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Als die Sonne aufging, spannte die schöne Ilda ihr gewaltiges Segel und schwamm vom frischen Winde begünstigt an der alten Kirche von Lyngen vorüber dem Meere zu.
Wir übergehen den Abschied, der mit manchem Händedruck und guten Wünschen begleitet wurde. Helgestad stand selbst am Steuer, sechs ruhige Seeleute führten seine Befehle aus, und Marstrand, der unbeschäftigt von der Mitte des Decks den Zurückbleibenden seine Lebewohls zurufen konnte, blieb dort, bis die Yacht eine Wendung machte und der Gaard mit Allen die er hegte, hinter den Felsen verschwand.
Jetzt hatte er Zeit, über Erlebtes und Kommendes so lange nachzudenken wie ihm beliebte. Helgestad regierte den ganzen Tag über das schwerbeladene, große Schiff, das vor einem steifen Südost schaumwerfend hinflog und durch zahllose Felsenengen und weite Wasserbecken mit Vorsicht gelenkt werden mußte. – Die Reise ging so rasch vorwärts, daß am Abend Tromsöe vor ihnen lag. Der Kaufmann vermied jedoch auch hier jeden Aufenthalt. Mit Wind und Fluth ging er sogleich durch den Sund und zeigte im letzten 166 Dämmerschein seinem Passagier das Eiland Strömmen, das zu dessen Besitzungen gehören sollte. Am zweiten Tage darauf lag die Yacht unter den röthlichen Kuppen von Ostvaagöen dicht an den Fischplätzen, welche Marstrand vor drei Monaten im vollen Gewühl eines überreichen Fanges sah. Jetzt war hier Alles öde und leer von Menschen, aber die Felsen widerhallten von dem Geschrei der Meergänse und Alken, der großen Möven und zahlloser Taucher, die in unermeßlichen Schwärmen Klippen und Wogen bedeckten. Die Boote wurden ausgesetzt und die Fischgerüste untersucht. Helgestad's hartes Gesicht füllte sich, je weiter man damit kam, je mehr mit einem eigenthümlichen spöttischen Grinsen. Mit der Genugthuung eines Propheten, der seine Vorhersagungen glücklich erfüllt sieht, deutete er auf zahlreiche Stangen, von denen viele umgestürzt waren, andere leer standen oder von den Fischreihen, mit denen sie bedeckt gewesen, nur vereinzelte Uebereste zeigten.
Hab's Euch wohl gesagt, rief er triumphirend, ist das Fischervolk ein nachlässiges und saumseliges. Je mehr der Herr seinen Segen ihm in den Schooß wirft, um so weniger versteht es diesen zu benutzen. Seht da, was Schneewehen, Stürme und Würmer angerichtet haben! Mehr als die Hälfte des ganzen Fanges ist verdorben. Wird der Fisch in Bergen deßhalb um das Doppelte steigen. Und jetzt, seht dorthin, fuhr er fort, als das Boot den Felslagern zusteuerte, auf welchen er seine eigene reiche Beute und Marstrand's erkaufte Waaren geborgen hatte. Fehlt kein Schwanz und sitzt kein Kopf, wo er nicht sitzen soll. Ist Alles trocken, Alles fest. Habt Glück, Herr! Soll mich nicht wundern – hier spitzte Helgestad seinen Mund zum Lächeln, das von einem seiner lauernden Blicke begleitet wurde – wenn Euch Alles wohl gelingt.
Es liegt nicht in unserer Absicht, die Fahrt der Yacht durch die wunderbaren Irrgewinde dieser Felsenküste zu begleiten. Wir begnügen uns damit, daß nach zwölf Tagen die schöne Ilda einen Weg von mehr als zwei hundert Meilen zurückgelegt hatte und das Glück dieser schnellen Fahrt ihr so treu blieb, daß sie den Bergenfjord beim schönsten Wetter hinaufsegelte und die Stadt Bergen, wo es sonst fast immer regnete, im herrlichsten Sonnenschein vor sich liegen sah.
Helgestad's Yacht war jedoch keinesweges die erste nordländische, 167 welche in diesem Jahre den Weg hierher fand; dicht an der deutschen Brücke ankerten schon eine Anzahl, allein sie war das erste Fahrzeug aus den Finnmarken, und kaum hatte sie den Hafen erreicht, als langhallender Jubel sie empfing.
Bergen war damals, wie auch noch jetzt, die vornehmste und reichste Hafenstadt in Norwegen. – Zwischen sieben hohen Bergspitzen breitete es sich im Halbkreise um das geräumige Wasserbecken aus, mit welchem der Fjord hier schließt und den Hafen bildet, welcher schon im Mittelalter und zur Zeit der Hansa einen weitberühmten Namen hatte. Die deutschen Kaufleute, welche Bergen gründeten, hatten die Stadt beinahe zu einer deutschen gemacht. Oftmals hatten hier große deutsche Kriegsflotten geankert und die Macht ihrer Landsleute unterstützt. Der Handel mit Hamburg und Lübeck zog Kauffahrer zu Tausenden, Jahr aus Jahr ein, hierher, wo Holzhandel und Fischhandel reichen Gewinn für die eingeführten Produkte boten. Wie Deutschland noch jetzt zum größten Theil Norwegen mit allen möglichen Waaren versorgt, so war der norwegische Handel damals in noch höherem Grade in deutschen Händen, und obwohl die Zeit längst aufgehört hatte, wo Bergen eine Eroberung genannt wurde, obwohl es kein deutsches Kriegsschiff mehr gab, die Macht der stolzen Hansa längst gebrochen und begraben lag und die Norweger in Bergen selbst die stolzen deutschen Handelsherrn mit dem Schwert in der Hand unterworfen und zu friedlichen Mitbürgern gemacht hatten, so war dennoch der größte Theil der Kaufleute deutsch und die reichsten und ersten Handelshäuser, die mächtigsten Speicher und Waarenlager, gehörten deutschen Besitzern.
Die lange Häuserreihe an der Westseite des Hafens, vor welcher die Ausladeplätze sich hinzogen, wurde die deutsche Brücke genannt, und hier ankerte die Nordlandsflotte alljährlich zu verschiedenen Malen mit ihren Stockfischen und Salzfischen, ihrem Leberthran, ihren Pelzen und Federn, hier luden auch die zahllosen Häringsyachten ihre Beute aus, wenn, noch in halber Winterzeit, der reiche Fang bei Skudesnäes im Gange war, und hier, in den engen tiefgewölbten Comptoiren, wurden gewinnbringende große Geschäfte nach allen fernen und nahen Ländern Europa's seit Jahrhunderten abgeschlossen. Die ganze Südseite des Hafens zeigte sich dagegen 168 eingefaßt von ungeheueren Speichern, welche über den Meeresarm hinausgebaut, so eingerichtet waren, daß aus ihren zahlreichen Stockwerken die unter ihnen ankernden Schiffe sofort beladen werden konnten. Hatten die Yachten an der deutschen Brücke ihre Vorräthe an's Land geschafft, so steuerten sie dafür unter die Speicher des Kaufmanns, der die Ladung genommen, um mit den verschiedenartigsten Waaren gefüllt zu werden, die sie nach Nordland und Finnmarken zurückschifften. – In der Mitte des weiten Hafenbeckens endlich lagen die Schiffe aller Nationen, Franzosen und Italiener, Spanier und Portugiesen, sammt den zahlreichen deutschen Fahrzeugen, welche auf die Ankunft der Nordlandsflotte warteten und deren Mannschaft den großen Bergenfahrer jetzt mit weithallenden Hurrahs begrüßten.
Marstrand betrachtete vom Verdeck aus voll freudiger Empfindungen das Thal, die Stadt, den Mastenwald und die Menschen. – Der Mai hatte hier schon den vollen Frühling gebracht. Da lagen Gärten und grüne blumige Auen, da lagen Landhäuser unter laubigen Bäumen, da zogen schöne Anpflanzungen und Fruchtfelder sich von Bergabsatz zu Absatz, bis an die nackten Glimmermassen der Felsgipfel empor, auf deren Vorsprüngen die Forts Bergenhaus und Friedrichsborg ihre weißglänzenden Mauern ausstreckten. Ein paar Kanonenschüsse fielen von der Hafenbatterie, bunte Flaggen wehten von den Häusern der Kaufleute und von den Schonern, Briggs, Galeassen, Barkschiffen und Fregatten, an deren Linie die Yacht vorüberging, um ihren Platz an der Brücke einzunehmen. Ueberall war Thätigkeit, Matrosengesang an Winden und Krahnen, Geschrei und Grüße aus den Booten, Willkommenruf von alten Bekannten, Erkundigungen und Fragen, Gelächter und Glückwünsche. Marstrand fand sich plötzlich aus Klippen und Meereswogen wieder in die civilisirte Welt versetzt und er streckte ihr seine Hände entgegen, wie einem alten theuren Freund, der uns unerwartet in einer Wüste begegnet.
Noch ehe jedoch die schöne Ilda ihre Taue an einem der mächtigen Hafenblöcke befestigte, war ihr Deck mit einer Anzahl alter und junger Männer gefüllt, die sich an Bord rudern ließen oder von einer Yacht in die andere sprangen, bis sie glücklich ihr Ziel erreichten. Es waren Makler und Kaufleute, die Neues hören wollten, 169 Helgestad mit Fragen bestürmten, ihn über den Ausfall der Fischerndte auf den Lofoden ausforschten und seine Antworten, die so vieldeutig und ungewiß waren, wie seiner Zeit die des delphischen Orakels, mit Scherz und Ernst, Gelächter und Verwünschungen beantwortete.
Der dänische Ansiedler von Balsfjord hatte inzwischen von fern gestanden und dem Getümmel zugeschaut, bis seine Aufmerksamkeit sich auf einen Mann richtete, der erst am Bord erschien, als die meisten sich wieder entfernt hatten. Hastig stieg er über die ausgespannten Seile, bis er Helgestad erreicht hatte, dem er schon von fern seine Arme entgegenstreckte und ihn in vertrauter Weise anredete.
Es war ein kleiner, wohlbeleibter Mann mit rothem Gesicht, dicken Hängebacken, wulstigen Lippen und runden Augen. Ein brauner Frack, nach damaliger Zeit kurzgeschnitten, mit breiten Schößen, schwarze Sammethosen, welche bis an's Knie gingen, einer ungeheuren Schooßweste, die seinen runden Bauch zudeckte und einer weißen Binde, auf der sein fettes Doppelkinn ruhte, ließen einen reichen und angesehenen Herrn vermuthen. Eine Perrücke mit stattlich bebändertem Zopf, Puder auf den Seitenwulsten und Puder auf dem pomadeduftigen Rockkragen, ein kleiner dreieckiger Hut mit einer schmalen Goldtresse und blanke Stiefeln, in welchen die kurzen Beine steckten, machten den wohlanständigen und achtbaren Kaufmann des vorigen Jahrhunderts vollständig.
Oho! Niels Helgestad. Oho, mein Mann! bist wohlauf hergeschwommen? rief er dem Schiffer zu. Blitz und Schlag! siehst jung und glatt aus. Eine gute Ladung, Niels. Habe die Yacht von der Seite angesehen, geht zehn Zoll über den weißen Strich in's Wasser, macht netto Hundertfünfzig Centner mehr, wie vorjährig. Bin in Schweiß gerathen, Niels, bin in mächtigen Schweiß gerathen, fuhr er pustend fort. Saß mitten unter Capitainen, Nordländern und Mäklern, als ich deine Segel sah. Mußte abgemacht werden, Niels, bin also spät gekommen.
Und die die Letzten waren, sollen die Ersten sein, erwiderte Helgestad lachend und unter Händeschütteln. Friede in dein Haus, Uve Fandrem. Bringe dir eine reiche Ladung, und was nach dieser kommt, wird nicht schlechter sein.
170 Ein langes Gespräch zwischen den beiden Geschäftsfreunden drehte sich um Familiennachrichten, allerlei Neuigkeiten und um Handel und Verkehr. Die Ladung Leberthran kam aber noch zur rechten Zeit, um besser verwerthet zu werden, als es etwa später der Fall sein konnte. Der Berger Handelsherr wollte sogleich die Waare nach Hamburg schicken, ehe die Preise weiter fielen. Stockfisch, gerissener Fisch und Salzfisch ließ dagegen außerordentlichen Gewinn erwarten, denn schon war die Nachricht verbreitet, daß ein großer Theil des Fanges verdorben und unbrauchbar geworden sei.
Schaffe was du hast, so schnell zur Stelle, wie es angeht, Freund Niels, sagte Herr Fandrem. Vier Jahre hinter einander ist der Fisch billig gewesen. Das hat den Verbrauch gesteigert. Aus dem Mittelmeer sind schon jetzt viele Schiffe gekommen, und noch weit mehrere werden erwartet. Es wird ein Reißen um die Waare sein, wie es lange Zeit nicht gewesen; ich hoffe, daß wir Preise machen, die über alle Erwartung gehen. Hehe! hast nichts dagegen, Niels, hoffe, hast nichts einzuwenden?
Wahrscheinlich erhielt der Kaufmann hier einen Wink von Helgestad, denn er schwieg plötzlich, blickte über die Achsel und sah mit keinem allzufreundlichen Blicke Marstrand an, der nicht weit von ihm stand.
Was hast du für einen Maulaffen in's Land gebracht, Niels? fragte er zwischen den Zähnen.
Ist ein Freund, Uve Fandrem, antwortete Niels laut. Seht her, Herr Marstrand, da ist der Mann, der Euch helfen wird.
Er erzählte in seiner Weise kurz und bündig Marstrand's Schicksale und Vorhaben, sprach von der neuen Handelsstelle am Balsfjord, rühmte den jungen Ansiedler aus vollen Backen und calculirte ein Dutzend mal, daß Johann Marstrand bald genug ein Mann sein werde, vor dem sich in Bergen hundert Thüren aufthun würden, wenn er hineingehen wollte.
Nach dieser Erzählung, welche Fandrem mit Kopfnicken anhörte, indem er seine runden vorquellenden Augen mehr auf Helgestad's Gesicht, als auf den Empfohlenen richtete, streckte er seine dickgepolsterte Hand aus und faßte an den Zipfel seines Dreimasters. 171 Ehe andere Hände kommen, Herr Marstrand, sagte er, biete ich Ihnen meine an. Habe mit jungen Geschäften und Anfängern sonst niemals zu thun, wo aber Niels Helgestad sein Wort spricht, sage ich gern Amen und wo ich dienen und helfen kann, soll's geschehen mit allem Eifer.
Marstrand fühlte, daß in dieser Versicherung eine Bürgschaft lag, der er vertrauen durfte, und Helgestad bestätigte es, indem er seinem Schützling versicherte, daß Fandrem's Handschlag mehr werth sei, als wenn Prinzen oder Könige ihm Beistand schwören.
Ein Gasthaus gab es in Bergen nicht und gibt es selbst jetzt kaum dort, obwohl die Stadt damals schon an Dreißigtausend Einwohner zählte. Jeder Fremde, der hierher kam, mußte auf die Gastfreundschaft einer Familie rechnen; Fremde aber, die keine Geschäfte hatten, kamen überhaupt nicht nach Bergen, von Vergnügungsreisenden in Norwegen wußte man noch nichts. – Die nordländischen Handelsleute wohnten bei den Maklern und Kaufleuten, mit denen sie in Verkehr und Freundschaft standen, die Schiffscapitaine blieben auf ihren Schiffen. So geschah es denn ohne Einwendung, als etwas, das sich von selbst versteht, daß Uve Fandrem seine Gäste in sein Haus auf der deutschen Brücke führte, wo er im oberen Stockwerke ihnen die Gastzimmer öffnen ließ. Das Haus des Kaufmanns war eines jener alten Häuser, die noch jetzt vereinzelt dort zu finden sind. Auf den massiven Unterbau waren die obern Etagen von starken Balken gesetzt. Erker und Vorsprünge in halbrunder Form vermehrten die Zierlichkeit und gaben ihm ein stattliches Ansehen. Tiefe und breite Durchgänge lagen in den untern Räumen zu beiden Seiten der Comptoirstube, welche die Mitte einnahm. Im erstem Stockwerke befand sich die Wohnung des Kaufmanns, im zweiten die Gastzimmer, alle mit wenigen einfachen Geräthen versehen, die mit der herrlichsten Aussicht auf Hafen, Schiffe und Verkehr und auf die großen Speicher jenseits des Wasserbeckens. Doch dies an wohnlichen Räumen ziemlich beschränkte Gebäude war nur während des Winters der Aufenthalt seines Eigenthümers; beim Eintritt der guten Jahreszeit zog Jeder, der es irgend thun konnte, in sein Landhaus, und Bergen war umringt mit solchen Sommervillas, die mehr oder minder stattlich an den Bergabsätzen lagen, aus kleinen oder 172 großen Gärten hinabblickend auf Fjord und Stadt, auf waldige Gebirge und liebliche sammetgrüne Thäler.
Während Fandrem sich zurückzog und seine Gäste sich einrichteten, theilte Helgestad seinem Begleiter mit, was er für nöthig hielt. Habe mit Euch noch nicht über Uve gesprochen, sagte er, wollte es erst thun an Ort und Stelle. – Ist einer der Ersten hier in Bergen, ist Gildevorsteher und Rathsherr, dabei ein Mann, der das Meiste sich selbst verdankt, schnell von Blick, rasch in seinem Wesen, klug und fest in Allem, was er will. Vor Dreißig Jahren besaß er nichts. Fing einen kleinen Handel an, der nicht fortkommen wollte, bis ich ihn kennen lernte. That sich mit mir zusammen; war damals noch nicht da gewesen, daß ein Nordländer den Blutsaugern aus den Fingern ging. Gab einen Höllenspektakel; wollten mich ausstoßen und aufhängen, half aber Alles nichts. Gab ihnen so viel zu bedenken, daß sie mich endlich gern wieder hereinließen, und seit dieser Zeit haben wir treulich zusammengehalten und gute Zeit erlebt.
Sie sind also Theilnehmer an Fandrem's Geschäft? fragte Marstrand.
Bin's gewesen, erwiderte Helgestad, die Augen zukneifend; calculire aber, ist jede Compagnie doch Lumperei, nimmer was Rechtes und Ganzes, obenein wenn der Eine am Lyngenfjord wohnt, der Andere am Floyfjeld. Kann dicke Handelsbücher nicht durchlesen, die langen Rechnungen nicht studiren, ist aber meine Sache nicht, einen Anderen die Zahlen machen zu lassen und endlich zu nehmen, was er mir geben will.
Marstrand lächelte. Es kam ihm der Gedanke, daß Herr Uve Fandrem das Zahlenmachen wohl noch besser verstanden habe, wie Helgestad in seinem Schuldbuche für Fischer, Quäner und Lappen, und wahrscheinlich merkte der schlaue Handelsmann, was in seinem Gefährten vorging. – Will Niemanden anklagen, fuhr er fort, am wenigsten den redlichen Fandrem; calculire aber, daß es jedes Mannes Sache ist, sich auf keinen Stuhl zu setzen, der ein Loch hat. Habe darum mich so geeinigt seit langer Zeit, daß Uve meine Waaren kauft, ich von ihm nehme was mir gefällt, was er sonst thut, mich aber nichts angeht.
173 Hieran anknüpfend sagte Marstrand weiter, daß der Gildevorsteher wichtige Geschäfte nach Lübeck, Hamburg, Holland und bis in's Mittelmeer mache, daß er außer dem Fischhandel noch großen Holzhandel treibe und ganze Wälder schon gekauft habe, die in den Niederlanden zu Rost und Pfahlwerken verbraucht wurden, endlich, daß er für all seinen Reichthum nur zwei Erben besitze, einen Sohn, der seit Jahren in einem großen Hamburger Hause arbeite, und eine Tochter, die mit dem Vater lebe. – Damit erfuhr Marstrand denn auch zugleich, daß Helgestad seinem ehemaligen Compagnon eine Frau verschafft habe, die als den Finnmarken gebürtig, seine eigene Verwandte gewesen sei. Ihr Vermögen hatte nicht wenig zu Fandrem's wachsendem Reichthum beigetragen und Verwandtschaftsbande die Freundschaft bei den beiden Männer verstärkt.
Nach einiger Zeit fand sich Fandrem wieder ein, der seine Gäste nun in das Wohnzimmer führte, wo der Tisch gedeckt war und nach üblicher Sitte der Wirth das Willkommen ausbrachte. Mehr als einmal wurden die Gläser gefüllt und geleert und dabei die nächsten Geschäfte verabredet. Helgestad forderte für Marstrand Credit, wozu der Berger Handelsherr sofort bereit war. Obwohl nun die Schiffe der Nordländer bei ihrer ersten Fahrt gewöhnlich nur Lebensmittel und Geräthe zum Fischfang mit nach Haus nehmen, bei der zweiten Fahrt aber den langen Bestellzettel für alle möglichen Bedürfnisse des Kramladens nach Bergen bringen, so war Helgestad doch Willens von dieser alten Sitte abzuweichen und seine Yacht zum guten Theil für die rasche Einrichtung der Niederlassung am Balsfjord herzugeben. Er versprach das Verzeichniß zu entwerfen, Fandrem dagegen gab sein Wort, das Beste auszuwählen und die billigsten Preise zu machen. Das ganze Geschäft war mit einem Händeschütteln in einigen Minuten abgethan, und kaum längere Zeit gehörte dazu um die Ladung der schönen Ilda an Fandrem zu verkaufen. Der Gildevorsteher ließ einen Makler kommen, denn durch diese Mittelspersonen wurden damals, wie noch jetzt alle Geschäfte in Bergen abgeschlossen. Der Makler zählte ein halbes Dutzend Verkäufe auf, die am heutigen Tage zu Stande gebracht waren, Fandrem bewilligte den höchsten Preis darunter, und mit einem andern Handschlage war auch diese Angelegenheit beseitigt.
174 Und nun, Ihr Herren, sprach der Handelsherr, als sie endlich aufgestanden, noch ein Glas auf unsere dauernde Freundschaft. – Hoffe Sie alle Jahre zwei Mal in Bergen zu sehen, Herr Marstrand, und wie es üblich ist, nächstens mit der jungen Frau. He, schrie er lustig, wie steht es damit? Es gibt in Nordland und Finnmarken der schmucken Mädchen gar manche, weiß selbst davon ein Lied zu singen. Aber die schönste Jungfrau vom Lyngenfjord und weit und breit ist doch meine Muhme Ilda. Hab' ich Recht, Herr Marstrand? Laßt uns anstoßen auf ihr Wohl!
Helgestad hielt es für dienlich, diese Späße und ihre Nebenbeziehungen mit einem Male durch die Erklärung abzuschneiden, daß Ilda nächstens ihre Verlobung mit dem Neffen seines alten Freundes Paulsen in Tromsöe feiern werde, daß aber für Marstrand sich die beste Parthie im Lande machen könne, sobald er erst am Balsfjord warm sitze. – Es gab ein langes Gespräch zwischen den Verwandten mit reichlichen Glückwünschen, Fragen und Erkundigungen gewürzt, das endlich damit endigte, daß Herr Fandrem seine viergehäusige dicke goldene Uhr aus der Tasche zog, sie Helgestad unter die Nase hielt und dabei schwor, es sei keine Zeit mehr zu verlieren, wenn die Kräutersuppe und das Nierenstück in seinem Garten am Signalbecken nicht kalt werden und verbrennen sollten.
Vorwärts, Ihr Herren, schrie er, meine Hannah wird sich die hübschen Augen aussehen. Habe es ihr hinauf sagen lassen, daß ich Gäste mitbringe, Vetter Niels. Denke, Ihr werdet sie kaum wieder erkennen. Ein feines Kind, Herr Marstrand, wohl erzogen; alles in der Welt kommt auf Erziehung an. Habe sie jetzt ein Jahr in Hamburg gehabt und vorher in Kopenhagen.
Hättest besser gethan, den Baum da zu lassen, wo er gewachsen ist, brummte Helgestad, ihn anschielend.
Fandrem schwieg einen Augenblick, als wäre er nicht ganz abgeneigt, die Wahrheit anzuerkennen, dann sagte er lachend: Mag wohl sein, daß Mädchen am besten bei Mutter und Vater aufbewahrt bleiben; wirst sie aber sehen, Niels. Ist eine stolze Jungfrau geworden, fein und verständig und von strenger Sittsamkeit. Hat mancherlei auch gelernt in der Fremde, fuhr er gesprächig fort, was selten hier zu finden ist. Arbeitet mit Goldfäden und bunter Seide, 175 mit Schmelz und Flitter die künstlichsten Dinge, kannst davon in meinem Hause sehen, Niels, Vögel und Blumen auf Kissen und Behänge voll Pracht und Zierlichkeit. Sie waren inzwischen am Hafen hinab gegangen, als ihnen ein Offizier entgegen kam, der den angesehenen Kaufmann grüßte, dann stehen blieb, Marstrand anblickte und mit allen Zeichen freudiger Verwunderung seinen Namen nannte.
Heinrich Dahlen! rief Marstrand.
Ist es möglich! sagte der Offizier, du in Bergen und in welchem Aufzuge? Der übermüthigste Cavalier vom Hofe in nordländischer Friesjacke und in Gesellschaft des pfiffigsten, engherzigsten alten Wucherers von der deutschen Brücke, setzte er leise hinzu.
Herr Fandrem war inzwischen mit Helgestad weiter gegangen, aber offenbar hatte der Anblick des dänischen Kriegsmannes seine gute Laune gestört. Er warf ihm einen verdrießlichen Blick zu und zog seine Stirn in dichte Falten, als er bemerkte, welche Freudigkeit dies unverhoffte Begegnen bei Marstrand hervorrief. Die beiden jungen Männer folgten Arm in Arm und tauschten ihre Schicksale aus. Heinrich Dahlen kommandirte eine Compagnie dänischer Infanterie, welche in Bergen in Garnison lag. Er hatte mit Marstrand gemeinsam bei der Garde in Kopenhagen gedient, war aber plötzlich nach Norwegen versetzt worden, wohin man damals alle diejenigen verbannte, du man los zu sein wünschte. Der junge Offizier hatte sich über die Ungerechtigkeiten eines Vorgesetzten beschwert, dessen Einfluß seine Entfernung bewirkte. Er wurde tief in das innere Land geschickt, doch General Münte rief ihn bald nach Tronthjem, nahm ihn unter seine Adjutanten auf und beschäftigte ihn mit Arbeiten. Es dauerte nicht lange, so erwarb er sich das Wohlwollen des streng gerechten Mannes, der endlich, um gut zu machen, was Uebles geschehen war, ihm im letzten Herbst die Compagnie in Bergen gab mit dem Versprechen ihn, sobald es sich thun lasse, wieder in seine Nähe zu rufen.
Und das wünsche ich denn je eher je lieber, sagte der Capitain, als er seine Geschichte beendigt hatte, und hoffe alle Tage darauf. Es ist nicht auszuhalten in diesem Hauptquartier der Häringe und Stockfische, wo Niemand für etwas Anderes Sinn hat, als für die runde und gesalzene Waare, und doch Alles so ledern, hölzern 176 und ungesalzen ist, daß ich längst vor Langeweile und Verzweiflung umgekommen wäre, wenn nicht –
Wenn nicht die süße Stimme eines Engels dich am Leben erhalten hätte, fiel Marstrand lachend ein.
Du bist zum Rathsherrn geboren, rief der junge Capitain, aber jetzt sage mir endlich, wie du in diese Wüste gerathen bist?
Marstrand erzählte, Dahlen hörte ungläubig und spottend zu.
Du bei Lappen, Rennthieren, Schönheiten des Polarkreises und nichtswürdigen Fischkrämern angesiedelt! rief er endlich mit homerischer Lustigkeit. Du ein sogenannter Kaufmann am Balsfjord, der nach Bergen kommt, um seinen Kramladen zu versorgen?! – Bist du toll, Marstrand, oder willst du es werden? Mancher hat sich schon einen sogenannten Königsbrief verschafft, der ihn zu Gelde zu machen wußte und hat seine Finanzen damit verbessert. Dein Muth ist neu und außerordentlich, aber deine Freunde werden sich davor die Nasen zuhalten.
Marstrand's Gesicht hatte sich bei dem Gelächter des Capitains geröthet, doch bald war er vollkommen ruhig geworden. Ich danke dir für alle deine Vorschläge, sagte er, aber ich kann keinen davon gebrauchen. Spotte so viel du willst, spotte wer Lust hat, ich werde der Kaufmann von Balsfjord bleiben. Mein Loos ist unwiderruflich bestimmt. Ich habe es gewählt und werde es ertragen, leichter diesen groben blauen Rock tragen, wie einst die gestickte Uniform. Ich werde ein freier Mann sein, werde ein arbeitsames hartes Leben führen, aber ich werde auch meine Freude und Ruhe haben. Du weißt nicht, welcher Zauber an jenen nackten Einöden klebt, ich fühle ihn in meinen Adern. Auf mein Wort, Dahlen! ich möchte eben so wenig hier in Bergen wohnen, wie jemals in die schimmernden Säle der Christiansburg zurückkehren.
Der Capitain sah ihn erstaunt an. Ich weiß nur eine Lösung des Räthsels, sagte er; du bist verliebt! Eine besonders liebliche Seejungfrau streckt ihre Hand nach dir aus und verwirrt deinen Kopf.
Keine streckte ihre Hand nach mir aus, die ich möchte, erwiderte Marstrand.
So thut es der Satan! schrie Dahlen; denn die Liebe allein oder des Teufels Blendwerk können einen Mann von deinem Stand und Namen dahin bringen, sich zu solchem Elende zu verdammen.
177 Mein guter Freund, antwortete Marstrand lächelnd, frage die Männer dort, was sie Elend nennen, und sie werden auf dich zeigen und dein Gewerbe, dein Leben, deine Abhängigkeit wird ihnen unerträglich scheinen. Elend ist nur das, was, wir selbst dafür erkennen. Elend kann man sein mitten unter Schätzen, umringt von allen Genüssen und Freuden, welche die Erde uns zu bieten vermag. Ich bin nicht elend, denn ich habe eine Zukunft vor mir voll Arbeit und voller Entwürfe. Ich sage mir selbst, daß ich mancherlei Noth ertragen muß, aber ich kann auch schaffen, erwerben, Gutes thun und selbst mein Ehrgeiz hat einen Sporn, denn ich kann in jenem Lande der Ersten einer werden, was ich sonst nirgend vermöchte. – Lache nicht, Heinrich Dahlen. Ich werde Fische fangen und meine Yacht nach Bergen steuern, aber ich hoffe, daß meine Mitbürger einst, wohin ich komme, mich mit Achtung aufnehmen, alle rechtschaffene Leute mir ihre Hand reichen, alle Thüren mir geöffnet sind und das ist Alles, was ich brauche, um nicht elend zu sein. – Der Capitain schwieg ein Weilchen, dann rief er plötzlich: Du hast Recht, es muß ein Jeder wissen, was sein Glück und sein Elend ist und muß seinen Weg gehen und sich nicht irre machen lassen. Aber da stehen deine ehrenwerthen Freunde und Gönner schon auf der Höhe des Signalberges und winken ungeduldig. Der Henker hole die ungetrockneten Häringsseelen, die nichts kennen, als ihre Geldsäcke. Geh' hin, Marstrand, labe dich an ihrer Weisheit, doch bleibe auf gutem Wege, denn der alte Fandrem hat in seinem Paradiese dort oben auch die Schlange der Verlockung an seiner Seite, die dich leicht bestricken könnte.
Ich fürchte keine Eva, sagte Marstrand.
Nicht? lachte der junge Offizier, dann um so besser. – Morgen suche ich dich auf; laß unsere alte Freundschaft nicht zu Schanden werden.
Als Marstrand die Höhe erreichte, fand er den Gildemeister allein, denn Helgestad war vorausgegangen. Seine Entschuldigungen wurden mit einem mürrischen Kopfschütteln beantwortet und Fandrem sagte mißtrauisch: Ich will Ihnen einen guten Rath geben, Herr Marstrand. Von Soldaten und dergleichen unnützem Volk halten wir in Bergen nichts. Alle Achtung vor einem Manne, der, wie Sie, den Tressenrock in den Winkel geworfen hat und ein thätiger 178 Bürger geworden ist. Die aufgeputzten Junker mag Niemand in seinem Hause sehen und ich am allerwenigsten. Ist kein gutes Zeichen für einen achtbaren Mann, fuhr er mit einem Seitenblicke fort, Arm in Arm mit solchem Herrn umherzuspazieren. Ein Kaufmann hat seinen Ruf zu bewahren, wie eine Jungfrau. Laßt sie mit solchem luftigen Patron nur einen freundlichen Gruß wechseln, so ist die schlechte Nachrede da; läßt einen Kaufmann in solcher Gesellschaft sich zeigen, so hat sein Ruf, das heißt sein Credit, einen Riß bekommen. Und nun, schrie er, seinen Stock aufstoßend, mögen alle Capitaine zu Lande und zur See verdammt sein, die mich hindern wollen, meine Suppe warm zu essen! Da liegt mein Haus, Herr Marstrand, und Hannah, Gott segne sie! hat den Tisch unter den alten Nußbaum stellen lassen, wo wir im schönsten Schatten sitzen werden.