Eduard Mörike
Maler Nolten
Eduard Mörike

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Aber als ihr gepreßter Schmerz, ihre Unruhe, ihr Mißbehagen sich immer weniger verbarg, als der wärmer gewordene Liebhaber aufs neue mißtrauisch werden wollte, bald mit dringenden Worten, bald mit den lebhaftesten Liebkosungen zu einer Erklärung nötigte, da war es seltsam, jammervoll anzusehen, wie die arme Frau ganz außer sich geriet, in dem Augenblick, wo sie von ihrem unseligen Geheimnis aufs höchste bewegt, an die verlorene Liebe doppelt schmerzlich erinnert werden mußte, indem eine andere, bisher verhaßte, sich hülfreich stürmisch aufdrang. Jetzt stößt sie den Herzog heftig weg, jetzt gibt sie sich seiner Kühnheit unerhört willig hin, dem bängsten Seufzer, dem heißesten Gusse von Tränen folgt plötzlich ein Lachen, dessen kindische Lieblichkeit, dessen herzlicher Klang unter jeden andern Umständen hätte bezaubernd sein müssen. Der Herzog sah in alle diesem nur den unbeschreiblich rührenden Ausdruck einer bis jetzt verhüllten Leidenschaft für ihn, welche sich endlich verraten und noch im entzückten Momente der ersten Umarmung mit holder Scham und süßer Reue kämpfe, ihn selber jedoch zum seligsten der Menschen mache. Wie ganz anders sah es im Busen Constanzens aus! Oft war es ihr, als säße sie, von einem Dämon, von einem höllischen Wesen umschlungen, in entsetzlicher Unmacht festgebannt; Lust und Unlust empörten sich wechselseitig in ihrem Innern, sie überließ sich seinem Kusse mit einem schneidenden Gefühle von Widerwillen, ja von Ekel, sie empfand es unerträglich, wie elend sie sich verirrt, wie töricht rasend ihre Einbildung sei, als ob sie auf diese Art an jenem Verräter heimlich Rache üben könnte! Er – (so rief, so wimmerte es in ihrer Seele) ja er allein hat es verschuldet, daß Constanze so sich verleugnet, daß ich tue, was ich sonst verabscheut hätte, und doch – wie wird alles werden? wie soll das enden? wohl, wohl – mag es, wie es kann! – Sie rang sich los, drückte den Kopf in die Purpurkissen des Sofa, ihr Schluchzen zerriß dem Herzog das Herz, er berührte sie schüchtern, er bat, er beschwor sie um Fassung; sie möge sich doch besinnen, warum sie denn eigentlich verzweifle, ob das unfreiwillige Bekenntnis einer Neigung, die ihn auf ewig zu einem guten, mit Welt und Himmel glücklich ausgesöhnten Menschen zu machen bestimmt sei, ob die Furcht, daß dieses schöne Verständnis jemals dem rohen Urteil der Menschen bloßgestellt werden könne, ob ein Zweifel an seiner Verschwiegenheit, an seiner Treue, ein Zweifel an seiner Ehrfurcht vor ihrer Tugend sie quäle? »Constanze! Teure! Geliebte! blicken Sie auf! sagen Sie, daß ich für heute, für jetzt, mich entfernen soll, fordern Sie, daß ich Sie mein Leben lang durch nichts, durch kein halbes Wort, mit keiner Miene, keinem leisen Wunsche mehr an diesen Abend mahne! Mir aber darf er unvergeßlich bleiben; so wie jetzt wird auf ewig dieses Zimmer, wird das Licht dieser Kerze und wovon es Zeuge gewesen, vor meiner Erinnerung stehen – o Gott! und so, in dieser traurig abgewendeten Lage muß die Gestalt der edelsten Frau vor mir erscheinen, um allen himmlischen Reiz des vorigen Augenblicks wieder auszulöschen! ich werde vergehen, verzweifeln, wenn Sie sich nicht aufrichten, wenn ich Sie so verlassen muß.«

Er faßte sie schonend an beiden Schultern, und sanft rückwärts gebeugt lehnte sie den Kopf an ihn, so daß die offenen schwimmenden Augen unter seinem Kinne aufblickten. Freundlich gedankenlos schaut sie hinan, freundlich senkt er die Lippen auf die klare Stirne nieder.

Lang unterbrach die atmende Stille nichts. Endlich sagt er heiter: »Ist's nicht ein artig Sprichwort, wenn man bei der eingetretenen Pause eines lange gemütlich fortgesetzten Gesprächs zu sagen pflegt: es geht ein Engel durch die Stube?«

Constanze schüttelte, als wollte sie sagen: der vorige, der gegenwärtige Auftritt habe doch wohl einen so friedsamen Geist nicht herbeilocken können.

Abermals versagt ihm ein weiteres Wort; er sinnt über den Zustand der Gräfin nach, der ihm aufs neue verschiedenes zu bedenken gibt. Nicht ohne Absicht kommt er daher spielend wieder auf Nolten und Larkens zurück. »Nein«, sagt er zuletzt, »es würde mir sehr angenehm sein, wenn Sie, meine Liebe, mir über den bösen Punkt Ihre Ansicht offenbaren wollten. Ganz gewiß sind Sie längst darüber im reinen, zum wenigsten haben Sie eine Meinung. Reden Sie mir, ich bitte recht ernstlich – Halten Sie die beiden für schuldig?«

Die Befragte bedenkt sich eine Weile und sagt mit einer sonderbar zuckenden Bewegung: »Schuldig? – er ist's!«

»Wer doch?«

»Nun, der Nolten –«

»Ich erstaune! – und Larkens?«

»Wohl ebensogut. Ja, mein Herr, darauf verlassen Sie sich.«

»Und sind strafbar?«

»So denk ich.«

»Nun, auf mein Wort! so sollen sie's bereuen.«

Der Herzog stand auf; Constanze blieb wie angefesselt. Er hatte dies strenge Urteil aus Constanzens Munde am wenigsten erwartet, um so gegründeter mußte es sein. Er fragte einiges, was ihre Ansicht näher bestimmen sollte, sie versicherte, nichts weiter zu wissen: er möge sich damit begnügen und auf keinen Fall sie verraten. Nun erst, da er Gewißheit zu haben glaubte, da selbst diese billig denkende Frau von solcher Ungebühr bewegt, entrüstet schien, erwachte Ärger und Verdruß in ihm, er enthielt sich der empfindlichsten Ausdrücke nicht, wiederholt dankte er der Geliebten ihre Aufrichtigkeit, die er als natürliche Folge einer zärtlich aufgeschlossenen Stimmung auslegte. Ihm ahnte nicht, von welchem Aufruhr widersprechender Gefühle die Gräfin innerlich zerrissen war, seitdem sie das Entscheidende ausgesprochen. Wie versteinert vor sich hinstarrend, blieb sie auf einer Stelle sitzen, war mehr als einmal versucht zu Milderung, zu völliger Widerrufung des Gesagten, aber ein unbegreiflich Etwas band ihr die Zunge. Plötzlich hört man den Wagen des Grafen vor dem Haus anrollen, ein eiliger Kuß, ein schmeichelhaft Wort versiegelt von seiten des Herzogs das Geheimnis dieser Stunde.

 

Ehe wir noch auf die Folgen zu reden kommen, welche diese Vorgänge rasch genug nach sich gezogen, enthalten wir uns nicht, einen allgemeinen Blick auf die Gemüter zu werfen, zwischen denen sich durch die fatalste Verschränkung der Umstände, durch ein doppeltes und dreifaches Mißverständnis eine so ungeheure Kluft gebildet hatte.

Indem unser Maler sich den Aussichten eines unbegrenzten Glückes überläßt, mit jedem Tage der völligen Entscheidung desselben entgegenblickt und soeben beschäftigt ist, der Gräfin seine Wünsche, seine Anerbietungen in einem ruhig besonnenen Briefe frei und edel hinzulegen, spinnt ihm die Liebe selbst durch Constanze ein verräterisches Netz. Der redliche Wille eines Freundes, der im dunkeln seinen Zweck hartnäckig verfolgte, ward zum Spiel eines schlimmer oder besser gesinnten Schicksals: die sorgsam aber grillenhaft angelegte Mine, womit Larkens einen gefährlichen Standpunkt der Personen nur leicht auseinanderzusprengen dachte, hat sich tückisch entladen und ist im Begriff, ihrer viere, und darunter ihn selber, mit bitterm Unheil zu treffen, so daß man kaum wüßte, wer von allen am meisten zu bedauern sei, wenn es nicht jenes unschuldige Mädchen ist, um dessen gerechtes Wohl es sich von Anfang an handelte. Aber, scheint Constanze unser Mitleid verscherzt zu haben, seitdem sie sich zu einer heftigen Rache hinreißen ließ und derselben einen falschen Grund unterzuschieben wußte, ja seitdem es den Anschein hat, als wolle sie sich an einen zweideutigen Verehrer wegwerfen, so werden wir doch billig genug sein, uns den Zustand eines weiblichen Herzens zu vergegenwärtigen, das aufs grausamste getäuscht, von der Höhe eines herrlichen Gefühls herabgestürzt, an sich selber, wie an der Menschheit, auf einen Augenblick irrewerden mußte. Was Theobalden selbst betrifft, so sehen wir schon jetzt, wie sich ein zwar sehr verzeihliches, aber dennoch übereiltes Mißtrauen in der Liebe durch ein ganz ähnliches an ihm bestraft, und wir wollen erwarten, ob diese harte Züchtigung mehr zu seinem Unglück oder zu seinem Heile ausschlagen soll.

Die auf Befehl des Herzogs geschehene Konfiskation des verdächtigen Spielkästchens war den Freunden schon kein gutes Zeichen. Larkens geriet in Wut über diesen abgeschmackten Gewaltstreich, wie er's nannte. »Mögen sie sich doch«, rief er dem Maler zu, »die Zähne ausbeißen an diesen armseligen verklecksten Gläsern! und dem ersten Schöpsen, der die Nase in mein argloses Machwerk stecken wird, schlage der Geist des alten Nikolaus nur tüchtig hinters Ohr, zur Erleichterung des kritischen Verständnisses!«

Theobald wollte den Herzog selbst belehren, der Schauspieler gab es nicht zu, indem er behauptete, man müsse dem Pack den Gefallen nicht tun, man müsse abwarten, bis die Maus selbst aus dem unheilschwangeren Berg hervorspringe und die Dummheit sich prostituiere. Da demungeachtet der Maler in seiner gütlichen Absicht den fürstlichen Gönner aufsuchte, ward er zu seiner größten Bestürzung und Verdruß nicht vorgelassen. Ganz trostlos aber machte es ihn, als er sich seine letzte Zuflucht zu Zarlins auf gleiche unerhörte Weise abgeschnitten sah. Er wußte sich nicht zu helfen, nicht zu raten, er hätte mit Freuden den Haß des ganzen Hofes auf sich geladen, wenn er nur über Constanze hätte ruhig sein können.

Inzwischen ward jene mißliche Sache durch einen hinzugetretenen Umstand gar sehr verschlimmert, ja sie bekam eine völlig veränderte Gestalt. Wie immer ein Übel das andere erzeugt und in solchen Fällen des Unheils kein Ende ist, so hatten einige Stimmen nicht ermangelt, bei dieser Gelegenheit an gewisse vor längerer Zeit anhängig gemachte und zum Teil wirklich erhobene Kriminalfälle, geheime Umtriebe betreffend, zu erinnern, und obgleich diese Dinge bereits für abgetan galten, so glaubte man doch keinen unbedeutenden Nachtrag hinter dem Schauspieler suchen zu müssen.

Der unruhige Geist, welcher, von gewissen politischen Freiheitsideen ausgehend, eine Zeitlang die Jugend Deutschlands, der Universitäten besonders, ergriffen hatte, ist bekannt. Die Regierung, von welcher hier die Rede ist, behandelte dergleichen Gegenstände mit um so größerer Aufmerksamkeit, als sich entdeckte, daß immer auch einige durch reiferes Alter, Geist und übrigens unbescholtenen Charakter ausgezeichnete Männer nicht verschmäht hatten, an solchen Geheimverbindungen, im weiteren oder engeren Sinne, teilzunehmen. So hegten denn namentlich zwei genaue Bekannte unseres Schauspielers diese gefährliche Tendenz mit vieler Vorliebe, und der letztere, weit entfernt von jedem ernstlichen Interesse an der Sache, verbarg diesen Leuten gegenüber seine Gleichgültigkeit und Geringschätzung hinter der Maske des feurigsten Enthusiasten, indem er sich das Vergnügen nicht versagen konnte, seine Genossen auf eine jedenfalls unverantwortliche Weise zum besten zu haben. Er schrieb ihnen Briefe voll schwärmerischen Schwungs, machte die absurdesten Vorschläge und wußte den Verdacht einer bloßen Äfferei durch eine kunstvolle ironische Einkleidung, durch abwechselnd vernünftige Gedanken, sowie durch die höchste Konsequenz in der persönlichen und mündlichen Darstellung zu entfernen, so daß ihn die Gesellschaft zwar für ein seltsam überspanntes, doch aber höchst talentvolles Mitglied ansprach, wenn es gleich an einzelnen klugen Köpfen nicht fehlte, die ihm heimlich mißtrauten und scharf auf die Finger sahen; er bemerkte dies, spielte den Gekränkten, zog sich noch eben zu rechter Zeit zurück und erhielt gegen das Versprechen der tiefsten Verschwiegenheit seine schriftlichen Aufsätze sämtlich zurück. Als es zwei Jahre nachher von Staats wegen zur Untersuchung und Aufhebung der Verbrüderten kam, und entfernterweise auch seiner erwähnt ward, konnte es ihm bei der Diskretion der Bundesgenossenschaft wirklich gelingen, sich wie ein Aal aus der Klemme zu winden, während andre, zum Teil schon in öffentlichen Ämtern stehende, Männer zu nachdrücklicher Bestrafung gezogen wurden. So erfreute er sich geraume Zeit einer guten Sicherheit, aber sein frevelhafter Mutwille sollte nicht ungerächt bleiben. Das berüchtigte Schauspiel rief die alten Erinnerungen wieder hervor, übelwollende, wichtigtuende Aufklauber übten sogleich ihre ganze Geschäftigkeit, und der König sah sich bewogen, einen so verhaßten Gegenstand abermals in öffentliche Anregung zu bringen. Der Herzog, seinerseits an die Erheblichkeit dieses neuen Verdachtes keineswegs glaubend, bedauerte diese höchst verdrießliche Wendung der ohnehin so schief gedrehten Geschichte um so aufrichtiger, je weniger Freund Nolten ungefährdet dabei bleiben konnte, und je weniger er selbst sich verhehlte, daß vielleicht einige glücklich angebrachte Winke von ihm hingereicht haben würden, den ersten schwierigen Eindruck des bewußten Gedichtes zu vernichten, und so jedem weiteren Nachhalle vorzubeugen. Er sah nur zu deutlich ein, wie es am Ende doch jenes einzige Wort aus Constanzens Munde gewesen, was seine Schritte geirrt und seine versöhnliche Gesinnung mit einem geheimen Aber angesteckt habe. Jetzt konnte an eine Vertuschung nicht mehr gedacht werden, und alles nahm seinen strengen, gesetzlichen Gang.

Wie ein Donnerschlag traf es die Freunde, als ihre Verhaftung nun wirklich erfolgte. Eine Kommission ward beauftragt, ihre Papiere zu durchsuchen, und zum Unglück kam dies alles so rasch, so unvermutet, beide hatten so gar keine Ahnung von den neuesten Gerüchten, daß Larkens nicht von weitem daran dachte, jene verfänglichen Briefe auf die Seite zu schaffen; denn leider waren sie noch vorhanden, er hatte die Vertilgung so merkwürdiger Aktenstücke nicht über sich vermocht, vielmehr lagen sie über die Zeit der ersten Untersuchung als geheimes Depositum in dem Hause eines unverdächtigen Bekannten, später nahm sie der Verfasser wieder zu sich und ein versiegeltes Portefeuille in seinem Pult verwahrte den verräterischen Schatz. Wie sehr der Umstand unsern Schauspieler beunruhigen mußte in dem Augenblick, als ihm die Festnehmung seiner eigenen Person das Ernstliche der Absicht genugsam bewies, läßt sich denken; denn daß man die Briefe finden würde, daß der Inhalt, obwohl höchst komischer Natur, gar sehr gegen ihn zeugen müsse, war zu erwarten.

Die beiden wußten kaum, wie ihnen geschah, als sie sich eines Morgens in zwei abgesonderte Zimmer des sogenannten alten Schlosses zu trauriger Einsamkeit verwiesen sahen. Leopold und Ferdinand waren teilnehmende Begleiter auf dem verhaßten Gange. Beim Abschied konnte Nolten kein Wort vorbringen, kaum fand er Gelegenheit, dem Bildhauer ein kurzes Billett an den Grafen nochmals zu empfehlen. Larkens' Benehmen drückte einen knirschenden Schmerz aus, er kehrte das Gesicht ab, während er Noltens Hand zum letztenmal faßte.


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