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Die höher steigende Sonne spiegelte sich im See. Die blendenden Reflexe fanden ihren Weg unter dem Altan hindurch bis zu meinen Augen und ermunterten mich. Ringsum herrschte tiefe Stille. Nicht einmal der Jubel der den neuen Tag begrüßenden Vögel erreichte mich. Widerwärtige Kröten schlichen am Fuße des feuchten Gemäuers hin, als wären sie auf dem Heimwege nach einem nächtlichen Besuche der unterirdischen Kapelle begriffen gewesen. Zwischen dem Gestrüpp beendigten große Kreuzspinnen ihre strahlenförmigen Netze, oder sie lauerten im Mittelpunkte derselben darauf, daß die in dem sonnigen Eingange schwirrenden Insecten sich in die hinterlistig gestellten Fäden verstrickten.
Wie um den mechanisch umherschweifenden Blicken eine freundlichere Raststätte zu bieten, flatterte ein Zaunkönig von der Seite her in das Gestrüpp. Schrill ertönte sein Stimmchen, indem er eilfertig von Zweig zu Zweig schlüpfte. Gleich darauf war er wieder verschwunden. Die düstere Höhle mit den Kröten und Spinnen schien ihm Besorgniß eingeflößt zu haben. Waren diejenigen, welche ihre Netze um mich spannen, nicht gefährlicher gewesen, als giftgeschwollene Kröten und raubgierige Spinnen, wie der Zaunkönig würde ich hinausgeeilt sein in den hellen sonnigen Morgen, um Alles, was ich liebte, freudig zu begrüßen, einzuathmen mit Wonne den frischen Waldesduft, in meine Arme zu schließen junge und alte bemooste Baumstämme und sie an meine Brust zu drücken, wie liebe, theure, gleichgesinnte Freunde.
Doch ich war gefangen. Dieselben Bilder, welche mich vor dem Einschlafen marterten, stürzten von neuem auf mich herein. Entsetzt suchte ich sie von mir auszuschließen, und mehr aus diesem Grunde, als weil ich das Bedürfniß empfunden hätte, bediente ich mich von den Speisen, welche ich des Försters treuer Fürsorge verdankte und bisher noch nicht angerührt hatte.
»Wie lang der Tag, wie dunkel die Zukunft,« seufzte ich nach einiger Zeit, die Reste der Mahlzeit sorgfältig beseitigend.
Hinter mir vernahm ich das Oeffnen und Schließen einer Thür, und als sei es mit feuriger Schrift in meine Seele eingeschrieben gewesen, wiederholte ich des Candidaten Worte: »Um acht Uhr trifft die Kleine ein.«
Einige Secunden zögerte ich. Ich mußte meine Gedanken sammeln. Dann aber, als sei das Glück meines Lebens dadurch bestimmt gewesen, nahm ich klopfenden Herzens vor dem schadhaften Schloß die Stellung wieder ein, in welcher ich am bequemsten den hinter demselben liegenden Raum zu überblicken vermochte.
Zuerst entdeckte ich den Candidaten; er war damit beschäftigt, die Kerzen auf den Armleuchtern anzuzünden. Das Ordensgewand der Jesuiten hatte er angelegt. Sein Gesicht war streng verschlossen; die Lider hatte er über die Augen gesenkt, wie gegen Uebermüdung ankämpfend.
»Trete näher, meine Tochter,« hob er nach diesen ersten Vorbereitungen an, und feierlich faltete er die Hände auf seiner Brust, »trete näher und empfange mit kindlichem Herzen die Segnungen einer allein seligmachenden Kirche. Werde nicht irre dadurch, daß Geheimniß Deine Schritte umgiebt, denn enge und dunkel ist der Weg, welcher durch Nacht zum Licht führt. Vertraue, daß die Zeit nicht fern, in welcher Du, strahlend im himmlischen Glanze heiliger Ueberzeugung, offen vor die Deinigen hintrittst, in welcher Alle, die Du liebst, mit Thränen des Glücks in ihren Augen Deinem Beispiel folgen.«
Er schwieg; ich aber hätte laut aufjammern mögen, als ich Hedwig, gekleidet in einen dunkelfarbigen Hausanzug, vor den Altar hinschweben sah, wo sie, ihr Antlitz dem Candidaten, also auch mir zugekehrt, seiner weiteren Befehle harrend, stehen blieb.
»Ist das dieselbe Hedwig?« fragte ich mich, während meine Pulse fieberisch flogen, »ist das dieselbe blondlockige Waldelfe, mit der ich einst muthwillig Farrnkrautbüschel zum grünen Federschmuck brach?« Ich konnte es nicht glauben! Ein Engel war sie noch immer, aber ein Engel, wie ich mir jenen stillen Gottesboten vorstellte, welcher die Seelen dem Tode verfallener Lieblinge sanft von dannen trägt und den verzweifelnden Müttern im Scheiden die Hand, Trost spendend, auf das zerrissene Herz legt.
Eine Lilie sah ich vor mir; eine Lilie, so zart, weiß und schön, als hätte sie bereits jenen lichten Höhen angehört, auf welche allein ihr unschuldvolles Sinnen gerichtet war. Glatt schmiegte sich das blonde Haar an die fast durchschimmernden Schläfen. Die blauen Augen hatte sie schüchtern und zugleich ehrerbietig zu dem Candidaten erhoben, die der lieblichen Jugendfrische entkleideten Lippen geöffnet, wie um alle an sie gerichteten Fragen schnell und bereitwillig zu beantworten.
Wohl hatte die gute Winkelliese recht, als sie sorglos meinte, es bedürfe nicht mehr der blauen und rothen Bänder, um die beiden Zwillinge von einander zu unterscheiden. Ein Haideröschen und eine Lilie konnten nicht verschiedener von einander sein. Ich war so versunken in den Anblick des überirdisch schönen Bildes eben erschlossener zarter Jungfräulichkeit, daß ich ihre wie meine eigene Lage vergaß, nicht einmal Raum mehr hatte für das Entsetzen, in ihr ein Opfer des schurkischen, seit Jahren unter der Maske eines protestantischen Candidaten tückisch einherschleichenden Jesuiten zu erkennen, der es so prächtig verstand, sein Verfahren der jedesmaligen Stimmung seiner rathlosen Opfer schlau anzupassen.
»Du zitterst, liebes Kind,« hob dieser nach einer wohlberechneten Pause wieder an, und sanft strich er mit seiner verbrecherischen Hand über das theure Haupt, »aber fasse Dich; es ist die Nähe der Gottheit, was Dich unbewußt erbeben macht. Trotzdem die Seele, bereits geläutert, sich über die gewöhnlichen Irrthümer des Lebens hinausschwingt, trennen nicht ohne Kampf die Zweifel sich von Deinem Fleische.«
Hedwig rang sichtbar nach Worten. Ihre Blicke ruhten in den auf sie gerichteten Augen, als hätten diese eine unheimliche Zauberkraft besessen.
»Muth, liebes Kind,« unterbrach des Candidaten gedämpftes Organ wieder die Grabesstille, »wäre es doch ein Mangel an Vertrauen zu unserer gemeinsamen Fürbitterin –« und er wies auf das Muttergottesbild – wolltest Du etwanige Zweifel zaghaft vor mir verschweigen.«
»Meine Schwester und ich waren in früheren Jahren stets eines Sinnes,« floß es jetzt wie eine einzige rührende Klage von Hedwigs Lippen, daß es mich bis in's Mark hinein erschütterte, »um das Verlorene zu trauern wäre frevelhaft, zumal ich hoffen darf, daß die Stunde nicht fern, in welcher auch ihr Geist erleuchtet wird; allein bisher schlief die Theure wenigstens sanft, während ich selber die Nächte durchwachte und in heißen Gebeten vom Himmel erflehte, daß wir in der Wahrheit nicht länger von einander getrennt bleiben möchten. Seit gestern Abend ist aber auch dieses anders geworden. Sie suchte mich wohl zu täuschen, doch das Ohr einer besorgten Schwester ist so scharf. Deutlich hörte ich, wie sie seufzte, ich unterschied sogar verhaltenes Schluchzen. Erst gegen Morgen versank sie in einen unruhigen Schlummer. Ich fürchtete eine Erkrankung; aber frisch, wie immer, erhob sie sich, nur daß sie nicht nach gewohnter Weise lachte und scherzte und mich aufzuheitern suchte. Sie wich sogar meinen Blicken aus.«
Schärfer spähte ich nach diesen Worten zu dem Candidaten hinüber, und gespannter lauschte ich auf seine nächste Kundgebung. Denn wer hätte wohl besser den Grund von des Haideröschens unruhig verlebter Nacht gekannt, als ich? Ich wollte, ich mußte daher wissen, wie der Candidat diese Nachricht aufnahm und deutete, und welche Mittel er ersann, die eine Schwester zur Verrätherin an der andern zu machen, Beide aber in meine gefährlichsten Verfolger zu verwandeln. Und ich täuschte mich nicht in meinen Voraussetzungen; denn Hedwig hatte kaum geendigt, da zuckte es wie ein Blitz des Verständnisses über des Candidaten Züge. Einige Secunden zögerte er, die Stirn in düstere Falten gelegt, dann hob er mit feierlich tröstendem Ausdruck an:
»Beunruhige Dich nicht, liebes Kind, sondern vergegenwärtige Dir Deine eigene Vergangenheit. Auch Du schwebtest lange in Zweifeln, bevor heiliges Vertrauen an deren Stelle trat. In einen solchen vorübergehenden Kampf ist nunmehr Deine Schwester von einer gütigen Vorsehung gestürzt worden, und sie wird denselben siegreich bestehen. Sorge daher nicht, Du geliebtes, treues Kind, sondern preise diese ersten Zeichen eines endlichen Erwachens aus geistiger Befangenheit. Aber beobachte sie mit dem ganzen Scharfsinn einer fürsorglichen Schwester; dagegen erschwere ihr nicht den Kampf, indem Du müßige Fragen an sie richtest. Beobachte sie im Hause, beobachte sie auf ihren einsamen Spaziergängen, beobachte sie Tag und Nacht heimlich und unbemerkt, um sie nicht zu kränken, und entdeckst Du in ihrem Wesen, in ihren Blicken oder Bewegungen Zeichen, welche Dich befremden, wohl gar betrüben, dann eile zu mir und gieb mir Kunde von Allem, damit ich Dir die entsprechende Erklärung und in dieser reichhaltigen Trost und Beruhigung spende. Aber auch auf Deinen biederen, vortrefflichen Vater dehne Deine Beobachtungen aus; bestrebe Dich, zu erfahren, ob er jetzt mehr, als sonst, die nächtliche Einsamkeit des Waldes sucht, und wohin er sich wendet. Sogar der Charakter der von ihm mit besonderer Vorliebe gewählten Umgebung kann mir ein Schlüssel für seine Seelenstimmung werden, auf daß ich mich rüste zum Empfange seines ersten, uns alle beglückenden Bekenntnisses.«
Hedwig verneigte sich ehrerbietig. Es lag in dieser Bewegung des theuren, mißleiteten Kindes eine entsetzliche Zustimmung zum Verrath an den Ihrigen, zum Verrath an mir. Verzweiflungsvoll knirschte ich mit den Zähnen, und meine glühende Stirn an das kalte Eisen des verrosteten Thürbeschlages pressend, spähte ich weiter. O, wie das Herz mir bebte, wie meine Fäuste sich ballten, als ich gewahrte, wie die verbrecherischen Hände sich wieder auf das demüthig geneigte, unschuldige Haupt legten! Wie meine Sinne sich verschärften, als die schmalen, befriedigt lächelnden Lippen des verruchten Jesuiten sich öffneten, um eine neue Gotteslästerung, einen neuen Fluch über das theure Kind hinzusprechen.
»Gott segne Dich, Du treues Herz,« tönte es mir, wie von einem Heer von Höllengeistern in die Welt hinausgeheult, in die Ohren, »segne Dich in Deiner Schwester, indem er auch ihr einen Schutzheiligen sendet, welcher sie leitet und führt auf dem richtigen Pfade, der für sie bittet am Throne der Himmelskönigin, der Fürsprecherin aller reuigen Sünder. – Du wähltest, einer höheren Eingebung folgend, Deinen Schutzheiligen nach dem Namen der geliebten Schwester; Du wähltest den schönen, braunlockigen Apostel Johannes, den Lieblingsjünger unseres Herrn Christus. Möge Deine Schwester sich ähnlich entscheiden, denn der schöne braunlockige Jüngling hat ja ein Herz für viele Menschen, und alle, die sich seinem Schutze anvertrauen, umfängt er mit derselben Liebe.«
Er zögerte, sich offenbar weidend an dem entzückenden Anblick, welchen Hedwig ihm bot. Bei der Erwähnung ihres Schutzheiligen hatte sie sich aufgerichtet. Weshalb er ihn gerade den schönen, braunlockigen Jüngling nannte, begriff ich nicht, ebenso wenig, daß diese Bezeichnung so tief auf des jungen Mädchens Sinne einwirkte. Denn das letzte Wort war seinen Lippen kaum entflohen, da bedeckte flammende Gluth das liebliche Antlitz; in den blauen Augen aber ruhte holde Schwärmerei, während ihre gefalteten Hände sich erhoben, wie um ein heiß ersehntes Glück zu erflehen.
Der Candidat, in den Blicken unverkennbare Bewunderung, strich mit seiner besteckten Hand über die ihm zugekehrte unschuldige Stirn.
»Ja, meine Tochter, Du erwähltest den braunlockigen Jünger, welchen der Herr lieb hatte,« fuhr er mit seltsam zitternder Stimme fort, »und an ihn wende Dich zunächst, wenn Du Deine stillen Wünsche fördern möchtest; aber nicht nur im Herzen wende Dich an ihn und mit unstät schwankender Phantasie, sondern indem Du, dem Abirren des Geistes vorbeugend, Deine Blicke auf das getreue Ebenbild des Dir wohlwollenden Heiligen heftest.«
Bei den letzten Worten trat er aus meinem Gesichtskreise, und als er wieder erschien, trug er vor sich ein Bild von der Größe desjenigen, welches als Altarschmuck diente. Behutsam stellte er es vor dieses, so daß es vollständig dadurch bedeckt wurde. Um das Bild selber und seine Bedeutung kümmerte ich mich anfänglich nicht; nur noch für die Bewegungen des Candidaten und den Eindruck seines Verfahrens auf sein Opfer hatte ich Sinne. Sobald ich aber gewahrte, daß Hedwig auf die Kniee sank und die Arme sehnsüchtig erhob, richteten meine Blicke sich ebenfalls nach oben.
Ich entsetzte mich, glaubte von einer Täuschung befangen zu sein. Doch scharf, wie ich hinüberspähte, und redlich, wie ich kämpfte, die scheinbar vor mir kreisenden Gegenstände und damit meine, ähnlich, durcheinander schwirrenden Gedanken zum Stehen zu bringen, das Bild blieb dasselbe, mir namenloses Grauen einflößende.
Da auf dem Altar in breitem Goldrahmen und kunstvoll ausgeführt stand ich selber. Ein faltiges blaues Gewand verhüllte den ganzen Körper. Die braunen Locken wallten mir bis auf die Schultern nieder. Ein vergoldeter Heiligenschein umgab mein Haupt. Die Hände hatte ich segnend von mir gestreckt, während die mit Sandalen bekleideten Füße auf duftig gemalten Wolken ruhten.
»Deshalb also mußte ich in dem Convict dem fremden Künstler als Modell dienen, deshalb auf sein Geheiß Stellungen annehmen, welche ich als mir aufgedrungene Lügen verabscheute?« entwickelten sich endlich nach einer langen Pause des Ringens nach Klarheit meine Gedanken. Den eigentlichen Zweck, zu welchem man das wohlgetroffene Portrait anfertigte, konnte ich damals freilich nicht ahnen. Ich hatte überhaupt nur die unfertigen Gesichtszüge gesehen, die Arbeit für mißlungen gehalten und daher das ganze Ereigniß sehr bald wieder vergessen. Jetzt aber, da ich es in seiner Vollendung vor mir sah, da ich bemerkte, wie Hedwig sich immer sehnsuchtsvoller demselben zuneigte, der Candidat dagegen das holde Kind mit dem Ausdruck einer beutegierigen Hyäne beobachtete, durchzuckte es plötzlich meinen Geist wie ein Blitz des Erkenntnisses.
Erschüttert sank ich auf die Kniee. Die genossene Erziehung bot mir ja durchaus gar keinen Rückhalt; unter der Nachwirkung der den selbstständigen Gedanken tödtenden Einflüsse fehlten mir die Kraft und die Entschlossenheit, mich schnell zu männlich kühnem Handeln emporzuraffen. Aber ich wußte, daß der Candidat, um sich seines unschuldigen Opfers zu bemächtigen, vorher dessen Neigungen sorgfältig prüfte und nach diesen seine Maßregeln schlau berechnete. Ich wußte, daß die schöne bleiche Lilie mir mit einer anderen Liebe, als der einer Gespielin, einer Schwester zugethan war; ich wußte, daß eine frevelnde Hand die zärtliche Anhänglichkeit des tändelnden Kindes bedachtsam schürte, die durch dazwischen liegende Zeiträume und Entfernungen empfänglicher gewordene Phantasie beständig reizte, um allmählich in dem Herzen der holdselig erblühenden Jungfrau eine unauslöschliche Neigung zu einem Ideal mit befreundetem Antlitz zu erzeugen, diese aber als erste und sicherste Stufe zu den fluchwürdigsten Zwecken zu benutzen. Und mehr, weit mehr erkannte ich plötzlich: Ich fühlte, daß die meinem Portrait dargebrachten Huldigungen einen anderen Widerhall in meiner Brust fanden, als die Beweise der opferwilligen Zuneigung der unglücklichen, von den Ihrigen gleichsam verstoßenen Sophie, als die warmen Küsse des geliebten Haideröschens. Ich entdeckte, daß es Empfindungen gebe, die weit hinaus loderten über jenen Enthusiasmus, welchen die Zauberworte des alten Fröhlich einst in mir erweckten. Und diese Entdeckung, indem sie mir klar wurde, erfüllte mich zugleich mit namenlosem Entzücken und tiefer Niedergeschlagenheit. Auf der einen Seite die liebliche bleiche Lilie in andächtiger, hingebender Verehrung vor meinem Ebenbilde auf den Knieen liegend, auf der anderen das marternde Bewußtsein, daß Alles nur künstlich erzeugt worden, zu ihrem, zu meinem Verderben, das Bewußtsein, durch geheimnißvolle Beziehungen an jene finstere Gesellschaft gefesselt zu sein, welche, bestimmte Zwecke verfolgend, nicht darnach fragt, wie viele vertrauende, arglose Gemüther sie, gleichviel ob klingenden Vortheils halber oder geleitet von sträflichen Begierden, kaltblütig in den Staub tritt. Verzweiflung ergriff mich neben der erhöhten Furcht vor meinen allmächtigen Verfolgern. Zugleich aber zog es mich wieder empor, um einen letzten Scheideblick auf die theure Gespielin zu werfen.
Sie kniete noch immer vor dem Altar. Das Bild hatte der Candidat heruntergenommen und neben die convulsivisch Zitternde hingestellt. Er hielt es so, daß sie ihre Lippen auf den Mund des Heiligen zu drücken vermochte. Weder er, noch sie sprachen ein Wort; aber wie der in den Lüften schwebende Geier auf die in's Röhricht geflüchtete Taube niederspäht, um den günstigen Zeitpunkt nicht zu verfehlen, seine Fängen in deren zuckendes Fleisch zu schlagen, so starrte er auf diejenigen nieder, welche, durch sein berechnetes Verfahren geleitet, gleichsam berauscht durch die Berührung ihres kalten Schutzheiligen, die ganze übrige Welt vergessen zu haben schien.
Dazu verdammt, meine Nähe zu verheimlichen, glaubte ich bei diesem Anblick sterben zu müssen. Kalter Schweiß trat mir auf die Stirne. Ich mußte mich stützen, um meine Stellung vor der kleinen Oeffnung zu behaupten.
Endlich schien die der heftigen Erregung auf dem Fuße nachfolgende Mattigkeit die zarte Gestalt zu überwältigen. Sie schwankte und suchte nach einem sicheren Halt. Diesen Augenblick aber hatte der Candidat vorhergesehen. Mit der rechten Hand hob er die Sinkende zu sich empor, und mit der anderen das Bild nach dem Altar hinaufschiebend, drängte er sich zwischen sie und das fluchwürdige Portrait, dessen Anblick offenbar sinnverwirrend auf das arme bleiche Kind einwirkte.
»Du sollst nicht vergeblich nach mir gerufen haben,« sprach er feierlich, gleichsam den gemalten Schutzheiligen vertretend, und fester zog er die zu jedem Widerstande unfähige Gestalt an sich, »vertrauensvoll, wie Du mir nahst, will ich mit unbegrenztem Vertrauen Dich umfangen. Segnen will ich Dich für und für, bitten und flehen am Throne des Herrn für Dich und für die dem Lichte des ewigen Lebens noch verschlossenen Deinigen.«
Eine Pause trat ein. Die volle Beleuchtung des einen Armleuchters fiel auf Hedwigs Profil. Ihr Antlitz glühte in fieberischem Feuer; die milden Augen schienen einen Theil ihrer Sehkraft eingebüßt zu haben, denn sie ruhten träumerisch auf dem leidenschaftlich zuckenden Gesicht des Candidaten. Dieser dagegen, sichtbar im Kampfe mit sich selbst begriffen, erzwang nur noch mit Gewalt die entsprechende Ruhe, um in der Rolle des Schutzheiligen fortfahren zu können. Ich selbst war für eine geregelte Gedankenfolge unzugänglich geworden. Mein ganzes Sein vereinigte sich in dem starren Blick, mit welchem ich die sich vor mir entwickelnde Scene beobachtete. Wären des Candidaten Sinne nicht so gänzlich von seinen Leidenschaften beherrscht worden, er hätte den keuchenden Ton hören müssen, mit welchem der Athem sich meiner Brust entwand.
»Und so segne und weihe ich Dich,« hob das Scheusal wieder an, »wie Du Deinem lieblichen Schutzheiligen im jungfräulich reinen Kuß huldigtest, so weihe ich Dich in seinem Namen, in seinem geheiligten Auftrage.«
Seine widerwärtigen Lippen preßten sich auf die klare Stirn der Bebenden. Ich wollte aufschreien, allein die Stimme versagte mir. Wie gelähmt stand ich da. Mit Grausen beobachtete ich, wie der Elende, das Zeichen des Kreuzes andeutend, zuerst das eine und dann das andere Auge küßte. Als aber seine Lippen sich dem keuschen Munde der halb Ohnmächtigen näherten, da hielt ich nicht länger an mich. Ein neuer Versuch, dem trockenen Gaumen einen Schrei des Entsetzens zu entwinden, blieb ohne Erfolg; dann trat ich eine Stufe zurück, worauf ich, in der Absicht, sie zu durchbrechen, mich mit vollster Gewalt auf die Thüre warf.
Dumpf dröhnte das in mehreren Schichten auf einander ruhende morsche Holzwerk; doch reich durchzogen mit Schrauben und beschlagen mit eisernen Schienen, wich es nicht um die Breite eines Haares aus den Fugen. Ein Angstruf auf der andern Seite der Thüre folgte dem Dröhnen nach, ich aber, durch die Heftigkeit des Anpralls erschüttert, war auf die schlüpfrigen Stufen niedergesunken, in einem Gewirre sich blitzschnell kreuzender Gedanken mich nur an den einen anklammernd, in meiner Verzweiflung vielleicht noch größeres Unglück herbeigeführt zu haben.
Wie in einen Höllenpfuhl hinabgeschleudert, wand ich mich und rang ich die Hände. Heftiges Brausen erfüllte meine Ohren. Meine Vergangenheit war ja keine derartige gewesen, daß ich den, Schlag auf Schlag folgenden gewaltigen Eindrücken mit männlicher Ueberlegung und Festigkeit zu begegnen, mich aus den, wie ein Wust mich durchtobenden Empfindungen leicht zu neuer Entschlossenheit emporzuarbeiten vermocht hätte. Erst die zu mir dringende vorsichtig gedämpfte Stimme des Candidaten brachte mich wieder einigermaßen zum Bewußtsein und schwerfällig begab ich mich auf meinen Späherposten zurück. Ich wollte das durch meine blinde Wuth angestiftete Unheil in seinem ganzen Umfange kennen lernen, erfahren, ob mit dem mir noch immer in den Ohren gellenden Schrei ein entfliehendes, hauchartiges Leben vereinigt gewesen.
Ich traf in dem Augenblicke ein, in welchem der Candidat sich eben entfernte. Halb getragen von ihm und sich auf seinen Arm stützend, bewegte Hedwig sich neben ihm einher. Ihr Geist schien vollständig umnachtet zu sein. Schwer hing das theure Haupt auf die Brust nieder. Marmorblässe bedeckte das liebliche Antlitz; scharf zeichneten sich die langen dunklen Wimpern der geschlossenen Augen und die beinah schwarzen Brauen auf der zarten Haut aus. Oberhalb dieses Hauptes gewahrte ich das leichenfahle Gesicht des Candidaten. Trotz des furchtbaren Schreckens besaß er hinlänglich Fassung, milde und tröstliche Worte an sein besinnungsloses Opfer zu richten. Seine Augen ruhten dabei starr auf der Thüre, von welcher aus die Warnung an ihn ergangen war. Ich meinte die Wirkung seiner durchdringenden Blicke zu fühlen und zitterte. Er errieth offenbar, wer ihn belauschte und in seinem verbrecherischen Treiben störte. Sein unauslöschlicher Haß und finstere Entschlossenheit fanden ihren Weg gleichsam durch die eisenbeschlagenen Planken hindurch und machten mich schaudern.
Nur in engen Grenzen bewegte sich für mich das langsam vorüberziehende Bild; nur ein flüchtiger Anblick der Hyäne und ihres Opfers war mir vergönnt, allein er genügte, mich über meine Lage aufzuklären. Was auch immer das bisher gegen mich beobachtete grausame Verfahren veranlaßt haben mochte und auch heute noch die Triebfeder zu den unermüdlichen Nachstellungen: Von jetzt ab gesellte sich zu jenen Beweggründen die bittere Feindschaft eines Mannes, die um so erfindungsreicher und ausdauernder, als ich durch Zufall in den Besitz von Geheimnissen gelangt war, welche nur in einer streng verschlossenen Klosterzelle ihren drohenden Charakter für meine Verfolger verloren.
Einer Vision ähnlich war das Bild meinen Blicken entrückt worden, dann herrschte Todtenstille ringsum. Feierlich brannten Kerzen und Lampe, feierlich und dennoch wie leuchtender Hohn über das verbrecherische Spiel, welches in ihrem Schein mit dem Heiligsten getrieben worden. Die drei Schwerter im Herzen der wie in Verzückung dareinschauenden Madonna verwandelten sich vor meinen flimmernden Augen in tanzende harmlose Weberschiffchen. Der braungelockte Schutzheilige lag gemächlich vor dem Strahlenkelch auf dem Rücken; in meiner Seele aber wirkte wie flüssiges Erz die Erinnerung an die bleiche Lilie, wirkte wie langsam tödtendes Gift der letzte Blick des verkappten Jesuiten.
Eine Thür hörte ich zufallen, jedoch durch Mauern und leere Räume von mir getrennt.
Wenn man mich in meinem Versteck aufsuchte, mir den letzten Weg zur Flucht versperrte, mich in die Gewalt meiner Peiniger zurückschleppte, eine undurchdringliche Scheidewand zwischen mir und der Welt errichtete, wer sollte dann über die dem Verderben geweihte Försterfamilie wachen, sie warnen vor im Verborgenen lauernden Gefahren? Wer zurückrufen die Rosen der Jugend und des Frohsinns auf die bleichen Wangen der zarten gebrochenen Lilie? Und dann ich selbst? Was stand mir bevor, dessen Mund auf ewig verstummen mußte? Wohin schaffte man mich und welche Mittel wählte man, um die Saat des Wahnsinns, wenn auch nur scheinbar, in meinem armen Kopfe zum Keimen zu bringen und endlich wohl gar zur laut verkündeten Blüthe, auf daß meinen späteren Aussagen kein höherer Werth beigelegt zu werden brauchte, als dem sorglosen Zirpen des Zaunkönigs, welcher dicht vor mir wieder frei durch das Gestrüpp schlüpfte?
Von Entsetzen erfüllt raffte ich Decke, Rock, Lebensmittel und meinen Wanderstab zusammen und unbekümmert um das von mir erzeugte Geräusch und keiner Hindernisse achtend, stürzte ich in's Freie hinaus. Außerhalb des Altans warf ich einen flüchtigen Blick um mich. Nirgend bemerkte ich ein Zeichen, daß ich entdeckt worden. Vollen Laufes eilte ich daher zwischen dem hohen Ufer und der Binsenwaldung dahin, bis mir durch eine Biegung der Anblick des Gespensterschlosses entzogen wurde. Doch auch dort rastete ich nur, um Athem zu schöpfen, worauf ich, sorgfältig um mich spähend, die Flucht auf dem geschützten Wege fortsetzte, bis ich nach Ablauf einer halben Stunde auf der anderen Seite des langgestreckten See's dem Schlosse gerade gegenüber eintraf. Mein eigentliches Ziel war diese Stelle nicht gewesen. Mich hatte eben nur das einzige Verlangen beseelt, einen möglichst großen Zwischenraum zwischen mich und meine etwanigen Verfolger zu legen. Ein sichereres Versteck, als ich dort fand, hätte mir indessen der Wald nicht geboten; denn so tief, wie der feuchte Boden es mir gestattete, drang ich in das Röhricht ein, worauf ich mittelst Decke und Flauschrock mir ein erträgliches Lager herstellte. Erschöpft warf ich mich nieder. Vor mir zwischen den grünen Rohrhalmen regten sich kaum bemerkbar die klaren Fluthen. Ein Wellchen nach dem andern spielte sich munter bis dicht vor meine Füße hin. Sie schienen geraden Weges von dem in meinem Gesichtskreise befindlichen Altan oder vielmehr aus dem unheimlichen Gewölbe herüberzukommen. Hin und wieder kräuselte ein Lufthauch strichweise den glänzenden Spiegel des See's, wie um den vereinzelten Tauchenten Kühlung zuzufächeln oder die melancholisch dareinschauenden gelben und weißen Wasserlilien in noch melancholischere Träume zu wiegen. Auch mit den breiten Mummelblättern tändelte der eine oder der andere, indem er hinterlistig unter ihre Ränder fuhr und sie auf ein Weilchen emporrichtete, für mich die Täuschung erzeugend, als ob aus der Tiefe Hände emporgestreckt worden wären, um mir zu winken, mich hinab zu locken auf den kühlen Boden des Sees. Denn in meinen geschützten Winkel vermochten die erquickenden Luftströmungen nicht zu dringen; vom Himmel brannte die Sonne heiß auf mich nieder; Schatten gewährte die schlanke Sumpfvegetation nicht; ich ersehnte auch keinen. Die durch äußere Einflüsse verursachten Leiden waren mir sogar willkommen. Meinen Speisevorrath warf ich hohnlachend in den See, hoffend, durch den mich allmählich peinigenden Hunger von den Betrachtungen abgezogen zu werden, welche in ihrer stets wiederkehrenden erschütternden Wirkung mich lähmten, ohne mich zu ermüden. Kaum daß ich mit der hohlen Hand von dem lauen Wasser schöpfte, um meine trockene Zunge zu netzen. Der Anblick des Candidaten, der um die Mittagszeit in Begleitung des gespenstischen Dieners auf dem Altan erschien übte in meiner unglückseligen verbitterten Stimmung kaum noch Einfluß auf mich aus. Mit einem gewissen Gleichmuthe beobachtete ich, wie die beiden unverkennbaren Gestalten den Eingang des Gewölbes aufmerksam prüften, sogar behutsam in dasselbe hineinschlichen und demnächst, augenscheinlich in ein sehr ernstes Gespräch vertieft, sich in's Haus zurückbegaben. In meiner Erwartung, einen Anblick des greisen Schloßherrn zu gewinnen, wurde ich indessen getäuscht. Die grauen Gebäude, umkränzt von tiefgrünen Laubmassen, lagen so still, als hätten sie die über sie hingerauschten Jahrhunderte verbildlichen wollen. Wie vor Hunderten von Jahren krächzten die sich behaglich sonnenden Frösche und zeterten im Schilf die zänkischen Rohrsperlinge. Auch der Unkenruf fehlte nicht. Er klang wie Grabgeläute.
Indem endlich die Müdigkeit mich übermannte, verschwamm das gespenstische Schloß vor meinen erlöschenden Blicken. Ob die Augen mir zufielen, ich weiß es nicht. Unabsehbar dehnte der See sich vor mir aus, in weiter Ferne mit drohend aufsteigendem Gewölk sich vereinigend. Ueber dem Wasserspiegel schwebten weißgekleidete duftige Gestalten. Sie trugen einen todten Engel, eine dahingewelkte, unschuldweiße Lilie. Auf dem Boden des See's in schwarzer Tiefe läuteten die Glocken traurig und feierlich. Heiße Thränen entrannen meinen Augen.