Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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12.

Am nächsten Tage war der Gaard von Oerenäes voll Gäste und voll Arbeit. Der Voigt war da und wollte ein paar Tage bleiben, um mit Helgestad nach Tromsöe heimzukehren; denn der alte Kaufmann hatte sich entschlossen, nochmals sogleich nach den Lofoden zu fahren und seine Fische selbst nach Bergen zu bringen. Alles war so rasch und gut gegangen, daß er Fandrem in Person den Erfolg mittheilen mußte, zugleich wollte er die Mitgift festmachen und wenn er zurückkehrte, sollte die Hochzeit sein. Im Geheimen stand es fest bei ihm, Hannah durfte nicht eher wieder den Lyngenfjord verlassen, denn als Björnarne's Frau und mit ihm.

Das Mädchen schickte sich zu seinem Wohlgefallen. Kaum war sie in dem neuen Neste warm geworden, als sie wie ein Vogel that, dem es längst gehörte. Sie half Ilda bei allen häuslichen Arbeiten, war in Küche und Vorrathsräumen zu finden, stand in dem 257 Kramladen, half wiegen und messen und schaute in die Rechenbücher, als hätte sie Jahr und Tag damit hantirt. Von ihren schönen Kleidern, ihrem Putz und feinen Fingern merkte man nichts, und dabei war sie freundlich und beweglich, nicht wie Gula, die sonst singend und lachend hier umhersprang, aber was sie that, geschah froh, mit verständigem Sinn, und Jeder im Hause sah sie gern an und sagte Gutes. Paul Petersen allein schien nicht besonders von dieser Schwägerin erbaut zu sein, denn er fand sie ganz anders, als er sie sich gedacht hatte. Hatte er ein übermüthiges, verzogenes Mädchen vermuthet, die sich nicht schicken mochte, oder eine Dirne, die das Herz voll Heimweh und die Augen voll Thränen hat, oder eine dünkelvolle und hochmüthige, die Helgestad's Aerger und Härte herausforderte, so sah er jetzt zu seinem Erstaunen, daß der rauhe Mann im Gegentheil voller Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit gegen diese Schwiegertochter war, die sein Lob aus allen Kräften zu verdienen suchte. – In Paul Petersen's Kopf regten sich darüber häßliche Gedanken. Wenn er fort war, mit Ilda in Tromsöe wohnte, Hannah hier allein schaltete und waltete und Helgestad wie den ganzen Gaard regierte, was konnte dann nicht Alles geschehen?! Die gierigen Augen des Schreibers sahen schon, wie diese schnellen Finger bei Seite schafften, was sie fassen konnten, wie ihre freundlichen Blicke und ihr Lächeln von dem Schwiegervater beobachtet und aufgefangen wurden, als wolle er selbst die gefährliche, schlaue Hexe heirathen, nicht aber Björnarne, der wie ein Träumender umherging und gewaltsam ermuntert werden mußte, wenn er Rede stehen sollte. Paul empfand darum einen tiefen Widerwillen gegen Hannah, einen Widerwillen, der offenbar gegenseitig war, denn selten ist es, daß zwei Menschen, wenn Schicksal oder Zufall ihr Begegnen bewirken, der Eine sich angezogen fühlt, während der Andere zurückgestoßen wird. Die geheimnißvolle Macht, welche wir Sympathie nennen, ist ein Spiel unbekannter Kräfte, die gleichmäßig Seele zur Seele ziehen, oder wie magnetische Pole von sich abtreiben.

Paul Petersen versuchte es zuerst mit Heuchelei und Unterthänigkeit, aber er mußte in Hannah's Blicken bemerken, wie wenig er sich ihr damit empfahl; dann versuchte er es mit Spötterei, allein Fandrem's Tochter hatte so viel Witz und Bosheit, daß er übel dabei fortkam. Er wurde geneckt, zurechtgewiesen, gefoppt, ausgelacht, und, 258 als er Lust zeigte, Frieden zu schließen, ging Hannah nicht darauf ein, sondern setzte unter allerlei Muthwillen den Krieg fort, der Helgestad und Olaf besonders belustigte, weil beide dem Schreiber eine ordentliche Bezahlung wünschten.

Während dessen hatte die Yacht ihre Waaren, die nach Oerenäes gehörten, ausgeladen, dagegen viele andere Geräthe und Stoffe unter ihr Deck gepackt, welche Marstrand von Helgestad kaufte, um seine Thätigkeit sogleich mit allem Nachdruck beginnen zu können. Der Ansiedler sehnte sich so schnell wie möglich fort. Sein Haus stand fertig am Balsfjord, was ohne ihn geschehen konnte, war geschehen, nun mußte er selbst Hand an's Werk legen. Helgestad rechnete mit ihm zwei ganze Tage lang; alle Vorräthe wurden ihm übergeben, alle Listen durchgesehen, und endlich fand sich, daß seine Gesammtschuld zehntausend Speciesthaler, mit Einschluß der verbürgten Schuld an Fandrem, betrug.

Dagegen sollte Helgestad die Fische von den Lofoden verkaufen und den Ertrag abschreiben lassen; es ließ sich jedoch voraussehen, daß dies kaum die Hälfte jener Summe decken würde.

Nuh, sagte Helgestad, ist immerhin ein wackerer Anfang, den nicht Jeder macht; bleibt aber die Hauptsache für Euch der Wald an der Balself. Den faßt an, mit aller Kraft, hat Euch Gott dazu den rechten Kopf gegeben.

Er schlug den Deckel eines mächtigen Eisenkastens auf und deutete auf sechs Beutel von Leder, die oben zugeschnürt waren. – Hier, fuhr er fort, sind die sechstausend Species, die Euch vor der Hand zu Diensten stehen. Sind richtig gezählt, nehme die Verantwortung auf mich. Seid mir somit sechzehn Tausend schuldig, sage es aber nochmals: Laßt es fünfzig Tausend oder sechzig sein, kommt zu mir, wenn es nöthig ist, soll Euch nicht fehlen.

Als Marstrand seinen Dank ausdrücken wollte, legte der Alte den Finger auf seinen Arm und schüttelte mit einem schlauen Blinzeln den Kopf. Seht zu, Herr, sagte er, daß es nach des heiligen Paulus Wort geht: Haltet die Augen offen und sorgt für Euch, daß Niemand klüger ist als ihr, und nun setzt Euch und schreibt den Schuldschein nieder. »Sechzehntausend Species schuldig an Niels 259 Helgestad in Oerenäes am Lyngenfjord gegen acht vom Hundert Zins richtig empfangen.«

Marstrand schrieb ohne ein Wort zu sagen und Helgestad steckte eben so schweigend das Papier, nachdem er es durchgelesen, in eine alte braune Ledertasche zu anderen Schuldverschreibungen und Dokumenten. Dann gingen die beiden Männer in die Pack- und Waarenhäuser, wo die letzte Hand an die Ausrüstung der Yachten gelegt wurde, und so verging der Tag, welcher der letzte sein sollte, den der Besitzer des Balsfjord hier verlebte.

Als er am Abend nach dem Hause zurückkehrte, traf er Ilda auf dem Vorplatze. Ich habe dich erwartet, sagte sie, um mit dir noch einmal zu sprechen und dir Glück zu wünschen.

Sie gingen über den grünen Platz, dessen Rand von Birkengebüschen besetzt war, die der Abendsonnenglanz sanft geröthet hatte. Zwei Mädchen waren von Ilda für den neuen Gaard gemiethet worden, um den Haushalt zu führen und einige Kühe und ander Gethier zu versorgen; ebenso waren aus den Familien am Lyngenfjord mehrere junge Männer Willens, Marstrand's Vasallen zu werden, wenn er ihnen Hütte und Brod geben wollte. Ilda ertheilte guten Rath für die ersten Einrichtungen, bis endlich das Gespräch stockte und Beide unter den frischen, duftigen Gebüschen stillstehend, über den Fjord hinausblickten.

Morgen, sagte Ilda lächelnd, wirst du diese Sonne am Balsfjord leuchten sehen. Möge sie niemals dir untergehen, Johann Marstrand, und wenn im nächsten Jahre die schöne Zeit wiederkehrt, wo das große Gottesgestirn sein Antlitz uns nicht entzieht, mögen dann, wenn nicht alle, doch viele deiner Wünsche erfüllt sein.

Und was soll ich dir wünschen, Jungfrau Ilda? antwortete Marstrand. – Seine Augen schlugen sich zu ihr auf, er ergriff ihre Hand und seine Blicke hefteten sich ausdrucksvoll und innig auf ihr Gesicht, aber er wagte nicht, was sie sagten, mit Worten zu begleiten.

Wünsche, daß es mir in Tromsöe wohlgehe. Wenn du die Stadt besuchst, fügte sie lauter hinzu, so vergiß uns nicht.

Wie könnte ich dich vergessen! Möge Tromsöe nie ein glücklicheres Haus gesehen haben, als das deine.

260 Sie schwiegen von Neuem, bis nach einem Weilchen Ilda sich umwandte und zu dem fernen Kilpis hinaufblickte, dessen schwarzes Riesenhaupt ganz in rothbrennendes Licht getaucht war. – Das wilde Gebirge dort erinnert mich daran, sagte sie, daß ich mit dir von Gula sprechen muß. Du weißt, daß sie plötzlich uns verlassen hat, Björnarne und unsere Freunde sie vergebens suchten?

Marstrand nickte ihr schweigend zu und Ilda fuhr mit einer großen, schärferen Betonung fort: Sie hat uns verlassen, weil ihres Herzens Ruhe vom Bösen, was in jedem Menschen wohnt, überwältigt war. Gott hat es so gewollt, sein Wille ist allmächtig! Blicke mich nicht so stolz an, Johann Marstrand.

Nicht ich, sagte er mit Heftigkeit, glaube mir, nicht ich habe Gula diese Ruhe genommen und sie fortgetrieben.

Nein, war ihre ruhige Antwort, nicht du, ich weiß es. Des Himmels Gnade über das arme Kind! Wenn du am Balsfjord wohnst, wirst du Gelegenheit haben, viele Lappen zu sehen. Auch Afraja's Heerden weiden auf der Halbinsel, andere besitzt er, die bis an das weiße Meer ziehen. Frage nach Gula, vielleicht gelingt es dir von ihr zu hören.

Weißt du denn, ob sie noch lebt? fragte er. Ihre Verwandten läugnen sie gesehen zu haben.

Sie lebt, sagte die Jungfrau, und aus ihrer Tasche zog sie einen gefalteten Zettel. Dies Papier, sagte sie, fand ich gestern auf dem Tische in der Bohnenlaube, als ich am Morgen wie gewöhnlich in mein Gärtchen ging.

Sie reichte es Marstrand hin. »Sorge nicht um mich, geliebte Ilda,« stand darin geschrieben, »aber verzeihe mir all' deinen Kummer. Ich mußte fort, Niemand hat mir Gewalt gethan, ich mußte! Wie schön ist es hier! Alle Blumen blühen roth und blau, alle Wesen lieben mich. Die jungen Thiere kommen und lecken meine Hände, Birkenzweige neigen sich um mein Haupt. Ich zittre nicht mehr, meine Schwester, ich freue mich, und Gott ist gütig, seine Macht ist groß, seine goldene Sonne scheint auf mich, wenn ich an dem fallenden Bach sitze und an dich denke. Denke auch an mich, geliebte Ilda, bete für mich, ich bin glücklich, ich bin frei bei denen, die zu mir gehören!«

261 Sie schwärmt, sagte Marstrand, indem er den Arm sinken ließ.

Ihre Seele ist bei uns, antwortete Ilda. Einsam sitzt sie in der unermeßlichen Wüste, wo Niemand sie versteht. Mit Blumen und Birkenzweigen ist ihre Brust geschmückt, weißt du, was das heißen soll? Sie soll einen Mann wählen.

Mortuno! –

Ich habe mit dem Pfarrer gesprochen, fuhr die Jungfrau fort, sprich auch du mit ihm. Klaus Hornemann zieht in wenigen Tagen bis an den Altenfluß. Er will Afraja aufsuchen, gib ihm Nachricht, hilf ihm, wie du es vermagst, denn ich fürchte unser ehrwürdiger Freund wird vergebens suchen. Afraja wird seine Tochter auch vor ihm verbergen, er wird heucheln und lügen und sie ihm nicht ausliefern.

Ist das die Absicht des Pfarrers? fragte Marstrand.

Wir haben es überlegt, sagte sie. Du weißt in Trondenäes ist eine Schule, dorthin will Hornemann sie bringen. Siehst du nicht, daß Thränen dies Blatt naß gemacht haben, bemerkst du nicht, daß Afraja neben ihr stand, als sie dies schrieb und ihr die Worte vorsagte?

Marstrand war bewegt über diese Muthmaßungen, dennoch aber empfand er Freude darüber, daß Gula bei ihrem Vater war. – Wenn Afraja seine Tochter durchaus behalten will, sagte er, und wenn diese zu ihm ihre Zuflucht nahm, welche Aussicht habe ich, sie aufzufinden und in ihr Schicksal einzugreifen?

Wenn du am Balsfjord wohnst, erwiderte Ilda, wird der alte schlaue Mann dich bald aufsuchen. Er hat besonderes Vertrauen zu dir, du hast es zu erwerben gewußt.

Johann erröthete. Welche Kenntniß hatte Ilda von seinen verschiedenen Begegnungen mit Afraja?

Ein kluger Mann, fuhr sie fort, weiß den Baum wie den Halm zu benutzen, ich tadle dich nicht, wenn du dies thust. Du wirst wissen, was du darfst und wirst nicht weiter gehen, als dein Gewissen und deine Einsicht es dir gestatten.

In diesen Worten mischten sich Warnung und Anschuldigung die seine Verlegenheit vermehrten. Er konnte nicht mit Ilda von ihrem Vater und seinem Mißtrauen sprechen, konnte ihr nicht sagen, was er von Afraja's Freundschaft hoffte, eben so wenig aber mochte 262 er ungerechten Verdacht ertragen. Mit größerem Stolze sagte er daher: Ich danke dir für deine gute Meinung. Ich werde nichts thun, was gegen mein Gewissen ist, und wünsche von Herzen, daß ich Afraja's Dienste niemals nöthig habe. Was Björnarne betrifft –

Sie fiel ihm in die Rede und deutete nach dem Hause hin. Dort steht er, sagte sie, bei seiner Verlobten. Ehe drei Monate vergehen, wird er Herr in Oerenäes sein, und dir allen Beistand leisten, den du von ihm erwarten kannst.

Marstrand blickte unmuthig hinüber. Dein Vater, murmelte er halblaut, ist ein harter Mann; am Härtesten ist er gegen seine eignen Kinder.

Es steht dir nicht zu, ihn zu tadeln, antwortete sie, am wenigsten in meiner Gegenwart.

Du weißt immer, was sich schickt, rief er mit höhnender Bitterkeit. Du bist eine edle, vortreffliche Tochter, und wirst den Segen, der Häuser aufbaut, mit dir nehmen. – Laß uns hinab gehen. Jungfrau Ilda, ich danke dir. Du hast keinen Kummer, keinen Gram, kein wundes Herz. Was auch geschehen möge, Gottes Wille hat es so gefügt, und was dein Vater thun mag, gegen dich, gegen Björnarne, gegen mich, oder gegen wen es auch sei, es ist wohlgethan.

So sollst du nicht gehen, Johann Marstrand! rief sie ihm nach. Du sollst wissen, daß ich dir verzeihe, und daß ich besser von dir denke, als deine bösen Worte es verdienen.

Der Ton ihrer Stimme war so weich und bittend, daß Marstrand schnell versöhnt sich zu ihr umwandte; aber vergebens suchte er in ihren Augen den Widerhall ihrer Worte. Still und kalt blickte sie ihn an und sagte dann gelassen: Laß uns als gute Freunde scheiden und niemals den Glauben verlieren, daß wir das Rechte thun nach unserem Erkennen.

Am Abend, oder in den späten Stunden, welche Abend und Nacht bedeuteten, ob auch die Sonne hell und warm in die Fenster schien, ging es im Gaard fröhlich her. – Zur Feier der Abreise seines Gastes hatte Helgestad mehrere Nachbarn geladen, und als ein Ungeladener kam Klaus Hornemann aus der Wohnung seines Amtsbruders von der Lyngenkirche, da Sture's Krankheit sich gebessert hatte. Auch die Gaardleute rund umher sammelten sich auf dem 263 Vorplatze, wo sie bewirthet wurden und Marstrand unzählige Male leben und gedeihen ließen. In der großen Stuga wurde getanzt und in dem Gärtchen an der Seite des Hauses erholten sich die ermüdeten Tänzer und suchten im Schatten der hochgeringelten, blühenden Bohnen Schutz vor den mitternächtlichen Sonnenstrahlen.

Marstrand hatte getanzt, getrunken und gespielt. Er war so aufgeregt, so wild, so voll Laune und Uebermuth. Niemand hatte ihn je so gesehen. Seine Augen blitzten vor Lust und Neckerei, seine Hand war immer willig ein neues Glas anzunehmen, oder ein Mädchen im Kreise zu drehen und seine Zunge immer bereit zu Antworten, die er nach allen Seiten austheilte.

Mit den Männern saß er im Kreise und stritt über die Einrichtungen, die er am Balsfjord auszuführen dachte, daß viele bedenklich den Kopf schüttelten und ein schlimmes Ende von solchem unüberlegten Wirthschaften voraussahen. Den jungen Leuten versprach er Einladungen, Feste, Tänze und Jagden, und den Mädchen sagte er Artigkeiten und schien bald die Eine, bald die Andere mit seiner Gunst zu bedenken.

Seine Fröhlichkeit hatte den Erfolg, daß sie ansteckend wirkte. Paul Petersen wollte sich den Ruhm, der beste Gesellschafter zu sein, nicht nehmen lassen, vielen jungen Männern erhitzten starke Getränke die Köpfe, Gelächter und Gesänge, Mummereien und ausgelassene Scherze trieben sich gegenseitig auf die Spitze, selbst der immer ernsthafte Olaf wurde davon fortgerissen und der alte Gaard von Oerenäes zitterte unter dem Jauchzen und Jubeln seiner übermüthigen Gäste.

Endlich traf Marstrand unter dem Geblätter der Laube mit Hannah zusammen, die sich hierher geflüchtet hatte. – Nun, Herr Marstrand, sagte sie, als er vor ihr stand, ich hätte nicht geglaubt, daß Sie uns den Abschied so leicht und fröhlich machen würden.

Warum sollte er nicht fröhlich sein, erwiderte er, da ich glückliche Menschen zurücklasse, und warum sollte ich nicht freudig gehen, da mir so viele Freuden winken?

Und was ist unter dieser fröhlichen Hülle verborgen? sagte sie, ihn anblickend. Der Kummer, der in seiner Verzweiflung über sich selbst zu spotten sucht!

264 Dann wenigstens, erwiderte Marstrand, wird die Verstellung nicht lange mehr dauern, denn in einer Stunde beginnt der Morgenwind und mein Schiff bringt mich in's Meer hinaus.

In die Einöde des Balsfjord, wo es nicht viel zu lachen und zu scherzen geben wird.

Um so besser, Hannah, wenn ich nichts mehr davon sehe; wenn ich müde von Arbeit und Wachen schlafen kann, und alles Denken aufgebe, was nicht zu meinem Einsiedlerleben paßt.

Ich hoffe, erwiderte sie, daß wenn Sie Alles vergessen, doch ich und andere Leute davon ausgeschlossen sind, und obwohl der Weg über die wilden Fjelder sehr mühevoll sein soll, hoffe ich dennoch, daß wir Sie nächstens wieder hier sehen.

Marstrand schüttelte den Kopf. Nein, sagte er mit gedämpfter Stimme, ich werde lange Zeit nicht wiederkehren. Ich habe fünfzig Arbeiter in Ordnung zu halten und bin ganz allein, denn Olaf hat mir seine Hülfe versagt. Er will nicht dabei sein, wenn ich mein Geld auf schlechte Weise verthue und verliere. Das aber ist es nicht, was mich abhält, fuhr er fort. Auch ich will nicht dabei sein, um zu sehen, wie in Oerenäesgaard Glück und Freude walten. Ich will nicht sehen, wie Helgestad calculirt, wie der Voigt sein gemeines Gesicht, in welchem sich alle Laster spiegeln, täglich vergnügter und röther trinkt, will auch nicht sehen, wie sein Neffe lauernd umherschleicht und seinen Raub sich sichert, endlich aber, Jungfrau Hannah, will ich nicht sehen, wie die Einzige, die besser ist als dieser ganze Haufe, sich ihm beigesellt und ihr irdisches Heil hingeworfen hat, ohne daß ich im Stande wäre, ihr Unglück zu hindern.

Und Ilda? fragte sie, indem sie sich an sein Ohr neigte.

Marstrand fuhr zurück, Unwillen röthete seine Stirn. In dieser letzten Stunde, sagte er, hören Sie mich, Hannah Fandrem, nachdem Sie Tage lang vermieden haben, mich zu hören. Welche entsetzliche Absicht ist es, die Sie trieb, Björnarne ihre Hand zu reichen, auf Helgestad's Plan bereitwillig einzugehen und unablässig sich zu mühen, um sein Wohlwollen zu erwerben? Er, nachdem er Ihnen das schwerste Leid zugefügt, sucht Ihre Vergebung und Sie ergreifen seine blutige Hand, und drängen sich zu der Ehre, seine geliebte Tochter zu werden. Sie heucheln Zärtlichkeit gegen ihn, heucheln Liebe für 265 Björnarne, aber in Ihrer Seele brennt ein tödtlicher Haß, eine Rache, die sich selbst zum Opfer bringt, um sich an einem Unschuldigen zu rächen. Was hält mich ab, hinzutreten vor Helgestad und ihm zu sagen, was ich weiß.

Nichts als das Bewußtsein, daß man Ihnen kein Wort glauben würde, erwiderte Hannah lächelnd. Sie haben gesehen, was der ehrwürdige Priester Ihnen antwortete und haben den Verdacht unlauterer Absichten genugsam auf sich geladen.

Wahr, sagte er, aber haben Sie kein Mitleid mit Björnarne? Sehen Sie nicht, daß in seines Herzens Angst Ihre Liebkosungen ihn mit Abscheu erfüllen?

Bin ich denn so abscheulich? antwortete sie laut lachend. Welche Einbildung, Herr Marstrand, und wie artig, mir das zu sagen! Wenn es wahr wäre, ich könnte mich darüber betrüben, allein ich würde meine Liebkosungen verdoppeln, um ihn davon zu heilen.

Unglückliches Mädchen! murmelte Marstrand, versuchen Sie Gott nicht. Björnarne muß, welches seine Gefühle auch sein mögen, seines Vaters Willen befolgen. Sie werden an seiner Seite leben, am Lyngenfjord, in diesem Hause, auf dieser Bank, bis Sie sterben. Er wird sich mit seinem Schicksal aussöhnen, Sie nicht, Hannah. Ihre Rache wird mit allen Qualen dann auf Sie selbst zurückfallen.

Ihr Gesicht wurde bleich und ihre Hände preßten sich krampfhaft zusammen, aber es war nur ein Augenblick. In der nächsten Minute war sie heiter, ihre Lippen lachten wie zuvor. – Ich habe mein Schicksal gewählt, sagte sie, Gott helfe mir, ich kann nicht anders. Bedenken Sie selbst, mein Freund, was mir übrig blieb. Für mich gab es kein Rückwärts, ich konnte nur vorwärts blicken. Ich ließ meine Verlobung geschehen, ich konnte es nicht hindern. Bin ich schuld daran, wenn Helgestad's Sohn mich nicht liebt? Soll ich, ein schwaches, an diese Felsenküste geworfenes verlassenes Weib mich widersetzen? – Ich kann nichts thun, als durch Unterwürfigkeit meine Zukunft mild machen, mich bemühen, mir Gunst und Liebe zu erwerben. Das ist mein redliches Bestreben, wie können Sie es tadeln wollen? Ich suche Denjenigen zu gefallen, mit denen ich leben muß, und zeige dem Manne, der mir verlobt ist, daß ich freundlich und gefällig bin. Ich wünsche ihn zu überzeugen, daß ich eine treue 266 gefällige Gefährtin sein, ihn achten und ehren und sein Haus mit Fleiß und Geschick in Ordnung halten werde. Das sind meine Vorsätze, und ich schwöre Ihnen bei Allem was heilig ist, nie wird es anders sein; immer werde ich in Treue meine Pflichten erfüllen, nie mein Betragen ändern.

Marstrand schwieg und blickte vor sich nieder. Alles was Hannah sagte, war nicht anzufechten, und dennoch wußte er, daß es Lüge war. Eine Pause trat ein, die Blumen in dem Gärtchen wachten aus ihrem Schlaf auf, ein Luftzug fächelte über sie hin und erinnerte daran, daß der Morgen kam. Aus dem Gaard tönte die Musik und jauchzende Stimmen.

Björnarne, sagte Hannah, hat sein Herz mit einem Kummer beschwert, der Schuld an seinen matten, rothen Augen ist. Es ist lächerlich, und schamvoll zugleich, davon zu sprechen. Er kann das entlaufene Lappenmädchen nicht vergessen. Gula liegt ihm im Sinne.

Das wissen Sie? rief Johann. Wer hat es Ihnen gesagt?

Still, fiel sie lachend ein, das ist Thorheit. – Ein Freund hat es mir erzählt, ein sehr aufrichtiger Freund, der mir wohl will und mir mehr vertraut, wie Sie. Mit einem Worte, mein lieber Schwager Paul Petersen.

Der elende Heuchler! murmelte Marstrand.

Der gute Paul, fuhr Hannah fort, ohne darauf zu achten, er gibt sich die größte Mühe, den Gram des armen Björnarne zu verscheuchen. Am ganzen Fjord und überall, wohin sein Einfluß reicht und wo er Freunde hat, läßt er die kundigsten Männer aufbieten, um auszuforschen, wo die Dirne steckt. Es wird ihm endlich gelingen, ihren Aufenthalt zu erfahren, und ich glaube beinahe, er weiß schon etwas davon.

Wo dieser Mensch sich einmischt, hat er Böses vor, sagte Marstrand. Hüten Sie sich vor ihm. Warum sucht er Gula auf? Was will er thun, wenn er sie gefunden hat?

Was kümmert es mich! war ihre Antwort. Mag er sie hierher bringen, ich will sie aufnehmen, oder meinen Sie, daß ich eifersüchtig sein müßte? Ich glaube, der Schelm von Schreiber hat selbst gern in die schwarzen Augen der hübschen Dirne gesehen, wenigstens spricht er davon mit sonderbarem Eifer und Ilda mag sich in Acht nehmen, daß er sie nicht nach Tromsöe in sein Haus führt.

267 Gula, erwiderte der junge Mann, verdient Besseres als diesen Spott.

Und was verdient Ilda? fragte sie.

Ihre Achtung, Hannah Fandrem.

Mehr als das, ich bewundere sie. Sie ist so ruhig, entschlossen und verständig, wie der beste Fischhändler aus Nordland, so unterwürfig unter Gottes Willen wie ein Missionär, so demüthig wie ein Lappe und doch hat diese fromme, stille Jungfrau ein heißes, zärtliches Herz und ist stolzer als manche Reichsrathstochter.

Marstrand's Gesicht glühte, er wandte sich ab und stand auf. Hannah ergriff seine Hand. – Da kommt der Wind und zerreißt die glatte Decke des Fjord, rief sie. So wird der Morgen auch über uns kommen und wird die schwüle Luft verjagen. Man sucht uns. Leben Sie wohl, theurer Freund. Jeder spiele seine Rolle wie er kann; mögen die Betrüger betrogen werden.

Klaus Hornemann streckte den Kopf um die Ecke des Hauses; er hielt Björnarne an der Hand. – Da sitzt sie ja, die schöne Braut, rief er, die der betrübte Bräutigam vergebens sucht. Der letzte Tanz wird aufgespielt.

Nicht der letzte, lieber Björnarne, sagte Hannah auf ihren Verlobten zueilend, der mißtrauisch und ungewiß schien. Wir werden noch viele Tänze tanzen, ehe der letzte kommt, aber immer sollst du mich bereit finden, mein Bestes zu thun.

Sie zog ihn fort, Marstrand begleitete den alten, lächelnden Priester, der vertraulich seinen Arm nahm. – Nun, sagte dieser, zweifeln Sie noch, daß dies Paar ein glückliches sein werde? Solche rasche, thätige Frau muß Björnarne haben. Sie wird Segen in dies Haus bringen, Helgestad zu guten Werken und zur Buße leiten.

Marstrand hatte nichts darauf zu erwidern, denn aus dem Hause strömte die ganze Schaar seiner jungen Freunde, die sich seiner bemächtigten und ihn im Triumph in die Stuga zurückbrachten, wo er seine Abschiedsrede halten und von allen Abschiedsfreuden, Händeschütteln, Glückwünschen, Trinksprüchen und Späßen sein vollgemessen Theil erhalten sollte.

Eine Stunde später stand er auf dem Hinterdeck der Yacht, die mit weitbauschigem Segel den Fjord hinabschwamm. Unzählige 268 Hurrahs folgten dem Fahrzeuge nach, das vor dem frischen Winde sich rasch entfernte.

Ein sonderbares Gefühl ergriff ihn, als er endlich allein in der Kajüte des Schiffes saß, das ihn seinem ungewissen Schicksale entgegen trug. Vor wenigen Augenblicken noch umringt von Menschen, die mehr oder minder ihm Theilnahme zuwandten, fühlte er, daß er jetzt gänzlich vereinsamt sei, ganz auf sich angewiesen, ohne den Beistand irgend eines Wesens, das sich ihm gleich oder nahe stellen konnte.

Er warf eine Reihe ernster Blicke auf die Haufen der Kisten und Geräthe, welche den Raum füllten, und legte seinen heißen Kopf in seine Hände, bis er die Augen muthig wieder aufschlug, um sein Gelübde zu wiederholen, unablässig thätig zu sein und alle Schwierigkeiten zu überwinden. Das Glück hatte ihn begünstigt, er hatte Freunde und Unterstützung gefunden; sein Königsbrief hatte ihm einen ungeheuren Landbesitz verschafft, dies ganze Schiff mit Allem was es enthielt, war sein und rüstige Männer standen bei ihm, bereit zu seinen Diensten. Leicht mußte es sein, manche andere herbeizuschaffen, die er brauchen konnte, denn neben ihm in der Ecke sah er den Eisenkasten voll Speciesthaler, und was ist für Silber und Gold nicht zu haben! Mit Ungeduld beobachtete er den ganzen Tag über den Lauf der Yacht, die an der Küste hinauffuhr und am nächsten Morgen vor Tromsöe Anker warf. Der Voigt hatte ihm einige Arbeiter, Zimmerleute und Holzfäller genannt, welche gegen guten Lohn und Versprechungen geneigt sein würden, ihn zu begleiten, und wirklich fand er mehr guten Willen dazu, als er erwartete. Das Gerücht von der neuen Niederlassung am Balsfjord und von dem dänischen Herrn, welcher dort Mühlen bauen und den Balselfwald zu Balken und Brettern zerschneiden lassen wollte, war vor ihm nach Tromsöe gelangt und obwohl die Meisten darüber spotteten, so waren sie doch nicht abgeneigt, den Zug mitzumachen, um auch ihren Theil an dem weggeworfenen Gelde in Empfang zu nehmen. – Der Balsfjord war öde und ziemlich unbekannt, verrufen als ein fischarmer Meeresspalt, an dem nur Lappen und Rennthiere hausten. Aber auch in diesen armen, trägen, von Noth und Klima entnervten Männern war immer noch ein Theil der Triebe und Leidenschaften ihrer Vorfahren, jenen raubsüchtigen, gierigen und abenteuerlichen Normannen zurückgeblieben, 269 und als die Yacht ihren Weg fortsetzte, hatte sich die Zahl der Arbeiter am Bord um das Doppelte vermehrt.

Am dritten Tage lief das Schiff in die gewundene immer enger werdende Seebucht ein, aber der Anblick war kein schreckender. Liebliche Gründe streckten sich, je weiter man gelangte, um so breiter und grüner aus. Die nackten, schwarzen Felsen wichen zurück und gaben Raum für kleine Thäler, aus denen Bäche hervorpolterten, welche da und dort schäumende Kaskaden bildeten. Ueber die Vorhügel fort erkannte der Blick manche mit dichtem Grün und leuchtenden Birkenblüthen bewachsene Absätze der Berge, und endlich sah man den neugebauten Gaard liegen, der auf erhöhtem Boden stattlich und groß aussah.

Mit einem dreifachen Hurrah wurde das Haus begrüßt und aus den verschiedenen Erdhütten und kleinen Gebäuden stürzten Männer und Weiber den Ankommenden entgegen. Ein Pfahlwerk war schon zwischen den Ufersteinen begonnen, wo das Packhaus stehen sollte, und wenigstens war es so weit gediehen, daß die Yacht sich dicht davor festlegen konnte. Marstrand war der Erste, der mit einem mächtigen Sprunge das Land erreichte, und da stand er nun, wie Helgestad sagte, auf seinen eigenen Füßen, seinen Hut auf dem Kopfe, ein Mann, der beweisen soll, daß er für sich selbst zu sorgen versteht.

Die Ausschiffung ging vor sich und die ersten Tage des neuen, wilden Ansiedlerlebens vergingen Marstrand in Verwirrung und Unruhe. Die Räume des Hauses wurden mit den Kisten und Kasten, Ballen und Geräthen gefüllt. Es gehörte eine beständige Aufmerksamkeit und Aufsicht dazu, um eine erste Sonderung und Ordnung zu ermöglichen, aber Helgestad hatte für einige bewährte und verständige Leute gesorgt, die im Stande waren, Marstrand zu unterstützen, und dieser selbst zeigte einen solchen Ueberblick und solche Ruhe in seinen Anordnungen, daß bald die Thätigkeit geregelt ward und alles Nöthige in Uebereinstimmung ausgeführt wurde.

Nach einer Woche war das Hauswesen nothdürftig eingerichtet, die Arbeiter untergebracht, das Schiff entladen, Boote für den Fischfang eingerichtet, Stellen ausgesucht, um für die verschiedenen Familien Hütten zu bauen und überall kam die Arbeit in Gang, überall war Hoffnung und Lust in den Gesichtern. Die Yacht hatte bedeutende 270 Vorräthe an Mehl und Lebensmitteln aller Art mitgebracht und Marstrand theilte reichlich davon aus, ohne an Wiedererstattung zu denken. Für die erste Zeit gab es hier kein Schuldenconto. Die Fischer mußten für sich selbst sorgen, die Holzschläger erst sich Wohnungen schaffen, der Gaard und sein Kramladen erst eingerichtet sein, das ganze sonderbare Uhrwerk dieses Lebens erst aufgezogen werden.

Mit der größten Anstrengung aller Arbeitskräfte ließ Marstrand sein Vorrathshaus bauen und was an Bäumen und Holzwerk noch nicht vorhanden war, im Walde fällen, aber er lernte dabei kennen, mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hatte, um einen nur einigermaßen brauchbaren Zugang zu dem Felsenthal der Balself zu gewinnen. Ueber steile Spalten mußten Brücken gebaut, ein Weg mußte angelegt, geebnet und erhöht werden und oftmals erforderte es eine bedeutende Erfindungsgabe, um ein Hinderniß zu beseitigen, das erst nach manchen mißlungenen Versuchen verschwand.

Dieser Weg zum Bergwalde wurde nach und nach die Hauptaufgabe des unternehmenden Besitzers, der vom Malangerfjord Arbeiter kommen ließ, Jeden miethete, der herbeizuschaffen war und namentlich nach tüchtigen Zimmerleuten und solchen, die von der Anlage einer Schneidemühle einige Begriffe haben konnten, umhersuchte. Aber wie wenige Menschen dieser Art waren hier anzutreffen! Mit Mühe und nach vielen Versprechungen wurden ein paar Nordländer dazu bewogen, die sich in Lenvig aufhielten und sich rühmten, Mühlen in Trondhjem und im ganzen Norderamt erbaut zu haben. Als sie jedoch das Balselfthal sahen, den wilden, tiefen Strom, die jähen Wände, die abschüssigen Gründe, erklärten sie es für unmöglich, auch nur eine Stelle aufzufinden, wo eine Mühle gebaut werden könnte. Marstrand's baares Geld allein war im Stande sie dazu zu bewegen, nach seinem Willen und seiner Anweisung Hand an's Werk zu legen und den Versuch wenigstens zu wagen.

Je mehr die Schwierigkeiten wuchsen, um so mehr steigerte sich die Energie des jungen Ansiedlers, obwohl steigende Sorgen nach und nach ihre schwarzen Flügel über seinem Kopfe zusammenschlugen. Von der frühsten Morgenstunde bis in die Nacht hinein war er geschäftig. Bald bei den Arbeitern, die das Packhaus vollendeten, bald bei den Mühlenbauern, bald bei denen, die am Wege schafften, 271 oder in den Seitenthälern am Fjord, wo seine Holzhauer auch thätig waren. Kam er in's Haus zurück, so erwartete ihn neue Arbeit und neue Noth. Viele Menschen forderten von ihm Nahrung, Geld und Belehrung. Er mußte Streite schlichten, mußte Mißvergnügte beruhigen, mußte seine wirthschaftlichen Verhältnisse ordnen und sollte zugleich ein Kaufmann sein, der seinen Nutzen wahrnahm und seine Rechenbücher zur Hand hatte.

Die Berge der Halbinseln am Ulvsfjord bevölkerten sich mit ziehenden Lappenfamilien und das Geklingel der Rennthierglocken tönte von den Alpen, der Knall der Büchsen hallte über den Meeresarm und Abends kamen Männer in braunen Hemden, spitze Ledermützen auf den Köpfen und Komager an den Beinen, die neugierig den Arbeiten zusahen, und Vögel, Rennthierhörner und Felle zum Tausch gegen Pulver, Blei und Messer, oder gegen Zwirne und Nadeln brachten.

So standen die Sachen, als zu Marstrand's größter Freude eines Tages Olaf Veigand in sein Haus trat. Wie ein Wesen höherer Art empfing er den ehrlichen, einfachen Olaf, der seinen herzlichen Empfang eben so herzlich erwiderte.

Die Neuigkeiten, welche er mitbrachte, waren nicht von besonderer Art. Helgestad war noch nicht zurück, der Schreiber führte dagegen ein unbeschränktes Regiment, das zu allerlei Auftritten Anlaß gegeben hatte. Ilda, die sonst durch ihre Ruhe und verständige Tüchtigkeit einzuwirken wußte, hatte nur unterthänige Sanftmuth gegen ihren herrschsüchtigen Verlobten, der sie übermüthig und anmaßend behandelte, Björnarne aber war ganz von ihm abhängig, und durch Teufelsmittel, wie Olaf sagte, ein Bursch geworden, den Niemand wiederkenne. Um Nichts kümmere er sich, öfter schon sei er mehrere Tage lang in die hohen Fjelder gelaufen und wie ein Wilder, abgehungert und zerrissen, wieder heimgekehrt. Es müsse ihm etwas angethan sein, ein Trank gegeben oder ein Hexenspruch über ihn gesprochen sein, denn seine Augen sähen zuweilen aus, wie die eines Wahnsinnigen und seine Glieder bebten wie im Fieber, wenn man ihn fragen oder ausforschen wollte. Die Einzige, die dem Schreiber die Spitze bietet, berichtete Olaf weiter, ist Hannah, und eine Freude ist's, zu sehen, wie sie ihm sein Theil gibt, obgleich es nichts hilft. Nicht geringer auch ist 272 ihre Liebe zu Björnarne, den sie zu schmeicheln und zu streicheln weiß, allein er verdient es nicht, denn je mehr sie es thut, je ungeberdiger wird er. In meinem Aerger, und weil ich es nicht länger ertragen konnte, bin ich fortgelaufen, tief hinein in die Jauren, und beinahe um mein Leben gekommen.

Er nahm seinen Hut ab und zeigte Marstrand die großen Löcher einer Kugel, die ihren Weg durch den Filz genommen hatte. Sieh her, sagte er, das Blei ging dicht über meinem Schädel fort. Mag die Hand verdorren, die den Schuß that! Aber verdammt will ich sein, wenn es nicht eine war, die ich kenne.

Wer könnte dich ermorden wollen?

Bist du je da hinauf gewesen, fragte Olaf, wo der ungeheure Felsenkegel steht, den sie den Kilpis nennen?

Marstrand verneinte es.

Das ist ein seltsames Stück, fuhr Olaf fort. Ein waldiges, zerrissenes Fjeld führt hinauf. Bald findest du tiefe Schluchten voll Wald, tobende Wasser darin, bald nackte Spalten, schwarz, zertrümmert und wie verbrannt, bald wieder ebene Flächen voll ungeheurer Steine und Blicke, die manchmal ganz seltsam in Kreisen liegen, als hätten Menschenhände sie dort aufgestellt. – Eine Heerde wilder Rennthiere sprang über diese Klippen fort, ein halbes Dutzend Wölfe war ihnen auf den Fersen, ich hinter beiden und in meiner Jagdlust vertieft, ihnen den Wind abzugewinnen, dem eine Rennthiernase immer entgegen läuft. Es war aber Alles vergebens. Der ganze Schwarm stürzte in eine Schlucht hinab, und weit aus der Ferne hörte ich das Rasseln ihrer Geweihe und das heisere Heulen ihrer Verfolger. Als ich jenseits des Spalts aufkletterte, stand der Kilpis vor mir, ein kantiger Felsenstock, wohl eine Stunde lang, und mehr als tausend Fuß hoch. Mitten in einem Meer von Trümmern ragte er auf; das Wasser sammelte sich darunter in einem schwarzen See, Sumpf lag rings umher, überdeckt von endlosen Feldern rother Molfebeeren und gelber Enzianblüthen. Kein lebendiges Wesen war zu entdecken, kein Laut bewegte die Luft, nur zuweilen polterte ein Stein von dem schwarzen steilen Riesenkopf herunter und fiel in das aufspritzende Wasser.

Wie ich den sonderbaren Felsen betrachtete, erinnerte ich mich, daß die Lappen ihn anbeten, als den heiligen Sitz ihres Götzen 273 Jubinal, und ich spürte umher, ob ich keines der schmutzigen, lauernden Thiere entdecken könnte, denn meine Tasche war leer und meine Zunge klebte am Gaumen fest, doch Alles vergebens. Ich kletterte auf einen Höcker am Rande und schaute mich um, nichts als tiefe Klüfte, schwarze Kretlingranken für die Bären, verwachsenes Birkengestrüpp und die kahlen, öden Fjelder der Alpen. Ich riß Enzianstengel ab und steckte sie in den Mund, wie es die Lappen thun um den Durst zu stillen, doch plötzlich zu meiner Freude, sah ich über einem Grat des Berges, der mir gegenüber lag, einen dünnen Rauch aufsteigen. Es war harte Arbeit genug, um durch Sumpf, Wald und Wasser bis dahin zu gelangen. Mehr als einmal verlor ich die Richtung, ein wahrer Irrgarten von Steinen, Schutt und wildem Buschwerk lag davor, endlich aber stand ich oben und blickte in ein grünes Thal hinunter, das wie mit einem Messer eingeschnitten in den Leib des Kilpis lief. Menschen sah ich nicht, allein es war so schön hier, als müßte dies Thal bewohnt sein. Ein heller Bach strömte zwischen bewachsenen Ufern, hohe Bäume wuchsen am Rande der Felsenmauer, und ein leiser klingender Ton verkündigte Rennthiere, die Leitglocken trugen.

Ich habe oft gehört, daß es in diesen Einöden solche kleine liebliche Flecke geben soll, die wie das Paradies aussehen, ebenso wie Bücher erzählen, daß es mitten in dem Sandmeere der heißen Länder solche gibt. Wie verzaubert blickte ich hinunter, eben aber als ich umherschaue, wo ich am besten einsteigen kann, höre ich einen Knall, ob von oben oder unten, ich weiß nicht woher er kam, aber mein Hut fiel mir vom Kopfe und mein Haar richtete sich auf. Mit einem Satz war ich von dem Grat und duckte mich hinter einen Stein. Mein Büchsenlauf zielte nach allen Seiten, nichts regte sich. Ich sah keinen Rauch aufsteigen, wahrscheinlich hatte der Schelm aus der Schlucht herauf geschossen, wo ich ihn nicht bemerkte. – Es ist keine Schande, Johann Marstrand, daß ich zu laufen anfing, und hinter mir her schallte ein höllisches Gelächter, als wäre es Jubinal selbst, der vom Kilpis herunter schrie. – Im Sumpf bis an's Knie watete ich durch die Moorbüsche und war von Herzen froh, als ich wieder an dem schwarzen See stand und meine Richtung hatte. Am Abend war ich an den Balselfquellen, die von der Tanajaure strömen und wer 274 kam mir dort entgegen? Kein Anderer als Mortuno, der schiefäugige Schuft, die Federmütze auf sein linkes Ohr gesetzt, und so boshaft grinsend, wie ein blauer Fuchs, wenn er den Fischern das Fischgerüst erstiegen hat. An den Quellen lagerte seine Heerde, vier Zelte standen dort in dem Gehege und eine ganze Bande Männer und Weiber hockte um den Feuerstein, die eine häßlicher als die andere.

Und von Gula keine Spur dort? fragte Marstrand.

Nichts konnte ich erfahren. Der lächerliche Bursche nöthigte mich, in seine Gamme zu treten und auszuruhen, aber wenn er auch nicht so höflich gewesen wäre, ja wenn alle diese fratzigen Wechselbälge sich gegen mich erhoben hätten, ich wäre doch nicht von der Stelle gegangen, denn ich war erschöpft und hungrig, daß ich Rennthierkäse verschlungen haben würde.

Brachtest du denn nicht das Gespräch auf Gula, lieber Olaf?

Ich that's wohl, denn Ilda macht immer noch Aufhebens von ihr, auch Björnarne kann die gelbe, schwarzäugige Hexe nicht vergessen. Ich fragte nach ihr, aber Mortuno zeigte mir seine Affenzähne von einem Ohr bis zum andern, wieherte mit dem übrigen Gesindel, sprach und schrie in seiner nichtswürdigen Sprache, die kein ehrlicher Mensch versteht und dann krümmte er sich zusammen, zuckte die Achseln, sah aus, als wollte er in Traurigkeit heulen und schüttelte den Kopf, als müßte er dem Taugenichts von den Schultern fallen.

Er log, sagte Marstrand, Gula lebt.

Er log ganz gewiß, denn gleich darauf grinste er mich an, betrachtete sich wie ein Skarf auf der Klippe, der seine Federn putzt und theilte mir mit, daß, sobald Gula gefunden sein würde, er sie Afraja abkaufen würde.

Abkaufen? Ist er toll?

Haha! schrie Olaf lachend. Du kennst das nicht. Abkaufen heißt auf gut lappisch, heirathen. Der Vater des Mädchens bekommt eine Anzahl Rennthiere oder irgend eine andere Gabe, dafür bringt er seine Tochter in irgend einen heiligen Steinkreis, eine Saita, wie sie es nennen, wo er sie dem Manne überliefert, der sie in seine Gamme führt. Das ist der ganze Hochzeitsgebrauch unter diesem elenden Gesindel. Die Regierung und der fromme Klaus mögen thun, 275 was sie wollen, es kommt selten Einer, der sich christlich trauen lassen will.

Afraja wird nimmermehr seine Tochter diesem Mortuno geben, sagte der Junker mit vieler Wärme. Gula wird ihn nicht nehmen, sie wird sich nicht diesem garstigen Tölpel verkaufen lassen.

Bah! erwiderte Olaf, was will sie mehr? Mortuno ist ein feiner Herr bei seines Gleichen, und seine eitlen Narrheiten abgerechnet, ist er ein pfiffiger Hallunke, dem ich die schlimmsten Dinge zutraue. Gehängt will ich sein, wenn seine Kugel nicht durch meinen Hut gegangen ist.

Ich las die Freude darüber in seinem Spitzbubengesicht, fuhr Olaf fort. Du erinnerst dich, daß Mortuno einmal in Oerenäesgaard war, wo wir unsere Scherze mit ihm trieben. Demüthig, wie diese Schelme sind, wenn sie sich in unserer Gewalt befinden, bedankte er sich für Alles und lachte zumeist darüber. Als ich jetzt in seiner Gamme saß, erinnerte er mich daran, daß ich ihn zum Nachtwächter auf Bodöen machen wollte, Paul Petersen aber ihn zu seinem Leibschützen ernannt hätte. – Nun seht, rief er in seinem norwegischen Kauderwälsch unter allerlei Fratzen und Gelächter, habe das nicht vergessen, guter Vater; Mortuno vergißt nichts, kommt ihr zu ihm in das Land der Kinder Jubinal's, wird er wachen, wie der Zwerg Bugo über den Riesen Julpus gewacht hat.

Die Blicke, mit denen der Schelm mich musterte, machten, daß ich die Hand unwillkürlich an mein Messer legte, aber er klatschte in die Hände, lustig wie ein Narr, legte sich auf den Rücken vor Freude und gurgelte etwas durch seine Kehle, was die andern in dasselbe Entzücken versetzte. Sie sahen mich mit ihren runden, rothen, tückischen Augen an wie leibhaftige Teufel. Ein Schauder lief mir den Rücken herauf, ich mußte alle Kraft aufbieten, um keine Furcht zu zeigen. Endlich legte Mortuno die Hand auf meinen Arm, streichelte und schmeichelte zu meinem Ekel mir an Hals und Kopf herum, was ich dem Hund gedenken werde, doch ich litt es geduldig, lachte mit ihm und sagte kein Wort, als er mir den Hut vom Kopfe riß und die Löcher daran wie verliebt betrachtete. – Hehe! mein Väterchen, schrie er, sind das ein paar häßliche Löcher; nimm dich in Acht vor 276 dem Nächstenmale. Will dir erzählen, wie es Bugo der Zwerg mit dem Riesen, seinem Herrn, gemacht hat.

Er nahm meine Pfeife aus meiner Tasche, den Tabak aus meinem Beutel und rauchte nach Herzenslust, der unverschämte Schlingel. Bugo, sagte er dann, war ein Finne, ein feiner, kluger Mann, der hier wohnte. Julpus hieß der Riese, der am Meere lebte und ein solches Ungeheuer war, daß er mit einem Schritt über den Lyngenfjord schreiten konnte. Bugo war ein Bogenschütz, dem Ayka, der Donnergott, seine Kunst gelehrt hatte, die so groß war, daß kein Wolf, kein Vogel und kein Fisch im Wasser ihm entgehen konnte. – Du sollst mein Haus bewachen und es gut haben, sagte der Riese zu ihm, und Bugo war es zufrieden. Was Julpus befahl, that er. Er wachte für ihn, jagte für ihn und wenn Julpus schlief, stand er neben ihm und schoß ihm mit seinen Pfeilen die Fliegen vom Gesicht, ohne je seine Haut zu ritzen. Das that er ein Jahr lang, dann forderte er seinen Lohn, aber Julpus lachte ihn aus. Du Dummkopf, schrie er und tippte ihn mit einem Finger an, daß Bugo sogleich auf seine Knie stürzte, sprich noch ein Wort, und ich zerdrücke dich wie eine Krekelbeere. Bugo bat demüthig um Verzeihung, als aber Julpus schlief, nahm er seinen Bogen, und schoß einen mächtigen Pfeil dicht über des Riesen Kopf durch dessen Haar, das viele Fuß dick war. Der Pfeil ging tief in die Felsenwand und nagelte Julpus fest, der erschrocken auffuhr und flehentlich bat, daß Bugo ihn befreien möchte. Willst du dies Land verlassen und niemals wieder kommen? fragte der Zwerg. Julpus versprach Alles, da zog Bugo den Pfeil heraus, kaum aber war das geschehen, so sprang der fürchterliche Riese auf, quetschte Bugo zwischen seinen Fingern zusammen, daß ihm das Blut aus Mund und Ohren lief und schrie: Du Narr, spasse noch einmal so mit mir und ich will dich sieben Meilen weit über alle Inseln und Berge fort in's Meer schleudern.

Willst du nicht halten, was du mir geschworen hast? fragte der Zwerg.

Nichts will ich halten, schrie Julpus, aber das Genick will ich dir brechen, wenn du nicht mein Knecht sein willst.

Da nahm Bugo seinen Bogen und seine Pfeile und lief auf den Kilpis, und als er den Riesen kommen sah, der ihn suchen und 277 fangen wollte, sagte er lachend: Ich habe dich gewarnt, Väterchen, aus meinem Lande zu bleiben. Ich schoß durch deinen Hut von Haaren, jetzt werde ich meinen Bogen tiefer halten und wie er sprach, flog sein Pfeil dem Julpus mitten durch den Kopf. Er stürzte in den schwarzen See und kam nie wieder zum Vorschein. Da liegt er noch und brüllt zuweilen bei Nacht herauf, daß Alle fliehen, die ihn hören.

So, erzählte Olaf weiter, sprach dieser langhaarige Schuft und sah dabei mit solchem abscheulichen Lachen mich und meinen Hut an, daß ich wohl wußte, was er meinte. Den ganzen Abend über trieb er Spott mit mir und wie es kam, daß ich am Morgen nicht mit abgeschnittener Gurgel aufwachte, weiß ich noch heute nicht. Ich lag jedoch fest eingeschlafen zwischen Hunden und Menschen in der Gamme, und als ich, von einem Schütteln geweckt, aufsprang, stand das grinsende Geschöpf vor mir mit einem Topfe warmer Rennthiermilch, Brodkuchen eingebrockt, was Beides ganz vortrefflich schmeckte. Dann wies er mir den nächsten Weg durch Busch und Felsen, zeigte mir, wie ich dem Stromlauf folgen müßte, und that es mit solcher Würde, wie ein Affe, der rothe Hosen angezogen hat.

Lebe wohl, Olaf Veigand, schrie er mir endlich nach, und denke immer an den Riesen Julpus und an den Zwerg Bugo.

Ich hätte ihm gern ein Andenken zurückgelassen, schloß Olaf seine Geschichte, aber wußte ich, wer von den Strauchdieben etwa hinter den Steinen hockte? Wenn aber jemals das schwarze Thier in meine Hände geräth, wenn ich ihn je wieder treffe, soll er mir Alles richtig bezahlen.

Marstrand hörte lächelnd zu; er sah wohl ein, daß Mortuno ein arges Vergeltungsrecht geübt und den stolzen Nordländer empfindlich gedemüthigt hatte. Er suchte ihn zu begütigen und führte ihn dann in dem Gaard umher zu den verschiedenen Arbeitern und bis in den Wald hinaus zu den Baumfällern und Mühlenbauern. Je mehr Olaf jedoch sah und hörte, um so weniger zeigte er sich befriedigt und endlich konnte er seinen Tadel und seine Besorgnisse nicht zurückhalten.

Es ist in Nordland zwar Sitte, sagte er, daß Niemand eines Mannes Werke herabsetzt, sondern Jeder in seiner Weise schaffen 278 mag, wie es ihm zusagt, aber weil ich dein Freund bin, Johann Marstrand, kann ich nicht schweigen, weil ich sehe, daß dein Weg in den Abgrund geht. Du läßt dich auf Dinge ein, die du vielleicht beginnen könntest, wenn du alles Andere wohl geordnet hättest, so wie du stehst aber, muß es dein Verderben sein. Deine Niederlassung ist groß und allem Anscheine nach würdest du bald Vermögen erwerben, wenn du es machtest, wie es andere Männer thun. Du hast Fische im Fjord und hinaus bis zur Strömmenbucht gehört dir das Meer, allein du hast keine Fischer. Wo sind deine Fischgerüste, die jetzt voll hängen müßten? Wo ist dein Waarenhaus? Wo sind deine Pressen? Wie steht es mit deinen Einrichtungen im Hause und im ganzen Gaard? Alles ist vernachlässigt, unfertig, keine Sorge getroffen, um auf den Winter gerüstet zu sein. Nirgend sehe ich die Spuren eines Anbaues; du verschwendest deine Vorräthe, ernährst eine große Zahl Menschen, die, träge und nachlässig wie sie sind, so wenig wie möglich und obenein ganz Unnützes thun. Die schönen kleinen Thäler, wo fleißige Kolonisten wohnen könnten, liegen so wild wie sie waren; elende Hütten sind hier aufgerichtet, statt feste Balkenhäuser für deine Gaardleute. Alle deine Kräfte, dein Geld und deine Nahrungsmittel wirfst du hin, um einen Weg zu diesem Walde zu schaffen, dessen Bäume dich todt schlagen werden. Erst das Nächste, Freund Johann, dann was dir weiter liegt. Du bauest dein Glück auf Säcken voll Wind, sie werden platzen und wenn du deine Augen dann öffnest, wirst du in leeren Raum fassen.

Marstrand vertheidigte sich, aber Olaf ließ sich nicht bedeuten. Ich kann den Mann nicht loben, sagte er, der in die Sonne sieht und dabei mit den Füßen über jeden Stein stolpert und fällt. Laß uns deine Vorräthe untersuchen und den Ueberschlag machen, was du gebraucht hast und noch brauchen wirst.

Die Untersuchung wurde angestellt und es fand sich, daß der junge Gaardherr sechs Mal so viel verbraucht hatte, als bei Olaf's Einrichtungen möglich gewesen wäre, und wenn er so fort wirthschaftete, mußte er, ehe der Herbst kam, fertig sein. Auch sein baarer Geldvorrath war zusammengeschmolzen, sein Schuldbuch bewies, daß er schlecht gerechnet hatte. Er war getäuscht und seine Gutmüthigkeit 279 vielfach benutzt worden, dabei hatte er Vorschüsse gemacht und war verschwenderisch gewesen.

In Summa, sagte Olaf, du hast Alles übel begonnen und scheinst mir schon jetzt ein verlorener Mann, wenn du nicht auf der Stelle deinen Fehler gut machst. Jage drei Viertel dieser Tagediebe fort, laß die Bäume liegen, wo sie sind, wirf deine Mühlen und Sägen in den Fjord, mögen Bergwasser und Schuttstürze deinen Weg verschlingen, aber thue deine Augen weit auf und beginne das Nützliche. – Du mußt an den Lyngenfjord reisen und um Hülfe bitten, um neue Vorräthe aller Art und dann klüger sein. Ich will an deiner Stelle bleiben, will Ordnung schaffen und den Bau deines Packhauses vollenden, schaffe dir nur das nutzlose Volk zunächst vom Halse, das dich auszehrt und obenein über die Dummheit des dänischen Hans Narren lacht.

Marstrand fühlte das Wahre in diesen rauhen Vorwürfen und doch konnte er sich nicht entschließen, darauf einzugehen. Sein Stolz ließ es nicht zu; er schämte sich, vor aller Welt einzugestehen, daß er wirklich wie ein Narr gehandelt habe. Weit umher bis gegen die Finnmarken begann man von dem neuen Unternehmen zu sprechen. Von Tromsöe, von den Inseln, vom Malanger und selbst vom Nordland kamen Leute, die mit Verwunderung seine Arbeiten beschauten und ihr Erstaunen ausdrückten. – Mochten Manche auch ihre besondern Gedanken dabei haben, so war doch gewiß, daß sie nicht ohne Ueberzeugung blieben, diese Wälder könnten, wenn es gelänge, sie zu Balken zu machen, außerordentliche Vortheile gewähren. Und Marstrand zweifelte nicht daran. Er war zufrieden mit dem, was er gethan, und wußte, daß er alle Schwierigkeiten besiegen werde. Jetzt aufhören, hieße Alles aufgeben, hieße ihn dem Gelächter und Spott überliefern, und als er allein die Elf hinauf ging und daran dachte, daß all sein Streben umsonst gewesen sein sollte, schien es ihm unmöglich, sich zu fügen.

Langsam war er nachsinnend und überlegend bis zu dem einsamen Grunde gekommen, wo der Bär einst getödtet wurde, als er aufblickte und auf einem der Felsenblöcke Afraja sitzen sah.

Der alte Mann trug sein Sommerkleid, eine kurze Blouse von braunem Baumwollengewebe. Ein Rennthier von außerordentlicher 280 Größe mit ungeheuren Geweihen stand neben ihm, auf dessen Rücken eine Art Sattel mit hohen Kissen geschnallt war. Die beiden gelben Hunde des Greises lagen auch diesmal zu seinen Füßen und er selbst, seinen langen Stab in der Hand, beugte sich zusammengekauert darauf nieder.

Als die Hunde knurrend aufstanden, hob Afraja den Kopf empor und ohne ein Zeichen von Ueberraschung erwartete er den Nahenden, in dessen Gesicht eine plötzliche Freude aufstieg, denn hier war der Mann, der ihm helfen konnte, wenn er wollte.

Ich freue mich, dich unverhofft zu finden, rief er aus, als er ihm nahe war.

Setze dich zu mir, erwiderte der Lappe, ich habe dich erwartet.

Wie wußtest du, daß ich kommen würde? fragte Marstrand, ungläubig lächelnd.

Ich wußte es, sprach Afraja mit Nachdruck. Ich weiß Vieles.

So sage mir zuerst, fuhr der junge Mann fort, wie es Gula geht?

Es geht ihr wohl, war die Antwort.

Wo hast du sie? Ist sie in der Nähe?

Der alte Häuptling ließ eine Minute vergehen, ehe er seinen Bescheid ertheilte. Die Hände um seinen Stock geklammert, schien er sich zu bedenken. Mein Kind, sagte er, sitzt in seiner Gamme am Ufer des Baches, wo die guten Götter Blumen wachsen lassen. Sie lacht und freut sich, daß sie frei umherspringen kann mit den leichten Füßen des Rennthieres unter jungen Birken, und nicht mehr in dem engen Hause des Geizhalses wohnt.

Helgestad hat ihr Gutes gethan, sagte Johann und er erinnerte sich, was er Ilda versprochen hatte. Ich glaube dir nicht, Afraja, fuhr er fort, du bist ein harter Vater. Du hälst sie gewaltsam in irgend einer Einöde versteckt und zwingst sie, bei dir zu bleiben.

Ist sie nicht freiwillig gekommen? antwortete der alte Mann. Hat sie das Haus am Lyngenfjord nicht selbst verlassen, um wieder bei mir zu wohnen?

Aber sie sehnt sich, dorthin zurückzukehren.

Glaube mir, sagte der Lappe, daß ihre Augen hell sind und ihre Lippen lachen.

281 Was willst du mit ihr? Was soll ihr Schicksal sein? rief der junge Mann lebhaft. Soll sie mit dir umherwandern bis an's Eismeer, Jahr aus Jahr ein? Sie muß verderben bei solchem Leben, und du bist alt, Afraja. Was soll aus ihr werden, wenn du von ihr scheiden mußt?

Sie wird den Mann nehmen, an dessen Heerd ihr Platz ist.

Wen? Mortuno etwa?

Afraja bückte sich tief nieder und antwortete nicht.

Ist das ein Mann für dein Kind, das sittlich und geschickt, zu Besserem bestimmt ist? fuhr Marstrand fort. Du wirst die Blume, die Gott dir gab, welken und sterben sehen, ehe der Winter kommt, und vergebens dann bereuen.

Du weiser Vater, sagte Afraja aufblickend, bedenkst du, was du sprichst? Gula ist eine Tochter des verstoßenen Volkes, wo soll sie wohnen, um glücklich zu leben? Bei Euch etwa? Soll sie als Magd verachtet und verspottet sein? Soll sie eines schmutzigen Quäners Haus hüten? – Wer hat uns in diese Wüste gejagt? Wer hat uns das Land unserer Väter geraubt? Wer zwingt uns, mit dem Rennthier umherzuwandern?

Marstrand schwieg darauf. Er konnte dem alten Mann nicht Unrecht geben. – Du klagst gerecht, sagte er endlich, aber nicht Alle verdienen deine Vorwürfe.

Du, erwiderte der Lappe, bist milder wie diese harten, gierigen Männer. Du bist ein verständiger, freundlich gesinnter Jüngling, aber würdest du Gula in dein Haus führen? Würdest du sie an deinen Heerd setzen und deine Schüssel mit ihr theilen?

Er schlug ein lautes Gelächter auf, nickte heftig mit seiner hohen spitzen Mütze und krümmte sich an seinem Stabe zusammen, als er die Wirkung seiner Frage sah. – Siehst du wohl, Väterchen, siehst du wohl, schrie er dann. Bist du gerechter, bist du besser? Aber du kannst es nicht sein, denn sie würden dich behandeln, wie sie uns behandeln. Sie würden dich fortstoßen wie einen Hund, sie würden Schimpf und Schande über dich bringen, dich jagen wie den grauen Wolf und nichts würde dir übrig bleiben, als in die Wüste zu fliehen, wo die Verachteten wohnen.

282 Afraja sprach mit klarer, voller Stimme und ohne die gewöhnlichen Wortverdrehungen und Zeichen der Lappen. Verständig und mit der Würde, die Marstrand schon öfter an ihm bemerkt, beschrieb er ihm das Unglück seines Stammes, und er bemerkte den Eindruck recht gut, den er damit auf seinen Zuhörer machte, der mit Theilnahme und Rührung seine Schilderungen vernahm.

Um dessentwegen, sagte Afraja endlich, kannst du niemals wünschen, daß mein Kind wieder zu Euch hinabsteigen soll. Laß sie, ich bitte dich, bei denen, die sie lieben und als Afraja's Tochter ehren, und sage den Thoren, die sie suchen wollen mit ihren blinden Augen, daß sie auf ihrer Schwelle sitzen mögen, im Schatten ihrer Häuser, fern von uns und unseren Gammen, die sie uns gelassen haben.

Ich höre dich mit Erstaunen, sagte Marstrand. Wären alle Männer deines Stammes so verständig wie du, so würde auch der Sinn derer sich ändern, die Euch bis jetzt verfolgt haben.

Nichts würde sich ändern, Jüngling, antwortete Afraja. Wen hassen sie zumeist? Mich, weil sie mich klug nennen. Wenn die Männer meines Stammes mir glichen, würde ihr Haß jeden verzehren wollen.

Sie hassen dich, weil sie dich fürchten, sprach der Junker, dein Volk aber verachten sie und verlachen es. Macht, daß sie nicht mehr lachen, so wird es besser werden. Haß kann man versöhnen oder mit starkem Haß vergelten, wer verachtet und verlacht wird, ist kein Feind, der Besorgniß erregt.

Afraja hörte still zu. Er saß nachdenkend auf dem Stein, seine kleinen, röthlichen Augen rollten hin und her und richteten sich lauernd auf den Rathgeber.

Laß uns von deinen Angelegenheiten sprechen, begann er darauf, als Marstrand schwieg; ich bin darum gekommen. Oft schon, wenn du schlaflos auf deinem Bette lagst, flüsterten deine Lippen meinen Namen. Du riefst mich.

Du weißt mehr als ich selbst, sagte Marstrand.

Du riefst mich, weil du mich brauchst, fuhr der Alte fort. Du gibst viel Geld aus, ernährst viele Leute. Deine Säcke und Kasten werden leer, deine Silberthaler gehen in anderer Männer Taschen.

283 Da hast du Recht, antwortete der Gaardherr. Ich fürchte selbst, daß ich einhalten muß und mein Werk nicht vollenden kann.

Afraja lachte heißer auf. Thu' es nicht, Väterchen, sagte er, dein Werk ist gut. Helgestad wird kommen und dich loben.

Wird er mich auch ferner mit Geld und Waaren unterstützen, trotz deiner Warnungen?

Er wird kommen, der gute Vater, und wird seine Nase reiben. Deine Sägemühle wird ihm gefallen und dein Fleiß wird ihm gut dünken.

Wenn aber Helgestad sich zurückzieht, Afraja, kann ich dann auf dich rechnen?

Der Zauberer antwortete mit einem falschen Grinsen und Nicken. Laß uns sehen, Väterchen, murmelte er, laß ihn kommen und sprechen, du wirst ihn hören. Geh' dann, wenn es dir gutdünkt, an den Fjord hinab, bis dahin, wo einst Jubinal seine Hand ausstreckte und den bösen Voigt in seinem Hause zermalmte. Dahin gehe, wenn die Sterne scheinen und rufe mich. Wo ich auch sein mag, Jüngling, ich werde deine Stimme hören. Sprich meinen Namen leise, wie wenn Syda, der Gott des Windes, über die Spitzen des jungen Grases tanzt, Afraja wird bei dir stehen.

Dem Junker kam es fast vor, als sollte er einen Pakt mit dem Bösen schließen, und doch war ihm der alte, ungeheuerliche Mann, von dem er Hülfe forderte und der mit allerhand Gaukelei auch bei ihm seinen Hexenmeisterruf bewahren wollte, weit eher belustigend als fürchterlich.

Ich darf dir also vertrauen, Afraja? fragte er so ernsthaft er konnte.

Du mußt es thun, Väterchen – wirst es thun! antwortete der alte Mann.

Und was verlangst du von mir für deine Dienste?

Nichts! Nichts, Väterchen! sagte der Lappe so scheinheilig wie ein ächter Teufel. Ich habe Geld für dich, habe so viel du begehrst. Doch jetzt laß mich gehen. Mein Weg ist weit. Mein Land ist ohne Ende. Niemand kennt es, sie nennen es eine Wüste. Komm' selbst und sieh', ob es nicht Früchte trägt, bessere als am Lyngenfjord wachsen. Ich will dir zeigen, was Keiner je gesehen hat, nun aber 284 lebe wohl und merke, was ich dir sagte. – Am Grabstein sitz' ich, meine Augen sind offen. Ein Seidmann bin ich, der Vieles weiß und kann!

Mit diesen Worten, die er halb singend sprach, war er auf sein Thier gestiegen und hatte den Halfter ergriffen, der lose um den Hals des klugen Geschöpfes hing. Mit einem leisen Schlage brachte er es in Gang, die beiden gelben Hunde folgten ihrem Herrn und rasch kletterte das gehörnte Pferd mit seinem greisen Reiter an der steilen Wand auf, von welcher die Balself niederstürzte.

Marstrand blickte ihnen nach, bis sie auf der Höhe verschwanden. Dann kehrte er nachdenkend um, aber er fühlte sich wesentlich beruhigt. Afraja hatte Geld für ihn, im Fall Helgestad Böses im Schilde führte, was aber konnte dieser ihm vorwerfen, warum sollte er ihn hülflos lassen, da er doch mit größter Anstrengung Alles gethan hatte, was er sollte?

Als er den Gaard erreichte, war er entschlossen, sofort an den Lyngenfjord zu reisen, da Olaf überzeugt war, Helgestad müsse jetzt zurück sein. Er bat Olaf, sein Versprechen zu erfüllen, und auf einige Zeit die Oberaufsicht zu führen, das Vorrathshaus fertig zu bauen, dabei keine Arbeit im Walde zu hindern, bis er selbst aus Oerenäes zurückgekehrt sei.

Olaf war bereit dazu. Ich werde dir ein tüchtiges Vorrathshaus einrichten, sagte er, aber du wirst keine Vorräthe haben. Sieh zu, wie du es machst; hindern will ich nichts. Jeder Mann muß wissen, was ihm gut ist.

Der sorgenvolle Gaardherr wies die Zimmerleute an, was sie angreifen und vollenden sollten, dann nahm er am nächsten Morgen das beste unter den acht Pferden, die er angeschafft hatte, um die Arbeiten zu fördern und machte sich auf den Weg. Das junge kräftige Thier trug ihn bald über den Gebirgssattel, der den Balsfjord vom Ulvsfjord trennt und als der Mittag herankam, war er auf dem Fjelde, das an den Lyngenfjord führt.

Jetzt sah es hier oben anders aus wie damals, wo er zuerst, durch Sumpf und Eis watend, die Beschwerden dieser bahnlosen Wildniß kennen lernte. Halme, Moose und grüne Plätzchen gab es nun hier genug; Birkengestrüpp und Brombeerranken wucherten an geschützten Orten und die überall zu findende, wohlthätige Moltebeere warf 285 erneut scharlachrothen Schimmer über die ganze weite Hochebene, auf welcher der Sumpf so ziemlich ausgetrocknet war.

Von den höchsten Stellen blickte er auf die beiden Meeresarme in Buchten und Schluchten nieder, wo der Omnisjok und andere Gebirgswasser tobend ihre Bahn gebrochen hatten. Durch manches Geklüft und manches steile Ufer hinab und hinauf mußte ihn das Pferd tragen, über unabsehbare Moosteppiche, durch Einöden, in denen sich kaum ein paar dürftige Flechten um gebröckelte Gesteine klammerten; dann und wann aber stiegen in der Ferne Rauchsäulen auf. Es war ihm wie Glockengeklingel, das der Wind herüberführte und in mehreren der tiefen Einschnitte, welche mit Gestrüpp bewachsen, sich zum Seeufer niedersenken, glaubte er einen Wald zackiger Geweihe zu erkennen. Sicher wanderten dort Lappen mit ihren Heerden und führten in seiner Nähe ihr nomadisirendes Hirten- und Sommerleben, ohne daß er ihre Gammen sehen konnte.

Und war es denn ein Unglück in dieser schrankenlosen Freiheit zu leben, ein Sohn dieser unermeßlichen Wüste zu sein? Die Luft war so frisch und rein, die Sonne so funkelnd warm, Quellen rauschten an Felsen hin, die dicht mit blauen und rothen Alpenblumen und duftigen Kräutern bestickt waren. Die Plagen der Menschen, die sich gesittet und gebildet nennen, reichten nicht hier hinauf, wo man Nichts bedarf um zu leben, als Milch und Fleisch des Rennthiers, eine Büchse zum Jagen, ein Netz zum Fischen, sechs Stangen und ein grobes Linnentuch, um sein Haus zu bauen. – Träumerisch ließ der Reisende sein Pferd, wie es wollte, weitergehen und dachte an Gula, die in irgend einem tief versteckten Thale wohnte, wo Anemonen und Königskerzen blühen, wo ein schäumiger Bach durch die Enzianbüschel rauscht und wo sie an einem prächtigen Wasserfalle sitzen und an ihn sich erinnern mochte.

Bei dieser Vorstellung sah er unruhig umher, es kam ihm vor, als höre er seinen Namen rufen. Aber es war nichts als Einbildung. Ein Schneehuhn, das der Sommer braun gefärbt hatte, flog mit seinem klagenden Schrei durch das Birkengestrüpp und weit in der Ferne stand auf einer Felsenspitze, die aus nacktem Geröll inselartig aufragte, eine regungslose Gestalt auf einen langen Stab gestützt.

286 Ob es ein Stein oder ein Mensch war, ließ sich nicht unterscheiden. Vielleicht war es Afraja selbst, aber der einsame Wanderer hatte keine Lust, eine nähere Untersuchung anzustellen. Wenn er in seinen romantischen Träumereien dieses Hirtenleben gepriesen hatte, so belehrte ihn die Wirklichkeit, daß es doch gar mancherlei Unannehmlichkeiten habe, die ein Kulturmensch schwer ertragen könne. Schwärme und Wolken von kaum sichtbaren Schnaken und Gnitzen, sammt Stechfliegen der verschiedensten Art, darunter die große Rennthierfliege, deren Stich die empfindlichsten Schmerzen verursacht, sammelten sich um sein Pferd, und hier konnte er die Wahrheit der Erzählungen erproben, die er öfter schon über diese Plage gehört hatte. Menschen und Thiere haben zur Sommerzeit auf diesen Hochfeldern fast unerträgliche Pein von den unzähligen Mücken und Fliegen zu erdulden. Ihretwegen füllt der Lappe seine Gamme mit dichtem Rauch, um diese Quälgeister abzuhalten, ihretwegen auch treibt das Rennthier seinen Herrn zur Seeküste und an die kühlen Fjordarme hinab, wo die kleinen, gefräßigen Feinde von den Windströmungen fortgeweht werden.

Der Reisende war endlich froh, als er die gelben Ränder des Fjeldes erreicht hatte und der Lyngenfjord zu ihm hinaufblitzte. Da lag das blaue Meeresbecken wie ein schmaler Spalt tief unter ihm und in der Felsenbucht erkannte er Helgestad's rothes Haus, das aus dem Grün der Birken hervorsah. Ein Gefühl heimathlicher Sehnsucht drang in die Brust des jungen Mannes. Der Balsfjord mit seinen lieblichen, kleinen Thälern, dem Walde und dem rauschenden Strome war ohne Zweifel romantischer und fruchtbarer zu gleicher Zeit; dennoch aber dünkte ihm Alles hier viel schöner und freundlicher. Er trieb sein Thier in die steil abfallende Schlucht und nach einer halben Stunde war er unten und konnte seinen Hut mit einem lauten Hurrah seinen Freundinnen entgegen schwenken, als sein Thier aus den klippigen Wänden sich hervorarbeitete. Denn an dem Tische, der mitten auf dem Grasplatze vor dem Gaard stand, saßen Ilda und Hannah, und kaum hatten sie ihn erblickt, als Beide nach ihrer Weise ihn bewillkommneten.

Hannah eilte ihm entgegen und rief ihm frohe Worte zu, Ilda legte das Linnentuch fort, an welchem sie nähte und that keinen 287 Schritt, doch als der lang entbehrte Gast vor ihr stand und ihr die Hand reichte, überwältigte sie die Freude. Der Ernst wich von ihren Lippen und ihre Augen hießen ihn mit solcher Innigkeit willkommen, daß er entzückt hineinschaute.

Wie viel gab es nun zu sprechen und zu fragen! Er hätte es gar nicht besser treffen können. Paul Petersen und Björnarne waren seit einer Woche schon nach der Insel Loppen gereist, um Vogeljagd zu machen. Die beiden jungen Mädchen hüteten somit allein das Haus, und Hannah ließ Helgestad's Lehnstuhl herbeibringen; der holländische Tabak und die stattlichen Posenpfeife waren bald zur Hand. Ilda bereitete in ihrer sorgfältigen Weise den Kaffee und nun, zwischen seinen beiden Beschützerinnen sitzend, mußte er ihnen sein ganzes Leben und Treiben am Balsfjord schildern und nahm dafür unter mancher scherzhaften Abschweifung umständliche Nachrichten über Alles in Empfang, was seit seiner Abwesenheit im Gaard von Oerenäes vorgefallen war. Das war nun freilich im Grunde nicht gar viel und dennoch hörte er es mit Freuden an. Ilda hatte in ihrem Gärtchen den Versuch gemacht, Kartoffeln zu pflanzen, die mächtig in's Kraut schossen, hinter den Fenstern standen ein paar Töpfe mit grünen Erbsen, welche wirklich schon blühten, auch glaubte Hannah, daß Olaf nicht umsonst unter den Felsen im Süden Hafer gesäet habe, der in dünnen Halmen eben aufgegangen war. Sonst hatte sich nichts verändert. Eine neue Magd war gemiethet, ein alter Mann war gestorben, der Pfarrer Henrik Sturen hatte am letzten Sonntag wieder gepredigt.

Und wo ist mein alter Freund Klaus? fragte Marstrand.

Ganz in der Nähe, sagte Hannah. Wir haben Nachricht, daß er vor einigen Tagen noch in Tromsöe verweilte. Jetzt reist er auf den Inseln umher, dann wird er zu uns kommen, – bald kommen, fügte sie mit einem Blick auf Ilda hinzu.

Marstrand zog Erkundigungen über Helgestad ein und hörte, daß erst vorgestern ein Nachbar aus Bergen zurückgekehrt sei, der ihn wohlauf getroffen hatte. Der Fischmarkt war über alle Maßen gut gewesen; kaum jemals konnten sich alte Leute solcher Preise erinnern, und mit jeder Stunde mochte Niels zu erwarten sein, denn seine beiden Yachten lagen in Ladung, als der Nachbar den Hafen verließ.

288 Das klang Alles gut und tröstlich für den jungen Gaardherrn. Er saß lächelnd und calculirend in Helgestad's Stuhl, als wäre dessen Geist aus dem farbigen Lederpolster in ihn gefahren. Er überrechnete seinen Gewinn und im Stillen stärkten sich seine Hoffnungen auf sein Glück. Wie er hier den kahlen, armen Felsengrund betrachtete, dem kaum ein dürftig Stückchen Haferfeld abzugewinnen war, erkannte er erst, um wie viel besser der Boden am Balsfjord sei. Dazu war das Meer so fischreich, wie es Niemand geahnt hatte. Olaf selbst war darüber erstaunt – und endlich der Wald, die mächtigen Baume, welche auf Meilenlänge wuchsen, während hier nur in den Schluchten und Gehängen dürftiges Birkenholz aufwucherte. Marstrand wurde immer froher gestimmt; je mehr er überlegte und Vergleiche anstellte, um so bestimmter wußte er, daß er einen schönen Besitz in Händen hatte, und wenn jetzt Helgestad den reichen Fischgewinn nach Haus brachte, war Geld im Ueberfluß vorhanden.

Er hatte bisher nur obenhin nach Björnarne und Petersen und deren Reise gefragt, mit dem Glück zufrieden, daß der fatale Schreiber sich fortgemacht hatte; jetzt hörte er mehr davon. – Das Felseneiland Loppen gehörte Helgestad; es war der Brüteplatz unzähliger Vögelschwärme. In dieser Zeit, wo es so wenig im Hause zu thun gab, hatte Björnarne eine Schlupp bemannt, um die Federvorräthe abzuholen, welche auf der letzten diesjährigen Herbstreise nach Bergen mit auf den Markt genommen werden sollten. Petersen hatte ihn begleitet, um einen großen Fang zu veranstalten, oder, wie Marstrand heimlich dachte, sich Loppen in nächster Nähe anzusehen, und dessen Werth kennen zu lernen.

Die Entfernung des widerwärtigen Bräutigams war ihm so lieb, daß er seine Gefühle nicht ganz unterdrücken konnte. – So bin ich denn zur guten Stunde gekommen! rief er aus, da ich das Haus nur von schutzlosen Frauen bewohnt finde, denen ich Beistand leisten kann, wenn es Noth thut.

Hoffentlich wird unser Frieden nicht gestört werden, erwiderte Hannah, aber wir lassen es uns gern gefallen, wenn unsere Einsamkeit durch die Gegenwart und Theilnahme eines so ritterlichen Herrn belebter und angenehmer wird.

289 Gern trete ich in mein altes Amt ein, fuhr Marstrand lachend fort, und bleibe, bis Herr Helgestad am Packhause ankert. Ich helfe, wo es zu helfen gibt, vergesse, daß ich aus Oerenäesgaard verbannt bin und denke mir die Zeit zurück, wo meine gütige Beschützerin Ilda mich in die Lehre nahm und ihre Huld mir zuwandte.

Hätte sie denn je damit aufgehört? fragte Hannah schalkhaft. Herr Marstrand hat, wie ich meine, ein so gutes Andenken hier hinterlassen, daß am ganzen Lyngenfjord von ihm mit Lust und Liebe gesprochen wird. Die alten Fischer erzählen sich von ihm fast eben so viel, wie die jungen Damen.

Und was sagt Jungfrau Ilda? fiel Marstrand ein.

Sie sagt, antwortete diese, daß Hannah eine arge Schwätzerin ist, doch darin Recht hat, daß fast kein Tag verging, wo nicht von dir gesprochen wurde. Wir Alle haben dich vermißt, lieber Johann, und nun du wieder bei uns bist, wollen wir dich so lange behalten, wie es angeht.

Am Besten, wir schlagen ihn in Fesseln, daß er immer bleiben muß! rief Hannah, indem sie Ilda's Faden nahm, ihn fest band und die Enden in die Hände ihrer Freundin drückte.

Uebermüthiges Mädchen, sagte Ilda, wir müssen auf andere Mittel sinnen, um diesen jungen Herrn bei guter Laune zu erhalten. Singe ihm ein Heimathslied, während ich das Haus bestelle.


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