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Die Yacht war bereit zur Bergenfahrt, alle Vorräthe eingeschifft, Alles wohl verpackt und geordnet. Helgestad hatte lange Unterredungen mit seinem Sohne, dem er Anweisungen ertheilte, was während seine Abwesenheit geschehen sollte, endlich aber kam es in Marstrand's Beisein zu einem Gespräch zwischen Vater und Sohn, das die Familienverhältnisse erörterte.
Helgestad sprach von Ilda's bevorstehender Verheirathung als von einer fest bestimmten Sache. Er scherzte über die beiden Bewerber und gab Björnarne den guten Rath sich in nichts zu mischen, sondern Ilda selbst zu überlassen, wem sie ihre Gunst zuwenden wolle; aber seine Winke waren deutlich genug, um für Olaf wenig Hoffnung übrig zu lassen.
Glaube genau zu wissen, wie's kommen wird, sagte er mit seinem pfiffigen Grinsen. Ist Paul Petersen der Mann nicht, der vor Olaf davon läuft, wie vor dem Bären. Calculire, Herr Marstrand, ist mit Kindern eine wunderliche Sache. Hat man sie mühsam erzogen, kommt Einer der sie uns nimmt und dem sie nachfolgen über Land und Meer. Ist mir aber immer lieber, ich weiß Ilda in Tromsöe, als weit im Nordland, wo sie Heimweh bekommen würde nach den schwarzen Felsen am Lyngenfjord.
Er wandte sich zu Björnarne um, legte die Hand unter dessen Kinn und blickte wohlgefällig auf den kräftigen Jüngling. Und, fuhr er fort, bleibst mir im Hause, ist aber nicht Ordnung da, wo Männer allein wohnen, müssen daran denken, den Schaden gut zumachen.
Was meinst du, Vater? antwortete der Sohn, während das Blut ihm in's Gesicht trat.
Helgestad lachte. Weißt es besser wie ich, rief er, und denke beinahe, hast große Lust, es deiner Schwester bald nachzumachen. Sage aufrichtig, Björnarne, hast noch kein Mädchen gesehen, die du in Oerenäesgaard mit ihren Hochzeitskasten haben möchtest?
Keine von allen, Vater, erwiderte Björnarne.
Ei du Narr! schalt der Alte, ihn beim Ohr festhaltend. Eine muß es sein, und daß du es weißt, will meine Schwiegertochter mir 145 aussuchen, wie ich sie gerne habe. Wirst zufrieden sein, Björnarne. Weiß ein Mädchen, jung, fein und frisch, glatt wie ein Hirsch und wohlgemacht in allen Dingen. Denke, merkst, welche ich meine. Ist's nicht so? Will dir ein ander Lied davon singen, wenn ich aus Bergen wieder komme.
Björnarne wandte sich rasch ab und lief davon, als wolle er nichts weiter hören. Helgestad lachte behaglich hinter ihm her. Was Andere zu viel haben, hat der zu wenig, sprach er dann. Springt mancher junge Bursche ohne Sinn und Nachdenken einer Dirne an den Hals, sollte aber lieber in's Wasser springen, um's heiße Blut abzukühlen. Björnarne ist von denen, die mit Eva im Paradies leben könnten, ohne je nach dem Apfelbaum zu verlangen. Habe nie von ihm gehört, Herr Marstrand, daß er ein Mädchen lieber gehabt hätte, als seine Schwester, und habe nie gesehen, daß seine Augen Einer mehr sagten als allen Andern. – Ist darum so recht ein Sohn, wie er sein muß. Könnte sie alle haben; calculire, gibt keine Thür im Lande, wo er nicht anklopfen dürfte. Ist zu gescheut, der Junge, ist Niels Helgestad's Sohn und weiß es. Läßt die Mädchen seufzen und trachten, bis er die Rechte heimbringt und alle Gesichter vor Neid und Neugier blau werden, wie Hummern.
Marstrand war froh, daß Helgestad abgerufen wurde, denn der Hochmuth in den Worten und Mienen des alten Kaufmanns verletzte ihn. Er wird sich eine Schwiegertochter suchen, sagte er, indem er den Fjord entlang ging, wie er einen Schwiegersohn gefunden hat. Den größten Hochzeitskasten wird sie ihm in's Haus schleppen und ihre Brüder und Vettern werden schwere Leute sein, die fest auf ihren Beinen stehen. – Er lachte verächtlich vor sich hin und setzte seinen Weg fort, bald an Ilda denkend, die den ganzen Tag über von dem rothköpfigen Schreiber begleitet wurde und für ihn kaum ein Wort fand, bald über Afraja grübelnd, der so seltsam zu ihm gesprochen, und dessen räthselhafte Worte so großen bleibenden Eindruck auf ihn gemacht hatten. Wenn er überlegte, was er aus so vieler Menschen Mund über das tückische, treulose Wesen aller Lappen gehört, überkam ihn die Furcht, diesem alten Hexenmeister zu trauen; dachte er aber daran, wie Afraja ihm wunderbar in großer Noth nahe gewesen, so wuchs sein Glaube an die Zuneigung des 146 greisen Hirten; verglich er ihn endlich mit Helgestad, so fühlte er sein Mißtrauen gegen diesen in solchem Maße angeregt, daß ihm Alles nur zu möglich schien, was Afraja ihm erklärt hatte.
So viel war gewiß, daß dieser keine eigennützigen Absichten haben konnte. Ein Gefühl der Dankbarkeit mochte ihn leiten, denn Marstrand hatte ihm Gutes gethan, als er hülflos in seinen Händen war und was die Dankbarkeit nicht vermochte, that vielleicht der rachsüchtige Haß gegen Helgestad, den Schreiber und den Voigt. – Darum befestigte sich die Ueberzeugung in ihm, daß Afraja ihm sicher helfen würde, sollte Helgestad ihn verderben wollen und wenn er auch nicht an die Schätze glaubte, mit welchen der alte Lappe geprahlt hatte, so zweifelte er doch nicht, daß in der unermeßlichen Felsenwüste genug Silber verborgen sei, um Helgestad's böse Gelüste zu Schanden zu machen. Ein Mann, welcher so große Heerden besaß und so wenig Geld ausgab, mußte jährlich bedeutende Summen sparen, und wenn es wahr war, daß er aufgefunden hatte, was seine Väter und Vorväter nach lappischer Sitte ihr ganzes Leben über im Geheimen vergruben, mußte er allerdings über Reichthümer gebieten können. Er fand Afraja's Rath, den Betrüger zu betrügen, ihn zu benutzen bis er sich entlarvte, seine Hülfe und sein Geld anzunehmen, bis er beides nicht mehr geben wollte, endlich vollkommen richtig, klug und den Umständen angemessen. Denn wo war ein Beweis dafür, daß es der alte schlaue Kaufmann wirklich nicht ehrlich meine? Mit welchem vernünftigen Grunde sollte er eine so großmüthige Theilnahme und Hülfe zurückweisen, die kein anderer Mensch ihm leisten wollte und leisten konnte, und wie mochte er es wagen, einen Mann durch Mißtrauen zu beleidigen, der ihm fortgesetzt bisher nur Gutes erzeigt hatte?!
So sah er sich in der glücklichen Lage, ruhig den Verlauf der Dinge abwarten zu können und sein lebhafter Geist trieb ihn an, mit voller Energie das Gebotene zu benutzen. Helgestad hatte nicht Unrecht, daß in diesem jungen Mann Gottes Gnade weit mehr Geschick zu einem klarsehenden Kaufmanne, wie zu einem guten Kammerjunker gelegt habe, denn als er jetzt die steilen Felsen hinaufstieg, die den Lyngenfjord abschließen, fühlte er eine Sehnsucht nach dem frischen Grün und dem prächtigen Walde der Balself und träumte 147 sich tief in alle die Herrlichkeiten hinein, welche dort durch seinen Fleiß, sein schöpferisches Talent und durch Helgestad's Speciesthaler entstehen sollten. Er sah die Schneidemühlen schon in Arbeit, hörte die Holzfäller schon arbeiten, blickte in die kleinen Thäler nieder, wo seine zahlreichen Kolonisten und Lehnsleute wohnten und phantasirte sich seine Waarenhäuser vor, seine Niederlagen, seine Yachten und Boote, die den Fjord hinab und hinaufgingen und seinen stattlichen Gaard, der unter hängenden Birken lag, mit dem Gärtchen voll Reseda, Nelken, Levkojen und reifenden Fruchtfeldern im Schutze der gesegneten Bucht, als stehe das Alles schon fix und fertig da. Sein Herz schlug lebhaft bei dem Gedanken, trotz seiner Feinde List und Stärke, den Schlimmsten Achtung abzunöthigen und sich nicht unterdrücken zu lassen. Habe ich nicht Glück! rief er aus, Götter und Menschen sind mit mir! Helgestad wirft mir seine Silbersäcke in den Schooß und Afraja verheißt mir den Beistand Jubinal's, in dessen Paradies ich wohnen soll. Wenn der Eine mich verläßt, wird der Andere mir sein Manna bringen und Gula? – Er stand still, sah nach der Klippe empor, die Ilda's Bank trug, in deren Nähe er sich jetzt befand, und glaubte hinter den hängenden Zweigen der schwarzen Tannen eine Gestalt zu erkennen, die dort auf der Steinbank saß.
Seit jenem Tage, wo Gula ihn hierher geführt, hatte er seine Spaziergänge nicht wieder so weit ausgedehnt. Damals lag die Schlucht voll Eis und die Kuppen und Seiten der Berge waren dicht in ihr winterliches Kleid gehüllt, jetzt trugen nur die hohen Fjellen, aus deren Mitte der kantige Kegel des Kilpis ragte, noch ihre langen blendenden Schleppen. Die Sonne schien warm und freundlich auf die tiefen Buchten und Vorsprünge, junges Gras und schlanke Halmen sproßten in den Gründen und Felsenspalten und als Marstrand über die Stufen schritt, und das kleine Plateau erreichte, fand er es mit sammetweichen Rasen bedeckt. Sein nächster Blick fiel auf die Bank. Er hatte sich nicht getäuscht, Gula saß dort und einige Minuten blieb er zweifelhaft, ob er sie anreden oder sich entfernen sollte. Sie schien ihn nicht gesehen zu haben, als er hinter dem Felsengrat an der Schlucht hinaufstieg und ihn auch jetzt nicht zu bemerken. Den Kopf niedergebeugt, hielt sie die Hände gefaltet in 148 ihrem Schooß. Ihre schönen dunklen Flechten glänzten von dem einsamen Sonnenstrahl, der durch den Schattenkreis der Tannen auf sie niederfiel. Mitten in dem lichten Grün des freundlichen Plätzchens, mitten in dieser abgeschlossenen Stille, auf dem Felsensöller, der hoch über den blanken Fjord hing, in welchem des Himmels Bläue und die dunstigen Frühlingswolken wiederspiegelten, machte ihr Anblick einen wehmüthigen Eindruck auf den dänischen Herrn. Alles Mitleid und alle Theilnahme, die er für dies verlassene Mädchen je gefühlt, regten sich in seinem Herzen. Er trat ihr einen Schritt näher und seine Hand ausstreckend nannte er leise ihren Namen, bei dessen Klang sie, wie elektrisch berührt, aufsprang und ihn verwirrt anschaute, eine Bewegung machte, als wollte sie entfliehen, und dann wie ermattet und unfähig, ihren Entschluß auszuführen, ihre Arme sinken ließ. Im nächsten Augenblick aber verwandelte sich der ängstliche Ausdruck ihres Gesichts in Freude. Ein Lächeln des Glücks schwebte um ihre Lippen. Marstrand glaubte etwas von dem sonnenhellen Glanze zu empfinden, der aus ihren Blicken über ihn hinlief, als er zu ihr sprach.
Endlich, liebe Gula, sagte er, finde ich dich und endlich sehe ich dich freundlich vor mir, wie sonst.
Bei dieser Mahnung schlug sie die Augen nieder, eine Röthe der Verwirrung färbte ihre Stirn. – Du bist es, Herr! du bist es! flüsterte sie.
Und wer sollte es denn sein, Gula? fragte er. Hast du einen Andern erwartet?
Sie gab keine Antwort. Marstrand zog sie neben sich auf den Sitz nieder, indem er ihre Hand festhielt und zu sprechen fortfuhr. Unerwartet treffe ich dich, sagte er, aber ich nehme den günstigen Zufall für ein gutes Zeichen auf meiner langen Reise. Ich habe deinen Vater gesehen, Gula.
Sie nickte, als wüßte sie es.
Und habe mit ihm gesprochen, fügte er hinzu. Er hat mir gesagt, daß er mein Freund sein will.
Er wird es sein, sagte sie aufblickend und mit großer Zuversicht.
Ich glaube es, erwiderte er; Afraja hat es mir schon jetzt bewiesen. Er ist damit zufrieden, daß ich mein Haus am Balsfjord aufbaue.
149 Alles, was Afraja sein nennt, wird er gern mit dir theilen, war ihre Antwort. Denke nichts Böses von ihm, er weiß, wie gut du bist.
Und woher weiß er denn von meiner großen Güte? lachte der junge Ansiedler. Hast du es ihm vertraut? War er hier? Hast du ihm gesagt, daß wir einen Freundschaftsbund geschlossen haben, den du nicht hälst?
Ihre Augen nahmen den hellen Glanz wieder an. Halb furchtsam, halb traurig und freudig zugleich schüttelte sie dann den Kopf und flüsterte lächelnd: Sie sagen, daß ich es nicht darf.
Ach! arme kleine Gula, rief Marstrand in seiner frühern vertrauten Weise, sie haben dir deine Unbefangenheit genommen und einen Stein zwischen uns geworfen, den wir fortschleudern wollen, weil er uns drückt und wehe thut. Setze dich dicht zu mir her, rücke nicht fort, lege deine Hand, wie sonst, in meine Hand, plaudere und frage und ich will dir erzählen, wie oft ich an dich dachte, wenn ich den Kilpis im Morgenschein sah und im Abenddunkel. Sind wir denn nicht noch immer Leidensgenossen, liebes Mädchen? – Wie oft habe ich dir das gesagt. Beide unter dem fremden Volke, das seine Begriffe von Sitte, Recht und Unrecht uns aufdrängen will. Was kümmert es mich, was sie sagen. Ich habe dich lieb, kleine Gula, Allen zum Trotz!
Du hast mich lieb! sagte sie, ihre dunkeln Augen auf ihn richtend.
Und du mich auch, fuhr er fort. Sind wir nicht beide verständig, um uns das zu sagen und haben wir nicht gelobt uns in Treue beizustehen für alle Zeit?
So fuhr er fort zu sprechen und zu scherzen und von der Zukunft zu erzählen, wenn er in dem neuen Hause wohnen würde, wo er allein Herr sei. Er malte es aus, wie Gula kommen werde ihn zu besuchen, wie sie helfen würde, wo es fehlte und in glücklicher Vergessenheit irrten ihre Augen über sein Gesicht, haschten sie die Worte von seinen Lippen und wanden sich Bilder und Träume daraus, die sie mit Entzücken verfolgte. Marstrand hatte seinen Arm um sie gelegt, seine Gedanken flogen weit hinaus.
So, meine liebe Gula, rief er endlich, wollen wir uns die Arbeit versüßen. In meinem Hause soll es fröhlich hergehen, ich will 150 nicht sein wie diese Krämer. Dein Vater soll mir willkommen sein, wenn er kommt, er ist ein Mann, dessen Verstand mir Achtung einflößt, und wenn du dann – in dem Augenblick fiel ihm etwas ein, woran er noch nicht gedacht hatte und er ließ den Satz unvollendet, sah nach dem Gaard hinunter und fügte endlich hinzu: Wenn Ilda ihres Vaters Haus verläßt – wir haben noch nicht davon gesprochen, – würdest du deine Freundin wohl nach Tromsöe begleiten?
Niemals! erwiderte sie rasch.
Paul Petersen ist dein Freund nicht, fuhr Marstrand lächelnd fort, mein Freund ist er eben so wenig. Willst du bei Helgestad bleiben, sein Haus verwalten?
Ich werde nicht bleiben, war ihre Antwort.
So wolltest du zum Zelt deines Vaters zurückkehren?
Nein! nein! rief sie lebhaft. Lieber weit fort, wo mich Niemand kennt.
Aber wohin? sagte Marstrand nachdenkend. Doch sorge nicht, Gula, noch ist die Zeit nicht da und ehe sie kommt, werden deine Freunde thätig sein. Klaus Hornemann wird zurückkehren, ich werde mit ihm sprechen.
Sprich nicht mit ihm, fiel sie ein, ich weiß, was er dir rathen wird. An meines Vaters Herdstein sei mein Platz, so sagte er zu mir. Er fand es unbillig, daß Helgestad mich festhielt, als Afraja mich zurückforderte, und erst vor wenigen Tagen hat er aus dem Quänarnerfjord einen langen Brief an mich geschrieben, in welchem er es meine Pflicht nennt, meines Vaters Willen zu gehorchen. Ich glaube, Afraja hat ihn dazu vermocht.
Wer hat dir den Brief gebracht? fragte Marstrand.
Sie zögerte einen Augenblick mit der Antwort. Ein Mann meines Stammes, sagte sie dann, mein Vetter Mortuno.
Weiß Ilda darum?
Niemand weiß es und darf es wissen.
Und du, Gula – was ist dein Entschluß?
Sie schwieg und senkte den Kopf. – Wenn ich dich betrachte, fuhr er fort und sein Arm zog sie fester an sich, ist es mir, als dürfte es nicht geschehen. Als wärest du eine der schönen Moosblumen, die niemals mehr dort oben gedeihen, wenn man sie in's 151 Thal gebracht und gepflegt hat, und als hätte Afraja kein Recht mehr, dich zurückzufordern, was auch der fromme Klaus dagegen sagen mag.
Er sagt, antwortete sie ohne ihre Augen aufzuheben, daß ich ein losgerissener Zweig sei, der keinen Boden hier finden könne, um Wurzel zu schlagen. Wenn Ilda geht, die mich beschützte und erzog, habe ich Niemand mehr, der mich liebt. Selbst die Mägde und Dienstleute in Helgestad's Hause würden sich gegen die lappische Landstreicherin auflehnen. Wie Paul Petersen mich verspottet und Olaf mich verachtet, so thun sie Alle. Dort oben aber auf den Alpen, wo mein Vater wohnt und geehrt ist, werde ich es auch sein; dort bei den ausgestoßenen Kindern meines Volks, kann ich durch Gottes Gnade viel Gutes thun. Ich kann sie lehren, was ich gelernt habe, kann Gottesfurcht und Erbarmen in ihre Herzen bringen, kann sie trösten und aufrichten in der Nacht ihres Lebens und Heil und Glück um mich verbreiten.
So sagt der Priester, das ist seine Sprache, erwiderte Marstrand. Er will dich für seine Pläne als Lehrerin deines Volkes benutzen und sucht dich zu überreden, daß alle, die hier wohnen, die grausamen Vorurtheile der Meisten theilen. Aber liebt er selbst dich nicht, und ich, Björnarne und mancher Andere?
Du, rief sie und ihre dunklen Augen hefteten sich mit unsäglicher Innigkeit von Neuem fest auf ihn, ja du bist gütig und gerecht, du kennst den Haß und Spott nicht, der in ihren Seelen lauert. – Ach, du weißt nicht, wie ich in langen Nächten einsam geweint habe, als Ilda mir befahl, dich zu vermeiden. Sage mir, ob es wahr ist, daß eine Kluft zwischen uns liegt, tiefer und breiter, wie dieser unergründliche Fjord? Sage mir, ob es wahr ist, daß dein Fuß mich von dir stoßen wird? Sage mir, ob ich fliehen muß vor deiner Stimme, die mich ruft, weil einst diese Stimme wie ein giftiger Pfeil mein Herz zerschneiden wird?
Sie hielt mit beiden Händen sich an ihm fest, sie zitterte und durchforschte angsterfüllt seine Züge.
Wer, liebe Gula, hat dir das gesagt? fragte Marstrand bewegt und beunruhigt. Niemals soll eine Kluft uns trennen, nie wird 152 meine Stimme ein Pfeil sein, nie mit meinem Willen werde ich dir jemals wehe thun.
Ich weiß es, ich weiß es! flüsterte sie vor sich hinsinnend. Ich habe nachgedacht über Ilda's Worte, ich habe gelernt demüthig sein. – Ja, sie hat Recht! Ich gehöre zu denen, die niemals vergessen müssen, daß sie verlassen und verstoßen sind: aber Herr, wenn deine Magd auf deiner Schwelle sitzt, willst du sie von dir jagen?
Er legte seine Hand auf ihre Stirn und sagte mild und vorwurfsvoll: Solchen Glauben hast du zu mir? Sei ruhig, armes Kind, Niemand soll dich kränken und beleidigen, und wenn Alle dich verlassen, ich bleibe dein Freund, dein Bruder, dein Beschützer.
Er hielt sie in seinen Armen und sah in ihr lächelndes, neu belebtes Gesicht. Unter seinen Händen schlug ihr Herz, seine Finger strichen leise über die seidenweichen reichen Flechten, und seine Lippen neigten sich zu ihren Lippen nieder.
Plötzlich fuhr sie mit einem Schrei auf und stand auf ihren Füßen, Marstrand folgte ihren Augen; oben auf der Spitze der Klippe erblickte er Björnarne, der unverwandt herübersah und dann hinter den Steinen verschwand.
Er kommt die Stufen herauf, sagte Gula hastig. Lebe wohl, Herr, wo du sein magst, sei Gott mit dir! Und ehe er es hindern konnte, lief sie auf dem äußersten, abschüssigsten Grat des Felsen hin, kletterte und sprang von Stein zu Stein und gelangte so auf einen der Absätze der Klippenwand, der auf jähem Pfad zum Ufer des Fjord führte.
Angstvoll sah ihr Marstrand nach und blieb stehen, als er Björnarne's Schritte hörte, der in der nächsten Minute bei ihm war.
Wo ist sie? fragte dieser finster umherschauend.
Dort, erwiderte Marstrand, indem er auf die fliehende Gestalt deutete.
Und du, fuhr Björnarne fort, schnelle drohende Blicke auf ihn richtend – was thatest du mit ihr?
Du fragst in einer Weise, daß ich mich weigern muß, dir Antwort zu geben, sagte der Junker stolz.
Antworte! schrie Björnarne, die Fäuste ballend, und seine Augen wurden weit und glühend. Ich sah sie in deinem Arm. Wie 153 war es möglich? Was sagtest du ihr? Was logst du ihr? Schande über dich, daß du das gethan!
Du bist von Sinnen! antwortete Marstrand, was berechtigt dich meine Ehre anzutasten?
Ist es mit deiner Ehre verträglich, fragte Björnarne, einem Mädchen nachzustellen, das unter meines Vaters Schutz steht – unter meinem Schutz, Johann Marstrand? – Und wärst du eines Königs Sohn, du solltest keinen Finger nach ihr ausstrecken, oder glaubst du, weil ein Lappe ihr Vater ist, darfst du es wagen? Wisse, daß ich nicht ruhen, nicht rasten will, bis ich Rache genommen an dem, der Gula verderben möchte.
Ich würde mich mit dir dazu verbinden, sagte Marstrand, so ruhig er vermochte.
Björnarne blickte ihn forschend an. Was willst du denn? rief er nach einem Schweigen. Willst du mich glauben machen, du könntest dich so weit vergessen, Gula zu deinem Weibe zu nehmen? Du kannst es nicht, denn du mußt ein Weib haben, das in diesem fremden Lande deine Wohlfahrt sichern hilft, und du willst es nicht, denn du bist ein zu verständiger Mann, der überlegt, daß kein Mensch, so weit Finnmarken reicht, ihm dann noch seine Hand bieten würde.
Ich kann es so wenig wie du, und will es wahrscheinlich auch nicht mehr wie du es willst, war die Antwort.
Björnarne schwieg. Er ließ seine Augen langsam zu Boden sinken und sagte dann mit leiser unterdrückter Stimme: Liebst du Gula mit aller Macht, die in eines Menschen Seele ist, Johann Marstrand?
Ich liebe sie wie eine Freundin, wie eine Schwester, erwiderte der Junker. Glaube mir doch, Björnarne, daß meine Zuneigung zu diesem armen Mädchen die reinsten und besten Beweggründe hat.
Björnarne schüttelte den Kopf. Dann verstehst du das nicht, was ich dir sagen wollte, murmelte er. Aber wenn du sie nicht liebst mit einer Kraft, die nichts achtet, was auch Menschen thun mögen, warum ziehst du sie an deine Brust, warum legst du deine Arme um ihren Leib, warum küßt du ihre Lippen, und sie trinkt deine Blicke – das ist nicht recht gethan! Und warum, Johann, sage mir das, warum duldet sie es von dir, und ich – ich darf sie nicht berühren!
154 In diesem Augenblicke wurde Marstrand zur Gewißheit, was er bisher nur geahnt hatte. Er faßte den Arm seines Freundes und sagte bewegt: Du liebst sie, Björnarne! Reiß diese Liebe aus mit allen Wurzeln!
Sage, ich soll den Kilpis auf meine Schultern nehmen und ihn in's Meer stürzen; sage, ich soll die Tanne hier mit ihren Wurzeln ausreißen, die in Felsenadern sich festgeklammert hat, antwortete Björnarne heftig. Sprich nicht zu mir, ich weiß Alles, was du sagen kannst. Mein Vater würde mich eher von einem Hai verzehrt sehen, ehe er Gula meinen Ring ansteckte; die mir die Nächsten sind, würden mich anspeien, meine liebsten Freunde mich von sich stoßen, wie Einen, den die Pest ergriffen hat, und der ärmste Knecht würde seine Thür vor mir zuschlagen. – Du siehst, ich weiß Alles und dennoch – er legte die Hände über seine Stirn und murmelte, was er weiter sprach, unverständlich in sich hinein.
Sie schwiegen Beide. Endlich sagte Marstrand: Weiß Gula von deiner Zuneigung für sie?
Frage sie, Mädchen wissen viel, erwiderte er – doch nein, sie soll es nicht wissen. Jahre lang habe ich mit ihr in dem Hause dort gelebt, habe sie aufwachsen sehen; Niemand war ihr näher als ich. Ich ging und ich kam ohne Sorgen, jetzt erst, wo es anders ist mit ihr, bin ich selbst anders geworden. Sie war wie ein Kind froh und vertrauensvoll, jetzt zittert sie vor meiner Stimme – nicht vor deiner Stimme, Johann, nicht vor deinen Armen, nicht vor Ilda, aber vor mir, der ich hinauf rennen könnte in die Wüste, wohin sie wollte.
Bewahr' dich Gott vor solchen Gedanken! rief Marstrand erschrocken aus. Ich sehe es klar, Gula ahnet, was in dir vorgeht, und verständig, wie sie ist, sucht sie dich zu heilen. – Er zog Björnarne auf die Bank nieder und sprach lange mit ihm, indem er alle Beredsamkeit anwandte, um ihn zu überzeugen, daß er eine so thörichte Leidenschaft um jeden Preis von sich wenden müsse. Nach und nach schienen seine Gründe auch Eingang zu finden; Björnarne hörte still nachdenkend zu, bis er endlich den Kopf aufhob und mit neuer Heftigkeit sich widersetzte.
155 Alles, was du sagst, ist wahr, sprach er, aber ist sie nicht gut und schön, und hat sie den Menschen, die sie verachten, je Anderes als Gutes gethan? Sie gehört zu einem schlechten Volke, aber mein Vater, so hart er ist, hat sie dennoch lieb. Und glaubst du nicht, Johann, daß es ein Mittel gibt, ihn zu erweichen, oder wenn er hart bleibt, gibt es nicht ein anderes Mittel, das zum Glück führt?
Ich sehe nur das eine Mittel, erwiderte Marstrand, Gula ihrem Vater zurückzugeben, der das nächste Recht auf sie hat.
Zurückgeben? Ihm?! schrie Björnarne empört. Soll sie umkommen im Elend? Sie zittert vor der Gamme und vor dem schändlichen, alten Hexenmeister.
Wie, sagte Marstrand, du bist voll Abscheu gegen Afraja und denkst doch daran, mit seiner Tochter einen Liebesbund zu knüpfen?
Was hat seine Tochter mit ihm zu schaffen? antwortete Björnarne rauh. Sie ist ein Wesen von anderer Art wie alle diese schmutzigen ekelhaften Thiere. Aber Afraja selbst ist eitel. Er ist alt und reich; er kann Silber aus seinen Höhlen graben, so viel, daß zwölf Rennthiere es kaum tragen mögen. Muß ich hier bleiben am Lyngenfjord? Gibt es keinen andern Platz im Lande? Kann ich nicht fort gehen in den Süden nach Dänemark oder Schweden? Nach Island hinüberschiffen oder nach den Schettlandsinseln, wenn es sein muß, und dort wohnen? – Er blickte lauernd Marstrand an, als wollte er sehen, was dieser dazu sage.
Ich fürchte, lieber Björnarne, erwiderte sein Freund, daß dein Plan schon darum nicht gelingt, weil Gula nicht darin willigen würde.
Nicht? rief er mißtrauisch und heftig – woher weißt du das? Sie wird wollen und soll wollen. Ich kann sie zwingen!
Zwingen, Björnarne? Ein Weib zwingen? Gewalt brauchen? sagte Marstrand, schäme dich vor solchen Gedanken. Könnte ich Alles, was du sagst, für Wahrheit halten, ich würde nicht anstehen, deinen Vater zur Hülfe zu rufen. Aber das ist dein Plan nicht und kann dein Werk nicht sein. – Er blickte ihn durchdringend an und fragte dann leise: Weiß Paul um den Zustand deiner Liebe?
Björnarne sah vor sich hin und schüttelte den Kopf. Paul weiß nichts, erwiderte er, er sagte mir nur, daß du Gula mit geheimen 156 Blicken verfolgtest und wohl im Stande seiest, an ihres Vaters Silber zu denken.
Und er hat dadurch dein Blut in Bewegung gebracht und sein Gift in dein Ohr geträufelt, war Marstrand's Antwort. Raffe dich auf, Björnarne, wirf alles Blendwerk von dir und vor allen Dingen, traue dem nicht, der in dieser üblen Sache dir mit üblem Beistand dienen will.
Du willst mir nicht dienen? sagte Björnarne, vor sich hin blickend.
Nein, erwiderte Marstrand. Wenn ich dem folgen wollte, was ich für dein Bestes halte, würde ich heut' noch deinem Vater Alles entdecken.
Mich verrathen! rief Björnarne, dessen Gesicht sich dunkel färbte. Dann müßte ich meines Vaters Haus noch heut' verlassen, für immer!
Du schämst dich also, sagte Marstrand, du fürchtest die Entdeckung. Ich bitte dich, Björnarne, laß ab von einem Irrsinn, der dich verderben muß.
Er sprach von Neuem zu ihm von seines Vaters Kummer und Zorn, der keine Mäßigung kennen würde, und diesmal hörte Björnarne ruhig zu, ohne ihn zu unterbrechen. Nach und nach schien er zu überlegen und dem Freunde Recht zu geben.
Ich sehe, sagte er ruhiger, daß du mein Bekenntniß vielleicht zu ernsthaft nimmst, und mir ist, als erschrecke ich selbst davor, nachdem du mir die Folgen so eindringlich entwickelt hast. Ein Faktum, wie mein Vater sagt, ist nur, daß Gula's Benehmen mich beunruhigt und kränkt und daß ich in Stunden, wie diese, wo mein Blut heiß geworden ist, es um so schwerer empfinde, daß es dies Mädchen mir angethan hat. Warum soll ich nicht sagen, daß ich sie lieb habe und für sie das Aeußerste thun könnte? Indeß habe ich es noch nicht gethan, auch sehe ich die Thorheit wohl ein, die mich fortreißen könnte, wenn Gula ihre Hand dazu böte.
So höre ich dich gern reden, erwiderte Marstrand halb gläubig. Wenn Gula nicht mehr in deiner Nähe ist und deines Vaters Worte zutreffen, wenn er für dich eine wackere, schöne und feine Jungfrau auswählt, wird sich Alles zum Besten wenden.
157 Bah! sagte Björnarne finster lächelnd, indem er sich das Haar aus der Stirn strich und seinem Gesicht den Ton gutmüthiger Offenheit gab; ich weiß, worauf mein Vater zielt und will es abwarten. Nur um Eines bitte ich dich, Johann. Was du gesehen und gehört hast, war das Ergebniß eines heftigen Schmerzes, der mich ergriffen hatte, ich weiß selbst nicht, wie es kam, die Stunde ist vorüber, sie soll nicht wiederkehren. Gula hat Recht, wenn sie mich flieht, ich muß sie loben. Ich werde Zeit haben, noch mehr darüber nachzudenken, doch versprich mir, Niemandem etwas mitzutheilen. – Marstrand versprach es und Björnarne stand auf. Du gehst morgen nach Bergen, sagte er, und wirst in sechs Wochen frühestens zurück sein können. Wenn du wiederkehrst, wirst du finden, daß sich Vieles geändert hat, und wenn du dann noch der Meinung bist, daß Gula uns verlassen muß, will ich selbst meinen Vater dazu bestimmen. Jetzt laß uns zurückkehren, wir wollen versöhnt scheiden.
Marstrand hielt es für das Beste, auf diesen Vertrag einzugehen, und beide junge Männer stiegen den Felsenpfad hinab. Björnarne sprach von der Yacht, von der Reise, von den Freunden in Bergen und daß der Wind in dieser Jahreszeit gewöhnlich ein anhaltender Südost sei, der die günstigste und schnellste Fahrt verbürge, bis er plötzlich am letzten Vorsprunge still stand und auf den Gaard niedersah, in dessen Nähe sie sich befanden. Marstrand errieth sogleich die Ursache. Auf dem kleinen Vorplatz standen drei starkgebaute, hirschartige Thiere, mit breiten gabelförmigen Geweihen, die er ohne Weiteres für Rennthiere erkannte, obwohl er noch keine gesehen hatte. Sie fraßen von dem kurzen Grase, auf ihren breiten Rücken lagen Packsättel; die Schellen an den schlanken Hälsen klangen lustig herauf. Auf der Bank an der Thür aber saß Paul Petersen und vor ihm stand ein Mann in einem braunen Ueberwurf, einen breiten Gurt um den Leib und einer hohen, spitzen Mütze auf dem Kopfe, von der eine Anzahl langer, weißer und schwarzer Federn im Winde schwankten. Es war ein Lappe, das war gewiß, und auf Marstrand's Frage sagte Björnarne: Ich kenne ihn, er heißt Mortuno und ist der Schwestersohn und Liebling Afraja's. Was will der Bursche hier mit seinen Thieren? Es ist ein häßliches aufgeblasenes Geschöpf, das sich große Dinge einbildet. Komm schnell 158 hinunter, wir müssen sehen, was es gibt. Umsonst ist er sicher nicht gekommen, der Alte hat ihn hergeschickt, um nach Gula zu sehen.
Er eilte voran und als Marstrand den Platz erreichte, schallte ihm das laute Gelächter des Schreibers entgegen. – Das ist etwas für Sie, schrie ihm Petersen zu; hier haben Sie einen neuen Beweis für die ausgezeichneten Eigenschaften unserer lieben Brüder, die sich mit der Pflege des Rennthiers beschäftigen. Ich stelle Ihnen den jungen Herrn Mortuno vor, Neffe des weisen Oberhauptes eines Reiches, dessen Grenze noch Niemand gefunden hat. Er vereinigt den Künstler, Dichter, Sänger und Zitherspieler in seiner werthen Person, ist ein Jäger wie Nimrod, ein liebenswürdiger Adonis, der alle Herzen bezaubert, ein junger Edelmann aus den Bergen, der durch Glanz und Anmuth jeden Nebenbuhler besiegt.
Der Lappe hatte sich nach Marstrand umgesehen und lachte zu den Lobsprüchen, die ihm ertheilt wurden. Sein Gesicht war ein ächt nationales, mongolisch breit und flach mit starken Backenknochen, einer niedrigen Stirn und hoch gestülpter kleiner Nase, aber er hatte lebhafte Augen, deren durchdringender Blick feurig und forschend war. Sein ganzes Ansehen zeugte von Kraft, Gesundheit und Gelenkigkeit, und die Sorgfalt, welche er auf seinen Ausputz gewendet, rechtfertigte die Spöttereien des arglistigen Schreibers. Der Gürtel von grünem Leder mit Silberschnallen und bunter Stickerei, dies Prachtstück lappischer Modesucht, hielt seinen kräftigen Wuchs zusammen. An diesem Gürtel hing eine Tasche, von den Federn verschiedener seltener Vögel gefertigt und fächerartig kunstvoll nach Färbungen und Schattirungen zusammengesetzt; endlich waren seine Schuhe oder Komager von feinster Art mit rothen und grünen Fäden in artigen Arabesken durchzogen, die sich an seiner Mütze in derselben Weise wiederholten. Glänzend schwarzes, überaus reiches Haar quoll in gedrehten Locken an beiden Seiten des Kopfes darunter hervor. Die Mütze saß kühn auf seinem Kopf und der Strauß von Adlerfedern und den langen Schwungfedern großer Seeraben, machte seinen Anblick romantischer.
Marstrand konnte sich einer Vergleichung dieses stattlichen Burschen mit den Gestalten der Umstehenden nicht verwehren, die sehr zu Mortuno's Vortheil ausfiel. – Der riesenhafte Olaf in seiner Knopfjacke und gewaltigen Fischerstiefeln so wenig, wie Björnarne 159 oder Paul Petersen im friesgefütterten Rock waren im Stande, sich mit ihm zu messen, und schon in den nächsten Minuten zeigte es sich auch, daß dieser verspottete Sohn der Wildniß vor den geistigen Fähigkeiten seiner Widersacher sich nicht zu fürchten brauchte. Ohne Verlegenheit gab er seine Antworten in norwegischer Sprache und vergalt Scherz mit Scherz in einer Weise, die Marstrand's Beifall erhielt.
Meine es mit deinem Lobe wie du willst, sagte er zu Petersen, ich werde es annehmen, wie es gegeben wurde. Du nennst mich einen Dichter und Sänger, und sagst die Wahrheit. Besuche mich in meiner Gamme, und ich will ein Lied zu deinem Empfange machen, das dich befriedigen soll.
Windiger Skalde, erwiderte der Schreiber, ich lade dich nach Tromsöe ein, wo du, wie ich hoffe, eines Tages mir deine poetischen Ergüsse weit besser in einem festen Hause, als in dem luftigen Zelte widmen kannst.
In Euern Häusern und Städten, antwortete Mortuno, habt Ihr es verlernt, Skalden zu sein. Ihr fangt Fische und preßt deren fette Lebern aus, dabei vergeht Euch die Dichtkunst. Lebtet Ihr wie wir auf den Bergen, jagtet Ihr den gelben Wolf, folgtet Euren Thieren durch die Birkenwälder und lagertet mit ihnen an kühlen Quellen, so würdet Ihr vielleicht weniger Geld, aber mehr lustige Gesichter und frohe Lieder haben.
Wenn du so viel Freude und Genuß in deinen Sümpfen hast, fiel Björnarne ein, warum bist du bis zu uns heruntergestiegen?
Weil ich Sehnsucht nach dir hatte, sagte der junge Lappe lächelnd, und weil ich weiß, daß der alte Vater Helgestad es gern sieht, wenn ich komme, fügte er hinzu, als er merkte, daß bei dem Gelächter der Anderen Björnarne's Stirne finster wurde.
Es war nicht zu bestimmen, ob sich der kecke Halbwilde wirklich herausnahm, die stolzen Normänner zu verspotten, aber Olaf legte seine markige Hand auf Mortuno's Schulter, schüttelte ihn ein paar Mal hin und her und drehte ihn dann zur großen Belustigung der Zuschauer im Kreise herum.
Laß mich sehen, wie du aussiehst, schrie er ihm zu. Du bist ein Possenreißer, wie ich merke. Wir hatten einen Lappen in Bodöen, der Nachtwächter war und in die possierlichste Wuth gerathen konnte, wenn 160 er gehörig bearbeitet wurde. Jetzt ist er todt; ich könnte dich in sein Amt einsetzen und dir damit einen anständigen Rock und eine Mütze von Otterfell verschaffen. – Er drückte zugleich die spitze Federmütze auf Mortuno's Kopf so unbarmherzig zusammen, daß sie diesem bis über Augen und Nase hinabfuhr, und erst nach einiger Mühe konnte sich der Angegriffene davon befreien. – Die rohe Gewalt dieses Spaßes regte Marstrand auf, ehe er jedoch ein Wort der Mißbilligung sagen konnte, das schwerlich wohl aufgenommen worden wäre, sah er den Lappen in das Gelächter mit einstimmen, das auf seine Kosten sich erhob. – Danke dir, Herr, rief er mit einigen komischen Verbeugungen, danke dir für deine Güte. Ich will für dich wachen spät und früh, und meine Augen sollen nicht müde werden, dir alle Dienste zu leisten, die der Zwerg Bugo dem Riesen Julpus geleistet hat.
Was ist das für eine Geschichte, du Narr? fragte Olaf.
Eine lange Geschichte, Herr, rief Mortuno, eine lustige Geschichte, ich erzähle sie dir ein ander Mal. Sieh hier, da kommen meine Freunde und bringen die Fäßchen mit Essig und Branntwein, sammt andern guten Dingen.
Zwei Lappen brachten aus dem Kramladen des Kaufmanns wirklich jetzt allerlei Vorräthe in Fäßchen und Körben, die unter Mortuno's Aufsicht und Beistand auf die Packsättel seiner Rennthiere geschnallt wurden. Zugleich trat Helgestad aus dem Hause mit Ilda, der Afraja's Tochter folgte.
Der Kaufmann sprach in freundlicher Weise zu seinem Kunden aus den Bergen, erlaubte ihm, seine Hand zu schütteln, machte ein paar Bemerkungen über Mortuno's gutes Aussehen und ließ sich von ihm Neuigkeiten erzählen. Der junge Lappe berichtete, daß er mit einer Heerde von mehr als tausend Rennthieren aus dem Innern des Landes sich der Küste genähert habe, weil bei der ungewöhnlichen zeitigen Wärme des Jahres seine Thiere unruhig wurden. Marstrand erfuhr dabei, daß das Rennthier auf seinen Herrn einen tyrannischen Einfluß übt, denn sobald der Frühling kommt, verlangt das wanderlustige Geschöpf, um vor Hitze und Stechfliegen geschützter zu sein, nach der kühlen Seeküste und läuft davon, wenn sein Wille nicht befolgt wird. Dieselbe Sehnsucht aber treibt es beim Nahen des 161 Winters vom Meere in die eisigen Alpen zurück, wohin es entflieht, sollte sein Gebieter zu lange verweilen. Mortuno erzählte, daß der Schnee größtentheils geschmolzen sei, daß der Winter mild gewesen, daß die Birken junge Reiser trieben und daß seine Heerde fett und froh über frisches Gras springe.
Und dieweil deine Rennthiere sich lustig die neue Haut anziehen, sagte Helgestad, hast du selbst die neuen Komager an deine Beine gesteckt und den Festtagsgürtel umgeschnallt.
Recht, mein alter Vater! rief Mortuno, der sich wohlgefällig beschaute. Warum soll der Mensch nicht froh sein und sich schmücken, wenn die Natur sich schmückt und seine Thiere ihm anzeigen, daß ein gutes Jahr ihn erwartet?
Bist ein Bursche, der einen Gran Verstand mehr in seinem platten Schädel hat, wie Viele, habe es immer gesagt, erwiderte Helgestad. Müßt wissen, Herr Marstrand, Mortuno kommt jeden Sommer mit seinen Thieren hier herunter und läßt sich dann und wann bei uns sehen. Ist ein flinker Schelm, der feine Gaben besitzt und den Dirnen in den Gammen zu schaffen macht, wenn er auf Besuch ausgeht und seine Mütze auf's rechte Ohr setzt.
Der Lappe schien von diesem Lob sehr geschmeichelt zu sein. Seine Augen drückten lebhaftes Vergnügen aus, er riß den Mund lachend auf und gab wiederholt Anlaß, seine Eitelkeit noch mehr zu verspotten.
Und was zum Henker! rief Helgestad endlich, willst du mit der hübschen Federtasche thun? Will sie dir abkaufen, Mortuno. Ist eine wackere Arbeit daran, kann auf den Lyngenmarkt gebracht, seine vier Species werth sein.
Ich will sie nicht verkaufen, sagte der junge Lappe, während er die prächtige Tasche von seinem Gürtel losmachte.
Willst nicht, du Dummkopf? antwortete der Kaufmann. Gebe dir fünf, gebe sechs harte blanke Thaler. Ist ein Prachtwerk, Herr Marstrand, können die Lappen es allein so machen. Willst nicht? fuhr er fort; hast ein Schätzchen, du Sohn von einem Wolf, die es um den braunen Hals hängen soll? Oder ha! merke es, du Dieb! hast es für Gula mitgebracht, aus alter Liebe und Zärtlichkeit.
162 Mortuno verneinte alle diese Fragen mit Gelächter und der kindischen, dünkelvollen Lustigkeit, die seinen Stamm den Norwegern so verächtlich macht. – Wenn ich ein Mädchen haben will, rief er prahlerisch, brauche ich keine Federtasche. Fünf, zehn, zwanzig kommen, wenn sie meine Stimme hören. Gula aber hat kein Recht darauf. Mag sie ein Fischnetz an ihre Schürze hängen, wenn sie eine Tasche braucht.
Willst nichts mehr von ihr wissen, weil sie von dir nichts wissen will? schrie Helgestad, beifällig grinsend. Hast Recht, mein Junge, such' Eine, die es dir besser lohnt. Bist ein verständiges Geschöpf. Schau her. Sechs neue Species, suche dir die blanksten aus.
Die Gier nach dem Besitz der Tasche war in Helgestad erwacht, und später lernte Marstrand erst kennen, daß diese zierlichen Federarbeiten, welche bis auf die Märkte von Tronthjem und Bergen gelangten und von dort oft selbst nach London und Paris wanderten, sehr theuer bezahlt wurden. In Nordland und Finnmarken waren Federtaschen und Kragen der höchste Putz für die vornehmsten und reichsten Frauen; der alte geizige Speculant wurde daher auf's angenehmste überrascht, als Mortuno mit mehr Galanterie als ihm zuzutrauen war, die kostbare Spielerei Ilda überreichte.
Gefällt sie der Jungfrau? fragte er, die Tasche hin und herdrehend, daß das Licht darüber hinlief.
Sie ist sehr schön, sagte Ilda.
Es ist eine Brauttasche, wie so leicht Keine sich solche verschaffen kann, fuhr Mortuno stolz fort. – Nimm sie, Jungfrau, und trag sie, der arme Mortuno bittet dich darum.
Ilda würde sich vielleicht geweigert haben, aber Helgestad machte allen Bedenklichkeiten ein Ende. Er bemächtigte sich des Geschenkes und drückte seinen Dank dadurch aus, daß er den Lappen herzhaft schüttelte und ihm seine Flasche zu füllen gelobte, was Mortuno großmüthig ablehnte.
Auch gut, lachte der Kaufmann, machen es ein andermal zwischen uns ab, oder schreiben es auf's Kerbholz für die schlechten Streiche deines Herrn und Meisters. Wo ist der alte Höllenbrand Afraja? Hast ihn bei deiner Heerde, oder spionirt er anderswo herum?
163 Ich weiß nichts von ihm, war Mortuno's Antwort. Als ich ihn zum letzten Mal sah, war ich tief in den Jauren in der Tana, wo er mit dem guten Vater Hornemann in seinem Zelte saß.
Hat der ihn aufgefunden? rief Helgestad. Nuh, wird ein wackerer Bericht werden, den der Priester diesmal nach Kopenhagen schickt. Werdet auch darin paradiren, Herr Marstrand, denke aber können's ertragen.
Er lachte spottend auf, und da Mortuno mit seinen Rennthieren fertig war, gab er ihm eine letzte Ladung lustiger Abschiedsbemerkungen mit auf den Weg, die den Lappen lächerlich machten, von diesem aber ebenso dankbar angenommen wurden, wie Olaf's handgreifliche Grobheiten.
Die Uebrigen drängten sich um den armen Burschen, denn jeder hatte noch eine Witzelei anzubringen. Der Eine überbot den Andern an boshaftem Spaß, und den versammelten Gaardleuten, Fischern, Weibern und Kindern, war der gequälte Mortuno ein Gegenstand der angenehmsten Unterhaltung. Wie flink er sich auch drehte und seine gute Laune den Ausfällen entgegensetzte, so mußte doch Ilda sich endlich seiner annehmen und ihn vor roheren Angriffen dadurch schützen, daß sie ihren Vater aufforderte, sich in's Mittel zu legen.
Laßt ihn fort, laßt ihn ziehen! rief Helgestad. Mortuno, mein Junge, bist ein Juwel, begreifst den Spaß und lachst mit. Komm wieder, wollen dir mehr davon geben und bring' eine neue Federtasche, sollst dieselbe Bezahlung dafür haben.
Danke, Vater, erwiderte Mortuno, unter dem schallenden Gelächter, ich hoffe dir noch manche Freude zu machen – aber meine Mütze ist zerrissen.
Laß sie mit lappischem Zwirn, mit Rennthiersehnen, von deiner lieblichen Braut zurecht sticken, rief Petersen.
Und meine Federn sind zerknickt, fuhr Mortuno fort.
Da oben fliegt ein Adler, hole dir neue, schrie Olaf.
Mortuno faßte sein Gewehr und seine Blicke zuckten nach oben. Die Rennthiere und ihre Führer hatten sich auf den Weg gemacht und stiegen jenseits des Grundes an den Felsen hinauf. – Lauf, was du kannst, ihnen nach, du Narr, schrie der Nordländer, und verknalle dein Pulver nicht.
164 Statt der Antwort legte Mortuno seine Büchse an, im nächsten Augenblick donnerte der Schuß und aus der Höhe stürzte der Vogel köpflings fast zu den Füßen des Schützen herunter. Es war ein großer Fischadler, die Kugel ihm mitten durch den Körper gegangen. Das Gefühl der Bewunderung über solche Kunst und Sicherheit brachte ein allgemeines Schweigen hervor.
Hätte ich es nicht gesehen, sagte Olaf, ich würde es nicht glauben, obgleich ich weiß, daß die Tagediebe schießen können.
Nachtwächter sollst du nicht werden! rief Petersen, aber zu meinem Leibjäger will ich dich machen.
Mortuno hatte dem Adler ein paar der größten Federn ausgerissen und an seiner Mütze befestigt. Gut, Sorenskriver, grinste er, ich will dein Jäger werden, will mit dir jagen. Bis ich dir Besseres geben kann, nimm dies! Und den Vogel gegen die Füße des Schreibers schleudernd, floh er über den Platz hin mit einem gellenden Schrei, seinen Gefährten nach.
Mehrere der Gaardleute liefen hinterher, doch wenn Helgestad's Gebot sie auch nicht zurückgerufen hätte, würden sie ihn schwerlich eingeholt haben, denn der Lappe sprang gemsenartig über die Steine fort und kletterte an der Schlucht hinauf, wo er nach wenigen Minuten seine Mütze schwenkte und sein Hohngelächter hören ließ.
Laßt den Affen laufen, sagte Helgestad. Ist bei allem Spaß darüber immer ein übel Ding, zu sehen, wie ein Geschöpf Gottes mit Menschengestalt begabt, so weit unten steht, daß es uns Spott und Verachtung erregen kann.
Dennoch ist das ein Bursche, dem man zeitig die Nägel beschneiden muß, meinte Petersen. Das boshafte Thier wird sicher bald einmal unter meine Finger kommen, wo ich ihn meine blutigen Strümpfe waschen lassen will.
Der todte Adler hatte Petersen's Beine übel zugerichtet und auf seine Kosten wurde darüber gewitzelt, bis endlich Helgestad die ganze Gesellschaft zum Abschiedsmahle in's Haus rief, denn mit dem ersten Tagesgrauen trat die Ebbe ein und mit ihr sollte die Yacht den Fjord hinunterschwimmen.
Die Schaffner und Gehülfen im Gaard nahmen heute Theil an dem Mahle und auf glückliche Reise und gute Geschäfte wurde von 165 allen Seiten angestoßen. Die Fröhlichkeit führte endlich zu Gesang, dem ein Tanz folgte. Alt und Jung war auf den Beinen und Ilda mußte mit Petersen unter allgemeinem Jubel einen Hallingtanz machen, zu welchen ein paar Pfeifen der Gaardmänner gellend aufspielten. Marstrand war jetzt wohl der Einzige, der die allgemeine Lustigkeit nicht im gleichen Maße theilte. Er hatte einen für ihn in mancher Beziehung bedeutungsvollen Tag erlebt und machte vergebene Versuche, Gula noch einmal zu sprechen. Björnarne's Augen waren immer auf ihn gerichtet, Petersen hängte sich ihm an, oder Ilda trat ihm in den Weg. Es war, als hätten sich Alle verabredet ihn zu bewachen, um ihn endlich an Helgestad abzuliefern, der ihn mit Plänen und Speculationen, guten Lehren und pfiffigen Rathschlägen festhielt, bis zum letzten Glase.