Karl Philipp Moritz
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Karl Philipp Moritz

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Hartknopfs Antrittspredigt

Die kleine Kirche in Ribbeckenau war mit sehr viel hölzernem Schnitzwerk und Zierat versehen. Unter anderem war vorne an der Decke über der Kanzel der Heilige Geist in Gestalt einer Taube schwebend abgebildet. Die Arbeit war von Holz und bloß angeleimt.

Als Hartknopf die Kanzel bestieg, schwebte sein böser Genius über ihm. Ganz in seinen Gegenstand vertieft, dachte er nicht an das, was über ihm war, und die Länge seines Körpers war schuld, daß er mit der Stirne gerade gegen einen Taubenflügel rannte und auf die Weise die schwebende Gestalt des Heiligen Geistes zum Schrecken der ganzen Gemeinde herabstieß.

Da er sich nun aber dies als einen Zufall, der weiter keine Folgen hatte, gar nichts anfechten ließ und mit der größten Kaltblütigkeit seine Predigt anfing, als ob gar nichts geschehen wäre, so erschrak die Gemeinde noch weit mehr.

Er hob nun seinen Spruch an: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. –

Also: im Anfang war das Wort, und das Wort war selbst der Anfang.

Dies deutete er nun auf den Anfang seines Lehramts; was bei ihm wohl anders der Anfang sein könne, als das bloße Wort womit er anfing? Da einmal sein Geschäft darin bestehe, seine Lippen zu bewegen und tönende Worte hervorzubringen, statt daß andere ihre Arme zur Arbeit ausstreckten, um dem Schoß der Erde ihre Nahrung abzugewinnen und die Frucht ihrer Mühe selbst mühsam einzuernten.

Er stellte das nackte Wort als den leeren Hauch der Luft, als das tönende Erz und die klingende Schelle dar, wenn Liebe es nicht beseelt. –

Liebe beseelte es aber, indem er sprach – denn er war gewillt zu geben, wo seine Brüder nehmen; er wollte nicht für leeren Lufthauch den Zehnten von allen Früchten der Erde eintauschen; er wollte den Buchstaben des Wortes erst töten, damit der Geist lebendig mache. –

Als er nun zum ersten Mal das Wort Geist nannte, blickte die ganze Gemeinde als ob aller Augen sich verabredet hätten, auf einmal nach der leeren Stelle an der Decke über der Kanzel hin, wo die Abbildung des Heiligen Geistes in Taubengestalt gewesen war. – Der grobe sinnliche Eindruck behielt von jetzt an auf einmal die Oberhand; der erste Schrecken war nun vorüber, und wie von einem bösen Dämon angehaucht verzog sich jede Miene zu einem höhnischen schadenfrohen Lächeln, und die Herzen verschlossen sich auf immer. –

Die undurchdringliche Scheidewand zwischen Licht und Finsternis war gezogen. Das hämische Lächeln trat zwischen die redende Liebe und den aufmerksamen Gedanken – Hartknopf fühlte sich zum ersten Mal von seiner nächsten Umgebung gedrückt. Er fing während seiner Rede an, die Gesichter zu bemerken, und kein antwortender Blick begegnete seinem spähenden Auge. Eine unbekannte Macht schien die Worte von seinen Lippen zu verwehen, daß sie den Weg zum Herzen nicht fanden.

In dieser Predigt, pflegte Hartknopf nachher oft zu sagen, habe er den ganzen Druck empfunden, womit die grobe Sinnlichkeit auf dem zarten Gedanken, die unförmige Masse auf dem Gebildeten ruht; wodurch der Sprößling im Keime zertreten, die Blume zerknickt wird; der Wurm an der aufblühenden Pflanze nagt; der Heldenmut des Starken in seiner Brust gelähmt wird; und der bildende Genius, indem er die Flügel entfaltet, von seinem umwölkten Jahrhundert darnieder gedrückt, in den Staub sinkt.  –

Soviel ist gewiß, daß die vielleicht schon verweste Hand, welche die Taubengestalt an der Kanzeldecke mit nachlässigem Finger befestigte, Hartknopfs schöne Hoffnungen und sein ganzes Gebäude von Glückseligkeit an diesem Orte unwissend untergrub.

Denn dieser erste Eindruck blieb in der Folge seines Lehramts unauslöschlich, und die ganze, angeborene Würde seines Wesens vermochte nichts gegen die komische Larve des mächtigen Zufalls.

Freilich war ein räudiges Schaf unter dieser Herde, welches die übrigen angesteckt hatte. Dies war der spruchreiche Küster Ehrenpreiß mit der richterlichen Miene.

Während Hartknopf predigte, richteten seine Augenbrauen jeden Perioden, den er sagte, und brach den Stab über ihm, sooft er das Wort als die vierte Person in der Gottheit erwähnte. Hartknopf meinte nämlich, weil man sich doch die Dreieinigkeit als eins dächte, so könnte auch das vierte der Einheit nicht schaden – und der Lehrbegriff leide nicht darunter, wenn man sich den alleserhaltenden Vater, den allesbeherrschenden Sohn, den allesbelebenden Geist, und das allesverknüpfende Wort, wie das ewig Feststehende, wie den unerschütterlichen Kubus dächte, der in sich selber ruhend, die rollenden Sphären trägt. –

Ehrenpreiß aber schrieb sich Hartknopfs Ketzereien in seine Schreibtafel auf, und so wie der Erklärer alter Autoren über eine neue Lesart, der Chronikenschreiber über eine Jahreszahl, und der Conchylienliebhaber über ein Schneckenhaus, so freute sich der Küster Ehrenpreiß über jede Ketzerei, die er in irgendeines Menschen Worten oder Gebärden auffinden konnte, weil dies nun auch einmal seine Liebhaberei war, die ihm ein besonderes Vergnügen machte.

Mit dem vorigen Prediger war er ein Herz und eine Seele gewesen, denn dieser bedurfte jemandes, in dessen Busen er seinen Geist ausschütten konnte, und Ehrenpreiß war ein würdiges Gefäß dazu. Oft brachten sie bis Mitternacht in vertraulichen Gesprächen zu; sie saßen da, in schwarzen Kleidern, auf Stühlen, und richteten die vergangenen und kommenden Geschlechter der Erde.

Dies taten sie im Fluge der hohen Begeisterung; dann aber beschränkten sie sich wieder auf ihre Nachbarschaft, auf die Prediger in dem Kirchensprengel, auf die Menschen, welche still einherwandelten und das Höchstverehrungswürdige im Geist und in der Wahrheit verehrten, auf die natürlichen Menschen, welche durch frommen Genuß der Gabe dem Geber am besten zu danken glaubten.

War nun über alle diese Menschen namentlich das Verdammungsurteil gesprochen, so machten sich beide den Spruch zu eigen: ihr seid über wenigem getreu gewesen, ich will euch über vieles setzen!

Damit nun aber auch Ehrenpreiß in diesem Werke geübter werden möchte, so trug sein Prediger ihm die ganze Polemik aus den Heften vor, die er ehemals in Halle eigenhändig nachgeschrieben hatte.

Und als das Kollegium geendet war, schrieb sich Ehrenpreiß selbst die Hefte noch einmal ab und trug sie einigen auserwählten Bauern bei verschlossenen Türen wieder vor, durch welche der edle Samen dann weiter im Dorfe ausgestreut wurde.

So war das ganze Dorf nach und nach polemisch geworden, und das Schimpfwort: du Ketzer!, welches man ehemals als eine scherzende Liebkosung brauchte, wurde jetzt mit einem finsteren spanischen Ernst ausgesprochen, der nichts Gutes bedeutete.

Ein so unpolemischer Prediger wie Hartknopf war nun freilich keine sehr willkommene Gabe für solche polemischen Bauern. Denn die Predigten des vorigen Pfarrers waren überdem gar nicht uninteressant gewesen; er belagerte eine Ketzerei, die er aufstellte, um sie zu bestreiten, gleichsam wie eine Festung, legte selbst Bollwerke umher, womit er sich eine Weile verteidigen ließ, dann lief er plötzlich Sturm, durchbrach die Schanzen und hieb alles mit der Schärfe des Schwertes darnieder. Durch dies immerwährende Angreifen und Verteidigen war den Bauern selbst der dogmatische Lehrbegriff so geläufig geworden, als er ihnen durch den bloßen Vortrag nicht hätte werden können.

Sie waren dadurch gewissermaßen kompetente Richter über ihren künftigen Prediger geworden, der nun nie aus dem Gleise rücken durfte, ohne daß sie es merkten. –

Der Geist des verstorbenen Pfarrers ruhte auf der ganzen Gemeinde, auf dem Küster Ehrenpreiß aber ruhte er zwiefältig.


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