Theodor Mügge
Afraja
Theodor Mügge

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9.

Von dem Signalbecken, dem Vorsprunge eines der sieben Felsenmassen, die Bergen umringen, senkte sich der Weg in einen lieblichen Grund, der Fandrem's Besitzung bildete. Das artige Gebäude mit Erkern und Säulen von Holz stand an der Bergwand, welche dahinter aufstieg. Ein Rasenplatz mit Blumenbeeten und duftigen Büschen eingefaßt, zog sich vor ihm hin, alte Bäume breiteten ihr Geäst darüber aus und vor ihm in der Tiefe lagen Fjord, Hafen und Stadt, ein wunderherrliches Panorama.

Helgestad saß schon an dem Tische unter dem mächtigen Nußbaum und vor ihm stand Hannah, die sich umwandte und ihrem Vater entgegen ging, mit dem sie über sein langes Ausbleiben zu schelten begann.

Sie war, wie Marstrand dünkte, keine große Schönheit, aber sie war schlank gewachsen und besaß die zarte Hautfarbe und die regelmäßigen Gesichtszüge, welche die Damen von Bergen von jeher in den Ruf besonderer Reize gebracht haben. Ihre großen braunen Augen sahen aus, als würde deren Feuer gewaltsam unterdrückt und um ihren Mund schwebte ein hochmüthiger Zug, der dem Beschauer 179 am wenigsten gefiel. Um so anmuthiger war die Tracht des jungen Mädchens. Sie trug ein weißes mit blauen Sternchen besäetes Kleid von niederländischem Zitz, das von der Schnürbrust eng zusammen gehalten wurde. Ein Schooßjäckchen von demselben Stoff mit weiten Aermeln und Frisuren flog darüber hin; auf dem leicht gepuderten und gepufften Haar saß ein Mützchen von Kantenstrichen mit einem Deckel von Silberstoff und um ihren Hals lag ein fein gekniffter Kragen, unter welchem eine schwere Goldkette bis auf die Brust niederfiel.

Der Gildevorsteher beschaute mit väterlichem Wohlgefallen sein stattlich aufgeputztes Kind, das ohne Zweifel die erste Modendame in Bergen darstellte; geduldig ließ er sich ausschelten, während er ihr Kinn streichelte und ihren Nacken klopfte. – Sachte, Mädchen, sachte! rief er dann, bin hungrig und müde genug. Soll Einer gestraft werden, so muß es Johann Marstrand hier sein, der mich oben am Signal stehen und braten ließ, während er mit dem Anführer der Lungerer und Nichtsthuer schwatzte, die wir in Bergen ernähren müssen.

Ein kalter, betrachtender Blick der jungen Dame musterte den Fremdling und ein hochmüthiges Lächeln folgte nach, das Marstrand's widerwillige Empfindungen vermehrte.

Was meinst du dazu, Mädchen? fragte Fandrem, der eine Antwort haben wollte.

Ich meine, Vater, erwiderte sie, daß wir Besseres thun können, als damit unsere Zeit verderben.

Hast Recht, mein Goldkind! hast Recht! lachte der Gildevorsteher. Da sitzt Helgestad wie ein halbtodter Mann. Laß die Suppe bringen und wecke ihn auf mit deinem Willkommen.

Die Suppe wurde gebracht und ein ungeheures Stück Rindfleisch im vollen Dampf daneben aufgestellt. Grüne Erbsen, die in Büchsen aus Holland kamen, ein Nierenstück in seinem Saft gebraten, Aale in Gallert aus Hamburg und ein gefüllter Puthahn, den ein französischer Capitain, welcher am Tage vorher aus Dieppe eingelaufen war, für Fandrem mitgebracht hatte, bildeten die Hauptstücke des Mahles, dessen Köstlichkeit Niemand weniger würdigte, als Helgestad. – Er schien Gefallen daran zu finden, ein rücksichtsloser 180 Beurtheiler zu sein, und während er tüchtig von allen guten Dingen zulangte, spottete er über Fandrem's leckere Unmäßigkeit und schwor, daß eine einzige Schüssel frischer Sey oder Redfisch und eine Rennthierkeule, wie sie Ilda bereite, weit über alle diese fremdländischen Herrlichkeiten gingen.

Ilda's bevorstehende Verheirathung mit dem geschwornen Schreiber war die naheliegende Neuigkeit, welche der Gildevorsteher seiner Tochter mittheilte, aber was auch darüber, wie über manche andere Familienereignisse, gesagt und erzählt werden mochte, Jungfrau Hannah gehörte zu den schweigsamen Naturen. Ein paar vereinzelte Worte, ein Kopfnicken oder ein Lächeln war meist Alles, was sie erwiderte; nur einige wenige Male verstand sie sich zu längeren Antworten, die eben so hochmüthig wie anmaßend klangen, alle übrige Zeit saß sie unbeweglich, mit ihrem Anzuge beschäftigt, oder mit der schweren goldnen Kette spielend.

Nun, Muhme, sagte Helgestad endlich, in seiner Art grinsend, bist eine feine Dame geworden unter den Deutschen in Hamburg. Hast feine Sitten angenommen und weißt, wie es die vornehmen Leute machen.

Es geht nichts über die richtige Erziehung! schrie Fandrem Marstrand zu, indem er sein Glas aufhob.

Ist ein wackeres Wort, sprach Helgestad, calculire aber, hast aus der Fremde allerlei mitgebracht, was auf dem norwegischen Boden nicht paßt.

Was meint der Vetter Niels? fragte sie.

Meine deine bunte Haut, lachte der rauhe Mann. Das französische Schnürleib da, die glitzernde Kappe und das Mehl auf deinem Kopf.

Hannah sah stolz und beleidigt auf. – Am Lyngenfjord weiß man freilich nichts von dem, was die Welt verlangt, erwiderte sie.

Mag sein, Mädchen, war seine Antwort, wäre aber so unrecht nicht, wüßtest du, was am Lyngenfjord verlangt wird. Denke an deine Mutter, fuhr er fort, als er sah, daß ihr Gesicht sich roth färbte. War eine ächte Nordländerin, hatte Kopf und Füße auf dem rechten Fleck und trug bis an ihr selig Ende ihre Faltenschürze wie in jungen Jahren. – Er streckte seine grobe Tatze über den Tisch 181 fort nach der erzürnten Jungfrau aus. Bah! rief er, wirst dem alten Niels Helgestad wohl ein Wort zu gut halten; weißt ja, was deiner Mutter Wunsch und Wille war und habe heut' schon mit deinem Vater darum geredet. Schlag ein, Hannah, sollst die Reise mit uns machen und sehen, wie der Gaard von Oerenäes beschaffen ist. Ilda wird voller Liebe sein, wenn du kommst; machst uns Alle froh, Mädchen, und Björnarne bringt dich bei der zweiten Fahrt zurück; kannst dich ihm sicher anvertrauen.

Dies Anerbieten kam so plötzlich und wurde mit solcher Bestimmtheit gemacht, daß Hannah nicht zu widersprechen wagte. Sie that, was Helgestad ihr geboten, legte mit erzwungenem Lächeln ihre Hand in die seine und sagte phlegmatisch: Wenn es meinem Vater so gefällt und er es recht findet, daß ich von ihm gehe, so mögt Ihr mich mitnehmen.

Es ist eine alte Verabredung, Hannah, rief ihr Vater, verlegen über die Erklärung. Weißt es. – Sie nickte.

Ist freilich seit Jahren die Rede nicht mehr davon gewesen, fuhr er fort, aber Niels hat heute sein Wort gesprochen.

Hoffe, war ein Wort, das dir gefallen hat? fragte Helgestad.

Alte Freundschaft und alte Treue, antwortete der Gildemeister, habe lange auf dies Wort gewartet.

Sie hoben Beide ihre Gläser auf. Ausgetrunken, Herr Marstrand! rief Helgestad, seid Zeuge hier uns mögt für Björnarne sprechen. Blick' hierher, Mädchen, fuhr er fort, sollst hören, wie ein Freund redet, der Björnarne kennt und weiß, wie es um sein Herz steht.

Aber Hannah lief in's Haus und ein donnerndes Gelächter begleitete ihre Flucht.

Wirst uns nicht mehr davon laufen, wenn wir dich am Bord haben, sagte Helgestad, und wird sich Alles geben, wenn Björnarne ihr den Ring an den Finger steckt.

Marstrand hatte wohl vermuthet, daß Helgestad auf die Tochter seines Freundes speculire, aber er war doch überrascht, daß eine offene Erklärung und Verständigung so schnell eingetreten sei. Während er mit Dahlen sprach, mußte Niels sein Wort angebracht und bereitwillige Annahme gefunden haben. Jetzt erfuhr er jedoch auch, daß 182 nach alter Sitte ein Familienversprechen zwischen Fandrem und Helgestad bestand. Zu jener Zeit war Hannah kaum geboren, aber ihre Mutter wünschte, als ächte Nordländerin, daß ihr Kind einst wieder in der sehnsüchtig geliebten Heimath wohnen möchte, die sie selbst aufgeben mußte. Fandrem, der Helgestad Alles verdankte, ging gern auf dies Versprechen ein, und wenn auch jetzt sich Manches geändert hatte und die Familienverbindung mit dem reichen Vetter ihm nicht mehr so wünschenswerth scheinen mochte, so war die Heirath doch immer eine angesehene und der Pakt selbst viel zu heilig, um gebrochen zu werden.

Nachdem Vieles darüber gesprochen war, stieg die Fröhlichkeit durch den spanischen Wein, den der Gildemeister auftragen ließ. Ein Tabakskästchen von chinesischem Porzellan wurde auf den Tisch gesetzt, lange holländische Pfeifen mit bunten, von Silberfäden umsponnenen Posenspitzen brachte Hannah herbei und auf ihres Vaters Geheiß mußte sie ihr Glas auf Björnarne's Wohl leeren und mit dem Wachsstock den Herren die Pfeifen anzünden, was sie unter Helgestad's aufmunternden Scherzen auch glücklich vollbrachte.

Ist Sitte so in Nordland und den Finnmarken, wenn eine schöne Jungfrau die Gäste ehren will, rief Helgestad, indem er sie umfaßte. Hast drei Tage lang fast noch Zeit, alle deine schönen Kleider, Ketten und Ringe den jungen Herren in Bergen zu zeigen, dann kann Paul Petersen sie bewundern, der ein Kenner ist und Johann Marstrand, der die Hofdamen in Kopenhagen gesehen hat.

Ich brauche Niemanden, um meinen Putz zu bewundern, sagte Hannah, die sich von ihm losmachte.

Bewunderst ihn allein genug und willst lieber selbst bewundert sein, grinste Helgestad. Bist eine schlaue Hexe, Mädchen, aber Björnarne hat Augen.

Hat er Augen, erwiderte sie, mag er sie aufmachen.

Calculire, wirst ihm dazu helfen, rief er ihr nach.

Will thun, was ich kann, antwortete sie.

Wehr dich, Hannah, wehr dich, sagte Fandrem vergnügt. – Es geht nichts über die richtige Erziehung, ihr Herren, und was du auch sagen magst, Niels, es ist ein Vortheil, daß sie in Hamburg gewesen ist, wo sie mancherlei gelernt hat.

183 Helgestad kniff die Lippen zusammen, aber sein Vetter ließ sich nicht stören. Er ließ ihre Stickereien aus dem Hause holen, zählte auf, wie sie ohne Anstoß Deutsch spräche, und sogar das Spinett spielen könne.

Helgestad hörte Alles ruhig an und bekräftigte die lange Lobrede der Vortrefflichkeiten und Tugenden mit einigen kräftigen Gurgeltönen und seinem schlausten Grinsen. – Ist eine feine Jungfrau, sprach er dann, zu gut für Bergen, aber ein Vater kann seine Tochter, und wäre sie sein größter Schatz, nicht für sich behalten. Habe das auch bedacht und muß Ilda also von mir thun und Hannah dafür eintauschen.

Wirst nichts verlieren, rief Fandrem.

Denke zu gewinnen, sagte Helgestad, und eben darum, damit Keiner zurück kann in der Sache, zahle ich die Dreißigtausend blanke Speciesthaler, wenn Björnarne nicht um deinen Segen bittet, fordere sie aber auch von dir, wenn du ihm Hannah weigerst oder sie ihn nicht mag.

Marstrand war Zeuge des sonderbaren Handels, der im Scherz begonnen, ein ernsthaftes Ende nahm. Der Gildemeister lachte anfangs dazu, als sein Verwandter aber auseinandersetzte, daß er besorge, der Vater könne sich nicht von seinem Kinde trennen, schlug er ein und nahm das hohe Reugeld an.

Es war Abend geworden. Die Sonne beleuchtete die Felsenkuppen mit rothem Feuerglanz und in der Tiefe lagen bläuliche Nebel, welche dämmervoll und weich Stadt und Hafen einhüllten. Verworrenes Rufen und Geschrei stieg von dort empor und verhallte in der reinen stillen Luft. Ein schöneres Bild war kaum zu denken, als dies große lebensvolle Thal, über welchem ein wolkenloser tiefblauer Himmel schwebte. Ein blasses Mondstück hing am Rande des höchsten Fjeldes, und weit in der Ferne blitzten die Arme des Meeres, zeigten große Schiffe und flatternde Segel.

Marstrand war bis an die Spitze des Gartens gegangen, welche steil an dem Felsen niederfiel, und eben an dieser Stelle fand er Fandrem's Tochter wieder. Sie lehnte sich über die Brüstung, warf einen Stein hinab, dem sie nachblickte, und richtete sich unmuthig auf, als sie Marstrand's Schritte in der Nähe hörte.

184 Er sagte einige Worte zum Lobe Bergens, die sie gleichgültig anhörte, seine nordländische Jacke betrachtete und ihre Goldkette um die Hand wand. – Nachdem sie eine Zeitlang seine Fragen mit Ja oder Nein beantwortet hatte, ließ sie ihn stehen und lehnte sich wieder über die Brüstung, bis sie sich umwandte und ohne Gruß und Abschied dem Hause zuging.

Es geht nichts über eine richtige Erziehung und wenn man sich in der Welt umgesehen hat, rief Marstrand ihr nach. – Gott behüte den armen Björnarne vor dieser feinen Jungfrau, die aus Zitz und Gold besteht, also ganz ungenießbar ist.

Mit diesem Spott kehrte er zu den beiden alten Herren zurück, welche streitend und zechend am Tische saßen, und längst hing der Himmel als sterngestickter Teppich über ihnen, ehe es Fandrem endlich gefiel, seinen Gästen den Schlaf zu empfehlen, um morgen mit frischen Kräften neu anfangen zu können.

Und wo ist Hannah? fragte Helgestad, der sich mühsam auf den Beinen zu halten schien.

Wohin eine sittsame Jungfrau gehört, wenn die Nacht kommt, antwortete Fandrem. Liegt unter ihren Decken und seufzt über den gottlosen Schwiegervater, der des süßen Giftes nicht satt werden kann.

Und träumt vom Lyngenfjord und von dem schönen Tage, wo Björnarne sie an sein Herz drücken wird, schrie Helgestad.

Schweig still, du alter Sünder, lachte der dicke Gildevorsteher, daß sie nicht aufwacht und es hört. Würde es dir nimmermehr vergeben, von ihr zu denken, daß ein Mann sie an sich drücken könnte.

Und lassen es sich doch Alle gefallen, grinste Helgestad; calculire, die thut es auch.

Calculire, hast dein Gehirn zu stark erhitzt, Niels, erwiderte Fandrem, in das Gelächter einstimmend, ist aber Zeit dich in's Bett zu schaffen. – Gebt ihm den Arm, Herr Marstrand, und führt ihn hinein. – Es geht nichts über die richtige Erziehung und über die Mäßigkeit!

Helgestad hob das Licht auf, das vor ihm auf dem Tisch stand, und beleuchtete das rothwangige, glänzende Haupt seines Verwandten. 185 Bist ein Muster von Mäßigkeit, sagte er. Halt' die Mäßigkeit fest, Johann Marstrand, oder sie bricht zusammen.

Fandrem hatte das andere Licht genommen und beleuchtete die gelben faltigen Züge des gewaltigen Nordländers. So standen sie sich gegenüber, Gesichter schneidend und sich anstierend unter schallendem Gelächter und allerlei herausfordernden Worten, bis Fandrem in die Hände seines Dieners und seiner Haushälterin fiel, die ihn in's Bett brachten, Helgestad aber unter Marstrand's Beihülfe in die Kammer geleitet wurde, welche für ihre Nachtruhe bestimmt war.

Allem Anschein nach war Helgestad in einem schwer trunkenen Zustande, und sein Begleiter hatte Mühe ihm Beistand zu leisten, kaum aber war er mit ihm allein, als zu seiner Verwunderung alle Zeichen des Rausches verschwanden.

Bin so nüchtern, wie Ihr es sein könnt, Herr Marstrand, sagte er, sich aus den helfenden Händen aufrichtend, habe es aber vorgezogen auf diese Weise Fandrem in sein Bett zu bringen, und seinen guten Ruf zu bewahren. Wäre große Schmach für ihn, wenn sein Kopf mit ihm umginge und seine Gäste nichts von der Bewirthung merkten. Hasse und verachte die Trunkenheit, ist aber ein Erbstück dieses Volkes, das manches Menschenalter noch damit zu thun haben wird. Bergen ist eine nüchterne Stadt und Fandrem ein Mann, der selten mehr trinkt, als er vertragen kann; müßt nach Tronthjem gehen, wenn Ihr sehen wollt, was durstige Kehlen leisten können.

Was er sagte war allerdings nur zu wahr, es paßte jedoch eben so wohl auf Norwegen, wie auf alle andere Länder. In den besten Gesellschaften der damaligen Zeit war Trinken das hauptsächlichste Vergnügen und der Rausch keinesweges eine Schande, aber in Norwegen wurden die Gastmähler mit Virtuosität betrieben und Tronthjem war, bis auf die neueste Zeit, ganz besonders berüchtigt oder berühmt. Nur zu häufig verwandelten sich jedoch die Hochzeitsfeste und Kindtaufen in Blut- und Leichenscenen, und Helgestad erzählte, während er sich zum Schlaf anschickte, wie bei solchen Gelegenheiten die Frauen mit dem Brauthemd für ihren jungen Mann zugleich dessen Sterbehemd nähten, und kein Gesetz bis jetzt mächtig genug gewesen sei, die Messerkämpfe zu verhüten, welche so Vielen schon das Leben gekostet hätten.

186 Ist im gleichen Maße schlecht und dumm für Männer, sich wie unvernünftige Thiere zu morden, sagte er endlich, um am nächsten Tage wie Weiber über ihre Thaten zu weinen.

Immer besser, antwortete Marstrand, als schlechte Thaten niemals bereuen.

Falsch, Herr, erwiderte Helgestad. Was ein Mann thut, soll er voraus bedenken, doch was er ausgeführt hat, soll ihm niemals Schmerzen machen. Habe meinen Kopf und meine Hände, die nichts können, was der Kopf nicht will. – Er richtete sich auf den Ellenbogen im Bette auf und sah Marstrand an. – Wollt in Eure Kammer gehen, sagte er, wartet noch einen Augenblick. Sagt mir, wie Euch Fandrem's Tochter gefallen hat?

Ich habe keine Gelegenheit gehabt, mir ein Urtheil zu bilden.

Seid ein Däne, sprach Helgestad, das heißt, ein Mann, der sich zu schmiegen und zu ducken weiß, wo er es für klug hält. Lese in Eurem Gesicht das richtige Urtheil. Ist ein stolzes, verzogenes Mädchen, eitel und verdorben in ihrem Gemüth.

Dann, Herr Helgestad, kann ich nicht begreifen, warum Sie diese Puppe in Ihr Haus führen wollen, wohin sie nicht paßt.

Warum paßt sie nicht?

Fragen Sie sich selbst, ob dies eine Frau für den einfachen, gutherzigen Björnarne ist. Wenn Sie vom Lyngenfjord sprachen, antwortete sie mit verächtlichen Blicken, und bei den Erzählungen von dem Leben in Oerenäesgaard füllte sich ihr Gesicht mit Hohn und Gelächter.

Helgestad nickte beistimmend dazu. Habt einen guten Blick, sagte er, ist richtig so. Aber Fandrem's Tochter ist ein Vogel mit goldenen Federn, wäre der ein Narr, der ihn aus seiner Hand gäbe. Ist ein altes Versprechen zwischen uns, Herr Marstrand, habt es gehört; liegt jedoch Leine und Haken noch auf anderem Grunde. – Er grinste pfiffig vor sich hin und fuhr mit gedämpfter Stimme fort: Fandrem ist ein schwacher Vater, so klug er auf der deutschen Brücke in seiner Schreibstube sitzt, wenn's Nordländer oder Spanier sind, mit denen er zu thun hat. Eine Eule nistet auf seinem Dache und hat ihn wach geschrieen. Habe einen Ton davon gehört, Herr. Frage nichts darnach, sehe nur, daß ich zur richtigen Stunde 187 gekommen bin mit meinem Wort, und sprach es darum frisch aus, als ich mit ihm allein auf den Signalbecken ging. Fürchtet Schimpf an Ruf und Name, ist ihm also willkommen, Hannah an den Lyngenfjord zu bringen. Wollen sie da zu Arbeit und Ordnung gewöhnen; bin ohne Sorge, wird fromm und gehorsam werden. – Ein grimmiges, leises Lachen zuckte um seinen Mund, Haß und Spott blitzten aus seinen Augen.

Und wenn Einsamkeit, Gram und Heimweh doch mehr thun, als Ihre Erziehung? sagte Marstrand mitleidig.

Bah! antwortete Helgestad, laßt sie blaß und mager werden; ist finnmarkisches Blut in ihren Adern, das wird sein Recht geltend machen. Wenn's aber nicht sein sollte, wenn Fandrem schwach genug ist und ihr eitel verdorben Sinnen gewähren will, so mag es so sein, aber dann soll er mir Reise und Mühe bezahlen. Habt gehört, daß ihr halbes Vermögen, als Reugeld, Björnarnen zufallen soll.

Jetzt verstand Marstrand Helgestad's ganzen Plan und dessen Pfiffigkeit, die ihn empörte. – Wenn aber die Nadel sich umkehrt, rief er aus, und Euch selbst den Finger blutig sticht, wenn Björnarne sie nicht mag, die weder Herz noch Sinn für ihn hat, was dann, Herr Helgestad?

Der Kaufmann fiel in die Kissen zurück, zog die Nachtmütze über die Ohren und brummte, sich auf die andere Seite werfend: Ist Unsinn, Herr, um den kein vernünftiger Mensch seinen Schlaf versäumen soll. Nehmt das Licht und geht in Eure Kammer. Björnarne will die Jungfrau nicht, die sein Vater ihm zuführt? Uve Fandrem's Tochter aus Bergen – will sie nicht?! Eher schwimmt kein Fisch mehr in den großen Westfjord. Will sie nicht? – Ist lustig anzuhören. Sage Euch, Niels Helgestad will und damit ist's genug.

Am nächsten Morgen hatte der Handelsherr seinen Rausch ausgeschlafen, aber auch die Genugthuung, daß Helgestad erklärte, in keiner besseren Verfassung gewesen zu sein, was ihm seit Jahren nicht passirte, und was er nicht eher wieder zu erleben hoffe, als an Hannah's und Björnarne's Hochzeitstage.

Der Gildemeister machte dazu kein ganz so heiteres Gesicht wie gestern und seine Blicke flogen von der Kaffeetasse zu dem 188 verhängten Fenster seiner Tochter hinauf; aber er brachte nach einigem Besinnen und Ueberlegen die Angelegenheit in Ordnung.

Hannah soll dich begleiten, sagte er, so schwer es mir auch werden mag, sie von mir zu lassen. Es ist gut, daß sie geht und selbst sieht, wo sie wohnen und leben soll. Mag Björnarne ihr Herz gewinnen, damit sie freudig ja sagt, und beide dann kommen und meinen Segen holen. Ihr Erbe soll ihr werden; an ihrem Hochzeitstage zahle ich eine Mitgift, wie es sich für Uve Fandrem paßt.

Zahlst die Dreißigtausend so oder so, antwortete Helgestad, die Hand ausstreckend.

Mag also sein, sprach Fandrem. Es ist freilich eine große Summe, fügte er hinzu, ich will dich aber zufrieden stellen und Hannah glücklich wissen. Wird jedoch von Eurer Seite ein Hinderniß bereitet, so bist du mir verpflichtet.

Kennst Niels Helgestad, war die Antwort.

Der Vertrag war somit nochmals durch Wort und Handschlag beglaubigt und während des Frühstücks wurden nun die Geschäfte besprochen. Die Yacht sollte heut völlig ausgeleert sein und dann sogleich ihre neue Ladung einnehmen. – Mit dem vierten Tage sollte Helgestad die Reise beginnen und bis dahin war viel zu beschaffen. Alle für Marstrand bestimmen Vorräthe mußten ausgesucht und verpackt werden; der erfahrene Kaufmann entwarf alsbald den Bestellzettel und es fand sich im ersten Ueberschlage, daß die dafür zu zahlende Summe wohl Achttausend Thaler betragen würde.

Dagegen bewilligte Marstrand abschläglich seine Fische, die noch auf den Gerüsten am Westfjord hingen, und es wurde abgemacht, daß sie bei der nächsten Fahrt an Fandrem geliefert werden sollten. Der Kaufmann bot ihm an, den Handel sogleich zu beschließen und einen bestimmten Preis für die Vaage von acht und vierzig Pfund festzusetzen, wofür er drei Speciesthaler zahlen und endlich sogar noch einen Viertelthaler zulegen wollte, allein, wie verlockend er sein Anerbieten auch machte und mancherlei Künste dabei anwandte, und wie ihn Helgestad unterstützte, der für diesen Satz ihm alle seine Vorräthe antrug, Marstrand wollte sich nicht dazu entschließen.

Mit dir, sagte Fandrem zu seinem Vetter, kann ich solchen Handel nicht eingehen, aus einfachen offenen Gründen. Der Fisch kann 189 weit billiger werden, denn so schlimm steht es nicht, wie man es macht. Deine großen Vorräthe brächten mir alsdann großen Schaden; überdies aber muß ich dir Baar zahlen, während ich mit diesem jungen Mann, der mein Wohlwollen gewonnen hat, in Rechnung stehe. Endlich auch ist er ein Anfänger, dem ich gerne Vortheile zuwende, du dagegen hast gefüllte Kasten und wirst sie noch mehr füllen.

Helgestad legte den Finger an seine Nase und calculirte, daß der ehrliche Fandrem Weisheit wie Honig über seine Lippen fließen lasse. Ist möglich, sagte er, daß der Fisch höher noch steigt, ist aber auch möglich, daß er viel billiger wird. An der ganzen Nordlandküste bis nach Tronthjem hin ist viel gefangen und Salzfisch in Menge gemacht worden. Wer es aushalten kann, mag es thun, wer aber nöthig hat, sicher zu gehen, muß die Schnepfe in der Hand der Gans vorziehen, die auf der Klippe sitzt. Ist ein schönes Geschäft zum Anfang, Herr Marstrand, wenn man sein Geld dreifach nach kurzer Zeit in die Tasche knöpfen und Anderen es überlassen kann, wie sie es wiederbekommen. Sitzt erst fest am Balsfjord, so könnt Ihr künftig wagen was Ihr wollt, jetzt ist das Sicherste das Beste für Euch.

Nehmt meinen Dank, antwortete Marstrand, der nicht zweifelhaft über das war, was er thun sollte. Ich bin jung und unerfahren und habe große Freude an Rath und Wohlwollen solcher Männer.

So schlagt ein, rief Fandrem; mag mein Gebot nicht weiter bedenken.

Bei allem Dank, antwortete Marstrand mit Bescheidenheit, will ich doch nicht, daß Ihnen ein Schaden erwachse und lieber mit weniger vorlieb nehmen, als einem Manne Leid zufügen, den ich so hoch verehre. Deswegen will ich warten, bis mein Fisch auf der deutschen Brücke liegt und will den Preis nehmen, der dann, wie es Sitte ist, zwischen Kaufleuten und Nordländern, von der Commission festgesetzt wird. Kommt ein Schaden, soll es mein Schaden sein, bleibt ein Vortheil, will ich ihn genießen.

Fandrem sah Helgestad an, der mit einem Ausdruck von größtem Wohlgefallen Marstrand zunickte und dabei sagte: Jeder Mann muß wissen, was er thut und niemals bedauern, was daraus erfolgt. Ihr wißt, ist mein Wahlspruch, Herr Marstrand.

190 Abgethan also, sprach der Gildevorsteher. Jeder nach seiner Weise. Will nichts bedeuten, wenn ein Mann seine Vortheile sucht, wo er sie finden kann. Zahle Ihnen den Preis der Commission.

Nach einer Stunde waren sie auf dem Wege zur Stadt. – Die Thurmglocken schlugen sieben Mal, der Morgen war wundervoll. Vögel sangen in den Bäumen, warm und sonnenvoll kam der Tag, aber Hannah's Vorhänge thaten sich nicht auf und der kleine dicke Handelsherr zog drei Mal seine ungeheure Uhr heraus, hielt sie an's Ohr, betrachtete Fenster und Haus, kehrte um, blieb stehen, und ging endlich ärgerlich den beiden Andern nach, die schon am Signalthurm standen und ihn erwarteten.

Am Hafen war längst die Arbeit in voller Thätigkeit. Der Gildevorsteher gab den Aufsehern, die ihn vor seinem Hause erwarteten, Befehle, dann führte er Helgestad in seine Comptoirstube, wo Rechnungen und Handelscontos bereit lagen, und wo auch Marstrand Contracte unterzeichnen und die Verpflichtung eingehen sollte, nur mit Uve Fandrem in Bergen Handel und Verkehr zu treiben.

Das Comptoir des reichen Kaufmanns war klein und düster. Ein einziger alter Buchhalter saß auf einem eben so alten Schreibbocke, denn trotz ihrer bedeutenden Geschäfte hatten die Handelsherren in der Stadt nicht viel zu schreiben. Sie bedurften weit mehr Arbeiter und Aufseher in ihren Magazinen, als Gehülfen in der Schreibstube. In einem Winkel standen große Handlungsbücher hinter einem Gitterspind, das vor einem halben Jahrhundert vielleicht einmal weiß angestrichen wurde, und die engen Fenster ließen eben nur soviel Licht in das Gewölbe, um ein paar nägelbeschlagene Juchtenstühle mit hohen Lehnen und einen schwerfälligen Zahltisch zu erkennen. Der übrige Raum war mit Kisten und Kasten, Seehundsfellen und Federballen vollgestopft und an der Wandseite stand ein künstlicher Bau hochaufgethürmter kleiner Fässer, die Marstrand bei seinen Bemühungen, sich durch dies Labyrinth zu schlängeln, beinahe über seinen Kopf zusammengestürzt hätte.

Fandrem rief ihm eine Warnung zu. Ist ein feines Haus, sagte er, mit Tausend Ecken und Winkeln, die ein weiser Mann besser benutzen kann, als große Räume. Alles hat da seine Stelle und sind lauter Leckerbissen, Herr Marstrand, für gute Freunde. 191 Anchovis von diesem Jahr, Syld von der rechten Sorte, Honig aus Hedemarken und Butter aus Flensburg.

Sein Gelächter wurde durch die Mittheilung erklärt, daß diese Leckerbissen für die Mannschaften der nordländischen Schiffe bestimmt seien, deren Ladung Herr Fandrem kaufte, und welche nach altem Gebrauch mit Lebensmitteln beschenkt werden mußten. Das Beste und Frischeste wurde natürlich für diese unverdorbenen Magen nicht ausgesucht, daher kam es denn, daß der Duft von Fett und Fleisch eine Mischung bildete, welche für den Uneingeweihten eben kein Rosenöl war.

Alles riecht gut, was Geld bringt, sagte der Gildevorsteher, und wenn man von Bergen spottend im Lande sagt, es sei viel weiter zu riechen als zu sehen, so können wir nur wünschen, daß dies Wort niemals zu Schanden werde; denn je weiter man uns riecht, um so mehr Yachten liegen in unserm Hafen, und um so höher thürmen sich an der deutschen Brücke die Haufen Stockfische, Häringe und Thranfässer auf, deren Geruch uns so süß und wohlgefällig ist, wie den alten Gottheiten der Geruch ihrer Brandopfer, Widder, Schafe und Stiere, die ihren göttlichen Nasen so besonders angenehm waren und doch eben auch nicht wie Ambra und Myrrhen gerochen haben können. Nach diesem Witze zog Fandrem Marstrand an das Schreibpult, wo er ihn die Contracte durchlesen und unterzeichnen ließ. Hierauf nahm Helgestad die Feder und stellte eine besondere Bürgschaft aus, durch welche er sich für den Betrag der Schuldsumme verpflichtete, welche Marstrand an Waaren im ersten Jahr von Fandrem entnehmen würde.

Wie? fragte der junge Mann erstaunt, ist der Credit, den sie mir anboten, so gemeint, das ein Anderer für mich als Bürge eintreten soll?

Ist Sitte so in Bergen, antwortete Helgestad, und thue es gern. Würde ohne Bürgschaft sich wohl so leicht Niemand finden, der Euer Haus mit seinen Waaren füllte.

Ich sollte denken, erwiderte Marstrand gereizt, daß mein Besitzthum, wenn nicht mein Wort und meine Ehre, Bürgschaft genug für Jeden wäre.

192 Nuh, sagte der Kaufmann unerschütterlich, sprecht einmal wieder wie ein dänischer Junker, nicht wie ein nachdenkender Mann, der die Dinge betrachtet, wie sie sind. Wer soll wissen, was Euer Gaard am Balsfjord werth ist, vorausgesetzt, daß wir ihn aufgebaut haben? Wer soll wissen, ob die Balself einen Balken oder ein Brett liefern kann? Dazu gehören mancherlei Künste sammt großen Mitteln. Denkt an Olaf, Herr Marstrand, welcher Jeden für einen Narren erklärt, der einen Schilling dafür aus seiner Tasche holt. Endlich aber calculirt, ob ein Mensch in Bergen Euch kennt, denn ich allein.

Marstrand war in hohem Grade mißvergnügt über die Entdeckung, daß auch durch dies neue Verhältniß seine Abhängigkeit von Helgestad vermehrt werde. Er hatte im Gegentheil gemeint, damit den Anfang zu machen, seinen eigenen Weg einzuschlagen, und allerlei Plane auf Fandrem's Wohlwollen und Credit gebaut, jetzt war es wieder nur Helgestad's Bürgschaft, die es möglich machte, die harte Hand des Berger Handelsherrn zu öffnen. – Helgestad's Antwort zeigte ihm deutlich genug, wie sein Wohl in dessen Händen liege, und er glaubte in den gierigen Augen des alten Mannes Hohn über seine hülflose Lage zu lesen. Der wüste Balsfjord war nichts ohne Helgestad's Geld. Er kam sich vor wie eine Fliege zwischen den groben Fingern dieses listigen Speculanten, der sie nach Gefallen so lange flattern ließ, bis es ihm Zeit scheine, ein Ende damit zu machen. Dies Mißtrauen bemächtigte sich seiner in so hohem Grade, daß er alle Vorsicht vergaß. – Ich mag Ihre Bürgschaft in diesem Falle nicht annehmen, sagte er gereizt. Die Zahl meiner Verpflichtungen ist ohnehin so groß, daß ich sie nicht vermehren will.

Und warum nicht, Johann Marstrand? fragte Helgestad.

Weil es mir Pflicht scheint, auf meinen eigenen Füßen zu stehen, war die Antwort.

Glaub's wohl, sagte der Kaufmann ruhig, und ist richtig gedacht, wer aber soll in meine Stelle treten? Wen kennt Ihr hier?

Diese Frage setzte Marstrand in Verlegenheit. Ich kenne Niemanden hier als Capitain Dahlen, aber er sowohl wie, wenn es Noth thut, andere Leute von Ansehen, die ich nennen kann, würden ihr Wort für mich verpfänden.

193 Fandrem hatte an seinem Pulte sitzend bis jetzt ohne alle Einmischung zugehört, nun aber sprang er von dem Reitbock in die Höhe und schlug mit seiner fetten Hand auf das große Rechenbuch, daß der Staub nach allen Seiten flog. – Wer soll Bürgschaft leisten? schrie er. Der junge Windbeutel aus Bergenhaus? Stolz genug zieht das Hähnchen die Beine, wenn er jeden Tag sauber abgebürstet durch die Straßen läuft und nach allen Dirnen gafft. Macht keinen Scherz, Herr Marstrand. Ich halte Euch für einen ehrbaren jungen Mann, doch nicht einen Heller, nicht einen Deut würde ich Eurem Freund, dem tapfern Capitain, borgen.

Und warum nicht, sehr würdiger Herr Fandrem? fragte eine helle Stimme aus dem Hintergründe, und zwischen dem Gebirge der Fäßchen und Kisten zeigte sich Henrik Dahlen's schlanke Gestalt.

Einen Augenblick war der Handelsherr sichtlich bestürzt über die unverhoffte Anwesenheit des Offiziers, aber er war der Mann nicht, der den Muth so leicht verlor. Er stellte sich hinter seinen Zahltisch, während Dahlen siegreich vorwärts drang und an die andere Seite dieser Scheidegrenze anlangte. – Ich weiß nicht, Herr, begann er, was Sie bewegen kann, mein Haus und meine Schreibstube aufzusuchen, da es aber geschehen ist, mag's drum sein. Ich kann meine Worte jederzeit wiederholen.

Ich habe Sie zur Genüge verstanden, Herr Fandrem, erwiderte der junge Mann stolz lächelnd, und kann mir selbst meine Frage beantworten, denn allerdings liegt es nahe, weshalb ein so achtbarer Handelsherr einem jungen Offizier kein Geld leihen mag.

Calculire, sagte Helgestad sein eisernes Gesicht über den Tisch streckend, sind mitten in einer Verhandlung, Fandrem, wo es gut wäre, wenn wir nicht gestört würden.

Ist richtig, antwortete der Gildevorsteher.

Calculire, erwiderte Dahlen, indem er die Gewohnheit des Kaufmanns vom Lyngenfjord nachahmte und mit dem Finger über die Nase fuhr, daß ich diesen angenehmen Aufenthalt räumen soll?

Ja, Herr Offizier, ja, wenn's gefällig ist, rief Fandrem ärgerlich. Ich denke nicht, daß Ihr Besuch mir gilt?

Nein, Herr Fandrem, versetzte der Capitain mit einer höflichen Verbeugung, ich wünschte nur diesen verirrten und verlornen Mann 194 aufzusuchen, welcher sich Johann Marstrand nennt und dessen Anwesenheit meinen besondern Antheil erregt.

Glaube, Herr Marstrand hat Besseres zu thun, als sich in Geschäften aufhalten zu lassen, sagte Helgestad.

Glaube, Herr Marstrand hat keinen Vormund nöthig, wenn er an Ort und Stelle ist, war die Antwort, und mit einem übermüthigen Blick auf das finstere Gesicht des Nordländers, legte Dahlen seine Hand auf den Arm seines Freundes und fuhr zu diesem gewandt fort: Wenn du beschäftigt bist, so höre ein paar Worte. General Münte ruft mich nach Tronthjem zurück. Morgen schon muß ich Bergen verlassen, und da ich heute dich schwerlich noch einmal aufsuchen kann, so lebe wohl, Marstrand, wenn du es nicht vorziehst, mich zu begleiten.

Du weißt, daß ich dies weder kann noch will, war die bestimmte Antwort.

Dann sei Gott mit dir! sagte der Capitain. Er beschütze dich vor allen Gaunern und Heuchlern, behüte dich vor Schaden und Schande und führe alle Fische des Meeres in deine Netze. Herr Fandrem, ich bin bereit, Ihr Haus zu verlassen und ohne Ihren Wunsch es nie wieder zu betreten.

Es ist mir so, antwortete der Gildevorsteher, als würde ich einen so vermessenen Wunsch so bald nicht hegen.

Wer weiß, rief der übermüthige junge Offizier, indem er an seinen Degen schlug. Mir ist im Gegentheil zu Sinne, als würden Sie mich einmal an dieser Ihrer rechten Hand hier einführen und mich bitten, Ihres Hauses Ehren zu vermehren.

Er streckte seine Rechte nach dem Kaufmanne aus, der voller Abscheu zurückwich und mit einer spottenden Verbeugung erwiderte: Es ist traurig für Bergen, daß es einen so tapferen Kriegsmann verlieren soll, der besser noch, wie Thor, die Riesen und ihren König besiegt haben würde. Aber mein Haus ist schwerer zu erobern, als Jöleua und meine Wünsche sind von der Art, daß eher die sieben Fjellen von Bergen über mich und alles, was mein ist, hinstürzen möchten, ehe ich den Tag erleben wollte, wo diese meine rechte Hand Sie hier mit meinem Willen willkommen hieße.

195 Dennoch wird es geschehen, Herr Fandrem, dennoch muß es geschehen, rief Henrik Dahlen, doch wir wollen nicht darum streiten. Ich muß fort, allein Bergen wird auf keinen Fall einstürzen.

Fandrem wischte sich den Schweiß von der Stirn, er zitterte vor Aerger und seine Fäuste ballten sich zusammen, aber er gab keine Antwort.

Seit wann ist es Sitte im Lande, fragte Helgestad, daß ein Mann in seinem eigenen Hause sich von Einem verhöhnen läßt, den er nicht darin dulden will?

Guter Freund, sagte der Capitain, der eben gehen wollte, wartet ab, bis man Euch frägt, und mischt Euch nicht in Dinge, die mich angehen.

Nuh, grinste Helgestad, will gern aus Eurem Weg gehen, junger Herr, hütet Euch nur in mein Fahrwasser zu kommen.

Da ich kein Kabeljau, kein Häring und kein Dorsch bin, rief der junge Offizier, auch kein unglücklicher Lappe und ebensowenig ein Königsbrief mir das Vergnügen einer näheren Bekanntschaft mit Euch verschafft, so hoffe ich für alle Zeit davor bewahrt zu bleiben. – Frieden in Ihr Haus, Herr Fandrem, bewahren Sie mir ein gutes Andenken und du, Marstrand, halte deine Augen wach, bis wir uns wiedersehen.

Er drückte seines Freundes Hand und dieser fühlte einen kleinen Zettel zwischen seinen Fingern. Zugleich trat Dahlen seinen Rückzug an, warf unbarmherzig mit Fußstößen zur Seite, was ihn hinderte und verschwand mit einem Fluche auf den schändlichen Geruch und mit einem Gelächter über die rollenden und fallenden Fäßchen und Kistchen, die von dem künstlichen Aufbau an der Wand herunterstürzten.

Da seht hin, sprach Helgestad verächtlich, das sind die Menschen, die sich besser dünken als wir, durch Namen, Stand und Ehre, wie sie es nennen. Nuh, laßt ihn laufen; wünsche niemals mehr mit ihm Auge in Auge zu stehen, könnte anders enden wie heut. – Dort liegt das Papier, Herr Marstrand, und hier bin ich. Soll meine Bürgschaft gelten, oder meinen Sie ohne mich in Zukunft fertig zu werden?

196 Der Ton war so bestimmt und so drohend ernst, daß kein Zweifel war, Helgestad hatte seinen Entschluß gefaßt. Er wußte aber viel zu gut, daß sein Schützling bedächtig war und nicht anders könnte, als den Widerstand fallen lassen. – Nach einigen Reden und Gegenreden kam es dahin, daß Niels die Bürgschaft unterzeichnete und mit Fandrem im Verein, Marstrand nochmals bewies, daß dies eben so üblich wie recht sei, doch eben nur der Form wegen geschehe, da Niemand zweifle, der neue Kaufmann am Balsfjord werde in Jahresfrist seine Zahlungen decken und dann offenen und unverbürgten Credit haben.

Der ganze Tag verging jetzt damit, daß in den großen Magazinen des Berger Handelsherrn die Waaren besichtigt und ausgesucht wurden, welche die schöne Ilda einladen sollte. Helgestad selbst kaufte eine Menge Mehlballen und viele Leinen und Angeln, dabei prüfte und probte er, was für Marstrand bestimmt war, und gab, als ein erfahrener Mann, diesem nützlichen Unterricht in Waarenkenntniß der allerverschiedensten Art. Das Wiegen, Packen, Zusammenschnüren und Aufschreiben, nahm viele Stunden fort und ließ dem jungen Ansiedler, für dessen Rechnung dies Alles geschah, nicht viele Zeit, um an das Letzterlebte zu denken. Seines Freundes auffallendes Benehmen in Fandrem's Hause und dessen harte und höhnende Worte hatten ihm wenig behagt, aber er mußte glauben, daß darin irgend eine geheime Absicht versteckt lag. Der kleine Zettel, den Dahlen zwischen seine Finger geschoben hatte, enthielt ein paar Zeilen, welche seine Neugier noch mehr anregten. »Ich muß dich heut noch sehen,« stand darin, »denn du sollst allerlei erfahren, was dich und mich betrifft. Wenn die beiden alten Burschen ihre volle Ladung haben, was nicht fehlen kann, so steige aus deinem Kammerfenster, du wirst mich im Garten finden.«

In Fandrem's Landhause und bei Nacht wollte Dahlen ihn also aufsuchen, und was hatte er ihm zu entdecken? Marstrand grübelte hin und her, ohne eine seiner Vermuthungen festzuhalten. Der Lärm der Geschäfte, das Geschrei der Arbeiter, das Getümmel im Hafen, die geräuschvolle Thätigkeit so vieler Menschen und die fortgesetzte Nähe Helgestad's, welche die Vermuthung erregen konnte, daß er absichtlich seinen Schützling nicht verlasse, um ihn in Aufsicht zu 197 behalten, Alles vereint machte, daß bis zum Schluß des Tagewerkes, Marstrand eifrig seinen Obliegenheiten nachkam. Seine Unverdrossenheit und sein geschicktes Handanlegen wurden dafür von Helgestad viel gerühmt, als endlich Fandrem kam, um seine Gäste abzurufen und mitzunehmen. Sie gingen denselben Weg zu dem artigen Landhause, fanden den Tisch gedeckt und Hannah sie erwartend, geputzt in einem noch schöneren Kleide, aber eben so schweigsam und eben so unbeweglich wie gestern. Fandrem versuchte einige freundliche Worte, doch diese hatten so wenig Wirkung wie Helgestad's Scherze. Das Fräulein nahm nicht den geringsten Antheil, und was sie gezwungen antwortete, war so kurz abstoßend und abwehrend, daß ihr Vater kaum seinen Zorn bemeisterte.

Endlich war der Handel wieder Gegenstand der Gespräche; die Flasche ging umher, der Gildevorsteher hatte seine gute Laune wieder bekommen und sagte seinem jungen Freunde allerlei schmeichelhafte Dinge. Ein Mann wie Sie, rief er endlich, wird vorwärts kommen. Arbeit macht das Leben süß; aufgepaßt auf alle Vortheile, heißt es in dieser Welt.

Ich werde mein Bestes thun, antwortete Johann, arbeiten will ich fleißig und mein Anfang ist gut, auch glaube ich, daß ich Sinn für den Handel habe und mir zu helfen weiß, wo andere Leute ohne Erfahrung nicht wissen würden, wo sie angreifen sollten.

Recht so, rief der Gildemeister. Selbstvertrauen muß ein Mann haben, wenn er Geschäfte machen will.

Selbstvertrauen muß jeder Mensch haben, wenn er in schwierigen Lagen nicht untergehen soll, antwortete Marstrand.

Aber Vorsicht darf nicht fehlen, fiel der Gildemeister ein. Die goldene Regel jedes Kaufmannes ist, nichts zu unternehmen, wozu seine Kräfte nicht ausreichen. Speculation ist die Seele des Handels, doch wer in's Blaue ohne Mittel speculirt, geräth in Schwindel. – Langsam gehen aber sicher gehen, das ist die Sache. Geh langsam an, kommst oben an, heißt das alte richtige Sprüchwort, das Jeder sich merken muß.

Nicht Jeder, Herr Fandrem, denn bei Allem, was ein Mensch unternehmen mag, gibt das Glück den Ausschlag. Speculirt so vorsichtig, wie Ihr wollt, alles wird zu Schaden werden, wenn das 198 Glück Euch verläßt; unternehmt das Gewagteste und es wird gelingen, wenn die große Göttin Glück Euch den Finger reicht.

He! und Sie sind solch ein Sonntagskind der Glücksgöttin, wie ich meine? rief Fandrem lachend.

Ich habe wenigstens den Muth es sein zu wollen, antwortete der junge Abenteurer. Früh hab ich des Glückes Mißgunst erfahren, warum soll ich nicht glauben, daß es jetzt mir treuer sein wird? Leicht will ich es keinem Widersacher machen, mich auszustechen. Ich will mein Glück festhalten bei jedem Zipfel, und wer das Unglück nicht fürchtet, hat immer die meiste Aussicht auf Erfolg.

Wünsche Ihnen alles Gute, rief der Handelsherr, sein Glas erhebend, und daß kein Tag kommen möge, wo Ihr Glücksschiff auf eine blinde Klippe läuft.

In dem dicken rothen Gesicht war eine Theilnahme zu bemerken, die sich vermehrte als Marstrand antwortete: In der ganzen Welt, wo Menschen nach einem Ziele ringen, stellt sich Glück gegen Glück. Jeder hat seinen Antheil daran, es frägt sich nur wer das Meiste bekommen hat. Die sich am Stolzesten und Sichersten dünken, ihre Plane am Geheimsten und Künstlichsten machen, werden oft am Leichtesten von Gegnern besiegt, die sie kaum beachten. – Recht muß man thun, Herr Fandrem, das Gewissen muß immer in Ordnung sein und der Kopf nicht allein, sondern auch das Herz an der rechten Stelle sitzen, so kann man es mit jedem Feinde aufnehmen. Es steht in der Bibel geschrieben: Seid klug, wie die Schlangen, doch ohne Falsch, wie die Tauben, und das ist ein richtiger Spruch, der hilft aus vielen Nöthen.

Diese letzte Antwort machte einen verschiedenen Eindruck auf die Tischgenossen. Fandrem brummte vor sich hin und trank sein Glas aus, seiner Tochter Gesicht wurde auf einen Augenblick so belebt, wie es noch nie gewesen war, Helgestad aber begegnete den Augen des kühnen Sprechers und Beide suchten zu verstehen, was in ihnen vorging.

Nuh, rief der Nordländer dann in seiner bedächtigen, kurzen Art, calculire, daß Jeder thue, was er kann und das Ende den Meister lobt. Recht hat, wer oben schwimmt und was er anfängt auch ausführt. Denke, hat Jeder mit sich selbst abzumachen, was 199 er Gewissen heißt, sagt das Eine dies, das Andere jenes, ist aber Herr Marstrand ein Mann, der seine stolzen Worte wohl noch in mancherlei Sturm und Wetter erproben mag.

Dann wird es sich zeigen, ob ich Ihr Lob verdiene.

Ob das Glück aushält, sagte Niels, ihn angrinsend.

Ich denke, Herr Fandrem, es soll sich bald zeigen, daß ich Helgestad's Lehren wohl verstanden habe, rief Marstrand lebhaft.

Ich zweifle nicht daran und achte Sie dafür, antwortete der Gildevorsteher, sein Glas ausstreckend. Wäre der Capitain ein Mann Ihres Schlages, bei Gott! – er schlug mit dem Heft des Messers, das er in der Hand hielt, auf den Tisch – er sollte an meinem Tische sitzen und meinem Hause willkommen sein.

Henrik Dahlen ist, soweit ich ihn kenne, ein ehrenhafter und wackerer Mann, sagte Marstrand, der für seinen Freund sprach.

Ein dänischer Windbeutel, ein Hans Narr in rothen Hosen, ein Unglück für das Land, das solche Faullenzer ernähren muß, schrie Fandrem heftig. Wollte Gott, fuhr er mit einem Seufzer fort, Norwegen wäre, was es ehemals war, ein freies und selbstständiges Reich, und Bergen wieder eine Stadt, die sich selbst ihre Gesetze machte. Damals stand es besser mit uns als jetzt, wo die Dänen Blutsauger aller Art, Zöllner, Richter, Priester und verdammte Soldaten, uns über den Hals schicken.

Die schönen Jungfrauen in Bergen werden milder darüber denken, rief Marstrand belustigt. Was sagt Jungfrau Hannah dazu?

Bah! rief ihr Vater ärgerlich, haltet Euch ehrbar, Herr, und fragt keine sittlich erzogene Jungfrau nach solchen Dingen. Bergen ist, dem Himmel sei Dank, kein solches Sodom wie Tronthjem, wo die dänischen Offiziere in die Häuser der besten Familien kommen und Bälle sammt andern sündigen Lustbarkeiten die Jugend verderben.

Wird dann in Bergen nicht getanzt? fragte Marstrand.

Wir leben in einer ehrbaren Stadt, antwortete Hannah, wo man nichts von dergleichen Possen weiß. Hier hören wir glücklicherweise nur von Stockfischen und Häringen und statt der Musik die Töne der Winden an den Packhäusern, und den Gesang unserer theuren Freunde, der Nordländer, deren Gesellschaft uns so wohl thut. 200 Unser schuldloses Vergnügen besteht darin, zur Sommerzeit hier oben in freier Luft und im Winter auf der deutschen Brücke am warmen Ofen zu sitzen. Zweihundert Tage im Jahre regnet es regelmäßig in Bergen, wenn es nicht zur Abwechslung schneit, so nehmen wir denn jeden Sonnenstrahl wahr und freuen uns über Gottes gute Gaben, zu denen man freilich am wenigsten die dänischen Soldaten rechnen darf.

Obwohl das Fräulein mit der ernsthaftesten Miene sprach, war Marstrand doch überzeugt, daß sie sich wirklich zu einer Spötterei herabließ, die er ihr nicht zutraute; ihr Vater schien jedoch von der Schilderung sehr erbaut zu sein. – Hast Recht, Mädchen, rief er, leben still und gottesfürchtig unser bescheidenes Leben, ohne Spektakel und Aufsehen zu machen. Nicht einmal die Familien kommen zusammen, fuhr er mit freudiger Genugthuung fort, ist eine Seltenheit, wenn sie sich besuchen, um eine Schüssel frischen Sey oder Syld zu verzehren.

Echt bergisch Blut, sagte Hannah, läßt die Linke nicht wissen was die Rechte thut.

Prächtig, Mädchen, prächtig! fiel Fandrem ein. So ist unser Wesen, sind uns selbst genug in unserer eigenen Gesellschaft. Es geht doch nichts über die richtige Erziehung, Herr, schrie er mit einem Liebesblick auf seine Tochter. Füllt Euer Glas und helft Euch zum besten Rippenstück. Wir trinken mit unsern Gästen gern so lange sie wollen, aber wir laden eher den Satan ein, als einen dänischen Rothrock.

Nuh, sprach Helgestad, sehe in Bergen denselben Widerwillen gegen die Rothröcke, den wir im Norden gegen Finnen und Lappen haben, die in unsere Häuser dringen und sich uns angenehm machen wollen.

Es ist schlimmer, Niels, es ist schlimmer! sagte Fandrem, dem der Wein in den Kopf stieg. Ein Lappe ist ein garstiges Thier, aber er ist doch ein nützliches Wesen, das arbeiten kann, sogar im Stande ist, Handel und Geschäfte zu treiben, Geld zu sammeln, seine Zeit Gott wohlgefällig zu verwenden, und das seinem Mitmenschen nichts kostet, vielmehr diesem Gelegenheit zu Gewinn und Vortheil gibt. Was aber hat ein Soldat jemals der menschlichen Gesellschaft 201 Nutzen gebracht? Sind die Drohnen im Bienenkorbe, Niels, und müßten wie diese behandelt werden. Freilich hängen die Weiber ihre Herzen gern an bunte Troddeln, Quasten und anderen Firlefranz, aber wenn ich meinen Schwiegersohn wählen sollte zwischen einem Lappen und einem Rothrock, verdammt will ich sein, wenn ich dem Lappen nicht den Vorzug gäbe!

Gelächter und neuer Streit folgte diesen hitzigen Aeußerungen und ganz so wie am vorigen Abend wurden die Gläser so lange gefüllt und geleert, bis Fandrem sich in's Bett bringen ließ und Helgestad in seine Kammer wankte. Heute schien er sein vollgemessenes Maß empfangen zu haben. Ohne sich um seinen Gefährten zu kümmern, der unter allerlei Mühen ihm endlich auf sein Lager half, sank er in die Kissen und befand sich im nächsten Augenblick schon in tiefem Schlaf oder in Bewußtlosigkeit.

Nach einiger Zeit löschte Marstrand das Licht aus und öffnete das Fenster. Im Hause war Alles still, hinter sich hörte er die langen festen Athemzüge des Schlafenden, unter den Bäumen war es dunkel, aber der Himmel hing voll unzähliger Gestirne, die ein dämmerndes Licht verbreiteten. Nach langem Bedenken, Horchen und Umherschauen stieg Marstrand in den Garten und ging mit leisen Schritten vorsichtig bis an den breiten äußern Gang. Eine Gestalt lehnte dort an derselben Stelle, wo Hannah den Stein an der steilen Felswand hinabwarf und kam ihm entgegen, als er unter den Bäumen hervortrat. Beim ersten Wort überzeugte sich Marstrand, daß es sein Freund sei. Der Capitain war in einen Mantel gehüllt, sein Degen klirrte. Marstrand bemerkte, daß er ihn entblößt in der Hand hielt.

Wie? fragte er, du bist mit blankem Stahl bewaffnet?

Eine nöthige Vorsicht, antwortete Dahlen, das Schwert in die Scheide steckend. Man würde hier zu Lande wenige Umstände mit mir machen, wenn man mich zur Nachtzeit hier allein fände. Ein rascher Stoß würfe mich über diese Mauerbrüstung und wenn ich morgen zwischen den Felsen, achtzig oder hundert Fuß tiefer gefunden würde, legte man mich ohne vieles Bedauern in mein Grab.

Und wem traust du solche Schandthat zu? fragte Marstrand.

Aufrichtig, diese wie jede andere Schandthat, wenn sie etwas 202 einbringt, dem dickköpfigen, spitzbübischen Schuft, der dich hierher gebracht hat.

Und was brächte es ihm ein, wenn er dich aus der Welt schaffte?

Ich will es dir sagen. Dich läßt er vorläufig am Leben, weil es ihm Vortheil verspricht, mich möchte er an irgend einem fußlangen Angelhaken den Haien vorwerfen, weil meine Taschen leer sind, sein Säckel aber sie mir füllen soll.

Ich verstehe dich nicht, Henrik, sagte Marstrand.

Warte noch einen Augenblick, so wird es dir klar werden. Ich halte den alten grimmigen Burschen für einen Galgenstrick der ärgsten Sorte, für eine richtigen Abkömmling jener Kinder der Nacht, die nichts sannen und nichts dachten, als Verderben der Menschen. Er hat dich hierher geschleppt, erstens, um dir mit Fandrem's Hülfe deine Fische um einen möglichst billigen Preis abzuschwatzen, um dann gemeinsam den Gewinn zu theilen. Das hast du den beiden Ehrenmännern vereitelt, dann aber hat er dich in Fandrem's Rechenbuch geliefert und dafür Bürgschaft geleistet, das heißt soviel wie Fandrem hat es ihm geborgt und er kann dafür alle Tage zu dir sagen, scheer dich aus deinem Kram, der nicht dir, sondern mir gehört.

Unsinn! murmelte Marstrand. Sollte das wirklich seine Absicht sein?

Der Satan hole den alten Höllenbrand, rief Dahlen lauter, dennoch aber wollte ich, er würfe dich morgen hinaus, damit deine Tollheit ein Ende nähme, als ein freier Mann unter Gaunern und Polarbären zu leben.

Und wer hat dir dies Alles berichtet?

Ich könnte dir sagen, mein Daumen, oder ein Kobold, oder die schöne Göttin Ena, die auf Sonnenstrahlen fliegt und alles Geheime aufdeckt, oder ich hätte es geträumt, – aber hier fängt meine eigene Geschichte an. Was ich weiß, Johann, weiß ich von einem Wesen, das lebhaften Antheil an dir nimmt und mit seinen eigenen Ohren gestern es hörte, wie dein großmüthiger Beschützer schwor, er wolle bald mit dir fertig sein, obwohl Niemand deine Gaben verachten könnte. Aber ein Junker aus Kopenhagen sei ein Aufpasser mehr in den Finnmarken, der in seines Herzens Grund ein vornehmer 203 Herr mit allerlei Träumereien im Kopfe von Ehre, Recht und Gerechtigkeit, und stecktest schon jetzt deine Nase in Dinge, die dich nichts angingen. Gibt es einen Kerl, der Paulsen oder Petersen heißt?

Es gibt so einen, antwortete Marstrand.

Das ist sein Helfershelfer, mit ihm will er dich hetzen. Suche ihnen zu entgehen, Johann, laß dich von diesem Gesindel nicht wie einen Seehund behandeln, dem bei lebendigem Leibe das Fell abgezogen wird. Wende dich an den Gouverneur, im Nothfall nach Kopenhagen; bin ich erst in Tronthjem, will ich dir getreulich beistehen.

Und wer ist das Wesen, dem mein Schicksal so vielen Antheil einflößt?

Das ist eine Frage, die grade auf den Kern losgeht, erwiderte Dahlen, doch ich will sie dir einfach beantworten. Hannah heißt die Quelle, aus welcher ich schöpfe.

Fandrem's Tochter! Ich habe es geahnt.

Damit weißt du Alles, fuhr der Capitain fort. Seit drei Monaten kenne ich sie, seit drei Wochen, wo sie hier oben wohnt, schleiche ich allnächtlich unter diesen Bäumen umher.

Allem Vermuthen nach nicht allein.

Ich habe niemals die Einsamkeit geliebt, sagte Dahlen lachend, und glücklicherweise hat Fandrem die gute bergensche Sitte, früh schlafen zu gehen, und nach wackerem Essen auch den Nachttrunk nicht zu vergessen.

Er ahnt nichts von deiner Liebesnoth?

Er weiß Alles, aber er will nichts wissen. Ich habe vergebens Versuche gemacht, mich ihm zu nähern. In Bergen ist es unerhört, daß ein Soldat, ein Däne, ein Edelmann, der nichts hat als seinen Rock und sein Wappen, in das Haus eines dieser Könige der deutschen Brücke aufgenommen würde. Vergebens hat Hannah Worte zu meinen Gunsten fallen lassen; es hat zu nichts genützt, als um so eifriger mir jede Gelegenheit abzuschneiden, sie zu sehen.

Und nun?

Nun kommt dies finnländische Meerschwein, um Hannah in seine Höhlen zu schleppen, als Leckerbissen für einen Tölpel, der 204 langzöpfige Fischerdirnen in bunten Friesröcken und Lederjacken für die ersten Schönheiten der Welt erklärt.

Du bist ungerecht, antwortete Marstrand, Björnarne ist anders, wie du denkst.

Was ungerecht? – was kümmert es mich! Ich weiß allein, daß ein Juwel wie dieser nicht an die Hand und in das Balkenhaus eines halbwilden Krämers gehört. Er soll sie nicht haben und sollte ich Leib und Leben daran setzen.

Sie waren inzwischen an der Mauer langsam auf und nieder gegangen und hatten ihr Gespräch mit gedämpfter Stimme geführt. Nur die letzten Worte stieß Dahlen laut und mit Heftigkeit hervor. Marstrand legte die Hand auf seinen Arm und blickte forschend in das Gebüsch. – Still, flüsterte er, hörtest du nichts?

Nichts, antwortete der Andere. Sei unbesorgt, es hört uns Niemand, von dem wir zu fürchten hätten. Hannah muß mein sein, ich lasse sie nicht.

Weißt du auch, fragte Marstrand, daß dem Entführer nach den Landesgesetzen Todesstrafe droht?

Man hängt nur die man hat, antwortete der Capitain. Entführen will ich meinen Schatz auch nicht, ich will sie ihrem Entführer entreißen. Es würde ein Höllenlärm in Bergen entstehen, wenn der hochmüthige Gildevorsteher eines Morgens sein Nest leer fände, und wenn sie mich wiederfingen, würden sie ihr altes Gesetzbuch aus Christian des Vierten Zeiten aufschlagen und Gott weiß was sie an mir vollbrächten, ehe mir Hülfe würde. Solches Vergnügen will ich diesen schmutzigen Burschen nicht bereiten. Fein säuberlich will ich verfahren, Sitte und Ruf sollen nicht von mir befleckt werden. Ein Regierungslugger wird mich nach Tronthjem bringen; morgen früh nimmt er mich an Bord und schwimmt den Fjord hinab. Sollte es nicht möglich sein, daß mitten in der Nacht mein kleines flinkes Schiff dicht vor oder hinter dem unförmigen Kasten erscheint, den man eine Yacht nennt, und wenn ein Boot sich still an dessen Seite legt, sollte nicht unbemerkt eine Gefangene befreit werden können, besonders wenn ein Freund dabei ein wenig mithilft?

Ist das dein Plan?

205 Bei Gott! rief Dahlen, ich weiß keinen anderen, er ist nicht schwer auszuführen. Habe ich Hannah am Bord und bin ich mit ihr in Tronthjem, so bin ich sicher. General Münte wird uns schützen und geschehene Dinge sind nicht zu ändern. Fandrem wird sich in das Unveränderliche finden und dieser alte Höllenbrand, Helgestad, mag vor der Hand glauben, sein Opfer sei über Bord gesprungen, um sich seinen mörderischen Händen zu entziehen. Ich rechne auf dich, Marstrand, du kannst zum Gelingen beitragen.

Du rechnest falsch, ich kann nichts dabei thun.

Wie? fragte der Capitain, ich hätte mich getäuscht?

Sage dir selbst, ob ich dein Helfer bei solcher That sein kann?

Um eine Dame zu befreien, die lieber den Tod wünschen würde, als ein elendes hoffnungsloses Leben, um deinen Freund glücklich zu sehen, um einen habsüchtigen Gauner zu täuschen, der für seinen Erben Hannah's Geld haben will, das er mit derselben Gleichgültigkeit einstreicht, als verhandelte er eine Ladung Stockfische – um alles das könntest du uns deinen Beistand versagen?

Ist denn dies eitle stolze Mädchen im Stande dich zu beglücken? antwortete Marstrand. Ist es nicht eine Puppe, der es bald leid werden wird, dein Schicksal, wie es kommen mag, zu theilen?

Halt, rief Hendrik, jetzt frevelst du! und plötzlich wandte er sich gegen das dunkle Gebüsch und fuhr lachend fort: Tritt hervor, süße Hannah, beweise ihm, daß er dich schmäht ohne dich zu kennen. – Da ist sie, sie hat Alles gehört, aber sie vergibt dir im Voraus deine Sünden, und wie wäre es möglich, daß du nicht bereuen solltest!

Bestürzt sah der Junker, wie nahe ihm das Fräulein gewesen war, als er sein Urtheil über sie fällte, aber seine Verwirrung vermehrte sich, als sie in fröhlichster Weise darüber scherzte. – Ich habe nichts zu vergeben, sagte sie, denn wie hätte Herr Marstrand ein anderes Urtheil fällen können, da ich dies durch mein Betragen reichlich verdiente. Es schien mir jedoch das einzige Mittel, mich vor dem Lyngenfjord zu bewahren, wenn ich meinem fürchterlichen Schwiegervater zu beweisen suchte, daß ich nicht dafür paßte. Ich bin früh mutterlos geworden, Herr Marstrand, bin in Kopenhagen in einem Erziehungshause gewesen, habe dann in Hamburg gelebt 206 und soll nun nach einem Familienabkommen, das ich verabscheue, mein Leben in einer Einöde beschließen. Ich will nicht! rief sie, sich an ihren Geliebten lehnend, ich mag mich nicht verhandeln lassen. Seit meiner Kindheit denke ich mit Grauen an diesen Helgestad, der mir schon damals oft mit der Ehre drohte, welche er mir jetzt anthun will. Mein Vater ist gutherzig, er liebt mich, er wird mir verzeihen, allein nichts in der Welt würde ihn bestimmen können, einen dänischen Offizier zu seinem Schwiegersohn zu machen, so lange er es ändern kann. Alle meine Bitten sind vergebens gewesen. Die Gerüchte, welche in Bergen über mich und Henrik umlaufen, haben seinen Stolz empört, ich habe harte Auftritte erlebt. Jetzt hat er den Antrag Helgestad's mit Freuden ergriffen, um mich bis an's Ende der Welt zu schaffen, und lieber mag ich untergehen, wenn er sich dafür von dem errettet, was er Schmach und Schande nennt. – Sie schwieg einen Augenblick und sagte dann im sanfteren Tone: Seit dieser Zeit habe ich meinen Frohsinn verloren, doch meine Hoffnungen nicht aufgegeben. Vereinsamt, wie ich bin, habe ich geduldig erfüllt, was ich soll, ein freudiges Gesicht konnte ich dem Vater nicht mehr zeigen, der unväterlich mich von sich stieß und dessen Zorn ausbrach, sobald er Henrik's Namen hörte. Dennoch haben wir uns oft und heimlich gesehen. Gott verzeihe mir die Sünde! wenn es eine ist, aber hat der Himmel Eltern solche Gewalt verliehen? Sind Kinder so ganz ihre Geschöpfe, um Leib und Seele wie Sklaven hinzuwerfen? Die Gesetze sagen es, die heiligen Gebote drohen den Ungehorsamen mit Fluch und ewigem Verderben, die Sitte fordert demüthige Unterwerfung und verachtet die Uebertreter – ich glaube es nicht, ich kann es nicht glauben, daß meine Liebe ein Verbrechen ist. – Wie könnte sie das sein? Wo ist der Makel, der ihn trifft? Wo ist die Schande, die seine Nähe bringt? Wer weiß Böses von ihm zu sagen? Und das ist unsere Geschichte, Herr Marstrand; unzählige Male ist sie vorgekommen und hat mit Kummer und Unglück geendet. – Was sagten Sie heut an meines Vaters Tische? Sie sagten, der großen Glücksgöttin müsse man vertrauen, sein Glück vertheidigen gegen Arglist und Falschheit. Mein Herz habe ich verloren, aber mein Kopf ist erfüllt von dem Gedanken da zu sein, wo mein Herz ist, und den nimmer zu lassen, der es mir genommen hat.

207 Nun Freund, sagte Dahlen, kannst du noch zögern, uns beizustehen?

Nein, erwiderte Marstrand, ich will helfen, wo ich es vermag; aber gibt es keinen anderen Weg, als den gefährlichen und zweifelhaften, den du gehen willst?

Es gibt keinen anderen, der weniger gefährlich wäre. Meine Maßregeln sind gut getroffen. Vor allen Strafen ihrer verdammten Gesetze bin ich geschützt. Verfolgung ist nicht möglich, und den Spaß habe ich umsonst, den alten Taugenichts Helgestad geprellt zu haben, wo er es am wenigsten erwartete.

Sie gingen auf und ab und besprachen, was geschehen sollte. In drei Tagen konnte die Yacht auslaufen, am Ausgang des Fjord sollte der Lugger sie erwarten. Zeichen wurden verabredet zur Verständigung, die Begünstigung der Flucht übernahm Marstrand, aber er forderte dafür, daß Hannah nochmals vorher alle Mittel versuche, um ihres Vaters Sinn zu ändern.

Es wird vergebens sein, antwortete sie, allein ich will nichts sparen, um mich selbst zu überzeugen, daß mir keine andere Wahl bleibt.

Ein falber Dämmerschein hing an den Spitzen der höchsten Berge, als Marstrand die Liebenden verlassen wollte. Nimm sie mit dir, sagte Dahlen, ich bleibe sonst bis der Himmel verrätherisch Bergen erzählt, was hier geschah. Sei ihr Schutz, Marstrand, und wo es auch sein mag, ich will dafür dein treuer Genosse sein. Er legte beide Hände um Hannah's Kopf, suchte ihre Züge zu erkennen und zog sie dann an sein Herz. Es schlägt für dich bis auf den letzten Schlag, sagte er. Glaubst du fest daran?

In Ewigkeit, mein Henrik, flüsterte sie.

Dann lebe wohl und sei bereit. Vertraue meiner Liebe und dem Glück!

Mit raschen Schritten eilte er an der Mauer hin und auf dem jähen Pfade, der am Bergabsatz niederführte, war er schnell verschwunden.

Lebe wohl! rief Hannah ihm nach, und sie horchte bis er unten in seine Hände schlug. – Er ist fort, sagte sie dann, er ist schnell und klug, ich habe keine Furcht. Gestern lag er dort unter den 208 Büschen und erwartete den Stein, an welchen ich mein Briefchen gebunden hatte. Sie kamen dazu, und ich wußte nicht, wie ich mich der unbequemen Gesellschaft entledigen sollte, bis ich es für das Beste hielt, ohne Antwort fortzugehen.

Werde ich künftig willkommener sein?

Meines Freundes Freund ist auch mein Freund, erwiderte sie, wenn gleich das eitle Püppchen vor der Hand bleibt wie sie war. – Wir spielen Komödie, Herr Marstrand, und dürfen keine schlechte Schauspieler sein, wenn der Schluß die Zuhörer befriedigen soll. Morgen Abend, wenn wir hier uns wiederfinden, können wir uns geben, wie wir sind.

Sie trennten sich und nach einiger Zeit näherte sich Marstrand dem Fenster, aus welchem er gestiegen war. Helgestad schnarchte ihm laut entgegen; vorsichtig schlich er an dessen Lager vorüber und erreichte seine Kammer.


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