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Tage waren wiederum dahingegangen in verhältnißmäßig stiller Einförmigkeit. Weder von Stella noch von Tenuga hatte ich gehört; nicht das leiseste Zeichen deutete darauf hin, daß die Blicke wachsamer Feinde beständig auf mir ruhten, keiner meiner Schritte, keine meiner Bewegungen ihnen verborgen blieb. Aber auch ich rastete nicht. Hinter ein sorgloses Aeußere verbarg ich tiefes Mißtrauen, einen nie schlummernden Argwohn, und niemals suchte ich zur nächtlichen Ruhe mein hartes Lager auf, ohne zuvor mit Bechler selbst die unscheinbarsten Vorkommenheiten des Tages reiflich besprochen zu haben. Sogar die gelegentlich widerwärtig zum Durchbruch gelangende Heiterkeit O'Cullens war mir verdächtig, nicht minder seine wachsende Zärtlichkeit für die zitternde Milly, hinter welcher nur eine neue, wohl überlegte Schurkerei verborgen sein konnte.
Der Verkehr mit der jungen Frau war mir natürlich gänzlich abgeschnitten; nicht einmal durch Blicke wagten wir, uns zu verständigen, aus Furcht, daß die harmlosesten Bewegungen von dem uns durch die Spählöcher in den Wänden scharf bewachenden Irländer mißverstanden und durch die überlegtesten Martern an seiner Frau gerächt werden würden.
Es war in den späten Nachmittagsstunden des vierten Tages nach dem letzten Zusammentreffen mit Stella, als meine Wachsamkeit durch das von befreundeter Hand in das Einnahmebuch geschriebene Wort: ›Vorsicht‹ in erhöhtem Maße angeregt wurde. Diese Warnung diente gewissermaßen als Erläuterung zu O'Cullens Treiben, welcher sich den ganzen Tag hindurch mit dem Einpacken von Waaren in tragbare Kisten beschäftigte, auch Tücher und Kleiderstoffe in leichte Ballen zusammenschnürte und jenen beifügte.
»Morgen früh breche ich auf zu einer Geschäftsreise,« erklärte er, als er endlich sein Gepäck sorgfältig geordnet hatte. »Meine Kunden im Binnenlande haben sicher schon auf mich gewartet.«
»Werde ich Euch begleiten?« fragte ich mit erkünstelter Ruhe, denn gerade darauf hatte ich meine größte Hoffnung gebaut.
»Beim heiligen Patrik, Mann, wohin denkt Ihr?« antwortete O'Cullen, als habe er meine Einfalt nicht begriffen, »soll die arme Milly, dies süße Herz, uns Beide vertreten und sich mit übertriebener Arbeit hinrichten? Den Kassenschlüssel wollt Ihr nicht mehr führen, und damit nicht zufrieden, möchtet Ihr sogar die Zeit mit Vergnügungsausflügen verbringen. Verdammt, Mr. Indigo, so nützlich, wie meiner vortrefflichen Milly Euer Beistand ist, so hinderlich wäret Ihr mir auf der Reise.«
Damit war ich abgefunden, und obwohl seine Bestimmungen mich im höchsten Grade überraschten, wagte ich doch nicht, durch Erneuerung des Gespräches seine Laune zu verderben oder durch Offenbarung meines Verdrusses seinen leicht ausartenden Grimm herauszufordern.
Seine Frau beschäftigte sich gerade in der Nähe des Fensters mit dem Zusammenrollen von Kleiderstoffen. Weder in Mienen noch in Bewegungen verrieth sie Theilnahme für die kurze Unterredung; aus Ihrem Antlitz aber war der letzte Blutstropfen gewichen, ein sicheres Zeichen, daß des Irländers sorgloser Erklärung Zwecke zu Grunde lagen, welche sie mit Entsetzen erfüllten, und vielleicht doppelt, weil es für sie kein Mittel gab, dieselben in ihrer verbrecherischen Wirkung abzuschwächen.
Spät von einer Berathung mit Bechler heimkehrend, war ich im Begriff, die nach meiner dürftigen Wohnung führende Straßenpforte zu öffnen, als einzelne lautere Töne der klimpernden Drehorgel bis zu mir herausdrangen und meine Bewegungen hemmten. Besorgt lauschte ich; je länger und schärfer ich aber meine Sinne anspannte, um so deutlicher unterschied ich, daß in der Hofwohnung O'Cullens in unermüdlicher Wiederholung ein Schnellwalzer abgespielt wurde. Eine Scene, wie ich sie einst mit Entsetzen beobachtete, erstand vor meiner Seele. Trotz meines Bewußtseins, am wenigsten vermittelnd einschreiten zu können, öffnete ich die Pforte mit äußerster Behutsamkeit, und gleich darauf hatte ich meinen alten Späherposten vor den beiden erleuchteten Fenstern wieder eingenommen.
Wie damals, saß O'Cullen auch heute wieder vor dem Tisch, die neben ihm von einem Schemel getragene Orgel drehend, als hätte er durch die Schnelligkeit den Mangel jeglicher Harmonie ersetzen wollen.
Ihm gegenüber saß seine Frau, jedoch nicht gefesselt oder in Lumpen gehüllt, sondern, wie immer, einfach und äußerst sauber gekleidet. Ob ihr Schrecken aber geringer war, als damals, wer hätte es herausgelesen aus dem bleichen, ausdruckslos gesenkten Antlitz, aus den starr niedergeschlagenen Augen, aus den gefalteten Händen auf ihrem Schooße, deren Finger so krampfhaft fest in einander griffen? Empfand ich selbst doch heimliches Grauen, als ich beim ersten Blick, welchen ich in das Zimmer warf, die mir unvergeßliche Gestalt des gelbhaarigen und rothbärtigen Wigham, des beinlosen Spinnrades aus der Goldenen Harpune wiedererkannte. Er saß auf der mir zugekehrten Seite des Tisches, den Stuhl mit der beweglichen Lehne, der zugleich sein Bett bildete, so weit herumgeschoben, daß er den rechten Arm und sein Haupt bequem auf den Tisch zu stützen vermochte, seine durch abgenutzte Lederkappen geschützten Beinstumpfen dagegen schräge nach mir hinüberwiesen. In der linken Faust hielt er eine Pieke, im Uebermaß seines Wohlbehagens mit derselben zu dem Orgelgeklimper den Takt auf den Fußboden klopfend. Wie O'Cullen, so rauchte auch er eine so kurze, braun gebrannte Thonpfeife, daß seine Lippen in Gefahr schwebten, geröstet zu werden. Auf dem Tische standen eine Zinnbüchse mit fein geschnittenem schwarzem Tabak, eine Tasse mit gestoßenem Zucker, eine weitbauchige Whiskyflasche, Wasserbehälter und drei Gläser, also lauter Gegenstände, wie sie erforderlich sind, um in einem irländischen Gemüthe das Gefühl der Zufriedenheit zu erwecken.
Die verstimmten Klimpertöne, nach welchen, wie ich heute zum erstenmal an dem aufgeschlagenen Drehkasten bemerkte, vier, etwa fünf Zoll hohe, bestaubte Paare sich auf einer Scheibe drehten, schienen für die beiden Söhne der grünen Insel einen besonders heimatlichen Klang zu haben und sie in die Tage ihrer ereignißreichen Jugend zurückzuversetzen; denn O'Cullen machte kaum Miene, das Concert einzustellen, als Wigham mit der Faust auf den Tisch schlug, daß Flaschen und Gläser klirrten und die arme Milly erschrocken zusammenfuhr.
»Das klingt herzlich!« rief er dabei aus, und Wasser und Zucker verschmähend, füllte er sein Glas mit Whisky, »Goddam, alter John, gieb uns den Tanz noch 'mal, und hängen will ich mich lassen, daß nur das Fehlen meiner Kielhölzer schuld d'ran ist, wenn ich mit der Milly nicht den Staub hier aufwirbele.«
O'Cullen spielte den Tanz noch einmal und zum zweiten Male mit einem Ausdruck, als wäre er allein nur im Stande gewesen, solche herzzerreißende Töne dem alten Kasten zu entlocken, nur allein die vier Paare, welchen obenein mehrere Köpfe und Arme fehlten, in Bewegung zu setzen. Dann aber griff er nach dem Glase, und das Spinnrad den ehrenwerthesten Gentleman nennend, welcher jemals ein Glas rohen Kartoffel-Spiritus über seine Zunge goß, leerte er es bis auf den letzten Tropfen. Wigham verläugnete nicht seine uneigennützige Freundschaft und trank ihm redlich Bescheid. Selbst Milly führte auf ihres Gatten Befehl das Glas gehorsam an die Lippen, um gleich darauf wieder in ihre theilnahmlose Stellung zurückzusinken.
»Und wie lange willst Du im Binnenlande kreuzen?« fragte Wigham, mit der Rückseite der Hand die Whiskytropfen von seinem Kinn und dem rothen, ihm bis auf die Brust niederreichenden Kehlbart entfernend.
»Nun Meike,« antwortete O'Cullen, »wenn das keine Gewissensfrage ist, will ich Dir meinen Laden mit Allem, was d'rin ist, für 'nen Strohhalm überlassen und mit dem Drehpianino von vorn beginnen; – Gewissensfragen aber zu beantworten, liegt nicht in meiner Natur. Ich bleibe so lange fort, bis ich wieder heimkehre, und mehr weiß ich selber nicht!«
»Vollkommen gescheidt gesprochen,« versetzte Wigham lächelnd, »und 's wäre mir überhaupt nicht eingefallen, danach zu fragen, handelte es sich nicht um meinen Dienst in der Goldenen Harpune. Seit der fremde Bursche für die Hexe, die Will o' the Wisp 'nem gesunden Topgast die Nase einschlug, ist der Teufel los. Alle Abend lauern 'n halb' Dutzend Hände, und fassen sie ihn und ich bin nicht zugegen, um die Reputation der Harpune flott zu erhalten, geb' ich nicht 'nen halben Zoll Schiemannsgarn für sein Leben.«
»So laß' ihn zum Teufel fahren,« grinste O'Cullen schadenfroh, »so lange Du hier trocken sitzest, hast Du mit der Reputation des Fliegenden Holländers gerade so viel zu thun, wie mit den Knochen Deiner eigenen Großmutter, – die Gott segnen möge. Und daß die Milly, das süße Herz, Dich pflegt, wie 'n junges Huhn, welches eben aus dem Ei gekrochen, darauf will ich das erste Muttergottesbild küssen, welches mir in die Hände fällt. Hast Du gehört Milly, Du goldene Milly, Du süßer Schatz?«
Die Angeredete unterdrückte sichtbar einen Schauder, dann nickte sie zustimmend, ohne indessen ihre Augen aufzuschlagen.
»So ist's recht, meine süße Lady,« versetzte O'Cullen, aber im Tone seiner Stimme lag eine furchtbare Drohung, »pflege mir den Meike Wigham, daß er bei meiner Heimkehr nicht klagt, oder ich möchte auf den Gedanken kommen, 'nen musikalischen Abend mit Dir zu feiern – Du verstehst mich.«
»Die Milly ist 'ne tadellose Kraft,« beschönigte Wigham, und indem ich meine Sinne auf's Aeußerste anspannte, entging mir nicht, daß er die arme junge Frau mit dem Ausdruck eines beutegierigen Tigers betrachtete, »die wird schon thun, was gut und recht ist, Goddam! Ich möchte denjenigen sehen, der besser Haus hielte, als wir Beide.«
»Und nicht 'ne Zeile darf sie in die Bücher schreiben, ohne daß Du sie nachbuchstabirst,« fuhr O'Cullen mit seinen Anordnungen fort, »und jeden einlaufenden Brief lest Ihr gemeinschaftlich, und wo's Noth thut, setzt Ihr 'ne Antwort auf, ich meine von wegen der Bestellungen – doch die Milly, das süße Herz, kennt's Geschäft, und Du sollst nur d'rauf achten, daß sie im Irrthum keinen Unsinn zu Papier bringt.«
»Die Milly ist 'ne Lady,« betheuerte das Spinnrad mit einem entsetzlichen Grinsen, welches indessen O'Cullen zufrieden zu stellen schien, »'ne Lady,« wie sie nicht feiner dem Lord Mayor von London 'nen schönen Gutenmorgen wünschte, und sie weiß verdammt genau, daß dem besten Freunde ihres Mannes Vertrauen gebührt und daß ich den letzten Faden meines letzten Hemdes lieber zehnmal in's Leihhaus trage, bevor ich auch nur 'ne verbogene Stecknadel aus dem Geschäfte meines alten Maats preisgebe!«
Ein neues Glas Whisky besiegelte diese Freundschaftsversicherungen; die vier invaliden Paare tanzten nach der Melodie der ›Letzten Rose‹, mit derselben steifen Gewissenhaftigkeit und in demselben Tacte, wie kurz zuvor nach der des Schnellwalzers, wobei sie sich wohlgefällig in dem die Rückwand ihres Salons bildenden Spiegel zu betrachten schienen. Die arme Milly starrte in die Flamme der Lampe, wie sie beneidend um die Ruhe, mit welcher sie ihre einfache Pflicht erfüllte, bis endlich die ohrenzerreißende Musik wieder verstummte und das Spinnrad in seiner gewöhnlichen polternden Weise das Wort ergriff.
»Wie lange wird dieses Monstrum, der Indigo oder wie er heißen mag, unser Stillleben stören?« fragte er, und die Feindseligkeit, welche sich auf seinem widerwärtig aufgedunsenen Gesicht ausprägte, machte mich schaudern.
»Will ich doch in dieser Nacht zum Teufel fahren, wenn ich's selber weiß,« antwortete O'Cullen verschmitzt, und dreimal herum flog seine Faust mit dem Schwengel des Klimperkastens, und dreimal um sich selbst drehten sich die blasirten Paare; »vorläufig bleibt er, und damit er Dich nicht stört, giebst Du ihm jeden Morgen Urlaub bis zum Abend. Die Milly, das süße Herz, hat mir 'nen Brief geschrieben oder vielmehr nicht geschrieben und 'ne Adresse an die Firma O'Cullen in New-York oben d'rauf gesetzt. Den schicke ich ab, wenn ich den Burschen gebrauche; sie aber weiß dann, nach welcher Richtung sie ihn abzufertigen hat, daß er mir neue Waaren zuführt.«
Wigham grinste, als hätte er, statt des Whisky ein Glas Citronensäure verschluckt gehabt. Der offenbare Mangel an Vertrauen von Seiten seines Busenfreundes schien ihn ebenso tief zu verletzen, wie die Ankündigung meiner Gesellschaft, für die nächsten Tage, ihn verdroß. Sein Mißbehagen verbarg er indessen geschickt hinter ein wieherndes Gelächter, und seine beiden Pieken schwingend, rollte er sich gewandt um den Tisch herum neben das Drehpiano. Als seien Instrument und Schemel nicht schwerer, als seine Thonpfeife gewesen, zog er Beides mit drei Fingern neben sich hin, worauf er den Schwengel ergriff und in einer Weise zu leiern begann, daß die musikalischen Anlagen O'Cullens dagegen nur Kinderspiel genannt zu werden verdienten. Zu der kaum erkennbaren Melodie der sentimentalen irischen Volksweise aber sang er ein wildes Seemannslied mit einer solchen Unzahl dazwischen gestreuter widerwärtiger Seemannsscherze, daß seinem Genossen die hellen Thränen des Entzückens über die im krampfhaften Lachen verzerrten kupfrigen Wangen rollten.
Ein Weilchen saß Milly noch auf ihrem Stuhl mit der Regungslosigkeit einer Leiche; dann erhob sie sich plötzlich, wie aus tiefem Schlaf erwachend. Einen ängstlich fragenden Blick warf sie auf ihren Gatten, und als dieser keine Einwendungen erhob, beeilte sie sich, die letzten Vorbereitungen für die Nacht zu beendigen. Ich wartete, bis sie zwei Pfühle und eine wollene Decke in Wighams Nähe auf einen Schemel legte, es ihm anheimstellend, nach eigenem Ermessen seinen Stuhlwagen in ein Bett zu verwandeln, worauf ich mich leise entfernte. Was zu wissen mir von Wichtigkeit war, hatte ich erfahren; wenn aber auf der einen Seite der in Aussicht stehende Verkehr mit dem verthierten Spinnrad ein Gefühl des Ekels in mir wachrief, so gewährte es mir doch eine gewisse Beruhigung, nicht nur dennoch zu der erhofften Reise zu gelangen, sondern auch Muße und Gelegenheit zu haben, durch die entsprechenden Berathungen mit Bechler mich gewissermaßen zu derselben vorzubereiten und die im Bereiche meiner Macht liegenden Maßregeln zu meiner Sicherheit einzuleiten.
Wie schon früher einmal, begab ich mich auch heute in mein Kämmerchen, nachdem ich zuvor mit wohlberechnetem Geräusch die Straßenpforte geöffnet und zugeschlagen hatte. In der Hofwohnung schien man nicht darauf zu achten. Das Drehpiano war indessen verstummt, und wenn die beiden treu verbündeten Genossen wirklich noch länger beim Glase saßen, so mäßigten sie ihre Stimmen bedachtsam, daß sie mich nicht erreichten.
Müde warf ich mich auf mein Lager. Alle mich und meine Zukunft berührenden Ereignisse hatten sich bisher immer als unberechenbar ausgewiesen; ich gab es daher auf, nutzlosen Betrachtungen über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten nachzuhängen. Was der Augenblick brachte, dem mußte ich, den augenblicklichen Regungen folgend, entschlossen entgegentreten. Ob ich jedes Mal das Richtige traf, ruhte in der Hand des Geschickes; lange und ernste Erwägungen hätten mir ebenso wenig sichere Bürgschaft für eine glückliche Wahl geboten.
Mit der Haltung eines Paschas rollte Wigham sich in der Frühe des folgenden Tages in dem Laden auf und ab, als ich in demselben erschien, um meinen Platz hinter dem Stehpult einzunehmen; mit der Haltung eines Paschas reichte er mir die Hand, als O'Cullen mich als einen vielversprechenden jungen Geschäftsmann vorstellte. Schaudernd und nur mit Mühe den Ausdruck meines Widerwillens niederkämpfend, fügte ich mich in die Nothwendigkeit einer Berührung, von welcher ich meinte, daß sie vergiftend auf mich einwirken müsse. Ich vermied sogar, den funkelnden Blicken des verrufenen Spinnrades zu begegnen, aus Furcht, durch eine unwillkürliche Bewegung zu verrathen, daß mir sein flammend rothes Antlitz mit den zahlreichen Spuren eines sittenlosen Lebenswandels nicht fremd und ich mehr von ihm wisse, als ihm vielleicht lieb war. Meine heimliche Scheu entging ihm offenbar nicht; anstatt aber sein Mißfallen zu erregen, schien ihn dieselbe zu ergötzen, denn meine Hand drückend, daß ich vor Schmerz die Zähne zusammenbiß, rief er mit einem wiehernden Gelächter aus:
»Verdammt grün seid Ihr, junger Mann; wenn wir aber innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden nicht so gute Freunde werden, wie nur je 'n gemeinschaftliches Stück Arbeit deren zwei zusammensplißte, will ich zum letzten Mal in meinem Leben 'n Stück Brod unter dem Dache meines Freundes O'Cullen gegessen haben.«
»Meike, Meike!« fiel O'Cullen mit unverkennbarer Schadenfreude ein, »wenn ich Dich beim Wort hielt, möchtest Du selber dabei am schlechtesten fahren. Beim heiligen Patrik, zum Freundschaft schließen gehören mindestens zwei; und da ich über Nacht meinen Entschluß änderte und den Indigo sammt allen Waaren gleich mitnehme, mußt Du Dir leider 'nen Anderen aussuchen. Doch gieb Dich zufrieden,« fuhr er beschönigend fort, als er gewahrte, daß Wigham ihn erstaunt ansah, »'s war wieder eins meiner Geschäftstricks, daß ich nicht gleich mit der Wahrheit vorfuhr. Der Mr. Indigo begleitet mich so wahr und wahrhaftig, wie ich überzeugt bin, daß noch mancher Centner Brod und das nöthige Fleisch dazu unter meinem Dache über Deine Zunge gleiten.«
Wigham war ein zu verthierter Bösewicht, als daß er im Stande gewesen wäre, seine Freude über diese neue Anordnung zu verbergen. Ich selbst aber fluchte der von nie schlummerndem Mißtrauen getragenen, weit voraus rechnenden List O'Cullens, durch welche mir die Möglichkeit geraubt wurde, Bechler über meine Abreise genauer zu unterrichten. Er wußte nicht mehr, als ich, bevor ich O'Cullen und das Spinnrad bei ihrer musikalischen Abendunterhaltung belauschte, und das beschränkt sich auf nur ganz unbestimmte Vermuthungen. Von einander scheidend rechneten wir darauf, uns am folgenden Tage wiederzusehen; solch' Vorhaben aber scheiterte an des listigen Irländers Vorkehrungen. Und mehr noch: Wenn Bechler, nach mir forschend, vor Mrs. O'Cullen erschien, stand zu befürchten, daß der als Cerberus eingesetzte Wigham ihm einen Empfang bereitete, welcher ihm alle weiteren Erkundigungen verleidete. Rathlos spähte ich zu der armen Milly hinüber. Sie kehrte den Laden in ihrer stillen, theilnahmlosen Weise; und doch war sie die Einzige, von der ich Rath und Hülfe in meiner Noth hätte erhaschen können. Ich dachte daran, mir den Urlaub einer Stunde von O'Cullen zu erbitten, um eine flüchtige Zusammenkunft mit Bechler zu suchen; allein nachdem jener sich die größte Mühe gegeben hatte, alle Welt über seine Pläne zu täuschen, war seine Antwort leicht vorauszusehen. Noch bevor die ersten Kunden eintrafen, fuhr der Güterwagen vor, welcher uns sammt Kisten und Ballen davonführen sollte. Mir blieb kaum Zeit, einige wenige Habseligkeiten für mich selber in ein Bündel zusammen zu schnüren.
Als ich aus meiner Kammer in den Laden zurückkehrte, saß O'Cullen bereits neben dem Fuhrmann auf dem Wagen, mir zurufend, mich zu beeilen. In der Thür hielt das unverschämt polternde Spinnrad; neben diesem stand Milly, um unterwürfig die letzten Befehle ihres Gatten entgegenzunehmen. Ein kühner Gedanke durchzuckte mich, und eben so schnell schritt ich zu dessen Ausführung. Indem ich die Bewegung eines Stolpernden nachahmte und dadurch die Blicke des Spinnrades und O'Cullens auf mich lenkte, schleuderte ich meinen Hut zu Wighams Ergötzen hinter den Ladentisch. Schnell sprang ich nach; nur den verschwindend kleinen Theil einer Minute verweilte ich hinter dem Pulte, wo ich Wighams Blicken nicht erreichbar, und als ich dann wieder den Weg zurücknahm, standen im Kassenbuche auf der nächsten freien Zeile die mit Bleifeder geschriebenen Worte: »Bechler suchen.«
Gleich darauf saß ich neben O'Cullen auf dem Wagen; die Pferde zogen an und in scharfem Trabe ging es auf einem Umwege dem Hudson zu. Zurückzuschauen wagte ich nicht; ich fürchtete die Tigeraugen des furchtbaren Spinnrades nicht weniger, als den beinahe stumpf ergebungsvollen Blick der zitternden Milly.
Die Straßen waren erst wenig belebt. Wie der auf unabsehbarem Wasserspiegel in schwankem Kahne nach einem gastlichen Ufer Ausschauende, so spähte ich in allen Richtungen, wo nur immer eine menschliche Gestalt auftauchte, nach der vertrauten Physiognomie des alten Bechler. Doch nur Mißgeschick oder eine seiner wunderlichen Launen hätten ihn so früh am Tage den eisernen Armen des ihm holden Schlummergottes zu entreißen vermocht; und so gewiß, wie die goldene Morgensonne ihren Aufgang nicht versäumte und mit gleicher Wärme jeden prahlerischen Kirchthurm wie jede einfältige Pumpensäule überströmte, so gewiß schnarchte der professionirte Philanthrop in seinem abgelegten Eisenbahnwagen auf einer zottigen Bisonhaut, angegrinst von berühmten Häuptlingsschädeln und bewacht von gewaltigen Knotenstöcken und der Hyäne des Meeres, dem vierreihig bezahnten ausgestopften Hay.
»Wir sind nicht die Einzigen, welche sich gern von der Frühsonne bescheinen lassen,« bemerkte O'Cullen beiläufig, nachdem wir ein Weilchen gefahren waren, und er wies mit der Spitze seiner Pfeife rückwärts.
In einiger Entfernung folgte uns eine Miethskutsche. Unser Ziel schien auch das ihrige zu sein. O'Cullen legte kein Gewicht auf diesen Umstand; denn indem wir uns dem Strome näherten, tauchten in allen Richtungen Reisende auf, welche die frühe Fahrgelegenheit stromaufwärts zu benutzen wünschten. Mich dagegen beschlich eine Ahnung, als ob derjenige, welchen die Kutsche barg, in näherer Beziehung zu O'Cullens Geschäftsausflug und den drei Jesuitenvätern stände, welche ich vor wenigen Tagen erst unter Stella's Schutz belauschte. Sie waren zu gut bedient, als daß ihnen die kleinste Bewegung Jemandes, auf welchen sie ihre Aufmerksamkeit gerichtet hielten, hätte entgehen können.
Fast gleichzeitig mit uns traf die Kutsche auf dem Werft ein, wo der vor einer Landungsbrücke liegende Flußdampfer bereits zum zweiten Male seine gellende Glocke ertönen ließ.
Obwohl ich beim Abladen der Güter überall mit Hand anlegte, fand ich doch Gelegenheit, den Fremden, welchen die Kutsche gebracht hatte, näher zu betrachten und sein Aeußeres meinem Gedächtniß einzuprägen. Wie ein blindes Werkzeug der Jesuiten sah er am wenigsten aus, so daß ich meinen Verdacht gegen ihn sogleich wieder schwinden fühlte. In dem schwarzen, schon etwas abgetragenen Gesellschaftsanzuge erinnerte die dürre, knochige Gestalt mit dem vollständig ausdruckslosen Gesicht an einen Landkrämer, welcher noch unter der Last der bei seinem ersten Besuche der gewaltigen Weltstadt empfangenen Eindrücke seufzte und längere Zeit gebrauchte, wieder zu sich selbst zu kommen. In der linken Hand trug er ein Stück Holz, anscheinend ein kurzes Lineal, in der anderen ein geöffnetes Taschenmesser.
So bewehrt, stieg er nachlässig aus dem Wagen; eben so nachlässig begab er sich nach dem Dampfboot hinauf, und in der nächsten Minute hatte ich ihn vergessen. Erst als eine halbe Stunde später die Laufplanke eingezogen wurde, der Dampfer sich langsam in Bewegung setzte und ich ihn zwischen Kisten und Ballen in einem Winkel sitzen sah, erinnerte ich mich seiner wieder. Er schien für weiter nichts in der Welt Sinn zu haben, als für sein Stückchen Holz, dessen Enden sich unter den emsig schnitzenden Händen in Lanzenspitzen verwandelten.