Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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16.

Marstrand hatte in den nächsten Tagen vollauf zu thun, um sich in seiner einsamen und doch so geräuschvollen Thätigkeit wieder einzuleben. Er fand daß Olaf wacker und praktisch gearbeitet hatte. Das Packhaus stand fertig da, das Wohnhaus war aufgeräumt und der innere Ausbau vollendet, allerlei wirthschaftliche Gegenstände hatte der Freund angeschafft und was an Waaren und Vorräthen vorhanden 369 war gut geordnet. Mit dem übrigen Kram, wie es Olaf nannte, hatte er sich nicht eingelassen, weil jeder Narr seine Kappe selbst tragen oder zerreißen soll. Marstrand lachte dazu, allein als er nach den Arbeiten sah, fand er, daß seine Abwesenheit diese nicht eben gefördert hatte. Die Sägemühle war noch immer nicht fertig und seine Anordnungen waren schlecht befolgt worden. Seine Verbesserungsvorschläge stießen auf Widerspruch, die Handwerker glaubten fest, es gehe nur so, wie sie es herkömmlich gelernt hatten; aber eben das Herkömmliche wollte in dem besondern Falle nicht passen. Mit großer Mühe und noch größerer Geduld suchte der Gaardsherr seinen Willen durchzusetzen, und nur indem er selbst Hand anlegte und vom Morgen bis zum Abend thätig dabei war, gelang es ihm zuletzt, sein Werk in den rechten Gang zu bringen. Mit mechanischem Geschick hatte er Mittel erfunden, seine Mühle weit zweckmäßiger einzurichten, wie es hier Sitte war und zufällig hatte er einige Kenntnisse der Holzbehandlung aus den großen Schiffswerften und Holzlagern seines Vaterlandes mitgebracht. – Die nordischen Arbeiter hatten über den Dänen gespottet, der alle Weisheit in seiner Tasche haben wollte, jetzt sahen sie mit halbgläubiger Verwunderung, daß wirklich sich der Block der Säge entgegenschieben konnte, daß Alles sich mit einigen Drehbolzen und Zapfen weit leichter regieren lasse und mit einem gut gestellten Zahnrade mehr gehoben und gewendet werde, wie zwölf Männer vermöchten.

Das war ein Erfolg, der Marstrand mit den freudigsten Hoffnungen erfüllte. Alle Proben fielen glücklich aus; er hatte den Kopf voller Entwürfe und wünschte Helgestad wäre gleich zur Stelle, um sein Werk anzusehen. Jetzt fehlte nichts Bedeutendes mehr, denn was noch fehlte, schien überwunden, es war leicht, die Spötter und Verächter zu demüthigen. – Wie er vor seiner Arbeit stand, sah er, was diese schon in den nächsten Jahren werden konnte, und als er durch die kleinen Thäler ging, welche ihm gehörten, dachte er stolz daran, was sich dort schaffen ließ, wenn er sie mit fleißigen Kolonisten besetzte. Damals gerade wanderten viele Finnländer von Osten her in das menschenleere Land und brachten ihre Liebe zum Ackerbau und ihre rastlose Thätigkeit mit. In Nordland war der Versuch gemacht worden, Kolonien in öden Gegenden zu gründen, welche bald sich 370 dankbar lohnend erwiesen und Olaf wollte solche Kolonisten herbeischaffen, die nach seiner Meinung hier die besten Plätzchen in ganz Finnmarken fänden.

Mit solchen Hoffnungen kehrte der junge Ansiedler nachdem eine Woche vergangen war, von seinem Spaziergange zurück und höher schlug sein Herz als er vor seiner Thür schon in der Ferne eine kleine Caravane erkannte, die so eben dort anlangte. Er erblickte Helgestad, Paul Petersen, welcher Olaf die Hand schüttelte, und den ungeschlachten Egede, der bei den Pferden stand und seinen Hut zur Bewillkommnung mit einem weithallenden Hurrah schwenkte. Marstrand eilte, daß er zu seinen Gästen kam. Mit herzlichen Grüßen hieß er sie willkommen und in seiner Freude nahm er Keinen aus, selbst den Schreiber nicht, der sich hastig umwandte, um sein Gesicht ernsthaft zu erhalten.

Schön ist es, Herr Helgestad, und ich dank' Euch herzlich dafür, daß Ihr es so bald wahr macht, und mich am Balsfjord aufsucht, rief Marstrand. Setzt Euch, ich will sehen, was ich im Hause habe. Mittag ist lange vorüber, aber was die Speisekammer hat, soll herausgeholt wurden.

Nuh! rief Helgestad ihm nach, wird wenig genug sein. Ist Olaf dabei mager geworden. Denke ja, ist's nicht so?

Mit seiner Witzelei verband er einen Schlag auf die Schulter des Nordländers, der in Wahrheit magerer und faltiger aussah wie in früherer Zeit am Lyngenfjord, und keine Lust zu haben schien in das Gelächter einzustimmen.

Bewahr' uns! rief der Kaufmann, siehst so sauer aus, wie eine unreife Gurke in Ilda's Topf. Bring' dir Grüße von ihr wie von Allen, und laß dich nicht länger hier, wo's schmale Brocken gibt. Hat Ilda eine tiefe Sehnsucht nach ihrem Ole; wird nicht ruhen und rasten mit frischem Syld und süßen Hafersuppen, bis er wieder voll und dick in seinem Rock steht.

Wenn sie das kann, sagte Olaf, so mag sie an Paul die Probe machen.

Helgestad zog den Finger über seine Nase und sah mit listigen Blicken nach dem Schreiber hin, der freilich dünn genug war. – Nuh! schrie er dann, könnte der in allem Fett gebraten werden, das von den Lofoden kommt, würde dennoch Nichts an seinen Rippen und 371 Backen sitzen bleiben. Ist eine andere Sache mit dir, Ole. Bist aus dichterem Stoff gemacht; hast junges, festes Fleisch wie ein Hirsch und war dein Gesicht immer ein wohlgefälliges, das die Mädchen zum Seufzen brachte.

Helgestad wußte, daß er die beiden Männer ärgerte und er ergötzte sich heimlich eben so sehr an Paul's verstellter Lustigkeit, wie an Olaf's finsterem Brummen. Er grinste und betrachtete sie, bis er dem Nordländer zunickend fortfuhr: Hast gehört, Ole, daß am Michaelstage Hochzeit in Oerenäesgaard sein wird?

Habe es gehört, war die Antwort.

Kann Ilda die Zeit kaum erwarten, sagte Helgestad.

Glaube es nicht, sagte Olaf, indem er sich umdrehte und fortgehen wollte.

Helgestad hielt ihn fest, ohne von seinem Sitze aufzustehen. – Nuh! rief er, wärst mir recht gewesen, wenn Ilda gesprochen hatte, mag keinen Andern wie Den, Vater. Hat aber nichts davon hören lassen. Denke nun, weißt was sich schickt, Ole.

Ich weiß, was sich für mich schickt, erwiderte Olaf Veigand. Es schickt sich das Nachhausegehen und ehe Michaelstag kommt, werde ich in Bodöen Schnepfen schießen.

Ist richtig! fiel der Kaufmann ein; sind die Schnepfen da die besten in der ganzen Welt, fett und groß wie Enten. Habe mit deinem Vater mehr wie eine verzehrt, Ole, war mein Freund, so lange er lebte, und deine Mutter verstand sie zu braten.

Kommt, wenn Ihr wollt, murmelte der junge Mann, meine Thür wird offen sein.

So meine für dich, antwortete Helgestad. Oerenäesgaard wird bleiben was es ist, wird jeden Freund willig aufnehmen. Ist Björnarne dein Genosse von jung auf, wirst ihn nicht verlassen wollen, Ole.

Werde es nimmer thun, erwiderte der Nordländer, aber mit dem da – er deutete, indem er rasch den Arm hob und den Finger ausstreckte, auf den Schreiber – mit dem falschen Mann will ich Nichts zu thun haben.

Paul, der schweigsam zugehört hatte, zuckte lächelnd die Schultern. Du bist ein alter Berserker, sagte er, der Nichts sieht und Nichts hört, von Jedem sich benutzen läßt, der es versteht, und für ihn wie 372 ein getreuer Knecht in's Feuer läufst, ohne zu achten, ob du dich verbrennst.

Schweig! rief Olaf finster blickend. Du lügst!

Ich denke, fuhr Paul fort, du wirst zu Verstand kommen, vielleicht ehe du es glaubst.

Willst also nicht mit uns? fragte der Kaufmann.

Nein!

Nuh, so bleib'. Hast in Bodöen kein großes Gut, das dich ruft. Will dich einsetzen auf dem neuen Gaard, sollst ihn hüten und verwalten und sollst zufrieden mit mir sein.

Olaf sah ihn groß an. Was soll's? fragte er rauh.

Wirst es hören, antwortete Helgestad.

Laßt mich vorher ein Wort mit ihm reden, fiel Paul ein. Ich will ihm die Augen öffnen, daß er sehen lernt.

Marstrand trat wieder in die Stuga, und ihm folgte eine Magd, die herbeischaffte, was zu haben war. Die Reste einer Hammelskeule wurden auf den Tisch gesetzt, ein Stück schwarzes Brod daneben aufgepflanzt, und Marstrand entschuldigte sich, daß er nicht mehr zu bieten habe. Er verhieß einen guten Kaffee.

Ist kurios! rief Helgestad lachend, habt Wild hier genug, Vögel mancher Art, auch Hasen und ander Gethier, dazu das Meer voll Fische, die bis an Eure Schwelle schwimmen, sieht aber doch elend in Eurer Küche aus. Seid ein Hans Ohnesorge wie ich sehe, will hoffen, habt das Sorgen auf andere Dinge gekehrt.

Wahrhaftig! antwortete Johann, ich fragte in dieser Zeit nicht viel darnach, wie mein Tisch bestellt war und Olaf hat mich nicht daran erinnert. Wir haben Beide gearbeitet vom Morgen bis zum Abend, ohne an Jagen und Fischen zu denken, inzwischen wollen wir sorgen, morgen einen guten Tag zu haben.

Wünsche es Euch! rief Helgestad, und indem er die Schüssel heranzog, nöthigte er Paul Petersen zu theilen und zuzulangen. In wenigen Minuten war das Fleisch verschwunden; die beiden Männer machten sich über das Brod.

Habt keine Butter im Hause – nicht? fragte der Kaufmann.

Marstrand mußte es zugeben.

Und kein Stück Käse? fügte Paul hinzu.

373 Es war Nichts davon vorhanden.

Ei! rief der Schreiber lachend, warum haben Sie Ihren guten Freund Mortuno nicht um einen Lappenkäse gebeten, oder seine Jagdtasche geplündert, als Sie mit ihm unter dem Felsen saßen? Hat Herr Marstrand dir Nichts mitgebracht, Olaf?

Was soll er mitbringen?

Nun, vielleicht einen neuen Hut statt deines zerschossenen. Mortuno ist ein höflicher Mann.

Ich will es ihm lehren! sagte Olaf drohend.

Schade darum, fuhr der Schreiber fort, daß er einen so großmüthigen Freund traf. Wingeborg kann es noch nicht vergessen.

Nuh! rief Helgestad dazwischen, muß sagen, Herr Marstrand, hat Euer Benehmen uns Allen wenig behagt. Hättet Olafs wegen den Schelm nicht beschützen sollen. Mußtet ihn fangen und binden helfen, damit er zu seinem Lohn käme.

Weißt du denn Nichts davon? fragte Paul den Nordländer.

Dieser schüttelte den Kopf.

Müßt einsehen, fuhr der Kaufmann fort, daß es hohe Zeit ist ein Beispiel zu geben, wird das Gesindel alle Tag frecher und unbändiger. Auch von anderen Orten kommt Klage über die Lappen. Haben am Maursund einen Mann bitter geschlagen, der ihnen verhaßt war, haben einem Fischer am Quänarnerfjord sein Haus angesteckt und sind Diebstähle begangen worden, wie sonst niemals. Lachen die Schufte auf uns herab, wenn sie auf ihren Felsen stehen, knallen mit ihren Gewehren uns um die Ohren und heulen uns Spottlieder nach. Ist alles das eine Suppe, die der Höllenkerl Afraja eingebrockt. Das alte, giftige Thier reizt die Dummköpfe auf und Mortuno ist sein bester Gehülfe. Könnte kommen, daß in einer Nacht Feuer auch in Oerenäesgaard geworfen würde und könnte kommen, Herr Marstrand, daß Lappenkugeln nicht mehr bloß durch die Hüte gingen. Ist ein tückisches, heidnisches Volk ohne Erbarmen; hassen jeden Christenmenschen und die zumeist, welche ihnen Gutes thun. Muß ein Beispiel ergehen, wenn sie wieder demüthig werden sollen. Mortuno hat Wingeborg's Hund erschossen, hat mit seiner verdammten Hand Olaf in Lebensgefahr gebracht, mußtet ihn fangen und ausliefern, statt ihm davon zu helfen.

374 Hast du ihm davon geholfen? fragte Olaf zornig.

Ich that es, sagte Marstrand. Schüttle deinen Arm nicht gegen mich, höre mich an, du hättest es auch gethan.

Er erzählte was sich zugetragen und rief endlich am Schluß lebhaft aus, als er merkte, daß alle seine Beweggründe keinen bedeutenden Eindruck auf die Zuhörer machten: Sollte ich einen Menschen vor meinen Augen von einem Elenden morden lassen? Oder sollte ich den, der sich meiner annahm, als ich verirrt und in Gefahr war, fangen und binden helfen, um ihn seinen Feinden zu überliefern? – Niemals will ich dazu meine Hand aufheben! – Ihr klagt, daß die Lappen aufsätzig werden, behandelt sie menschlich und sie werden sich fügen. Der Voigt in Tromsöe will ein Beispiel geben, es würde nur eine neue Unmenschlichkeit sein. Ich kann nichts ändern, leider kann ich es nicht, aber helfen will ich nimmermehr dabei.

Wer wird auch gegen seine Freunde wüthen wollen! lachte der Schreiber.

Ja, Herr Petersen, fuhr Marstrand mit vermehrter Wärme fort, höhnen Sie immerhin, so viel Sie mögen, ich kann es ertragen. Ich habe unter diesen tief verachteten und verfolgten Lappen bessere Männer kennen gelernt als –

Als wir sind! fiel Paul ein, auf seine Brust schlagend.

Marstrand machte eine wegwerfende, verachtende Bewegung.

Verdammt, wer eines Lappen Freund sein kann! schrie Olaf mit einem fürchterlichen Faustschlag auf den Tisch.

Helgestad stand auf und gebot Ruhe. – Junges Blut rollt immer zu rasch, weiß nie was es soll, sagte er. Laß es gut sein, ist Herrn Marstrand's Sache zu thun, was er für's Beste hält. Denken die Leute im Süden anders wie im Norden, und kommen Nord und Süd zusammen, gibt's eine Mischung, die selten aushält. Wollen gehen, Herr Marstrand, und anschauen, was Ihr geschaffen habt. Habt Euch um Haus und Wirthschaft wenig gekümmert, muß also draußen Euer Thun und Treiben um so größer gewesen sein.

Marstrand folgte ihm und er nahm alle Selbstbeherrschung zusammen, um seine Unruhe und seine bösen Gedanken zu überwinden. – Ich muß klug und vorsichtig sein, flüsterte er sich zu, muß daran denken, daß dieser Mann mein Schicksal in der Hand hat und will 375 die Warnungen nicht vergessen, die ich empfangen habe. Gutes hat er schwerlich im Sinn, sonst hätte er den Schreiber nicht mitgebracht. Doch ich denke ihn zu versöhnen. Er muß mich loben, wenn er sieht, was ich an der Balself geschaffen habe, und was ich ihm anbieten werde, wird seiner Gewinngier wohl gefallen.

So sah er denn lächelnd zu, als Helgestad in den großen Schoppen blickte, wo es noch ziemlich wüst aussah und als er brummend den Kopf schüttelte, weil der Kramladen nur ein hochaufgestapeltes Gewirr von allerhand Waaren zeigte.

Habt meine ersten Lehren vergessen, Herr, sagte er, als sie weiter gingen. Ist das wahre Fundament jeder Wirthschaft in den Finnmarken die Handelsstelle. Wenn diese nicht in Ordnung und Thätigkeit ist, kann nimmermehr ein Gedeihen kommen. Habt Nichts gethan, was den praktischen Mann zeigt. Habt kein Rechenbuch, keine Fischerstellen, keine Trockengerüste, habt keinen Verkehr eingerichtet, sorgt für keinen Viehstand, keinen Anbau, keine Kolonisten, und ist doch Alles dazu gemacht, um in Abraham's Schooß zu sitzen.

Es wird Alles kommen, nur Geduld, Herr Helgestad, antwortete der Gaardsherr. Was Ihr mir vorzählt, soll meine nächste Sorge sein. Schon habe ich Vorbereitungen dazu getroffen und, mein Wort darauf! Ihr sollt im nächsten Jahre auch damit zufrieden sein. Denkt aber, daß ich allein bin und nicht tausend Hände habe. Das Schwerste stellte ich voran und es ist mir gelungen. Seht, was ich gearbeitet habe. Betrachtet den mühevollen Weg im harten Stein geschaffen, seht hier diese Brücken und Schälungen, seht den Damm, den ich bauen ließ und nun betrachtet mein Sägewerk und welche Anstrengungen ich machte, um die Holzrutsche im nächsten Frühjahr schon zu Stande zu bringen. – Er führte Helgestad weiter und mit beredten Worten erklärte er ihm sein mühevolles Beginnen und was er für Vortheile davon erwarte.

Die Blicke des alten Speculanten erhellten sich nach und nach, ein listiges Lächeln zeigte seine steigende Genugthuung an und mehr als ein langgedehntes Nuh! brummte aus der Tiefe seiner Kehle hervor. Die neuen Einrichtungen der Sägemühle erhielten seinen besonderen Beifall. Er ließ sich die Verbesserungen und Erfindungen erklären, sah mit Wohlgefallen den Proben des leichten Zerschneidens 376 der Blöcke zu und äußerte dann, daß es ein gutes Werk sei, besser, wie er es je gesehen habe.

So hoffe ich, sagte Marstrand, daß Ihr Vertrauen zu mir nicht wanken wird und daß Ihre eigenen Hoffnungen sich daran erfüllen.

Will's Gott! denke ja, antwortete Helgestad. Habe immer gesagt, seid ein Kopf, Herr, der etwas schaffen kann.

Und ich werde schaffen, fiel Marstrand ein. Ich bin unerfahren in dem Kramladen, unerfahren in manchen andern Dingen, die zu einer Handelsstelle gehören, allein ich werde lernen und Ihnen eben so dankbar für alle gute Lehren und für allen gerechten Tadel sein, wie ich es für Ihre Hülfe bin. – Diese Hülfe, fuhr er fort, kann ich nicht entbehren. Ich bitte Sie um neue Unterstützung. Wollen Sie hören, was ich Ihnen dagegen biete?

Nuh! erwiderte Helgestad, habe zwei Ohren, fangt an.

Sie waren bis an den Rand des Waldspaltes gegangen, wo die Balself mit einem kühnen Sprunge aus dem Felsenbecken, welches ihre milchige Wasser sammelte, in den Fjord stürzte. Hier stand Helgestad still und überblickte das sonnige heitere Ufer des Meeresarmes, das mit Bäumen besetzt und von grünen Wiesenstreifen eingefaßt, sich bis an die rothen Porphyrfelsen ausdehnte, welche eine steile Wand hinter Marstrand's friedlichem Gaard bildeten. Die kleinen Thäler öffneten sich zur Seite und ließen ihre blitzenden Bäche und Wasserfälle glänzen, die Räder der Mühle vom Strome gepeitscht, sprühten Tropfen und Gischt auf, aus dem Walde klang das Geschrei der Arbeiter und Baumfäller, sammt den weithallenden Schlägen der Axt. Ueberall war Thätigkeit und Regsamkeit, und das ganze abendliche Bild so schön, daß selbst Helgestad es mit Vergnügen betrachtete. Seine Phantasie, die eben nicht für die Pracht und die Reize der Natur besonders empfänglich war, erging sich bei diesem Anblick auf ganz anderen Wegen. Er calculirte und seine Augen erhielten, während Marstrand zu ihm sprach, einen durchdringenden Glanz. Er nickte und grinste, als gefiele ihm Alles absonderlich und dann und wann sah er seitwärts hinab, wo Paul Petersen, Olaf am Arm, zwischen den Bäumen den felsigen Hügel heraufstieg und im eifrigen Gespräch sich näherte.

Was ich Ihnen biete, Herr Helgestad, sagte Marstrand, besteht darin, daß ich, dankbar für ihre großmüthige Hülfe, mit Ihnen redlich 377 jeden Gewinn theilen will, der aus diesem Unternehmen fließt. Sie haben mich hierher gewiesen, haben den Schatz erkannt, welcher hier ruht, haben durch Ihren Einfluß ihn in meine Hände gebracht. Ohne Ihren kräftigen Beistand wäre es mir nicht möglich gewesen ihn auszubeuten, und da mir Ihre fernere Hülfe Noth thut, ist es um so billiger, daß ich auch die Hälfte des Vortheils Ihnen zuweise.

Die Hälfte?! rief Helgestad der sich auf seinen Stock zurücklehnte. Ist meine Sache nicht, Herr Marstrand, um die Hälfte zu gehen. Bin auch nicht großmüthig. Halte nichts von einem Dinge, das wie ein Faß voll Löcher aussieht.

So geben Sie ihm einen Namen, welchen Sie wollen, fuhr Johann lächelnd fort. Sagen Sie sich, daß Sie Ihren Plan darauf anlegten um reelle Vortheile zu erwarten, und daß sie daher wußten, es würde mit mir so kommen, wie es gekommen ist.

Hab's auf ein Haar gewußt! fiel Helgestad ein.

Nun also, erwiderte Marstrand, so wußten Sie auch, daß ich dankbar gern mit Ihnen theilen würde.

Mag sein, antwortete Helgestad, aber ist ein altes Wort: wer Lust zu theilen hat, hat auch Lust zu betrügen. Will darum weder theilen noch betrogen sein, Herr Marstrand, will haben was mein ist und sag's darum mit einem Worte, bin hergekommen um nach meinem Rechte zu sehen.

Was meinen Sie, Herr Helgestad? fragte der junge Gaardherr verwundert. Was nennen Sie Ihr Recht?

Der Kaufmann grinste ihn an, nahm seinen Hut ab und strich das strehnige, fahlgelbe Haar zurück. – Nuh! sagte er, müssen uns richtig in's Gesicht schauen, ist die Zeit da, wo jeder Augen und Zähne gebrauchen soll. Habe Eure Wirthschaft kennen gelernt, Herr Marstrand, calculire, kann so nicht weiter gehen. Ist mit Erfahrung eine andere Sache, wie mit Willen und Lust zur Arbeit. Habt Eure Vorräthe verschleudert, habt mein Geld fortgeworfen, meinen Rath unter Eure Hausschwelle gelegt. Sind achttausend Species zu zahlen in Bergen, achttausend in Oerenäes, wollt jetzt wieder borgen, wird aber Alles denselben Weg wandern. Seh ich den Gaard an, wie er da ist und denke, er soll zum Verkauf kommen in Tromsöe, mit Allem was dazu gehört, mit Wald und Mühle und dem kostbaren Damm, wozu Ihr 378 mein Geld verbraucht habt, will ich den Mann sehen, mag er kommen woher will, der zwölftausend Species auf den Tisch legt. – Calculire also, darf es nicht zum Verkauf kommen lassen, wenn Ihr's nicht selbst dahin treibt.

Ich – Herr Helgestad – ich?! rief Marstrand verwirrt, der ein paar rasche Blicke auf den Schreiber und Olaf warf, die so eben anlangten, und dann den alten Speculanten in einer Art anstarrte, als begreife er ihn nicht.

Ihr, Herr, fuhr dieser kopfnickend fort; denn wenn Ihr meinen Vorschlag nicht annehmt, kommt's zum Verkauf und Meistgebot. Mögt dann zusehen was übrig bleibt und kommt auf mich an, welchen Gang ich mit Euch zu machen denke, wenn Euere Schulden nicht gedeckt werden. Kann Euch festnehmen lassen und zur Arbeit zwingen, kann mich halten an Alles was Ihr habt und an Euren Körper, denke aber, wollen's in Güte schlichten. Bin kein Mann voll Härte und Gewalt, will's Euch leicht und angenehm machen, so viel's in meiner Macht ist.

Wenn ich recht verstehe, sagte Marstrand, der ganz blaß geworden war, so wollen Sie mir allen ferneren Beistand entziehen?

Nuh! antwortete der Alte mit seinem grinsenden Lachen, müßte mein Schädel platt sein, wie ein Lappenkopf, wenn ich einen Pfennig geben wollte.

Dann muß ich zusehen, wo ich einen andern Mann finde, der mehr Vertrauen zu mir hat.

Macht es so, sagte Helgestad, aber schafft mein Geld – will's zurück haben.

Auch das soll geschehen, fuhr Marstrand fort. Stellen Sie mir eine Frist, ich will mich bemühen sie einzuhalten.

Frist? Habt Euch keine Frist festgemacht, steht nichts davon in Eurem Schuldschein vermerkt, Herr. Ist aber nach unserem Gesetz so gestellt, daß, wo es nicht anders bestimmt wurde, jede Schuld binnen heut und morgen gedeckt und zurückgezahlt sein soll.

Wie? schrie Johann heftig auf, das kann Ihr Wille nicht sein! Das hieße mit berechneter Hinterlist mich um mein Eigenthum bringen und mich verderben wollen.

379 Bedenken Sie Ihre Worte, Herr Marstrand, sagte Petersen sich einmischend. Was Sie sagen sind schwere Beleidigungen gegen Niels, der, wenn er Ihre Bestrafung verlangt, Sie zu harter Buße bringen kann.

Nuh! rief Helgestad, verlange nichts als mein Geld und kann dies mit vollem guten Recht thun. Steht hier der Landrichter von Tromsöe, fragt ihn, wenn Ihr mir nicht glaubt. Kündige Euch heut in Gegenwart dieser beiden Zeugen die Schuldsumme von sechzehntausend Silberspecies, wie es Fug und Brauch ist, und trage darauf an, wenn morgen die Schuld nicht gezahlt wird, das Gut in Beschlag zu nehmen und Euch zu entziehen.

Von Gerichts und Gesetzes wegen, ist dieser Antrag ohne Zögern auszuführen, fügte Paul Petersen hinzu. Kraft meines Amtes als geschworener Schreiber, kann ich auf der Stelle einschreiten und binnen einer Woche den Verkauf bewirken, wenn nicht Bürgschaft geleistet wird, oder der Schuldner sich als gänzlich mittellos erweist, woran hier nicht gezweifelt werden kann.

Marstrand hörte schweigend zu. Sein Gesicht war endlich glühend roth geworden, Verachtung und Zorn füllten sein Herz. Er suchte den Ausbruch seiner Gefühle zu verhindern und sich ruhig zu verhalten. Ihr Herren, sagte er, es wird mir schwer zu glauben, daß das Alles wahr ist, was ich höre; denn es kommt mir vor, als sei ich von Anfang an in ein Netz gefallen, das für mich gemacht wurde, und als hätte Jeder daran geholfen. Auf deine ehrliche Freundschaft, Olaf, fuhr er fort, würde ich bis an's Ende der Welt gebaut haben, aber auch du siehst mich mit Augen an, als freutest du dich über meine Noth.

Bist du in Noth, antwortete der Nordländer, so hast du sie verdient.

Womit verdient?

Du bist ein Däne und bist falsch! Geh hin, woher du gekommen bist, du Narr. Lauf was du laufen kannst, oder zieh deinem Schätzchen nach in die Lappengamme.

Bist du so gewissenlos mich jetzt noch zu verhöhnen? sagte der verlassene Mann. O! Ihr macht mein Wort schnell genug wahr, daß unter den Verfolgten und Ausgestoßenen bessere Menschen sind, als Ihr seid. Was wollen Sie noch von mir? fuhr er hastig fort, indem er sich zu Helgestad wandte. Sie wollen mein Gut, wollen mich 380 zum Bettler machen! Der Gedanke hat mir oft genug vorgeschwebt, aber ich habe ihn verworfen, weil er mir zu gemein und nichtswürdig schien. Sie haben Ihren Plan dazu an dem Tag gemacht, wo sie zuerst meinen Königsbrief sahen und haben die richtigen Helfer gefunden. Wohlan denn, nehmt den Raub hin, wenn Ihr könnt, Unrecht und Schande können niemals Segen bringen.

Nuh! sagte Helgestad völlig unempfindlich gegen diese Vorwürfe, seid, wie immer, viel zu hitzig. Habe Euch Lehren gegeben, wie einem Sohn, habe Euch nicht verschwiegen, wie ein kluger Mann handeln und sich bewahren muß. Habe Euch auf des heiligen Apostel Paulus Regeln angewiesen und Euch mehr wie einmal gezeigt, wie Schaden über Euch kommen kann. Habt alle meine Warnungen nicht geachtet, habt also kein Recht mir Vorwürfe über Eure Nachlässigkeit und Euren Unverstand zu machen. Denke ja. Ist's nicht so? Bin ein Mann, der nichts zu fürchten hat, weder von einem Richter, noch von der Meinung aller guten Leute im Lande. Geht hin, und tragt ihnen Eure Sache vor. Werden Euch auslachen und von ihrer Thür jagen, sage es Euch vorher. Werden sich nur ärgern, daß der alte Niels Helgestad den Schlag gemacht hat und daß sie es nicht waren. Zeige Euch die Dinge wie sie sind und biete Euch noch jetzt die Hand zu Eurem Vortheil, fuhr er fort, als er Marstrand sprachlos und mit gesenktem Kopfe stehen sah. Will den Gaard und was dazu gehört von Euch kaufen. Zahle zwanzigtausend Species baar, rechne die sechszehntausend ab, übernehme dabei Alles wie es steht und liegt, und was an Schulden gezahlt werden muß, ist meine Sache. Könnt die viertausend bekommen zu jeder Stunde und damit anfangen was Ihr wollt. Könnt heimkehren nach Kopenhagen, ist ein hübsches Stück Geld, was Ihr mit zurückbringt, habt wenige Monate dafür gearbeitet. Zahle Euch zudem heraus was Ihr in Bergen verdient habt, an dem Fischhandel. Mögt in der Königsburg Euer lustiges Leben wieder anfangen; wird wie ein Traum sein, was Ihr erlebt habt und könnt es benutzen zu schönen Geschichten beim Glase mit Euren vergoldeten Genossen. Mögt schimpfen und lachen über den alten Gauner am Lyngenfjord, oder davon lernen und klüger werden.

Niemals will ich nach Kopenhagen zurückkehren, murmelte Marstrand.

381 Nuh, sagte Helgestad, seid ein Mann, weiß es, der Willen und Gedanken hat. Steht hier Paul Petersen, der unseren Pakt in Richtigkeit bringen kann, ehe eine Stunde vergeht, und soll von Euch abhängen, ob wir in Frieden und Freundschaft weiter beisammen leben wollen. Habt das Werk im Balselfwalde begonnen, mögt es fortführen. Habt Verstand dazu und Erfindung. Wird manches tausend Species noch kosten, bin aber der Mann, der seinen Kasten aufschiebt, soll lange dauern, ehe Einer auf den Grund sieht. Kann's thun, Ihr könnt es nicht. War kein Werk für Eure Kräfte, müßt es einsehen. Denke ja, ist's nicht so?

Ich sehe zu spät ein, antwortete Marstrand, wie Ihr Schritt für Schritt mich dahin geführt habt, es einzusehen.

Helgestad lachte. Ist eine Geschichte, rief er, von der Ihr für Euer ganzes Leben lernen und klug werden könnt. Mögt es mir danken nach Jahren; sollt aber hier bleiben und das Gut verwalten, will nicht knausern an Gewinn und Lohn.

Die Unverschämtheit, mit welcher Helgestad sich noch rühmte, ihm Gutes erzeigt zu haben und sein Anerbieten, als Verwalter bei ihm zu bleiben, trieben Marstrand das Blut in's Gehirn. In dem Augenblick jedoch, wo er auf's Aeußerste gereizt, heftige Schmähungen hervorstoßen wollte, fiel ihm ein, daß dies gänzlich unfruchtbar sein würde. Der alte Speculant stand vor ihm mit ausgestreckter Hand, aber mit einem Gesichte von Erz; nichts auf der Welt hätte einen Zug darin verändern können.

Ich vermag es nicht, Ihnen auf der Stelle eine Antwort zu ertheilen, sagte Marstrand mühsam. Ueberrascht wie ich bin, bedarf ich der Ueberlegung.

Nuh! antworte Helgestad, habt ein Recht dazu und habt Zeit bis morgen. Gut' Ding will Weile haben. Können Beide uns bedenken, will an meinen Vorschlag nicht gebunden sein.

Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, sagte der Schreiber, faßte ich mit beiden Händen zu.

Wenn Sie an meiner Stelle wären, Herr Petersen, erwiderte der junge Mann stolz, würden Sie auch ganz Recht daran thun. Ich aber werde Herr in meinem Eigenthume bleiben – wenigstens bis morgen, und bis dahin bitte ich Sie meine Gäste zu sein, so gut ich's 382 geben kann. Zwischen heut und morgen liegt eine Nacht und oft schon war vom Becher bis zum Munde ein weiter Weg.

Er kehrte sich nicht an das Gelächter des Schreibers und an Helgestad's Grunzen.

Nuh! rief der Alte, müssen Geduld haben, macht's wie Ihr wollt, Herr. Eine Nacht hat Mancherlei schon gethan; glaubt aber nicht, daß ich morgen nicht Niels Helgestad wäre. Sitze, wie ich bin, morgen wie heut an Eurem Tisch.

Gewiß, Herr, sagte Marstrand, das hoffe ich. Der Balselfgaard ist ein sicherer Ort, kein Schiff, wo man über Nacht rücklings über Bord fallen kann.

Ein Blick voll Haß und eine Stirn voll lautloser Drohungen war Helgestad's Antwort. Er folgte mit seinen beiden Begleitern dem Gaardsherrn, der voranging und zuweilen hinter sich Paul's krähende Stimme und lautes Gelächter hörte. Im Hause befahl er einem Diener, ein Boot zu nehmen und Fische zu fangen, dann hielt er eine Berathung mit den Mägden in Küche und Speisekammer, es stellte sich jedoch heraus, daß wirklich fast Nichts von eßbaren Dingen vorhanden war und da der Abend schon hereindämmerte, war auch nichts mehr aufzutreiben, was diesen Gästen genügt hätte.

Es blieb nichts übrig, als wiederholte Entschuldigungen, die mit Scherzen und Spöttereien erwidert wurden. Ein Fischgericht wurde endlich gebracht, aber es waren kleine Dorsche und Brutfische der gewöhnlichsten Art, die das Gelächter vermehrten. Helgestad gab den Uebrigen den Trost, daß es künftig anders in diesem gesegneten Gaard aussehen solle und nachdem er den Rest seiner mitgebrachten Vorräthe verzehrt, leidlich satt geworden war und seine Pfeife angezündet hatte, begann er eine lange Schilderung der Veränderungen und Verbesserungen, die er alsbald hier vorzunehmen gedachte. Vor allen Dingen sollte eine seiner Yachten in den Balsfjord steuern, vollgepackt mit Lebensmitteln und Vorräthen, damit der Hunger und die kahlen Wände ausgetrieben würden; dann wollte er den Quäner Wingeborg eine Zeit lang hier lassen, um Brütplätze für die Vögel anzulegen, Gaardleute sollten angenommen, ihnen Erdhütten erbaut und der Fischfang in Gang gebracht werden, und überall hatte er dafür die richtigen Plätze schon ausgesucht, hörte, was Olaf dazu meinte, berechnete die Kosten, 383 lud den langen Nordländer zum Jagen im Balselfthale ein, und sprach überhaupt ganz so von diesem Gute, als sei es schon sein unbestrittenes Eigenthum.

Marstrand hörte mit finsterem Schweigen zu. Er erwiderte auch Nichts auf die höhnenden Bemerkungen, welche der Schreiber in seine Fragen und Antworten mischte, seine Gedanken waren mit ganz andern Dingen beschäftigt, seine Seele erfüllt von dem heftigen Verlangen, diesem alten Betrüger und seinem Verbündeten zu entgehen. In dem halbdunklen Zimmer, bei dem Scheine des einen dünnen, düster brennenden Lichtes schärften sich seine Augen, die er öfter ingrimmig auf Helgestad's Gesicht richtete. Der heuchelnde alte Sünder schien ihm das schlechteste und unwürdigste aller menschlichen Wesen. Um Geld war ihm Alles feil, seine gierige Habsucht scheute kein Mittel; Ehre und Gewissen kannte er nicht. Seine langen knochigen Finger, die sich auf dem Tisch ausstreckten und zusammenzogen, wie die Krallen einer wilden Katze, drückten Sohn und Tochter die Gurgel zu, wenn sie seinem Willen sich widersetzen wollten und sein erbarmungsloses Gesicht würde keinen Zug verändert haben, wenn Verzweiflung, Schaam und Schande Marstrand in einen jähen Tod gejagt, wenn dieser sein Gewehr ergriffen hätte, um sich vor seinen Augen eine Kugel durch den Kopf zu schießen.

Der betrogene, junge Mann wußte das Alles und eben deßwegen kam es ihm nicht ein, auf irgend eine Sinnesänderung bei diesem Dränger zu rechnen. Helgestad hatte auch darin Recht, daß alle diese klugen, speculirenden Fischhändler ihn auslachen und verhöhnen würden, wenn er ihnen sein Leid klagen wollte. Er kannte nicht Einen, von dem er Besseres vermuthen durfte und eben deswegen setzte er sich nach und nach kühler zusammen, daß Helgestad eigentlich so handle, wie es Gebrauch hier sei, daß er ganz nach den Grundsätzen verfahre, die er oft genug laut ausgesprochen, und daß der größte Fehler sein eigner bleibe, weil er in verblendeter Ehrlichkeit selbst dann nicht daran glauben wollte, als er von allen Seiten Zeichen und Warnungen erhielt.

Bei alledem jedoch wuchs jetzt sein Verlangen, das Mittel zu finden, sich nicht in die Tasche stecken zu lassen, die Helgestad lachend aufknöpfte. Ihm war zu Sinne, als könne er sich dem Teufel verschreiben, wenn dieser ihn loskaufen wollte und alle Fäden seiner 384 Gedanken liefen auf einen Punkt hinaus, den einzigen Mann zu schaffen, von dem er Hülfe hoffen konnte: Afraja!

Die unheimliche Gestalt des alten Hexenmeisters schwebte vor seiner Seele und vor seinen Augen. Wenn er Helgestad anblickte, sah er den Kopf des Lappen über dem Tisch schweben; bei Paul Petersens Gelächter hockte der unförmige Greis im Winkel und richtete sich wackelnd auf, über Olaf s breite Schultern streckte er die kleine, verschrumpfte Faust aus. Marstrand konnte es kaum erwarten, bis seine Gäste die Kammer aufsuchten, wo er ihr dürftiges Lager dadurch bereitet hatte, daß er sein eigenes Bett ihnen zutheilte.

Nuh! sagte Helgestad, ist ein altes Wort: Wie man sich bettet, so schläft man. Habt uns hart gebettet, Herr, soll aber unser Schlaf dessentwegen doch ein guter und gesunder sein. Wünscht Euch eine Nacht, wie der heilige Olaf sie hatte. Schlief ein, umringt von Feinden, als er aufwachte, waren sie alle überwunden.

Ich habe den Glauben, erwiderte Marstrand, daß solche Prophezeihungen zuweilen wahr werden, wenn es Gottes Wille ist.

Nuh! rief der Alte grinsend, seid fromm im Gemüth und habt einen Freund an Klaus, dem auch schon mancherlei Wunder passirten. Möchte Euch aber rathen, lieber nicht zu träumen, sondern Niels Helgestad's Hand fest zu halten.

Fragt morgen an, was ich thue, antwortete der gequälte Mann, indem er sich zurückzog. Diese Nacht will ich Herr in meinem Hause sein.

Ein Gelächter verfolgte ihn. – Laßt ihn doch noch eine Nacht von den Geldsäcken träumen, die der Balselfwald liefern soll, hörte er den Schreiber sagen. Morgen werfen wir ihn hinaus, dann mag er sein Haus suchen, wo er Lust hat.

Marstrand warf sich in den Stuhl, wo Helgestad gesessen hatte und wartete eine Stunde lang, ohne sich zu rühren, aber diese Stunde dünkte ihm eine Ewigkeit. Er murmelte unzählige Male die Worte vor sich hin, welche Afraja ihm vorgesprochen: »Geh' zu dem Hügel, unter welchem der böse Voigt liegt, den Jubinal zermalmt hat; tritt auf den Stein, und sprich meinen Namen leise, leise, wie wenn Syda, der Gott des Windes, über die Spitzen des jungen Grases tanzt. Wo Afraja auch sein mag, er wird dich hören!« Damals hatte er 385 heimlich über diese Wichtigthuerei des alten Lappen gespottet, der ihm einbilden wollte, Zauberkünste zu verstehen, jetzt wünschte er mit der ganzen Innigkeit seiner beängstigten Seele, Afraja möge seinen Ruf vernehmen, ein Gott ihn herbeiführen, der den Bedrängten zuweilen in höchster Noth schirmt. Sein Glaube war jedoch trotz seiner stolzen zu Helgestad gesprochenen Worte schwach und von tausend Zweifeln untergraben. Wie konnte Afraja wissen, daß Helgestad am Balsfjord sei? Und wenn er wirklich erscheinen sollte, wie wollte dieser alte Mann so bedeutende Geldmittel sogleich herbeischaffen? – Vielleicht besaß er sie, vielleicht war es selbst sein Wille, sie aus Haß gegen Helgestad und aus Wohlwollen gegen den Mann, der ihm Gutes gethan, herzugeben; allein Afraja's Silber war sicher weit in der großen Wüste vergraben und ehe es aus Sumpf und Fels gewühlt werden konnte, war Alles abgethan. Wenn Voigt und Schreiber sich erst eingemischt hatten, wenn er morgen wirklich aus seinem Besitz vertrieben wurde, so war es überhaupt mit Afraja's Hülfe vorbei. Und welche Gefahr war damit verbunden? Niemand durfte wissen, daß ein freier Mann, ein Christ, ein Mann von reinem guten Blut bei einem Lappen geborgt habe. Marstrand selbst, wie groß seine Noth auch war, fühlte wohl, daß jetzt, wo der Haß gegen den unglücklichen Stamm sich überall mehr als jemals regte, er unmöglich offen die Hülfe des Zauberers eingestehen konnte, ohne wie ein Verpesteter behandelt zu werden.

Alle diese Vorstellungen erfüllten ihn, als er endlich leise den Gaard verließ und an den Fjord hinabging, um den letzten Helfer aufzusuchen. Es war tiefe Nacht, schwere Wolken hingen bleifarbig über dem Wasserspalt, der unbeweglich und finster in seinem Felsenbette lag. Kein Fisch sprang auf, kein Stern war zu sehen, kein Ton zu hören und es erforderte keine geringe Vorsicht, um an dem weglosen Rande des Fjords zwischen Steinen und Geröll ohne Leuchte fortzukommen. Marstrand's Augen waren jedoch vortrefflich und an Dunkelheit eben so gut gewöhnt, wie sein biegsamer Körper an Anstrengungen. Nach einer Stunde stand er an der Bucht, in deren Tiefe sich der trümmervolle Grund öffnete, in welchem Paul Petersen's Großvater sein Ende gefunden hatte, und nachdem er den Felsenwall überstiegen, der den Eingang des kleinen Thales verschloß, befand er sich an dem Hügel von gewaltigen Steinen, die das Grabmal 386 des grimmigen Voigts bildeten. Die hohen Tannen, welche darauf gewachsen waren, hingen mit ihren schwarzen Aesten und Nadeln bis zur Erde nieder und wölbten mit Gestrüpp und Ranken ein wildes ödes Dach über dieser Todtenkammer. Ihr knorriges Gewirr machte die Dunkelheit undurchdringlich und als Marstrand mit klopfendem Herzen in diesen unheimlichen Kreis trat, empfing ihn ein hohles Rauschen und Seufzen, das durch die Wipfel zog und klappernde, trockene Ranken ihm entgegentrieb.

Mit beherzten Schritten wand er sich durch diese abmahnenden Hindernisse und wie oft er auch von dem langen feuchten Moose abglitt, das die Steine überwucherte, wie beschwerlich es war, selbst am Tage hier von Block zu Block zu steigen, erreichte er doch endlich die Spitze dieser Schuttmasse, auf deren Höhe ein mächtiges Felsenstück verwitterte. Hier athmete er allein mitten in der wildesten Einsamkeit, abgetrennt von allem Leben, unter sich die zerschmetterten Ueberreste eines Todten, der bis zum jüngsten Tage dort liegen sollte, während sein irrender Geist die Fischer schreckte.

Eine tiefe Muthlosigkeit kam über den jungen Abenteurer. Nicht die Todten sind es, die ich fürchte, murmelte er vor sich hin, die Lebendigen treiben mich bis zur Narrheit. Wer soll in dieser Nacht mich hier erwarten? Aber auch ein Weiser, der über einem Abgrund schwebt, greift nach dem Amulet und betet einen Hexenspruch. Was ist Klugheit und Verstand der Verständigen, wenn sie keine Hülfe schaffen! Weder Gottes Engel noch des Teufels Geselle werden mir erscheinen. – Laß sehen, du alter Zauberer, was du kannst.

Afraja, ich rufe dich! sagte er mit leisem verächtlichen Tone, und er wiederholte den Namen noch zweimal.

Da bin ich! antwortete eine Stimme an der andern Seite des Felsenstücks, und ein Geräusch begleitete diese Worte. Geröll und Steinbröckel kollerten an der Hügelwand nieder. Es war als stiege eine Gestalt vom Boden auf aus einer Fuge dieser festen Granitblöcke, die sich ihr geöffnet hatten.

So beherzt Marstrand war, so wenig konnte er doch dem überwältigenden, unheimlichen Eindruck dieser Erscheinung widerstehen. Ein Grausen kam ihn an, das sein Haar aufsträubte, seine Zunge lähmte und seine Augen weit und stier öffnete. Er dachte an den Geist des 387 Voigtes. Es war ihm, als liefen Blitzstreifen an den Bäumen nieder, als regte es sich hinter ihm und aus der Tiefe kam ein seltsames Schnauben.

Du hast mich gerufen, begann die Stimme wieder. Fürchtest du dich?

Nein, antwortete Marstrand. Bist du Afraja?

Ich bin es, sagte der Lappe. Setze dich her zu mir, gib mir deine Hand.

Kalte, schmale Finger klammerten sich um Marstrand's Rechte. Er hörte das heisere Lachen, das er kannte, dicht an seinem Ohr, und durch das tiefe Dunkel glaubte er die kleinen blitzenden Augen des Zauberers funkeln zu sehen.

Erzähle mir, was dich zu mir treibt, sprach Afraja. Ich war weit, als ich dich rufen hörte. Ich kam, weil Jubinal es will.

Wenn du solche Macht hast, Afraja, erwiderte der junge Mann, so wirst du auch wissen, warum ich hier bin.

Du sagst es, Jüngling, war Afraja's Antwort, die er nach einem langen Schweigen gab. Ich sehe in dieser Finsterniß in dein Herz; ich weiß deine Gedanken, mir ist nichts verborgen. In deiner Gamme schläft ein Wolf, der seine Zähne in dein Fleisch grub und dich hinausgestoßen hat in diese Nacht. Morgen wenn der Tag graut, will er dich zerreißen.

Ich komme, damit es ihm nicht gelingen soll, erwiderte Marstrand. Ich suche Hülfe bei dir, Afraja. Wenn es wahr ist, daß du mich schützen willst, so beweise es jetzt. Schaff' mir Geld, daß ich Helgestad befriedigen kann. Bei meiner Ehre! Bei Allem, was mir heilig! Ich will dir redlich wiedergeben, was dein ist.

Afraja ließ abermals einige Zeit vergehen, ehe er antwortete. Wie viel bedarfst du? fragte er dann.

Eine große Summe! rief der Junker, aber ich weiß, daß du sie geben kannst, wenn du willst. Sechzehntausend Species hat Helgestad von mir zu fordern, doch kann ich ihm eine Gegenrechnung machen wegen meiner Fische, die er in Bergen verkauft hat.

Sechzehntausend! murmelte der alte Mann. Es ist viel Geld. Sechzehntausend! Wenn ich sie dir gebe, was willst du geloben?

388 Du verlangst hohe Zinsen, wie ich denke. Acht vom Hundert ist der übliche Preis; doch fordre was du willst. So wahr mir Gott helfe, ich will es schaffen!

Ich mag keine Zinsen, Väterchen! rief Afraja heiser lachend. Ich bin kein Händler vom Lyngenfjord, kein Wucherer und kein Voigt.

Wenn du keinen Zins willst, fragte Marstrand, was willst du denn? Eine Verschreibung des Gaards?

Deine Verschreibung hülfe mir Nichts und deinen Gaard mag ich nicht. Niemand darf wissen von meinem Silber und deinem Wort, aber verpfänden sollst du es mir. Willst du?

Was soll mein Wort dir verbürgen?

Wenig, Jüngling, wenig! Gelobe mir, daß du kommen willst, wenn ich dich rufe.

Wohin? fragte Marstrand.

Du wirst es erfahren.

Und dann – was forderst du mehr?

Nichts weiter, sagte Afraja, indem er sich eine Minute lang zu bedenken schien. Reiche mir deine Hand. Schwöre mir, daß du kommen willst, wenn ich nach dir sende.

Ich schwöre es dir!

In Jubinal's Namen! murmelte der Lappe. Rufe ihn an.

Der christliche Junker zögerte den heidnischen Gott anzurufen, doch er überwand seine Bedenken. – Gut, sagte er, wenn du glaubst dadurch besser gesichert zu sein – in Jubinal's Namen denn!

Er wird dir helfen, Jüngling. Er ist mächtig, du wirst es erfahren.

Nun aber sprich! rief Marstrand dringend, wie soll ich zu dem Gelde kommen? Du weißt, daß ich es zahlen muß, so wie es Tag wird. Hast du es hier?

Nein, war die Antwort.

Nicht? Wo denn? Rede, Afraja, wo ist es?

Der Lappe blieb unbeweglich sitzen. Die Sterne, welche aus den Wolken traten, ließen die Umrisse seiner zusammengekrümmten Gestalt erkennen und Marstrand streckte seine Hand nach ihm aus und sagte beängstigt: Du kannst mich nicht täuschen wollen, so komm' denn und zeige mir den Ort, wo ich es finde.

389 Höre mich an, Jüngling, murmelte der Zauberer, höre und vertraue. Kehre zurück in dein Haus, sieh weder rechts noch links, schlafe ruhig bis zum Morgen, Jubinal wird dir beistehen. Wenn Helgestad sein Geld begehrt, gehe mit ihm an deinen Schreibtisch, doch nicht eher öffne diesen, nicht eher – merke wohl darauf – bis der unersättliche Mann bei dir steht. Sprich dann zu ihm: Du sollst haben, was du begehrst! Greife hinein in Jubinal's Namen und du wirst finden, was du brauchst. Jetzt gehe und denke an dein Wort.

Wie? rief Johann bestürzt und zornig, das soll ich glauben? Das ist deine Hülfe?! – Treibe kein Spiel mit mir, alter Mann, keine Gaukelei mit Zauberkünsten! Wo ist das Geld? Du hast es vergraben in diesem Hügel, oder wo es auch sein mag – du sollst nicht fort, bis du Wahrheit bekennst!

Er griff von Neuem nach dem Platz, wo Afraja saß, aber er faßte auf den harten Stein. – Wo bist du? schrie er in Verzweiflung auf. Antworte, Betrüger! Lügner! Du verhöhnst mich! – O! daß ich Narr genug war, dir zu glauben.

Vertraue! flüsterte eine hohle Stimme, die hinter ihm aus der Tiefe des Grabes zu kommen schien. Ein Windstoß fuhr zugleich durch das Dunkel der Tannen, ein lichter Schein, wie ein Blitzzucken, fuhr über den öden Hügel und oben auf der Spitze der Trümmer glaubte Marstrand eine Gestalt zu erkennen, hoch, lang und gewaltig, in einen großen Mantel gehüllt, den Kopf mit einem dänischen Hute bedeckt.

Entsetzen kam über ihn, mehr als ein Mensch ertragen kann. Die Nacht, die Einsamkeit, die Hölle mit ihren Kobolden und Dämonen faßte ihn im Haar und Hirn. Er sprang durch Trümmer und Geröll hinab; schallendes Gelächter folgte ihm nach.


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