien während unseres kurzen Aufenthaltes in dem düsteren Raume, um die gelesenen Bücher umzutauschen: Dienstmädchen, Soldaten und Männer mit Kutscherhüten. Auch fein gekleidete Damen, die mit Herrn Splint unverkennbar auf dem freundschaftlichsten Fuße standen. Denn sie nannten ihm die gewünschten Bücher leise und lachten gemeinsam mit ihm, als ob deren Inhalt sie schon im Voraus in die heiterste Stimmung versetzt habe. Dabei entging mir nicht, daß sie den finster dareinschauenden Gensdarmen mißtrauisch von der Seite beobachteten, auch wohl eine Frage an Herrn Splint richteten, welche von diesem beruhigend und mit geringschätzigem Achselzucken beantwortet wurde. Ferner erschien ein Postbote mit Briefen, welche von Herrn Splint in Empfang genommen und unverzüglich in eine zwischen den Büchern in die Wand hineinragende Schiebelade gelegt wurden. Indem meine Blicke aber noch auf dem zuvor nicht bemerkten Kasten ruhten, entdeckte ich oberhalb desselben, ebenfalls zwischen den Büchern, einen etwa fußbreiten leeren Raum. Aufmerksamer hinüberspähend, entdeckte ich ferner, daß dort die Rückwand durch eine Glasscheibe gebildet wurde, hinter welcher, kaum erkennbar, die Gesichtszüge eines Menschen sich hin und her bewegten, vor Allem zwei lebhaft funkelnde Augen bald auf mir ruhten, bald über die ab- und zugehenden Personen hinschweiften. Ich wußte jetzt, was Splint abhielt, sich eingehend mit uns zu beschäftigen: Es befand sich Jemand im Nebenzimmer, welchen er fürchtete, für mich wohl eine Beruhigung, aber auch eine Quelle neuer Besorgnisse. Denn so sehr ich von dem Wunsche beseelt war, meinem treuen Beschützer zu verrathen, daß wir beobachtet würden, wagte ich doch kaum eine Bewegung unter den auf mir haftenden Blicken des geheimnißvollen Unbekannten.
Eine halbe Stunde war verronnen, als Hänge plötzlich in seine Tasche griff, eine kleine Börse hervorzog und, sich halb abkehrend, verstohlen in derselben suchte.
Gleich darauf drücke er mir zwei harte Thaler in die Hand.
Erschrocken spähte ich nach dem verborgenen Fensterchen hinüber. Die Augen erkannte ich vor dem dunkeln Hintergrunde nicht genau, allein deren Blick meinte ich bis in mein Herz hinein zu fühlen.
»Nimm es, Kind,« flüsterte Hänge mir zu, als ich mich sträubte, das Geld zu behalten, »Du befindest Dich jetzt unter fremden Menschen und kannst nicht vorhersehen, ob Du nicht in eine Lage geräthst, in welcher Dir zuweilen einige Pfennige willkommen sind.«
»Frau Winkler gab mir drei Thaler,« flüsterte ich zurück.
»Und hätte sie Dir hundert gegeben, hinderte Dich deshalb nichts, auch von mir 'ne Kleinigkeit anzunehmen – und dann,« fuhr er fort, nachdem ich die Gabe in meine Tasche gesteckt hatte, »schreibe recht bald und recht genau, wie es Dir ergeht. Alles Gute, was Du zu sagen weißt, schreibe an die Frau Winkler – denn Du kennst die gute Seele, sie weint sich nach Dir die Augen aus. Das Böse dagegen – und jeder Mensch findet einmal Grund zu klagen – das adressire an mich. Wir Beide sind ja Männer, und Dir wird es gewiß leichter, Unannehmlichkeiten zu ertragen, als uns zu Hause, davon zu hören und nicht helfen zu können.«
Heimlich und doch mit aller Kraft drückte ich dem treuen väterlichen Freunde die Hand. Ich wäre ihm um den Hals gefallen, allein die versteckten Späheraugen übten auf mich eine ähnliche Wirkung aus, wie ich sie den bannenden Zauberblicken der Schlangen zuschrieb.
Es klopfte an eine kleine, zwischen den Büchergerüsten kaum bemerkbare und mit geschwärzten Landkarten behangene Thür.
»Herr Doctor Sachs sind heimgekehrt,« schnarrte Splint, das rechte Auge schließend und mit dem linken mich schadenfroh angrinsend, »treten Sie gefälligst ein, Herr Hänge,« fügte er hinzu, die bezeichnete Thür öffnend.
Hänge nahm meine Reisetasche und gleich darauf befanden wir uns in demselben Gemach, in welches die Briefe auf so geheimnißvolle Art befördert wurden.
Anfänglich war ich geblendet, denn da dieser Raum zwischen dem Laden und einem Hinterzimmer lag, mußte den ganzen Tag eine Gasflamme brennen. Dieselbe hing über einem Stehpult, auf welchem zahlreiche Briefschaften und Bücher angehäuft waren. Gleichsam unwillkürlich suchte ich die Fensterscheibe. Ein Stück Wachsleinwand verdeckte sie, so daß der vor dem Pult Stehende, je nach seiner Laune, nur eine schmale oder breitere Spalte zu öffnen brauchte, um, seitwärts schauend, sich Kenntniß von allen im Laden stattfindenden Vorkommenheiten zu verschaffen.
Wie im Laden, herrschte auch hier eine scharf ausgeprägte Unsauberkeit. Holzkisten, Pappkasten, ein runder Tisch, mehrere Stühle und ein mit Ledertuch überzogenes Sopha seufzten förmlich unter einer dicken Staublage. Wie um deren Stärke zu veranschaulichen, hatten zufällig darüber hinfahrende Hände weithin sichtbare Spuren in derselben zurückgelassen.
»Herr Hänge, ich erwarte Sie seit einigen Tagen,« redete Doctor Sachs, eine dürre, ungraciöse, mittelgroße Gestalt im schäbigen schwarzen Anzuge und mit grünen Schreibärmeln meinen Beschützer an, »allein Sie kommen immer noch früh genug. Ich hoffe, der neue Pensionär wird sich in meiner Familie heimisch fühlen.«
Dann putzte er seine Brille bedächtig, und ohne den sich leicht verneigenden Gensdarmen weiter zu beachten, kehrte er sein krankhaft hageres Antlitz mit der spitzen Nase, süßlich schmachtenden Augen, einem dürftigen rothblonden Schnurrbart und ähnlich behaartem Kinn mir zu.
»Du mußt Dich in meiner Familie heimisch fühlen,« wiederholte er, die beiden Mundwinkel zu einem anspruchslosen Lächeln emporziehend, »das schöne freie Landleben wirst Du freilich vermissen, allein der Weise tröstet sich damit, daß die Menschen zu höheren Zwecken auf die Welt geschickt wurden, als im Schweiße des Angesichts den Acker zu pflügen, Getreide zu dreschen oder – oder unreifes Obst zu essen – womit indessen nicht gesagt sein soll, daß ich vor den Landbewohnern, diesen bescheidenen Ebenbildern Gottes, nicht ebenfalls die entsprechende Hochachtung hegte. Aber setze Dich, mein Sohn, Herr Hänge, darf ich bitten,« und er wies auf zwei Stühle, während er selbst ziemlich rücksichtslos die bisher noch unangetastete Staubschicht auf dem Sopha wesentlich schädigte. »Zunächst wollen wir uns offen vor einander aussprechen, damit Dein biederer Freund die Ueberzeugung gewinnt, daß Du keinen gewissenhafteren Händen hättest anvertraut werden können.«
Hier seufzte der gute Hänge tief auf. Eine Centnerlast schien von seiner Seele zu rollen, zumal Sachs, in Anerkennung des verständnißvollen Seufzers, ihm die Hand drücke und mir zugleich wohlwollend zulächelte.
Von Dankbarkeit für die mir gewordene herzliche Aufnahme erfüllt, war er im Begriff, über meine Gutartigkeit, meine hervorragenden Talente und sonstigen hohen Vorzüge sich weitläufig auszulassen, als Sachs ihn freundschaftlich bedeutete, zu schweigen und selbst wieder das Wort nahm.
»Ja, mein theurer Baldrian, gegenseitige Achtung und offenes Vertrauen erleichtern jeden Verkehr, und so soll es auch mit uns sein. Du wirst als Mitglied meiner Familie – ohne mich zu rühmen, lauter herzensgute, treue Seelen – betrachtet werden und in deren – ich sage nicht zu viel – frommer Zurückgezogenheit reichen Ersatz finden für das, was hinter Dir liegt. Du bist vielleicht hungrig von der Reise?«
Ich verneinte zaghaft.
»Um so besser, mein junger Freund,« fuhr Sachs, fort und gutmüthig klopfte er meine wilden Locken, »Du magst dann gleich in unsere gewöhnliche Hausordnung eintreten, wodurch der Wechsel Dir unendlich erleichtert wird. Besitzest Du die genaue Adresse Deiner bisherigen theuren Beschützer?«
»Die kennt er auswendig, Prrohl-Dannehr!« bestätigte Hänge eifrig, »er ist ein dankbares Kind und wird nie vergessen, wo er zu Hause gehört.«
Wiederum der anerkennende Händedruck und das fromme Lächeln, wiederum der kurze Spaziergang der dürren, dintegeschwärzten Hand auf meinem Haupte, und milde und treuherzig tönte es durch den engen staubigen Raum:
»Gut, gut, mein biederer Freund; geschriebene Adressen gehen verloren, auswendig gelernte dagegen nie. Ich hoffe, unser Baldrian macht gern und häufig von der Erlaubniß Gebrauch, an seine früheren Wohlthäter zu schreiben, und diese werden nicht unterlassen –«
»Briefe über Briefe soll er haben,« fiel Hänge beglückt ein, »Frau Winkler versteht zwar besser, das Plätteisen, als die Feder zu führen, allein sie kann mir dictiren.« –
»Vortrefflich,« schnitt der Antiquar wohlwollend diesen neuen Ausbruch freudiger Empfindungen ab, »und so werden beide Parteien kaum merken, daß eine Entfernung von so vielen Meilen zwischen ihnen liegt. Ich sehe nämlich voraus, die unbekannten Freunde unseres gemeinschaftlichen Schützlings erklären sich damit einverstanden – 's sind freilich, wie mir's scheint, hochgestellte Personen, allein ein Herz haben sie, das beweisen die mir zur Verfügung gestellten Mittel, dem Baldrian die gediegenste Schulbildung angedeihen zu lassen. Selbst Ihre Reisekosten soll ich Ihnen vergüten und Ihnen und der Frau Winkler den aufrichtigsten Dank aussprechen für die Liebe, welche Sie auf den verwaisten Knaben übertrugen. Wie steht es mit seinen Kleidern?«
Hänge hob mit einem gewissen Stolz die schwere Reisetasche empor.
»Wir haben gethan, was in unsern Kräften stand,« bemerkte er, mich verstohlen anstoßend, wie um mir zu verdeutlichen, daß wir sehr Unrecht gehandelt, uns durch den ersten unfreundlichen Eindruck verstimmen zu lassen.
»Vortrefflich,« entgegnete Sachs wieder, und geschäftig begann er, die Tasche zu öffnen und deren Inhalt auf dem Tisch zu ordnen. »Prachtvoll, in der That prachtvoll,« bemerkte er mehrfach, »die Wäsche ist prachtvoll, wenn auch nicht so fein, wie sie später für den Knaben angeschafft werden wird. Auch das Schuhzeug läßt nichts zu wünschen übrig; dagegen muß ich Sie bitten, die farbigen Kleidungsstücke wieder mit heim zu nehmen – vielleicht als Andenken – Sie begreifen, daß zu dem ernsten Beruf, zu welchem seine unbekannten Gönner ihn bestimmten – ich könnte es Ihnen schriftlich zeigen – sich nur schwarze Stoffe eignen.«
»Ernsten Beruf?« fragte Hänge befremdet.
»Freilich, freilich, mein biederer Freund,« bekräftigte Sachs; »oder nennen Sie es keine ernste Arbeit, wenn ein junger Mensch sich zum Besuch der Universität vorbereitet? Doch bis dahin vergeht noch manches Jahr; denn nachdem unser gemeinschaftlicher Schützling bisher nur eine Dorfschule besuchte, wird er recht viel nachzuholen haben und daher noch vielfach die Sommerferien bei Ihnen verbringen. Ich bezweifle wenigstens nicht, daß seine unbekannten Wohlthäter auf meine besondere Verwendung gern die Mittel zu den allerdings etwas kostspieligen Reisen bewilligen. Ich hoffe, Sie sind mit diesen Aussichten zufrieden und nehmen die Ueberzeugung mit, daß für unsern gemeinschaftlichen Liebling nie besser hätte gesorgt werden können.«
Hänge, mochte sein treues Herz noch so sehr bluten, erklärte, daß er den günstigsten Eindruck empfangen habe, und da er nicht gleich Miene machte, die Zusammenkunft aufzuheben, packte Sachs alle diejenigen Kleidungsstücke wieder in die Reisetasche, von welchen er behauptete, daß sie überflüssig seien.
»Gern plauderte ich noch ein Stündchen mit Ihnen,« sprach er dabei gutmüthig bedauernd, »allein ich bin so außerordentlich beschäftigt – auch möchte ich Ihnen im Interesse meines neuen lieben Familien-Mitgliedes rathen, den unvermeidlichen Abschied nicht zu weit hinauszuschieben.
Es hieße, die Pein unnöthig verlängern – auch kehrt die Fassung langsamer zurück.«
»Ich bin bereit,« versetzte Hänge, indem er sich schnell erhob, und ich bin überzeugt, der Antiquar hätte nicht den hundertsten Theil so deutlich zu sein brauchen, um den wunderbar zartfühlenden alten Reitersmann zum Gehen zu bewegen, »ich bin bereit,« wiederholte er, und seine Stimme klang wieder einmal, als hätte er die breite schwarze Binde zu militärisch fest um seinen Hals geschnallt gehabt, »und beruhigt reise ich von dannen, seit ich weiß, daß Sie's so gut mit dem Bürschchen meinen.«
Dann hob er mich empor, und mein Gesicht dicht vor das Seinige haltend, blickte er mir fest in die Augen.
»Balde,« sprach er tief bewegt, »wir müssen jetzt von einander scheiden. Geschähe nicht Alles zu Deinem Besten, so möchte ich wünschen, daß Du nie aus der guten Winkler Hause gekommen wärest. Nun aber sei ein Mann,« fuhr er fort, als ich, von einem unendlichen Weh beschlichen, meine Arme um seinen Hals legte, »und richte Dich mit Deinem Lernen so ein, daß Dein alter Freund einst stolz auf Deine Bekanntschaft ist. Lebe also recht wohl, Balde« – er küßte mich, entfernte, wie bei einem kleinen Kinde, mit der Rückseite seiner Hand die Thränen von meinen Augenwimpern, stellte mich auf die Erde, drückte mir noch einmal kräftig die Hand, und die Reisetasche mit den als überflüssig erkannten Kleidungsstücken unter den Arm nehmend, eilte er auf die Straße hinaus.
Der gute, getreue Hänge! Es war ein Glück, daß er die Grüße an die Winkelliese mir bereits früher abforderte; er hätte sonst sicher ohne dieselben abreisen müssen. War er doch so ergriffen, daß er vergaß, sich bei dem Doctor Sachs zu verabschieden und die ihm versprochene Entschädigung für die Reisekosten in Empfang zu nehmen. Doctor Sachs aber war ebenso vergeßlich, denn die Thür hatte sich kaum hinter meinem treuen Freunde geschlossen, als er mich freundlich einlud, wieder Platz zu nehmen.
»Ein braver Mann, dieser Gensdarm,« hob er an, vor heiliger Ueberzeugung die Augen ein Weilchen schließend, »ich hoffe, Du wirst seiner Erziehung Ehre machen und Dich als einen gut gearteten, aufrichtigen Knaben ausweisen. Doch wir mögen sogleich eine kleine Probe anstellen – haben die biederen Leute Dir Taschengeld mit auf den Weg gegeben?«
»Zwei Thaler gab mir der Herr Hänge,« antwortete ich stotternd.
»Und die Frau Winkler?«
»Drei Thaler,« sprach ich fester, denn um die Welt hätte ich mir keine Unwahrheit zu Schulden kommen lassen.
»Gut,« versetzte Sachs lobend, »Ehrenhaftigkeit ist die größte Zierde des Mannes; aber auch nach andern Richtungen hin trägt Deine Aufrichtigkeit gute Früchte. Hier in meinem Hause und im Kreise einer christlich-frommen Familie erhältst Du Alles, was als nothwendig für Dein körperliches und geistiges Wohl erkannt wird. Geld wäre daher überflüssig in Deinen Händen. Du würdest es verlieren, dann aber auch möchte es die sündhafte Begierde nach Näschereien in Dir erwecken. Vertraue mir also Deinen Schatz an; ich will ihn redlich für Dich verwalten.
»Schau her, mein Sohn,« fuhr er milde fort, nachdem ich ihm, wie im Traume, meine ganze Baarschaft eingehändigt hatte, und er nahm eine verrostete leere Sparbüchse aus seinem Stehpult, »in diese Büchse thue ich Dein Geld – dann hänge ich dies niedliche Schlößchen vor die Deckelkrampe« – und eben so schnell geschah Alles – »den Schlüssel ziehe ich ab, damit Niemand die Büchse öffnet, und lege ihn hier tief unten zwischen die Papiere zu meiner linken Seite, wogegen die Sparbüchse selber« – er schüttelte sie klappernd – »rechts von mir in diesem geheimen Fache ihren Platz findet. Nun noch den Deckel des Pultes verschlossen, und Dein Geld ist so sicher aufgehoben, als hätten wir es zur Bank getragen.« –
Ich nickte zustimmend. Es konnte nichts Verständigeres, Einleuchtenderes geben, als das von Sachs beobachtete Verfahren.
»Ich bin überzeugt, Du fühlst Dich jetzt bedeutend leichter,« bemerkte er noch wie beiläufig, wozu ich wiederum nickte, »doch beschwere Deine kräftigen Arme mit Deiner sauberen Ausstattung und begleite mich nach oben, damit ich zunächst Dich meiner Familie – sie wird auch die Deinige sein – vorstelle.«
Ich that, wie mir geheißen war. Es gehörten ja keine sonderlich starken Arme dazu, meine erheblich verringerten Habseligkeiten zu tragen – und bald darauf befanden wir uns auf einer schmalen, knarrenden Treppe, die hinlänglich finster, um verstohlen einige Thränen weinen und an meinem kleinen Wäsche-Vorrath abstreifen zu können.
»Hier bringe ich Euch den niedlichen, gut gearteten Dorfjungen, welchen wir zum Menschen machen sollen,« sprach Sachs in wohlwollend scherzhaftem Tone, indem er nach verschiedenen Windungen auf einem ebenfalls dunkeln schmalen Flurgange eine niedrige Thür öffnete; durch sein bescheidenes und offenes Wesen hat er mich bereits für sich gewonnen. Ich hoffe, bei Euch wird es nicht anders sein. Bringt seine Sachen unter; zeigt ihm sein Kämmerchen und belehrt ihn, wie man sich in einem christlichen Hause heimisch fühlt. Nach Tische werde ich ihn zu meinem Freunde, dem Herrn Director, führen, um ihn schon morgen die Wohlthat eines geregelten Unterrichtes genießen zu lassen. Bis dahin gehört er Euch allein, meine Geliebten.«
Die Thür fiel hinter dem scheidenden Familienoberhaupte in's Schloß, ich aber, indem ich ängstlich um mich spähte, sah in vier Paar Augen, in welchen ich eher alles Andere hätte suchen können, als einen Funken von Theilnahme für den armen verwaisten, in die Welt hinausgestoßenen Knaben, dem ein unbarmherziges Geschick – ich fühlte es deutlich – nunmehr die letzten Freunde geraubt hatte.
Vier weibliche Gestalten vertheilten sich auf zwei Fenster, einen Nähtisch und einen runden Sophatisch. Verschossene Kattungardinen bildeten den Hintergrund der ersteren; blaue Tapeten, deren Muster kaum noch erkennbar, zu den beiden anderen.
Im Uebrigen deuteten bestaubte, sehr abgenutzte Möbel, schief hängende Lithographien und verschobene, abgetretene Fußdecken für mein verwöhntes Auge auf einen allgemeinen geringen Grad von Ordnungsliebe der vier weiblichen Bewohner dieses wenig anheimelnden Zimmers.
Nachdem ich wohl eine Minute die scharf begutachtenden Blicke der vier Paar Augen bebenden Herzens ertragen hatte, öffneten sich die schmalen, zusammengepreßten Lippen einer dürren, steil sitzenden, älteren Frau, als hätte sie zu ihrem Strickzeug gesprochen.
»Henriette, wie findest Du den Zuwachs?« fragte sie eintönig, und indem sie die mit dem Stirnbein eine gerade Linie bildende Nase rümpfte, entstanden zahllose kleine Runzeln zu beiden Seiten ihrer Augen.
Henriette, offenbar die älteste der drei Schwestern, eine große, viel zu abgerundete Person mit kleinen dunklen Augen, einer kaum bemerkbaren Nase und Lippen, welche mittelst eines Gummischnürchens in eine Kirsche zusammengezogen zu sein schienen, die aber für hübsch hätte gelten können, wäre nicht ein gewisser Zug brutalen Trotzes auf dem Kugelgesicht vorherrschend gewesen, zuckte die Achseln und sammelte einige der auf dem Tische liegenden Kuchenkrümel auf, welche sie nachlässig in den etwas zu klein gerathenen Mund schob.
»Wie soll er mir gefallen?« fragte sie spöttisch, »'s ist ein Bauerjunge, und das ist Alles.«
»Langweilige Gesellschaft,« bemerkte Melusine, die zweite Tochter, welche ebenso viel zu hager und eckig, als ihre ältere Schwester zu voll und rund, sonst aber das getreue blondhaarige Ebenbild ihres Vaters. »Classisch langweilig,« wiederholte sie gedehnt, sich zu meiner Verwunderung des Splint'schen Lieblingswortes bedienend, und um ihre Meinung zu veranschaulichen, reckte sie mit beiden Händen gegen drittehalb Ellen einer schmalen, ursprünglich weißen Häkelarbeit aus, an welcher sie, nach der Farbe zu schließen, mindestens ebenso viele ihrer schönsten Jugendjahre verbracht hatte.
»Wer will das vorhersagen?« tönte eine klare Stimme hinter dem Nähtisch hervor, über welchen ein bleiches hageres Antlitz, eingerahmt von sehr starkem aschblonden Haarwuchs, emporragte, und zugleich funkelten zwei große Augen feindselig zu den Schwestern hinüber.
»Die Prinzessin weiß natürlich Alles besser,« spöttelten diese, »sie wird sich in den Bauerjungen verlieben, und er in sie. Ein reizendes Pärchen.«
Sophie, oder vielmehr die Prinzessin, wie das Mädchen genannt wurde, erröthete vor Zorn und schlug die funkelnden Augen auf ihre saubere Wollstickerei nieder. Sie war offenbar gewohnt, von ihren Schwestern mißhandelt zu werden, und sah das Vergebliche ihres Widerstandes ein. Indem ich sie aber mit einer Anwandlung von Dankbarkeit betrachtete, meinte ich, das leidenschaftlich erregte Blut in ihren Adern kochen zu hören. Es war der Athem, welcher sich vernehmlich der hinter dem Tischchen fast verschwindenden Brust entwand.
»Sophie,« endigte die Mutter mit pagodenartigem Ausdruck und unter Hinzuziehung einiger Dutzend Falten meine verzweifelte Lage, »ich verbitte mir ernstlich jede Zänkerei; führe lieber unser neues Familienmitglied in sein Stübchen und zeige ihm, wo es seine sieben Sachen unterbringt. Führe es zugleich an die Pumpe, damit es sein Waschwasser besorge, und mache es in der Küche mit dem Nothwendigen vertraut, damit es nicht lange nach Bürste und Wichse zu suchen braucht.«
Sophie erhob sich schweigend, und jetzt erst, da sie hinter dem Tisch hervortrat, entdeckte ich, weshalb ihr Gesicht mir bisher so groß erschien. Das unglückliche Geschöpf war verwachsen. Ein verkrümmter Rücken engte traurig die schmale Brust ein. Die Glieder hatten dagegen die ihnen von der Natur ursprünglich zuerkannte Länge erhalten und contrastirten das Auge gleichsam verletzend zu dem übrigen Körper, welcher in der Höhe mich kaum um eine Handbreite überragte.
»Komm,« sprach sie, indem sie, ohne mich anzusehen, an mir vorüber der Thüre zuschritt.
Ich folgte ungesäumt. Hätte sie mich an einen Brunnen geführt und mir befohlen, mich in denselben zu stürzen, ich würde kaum gezögert haben, mich auf solche Art den immer auf's Neue um mich her auftauchenden Schreckbildern auf ewig zu entziehen.
Als wir auf den dunkeln Flurgang hinausgetreten waren, vernahm ich hinter mir ein dreifaches höhnisches Lachen, welches unstreitig dem unbeholfenen Bauerjungen galt. Wie Schutz suchend vor mich bedrohenden Phantomen, hielt ich mich meiner Führerin so nahe, daß ich sie mit der ausgestreckten Hand berühren konnte.
Das war mein erstes Willkommen in der christlich-frommen Familie des Antiquars, des Herrn Doctor Sachs.