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Doktor Muldner war gestorben, so berühmt wie Stoll in Wien, in dem kleinen Städtchen Greussen; hinterließ bey seinem Sterben eine Frau mit sieben Kindern, die noch unerzogen waren, und dazu gar wenig RentenIn Greussen lohnt freilich Galen seinen Söhnen nicht so freygebig wie in Wien. Dem seelgen Doktor Stoll hatte die aurea praxis bereits ein Vermögen von 300000 Gulden erworben, ob er gleich sein Leben nur auf 45 Jahr gebracht hatte. . Ach! sprach die betrübte Wittwe, nun gehts aus dem kleinen Töpfchen, hinfort setzt es schmale Bissen, euer Vater lebt nicht mehr. Lieben Kinder, seyd begnügsam, thut Verzicht auf schöne Kleider und auf leckre Näschereyen, Weihnachtsstollen, Osterfladen; unsre magre Mahlzeit würze Hunger und Zufriedenheit.
Leonorchen gab zur Antwort: Wenn Sie, beste Mutter, leben, uns durch gute Lehr und Beyspiel fromm und tugendhaft erziehen, können wir das all entbehren. Täglich werden wir ja größer, können bald durch Fleiß und Arbeit unser bischen Brod erwerben, oder einem Herrn wohl dienen.
Doktors-Töchter sollten dienen, wie gemeine Bürger-Dirnen? O wie schmerzte der Gedanke innerlich die gute Mutter! Ihre lauen Thränen flossen, sie umarmt die lieben Kleinen: seyd nur folgsam, fromm und bieder, der die jungen Raben nährt, wird euch auch nicht darben lassen.
Was geschah? Eh man sichs versah, War ein Brief aus Braunschweig da, An Madame adreßiret, Wohl gelackt, auch wohl petschiret, Mit drey Groschen wohl bezahlt, Und die Typen wie gemahltEs war ein gedruckter Brief, mit deutscher Kurrentschrift, die so steif aussieht, als wenn sie aus weiland Meister Stäpsens Vorschriften abgezirkelt wär. . |
Mama erbrach das Siegel, las den Brief einmal, wiederum und nochmals, mit großer Inbrunst. Ihre trauernde Wittwen-Miene verschwand allgemach, sie nahm ein heiteres Wesen an, und sprach mit froher Rührung: Seht doch, lieben Kinder, wie der Himmel für uns sorgt. Weit von hier, hinter dem Blocksberge, den euch der selge Vater oft beym Spaziergang zeigte, und manches artige Mährchen davon zu erzählen wußte, wohnt ein unbekannter Menschenfreund, eine rechte Stütze und Stab für Wittwen und Waisen, ders besser mit uns meint, als unsre nächsten Freunde und Anverwandten, er nennt sich Heinrich Hampe. Denkt nur, der liebe Mann schickt mir von freyen Stücken ein Loos zur Braunschweiger Lotterie, und schreibt dabey, daß es ihm ganz besonders angenehm seyn würde, wenn er das Vergnügen haben könnte, darauf den besten Gewinn von dreißigtausend Thalern auszuzahlen. Das wäre ja ein Ohmenfaß, ein ganzer Schüttkarrn voll Geld, den unser Schimmel nicht fortziehen könnte.
Die Kinder spitzten all das Ohr, ob dieser guten neuen Mähr, und Adolph hüpft' und sprang für Freuden: Ey, liebe Mutter, da wären wir ja reicher als der Apotheker!
Bärbchen. Ach! wenn doch viel solcher Hampen in der Welt wären.
Lorchen. Es ist an einem genug, wenn er nur Wort hält und uns die Tonne voll harter Thaler bald schickt.
Mutter. Liebes Kind, mit dem Schicken gehts nicht so geschwinde, er kann uns nicht eher was schicken, bis das Loos gewonnen hat. Aber mich freut nur der gute Wille von dem Manne und seine edle Denkart, daß er einer dürftgen Familie den reichen Gewinn zuwenden will. Ein andrer hätte das Loos für sich behalten, und an arme Wittwen und Waisen dabey nicht gedacht. Freylich wirds schwer halten, so viel Geld aufzubringen, als das Papierchen durch alle Klassen kostet.
Bärbchen. Liebe Mutter, das Stückchen Papier ist ja keinen Heller werth, mußt du es denn bezahlen?
Mutter. Allerdings! Eine Lotterie ist ein Glücksspiel, du weißt wohl, große Leute spielen nicht um Nüsse und Stecknadeln, wie die Kinder, sondern um Geld.
Bärbchen. Ich habe dich noch nie um Geld spielen sehen.
Mutter. Das thu ich freylich nicht, weil ich kein Geld zu verspielen habe, und der kleinste Verlust mich schmerzen würde. Ich dachte immer, ich entzög euch Kindern etwas. Aber hier ists ein anders. Daß ein wildfremder Mann, von dem ich mein Lebtag nichts gewußt noch gehört habe, an meinen geheimen Nahrungssorgen so thätig Antheil nimmt, das kommt gewiß nicht von ungefähr. Ich nehms als eine sonberbare Schickung vom Himmel auf, es ist, als wenns dem Manne wäre eingegeben worden, unser Glücksapostel zu werden.
Adolph mit kindisch freudiger Geberde: Soll hoch leben, Hampe, der Glücksapostel.
Mutter. Gott geb ihm einen guten Tag! – Ja, ja, es ahndet mir, gebt Acht, Kinder, wir gewinnen das große Loos in der Braunschweiger Lotterie.
Adolph. Nicht wahr, liebe Mutter, dann bäckst du auf meinem Geburtstag wieder einen Ringelkuchen mit sechs Lichtern, wie vorm Jahr, da Papa noch lebte?
Fritz. Und mir beschert der heilige Christ auch wieder einen Zuckerbaum.
Bärbchen. Und ich kriege ein neues Kleid, eine Schnürbrust und schöne Poschen, wie Amtmanns Fiekchen.
Lorchen. Mir giebt Mama wieder Wochengeld, und erlaubt, daß ich dem blinden Manne wie zu Papas Lebzeiten, seinen Dreyer davon zahlen darf, den ich ihm gelobt habe, da mir der liebe Gott vom Zahnweh half.
Mutter. Siebes Kind, er soll alle Wochen einen Groschen haben, wenn das Loos gewinnt. Jetzt ist nur die Frage, wovon wir die Einlage bestreiten. Ich denke, es wird ja wohl zu verantworten stehen, wenn ich mir einen Vorschuß von eurem Pathengelde erlaube, das ich zum Nothpfennig aufgespart habe. Der Gewinn kömmt euch doch allen zu gute.
Bärbchen. Ja, gute Mutter, ich spendire mein viertes Gebot daran, und das angeörte Schaustück dazu.
Kätchen. Ich meine Fortuna auf der Weltkugel, mit der hereingekämmten Vergette.
Adolph. Ich meinen Wildemannsthaler.
Fritz. Ich mein Silberhirschchen.
Lorchen. Ich meinen Lämmchensducaten.
Mutter. Glaubts, Kinder, der Waschpfennig ist Seegensgeld, das kommt gewiß mit reichem Wucher wieder.
Mama öffnete getrost die sieben Büchsen, that einen dreisten Griff hinein, tauschte dafür fünf goldne Rosse um, und ließ sie rasch nach Braunschweig traben. Freund Hampe ermangelte nicht, mit umgehender Post, gegen den baaren Empfang, ein vidimirtes Loos für alle Klassen promt zu remittiren, welches sie sorgfältig in des Herrn von Bogazky himmlischen Schatzkästlein verwahrte.
Von schmeichelnder Hoffnung genährt, spürte die verwaiste Familie, bis zu Ablauf der letzten Ziehung, keinen Mangel noch Kummer. Der Glücksapostel schickte stetig gedruckte Listen ein, die vor der Hand zwar kein Glück verkündeten, aber nach dessen schlauer Interpretation zum sichern Beweiß dienten, daß sich das Wittwenloos mit keinem andern Treffer paaren wollte, als mit dem Hauptgewinn.
Die Inhaberinn antizipirte schon, in zuversichtlicher Erwartung großer Remessen, gewissermaßen den Genuß davon: sie rührte fleißig Kuchen ein, kaufte den Kindern Beere und Kirschen, so viel sie wollten. Aber ihre fleißige Hand ermüdete bey der Arbeit, und die häusliche Jugend folgte ungeheißen dem mütterlichen Beyspiel.
Da stand das Rädchen; Wer nicht spann, war Kätchen. Sie putzte Docken, Und vergaß den Rocken. Adolphs Schulfleiß wurde stumpf, Ihm eckelten Vokabeln! Bärbchen widerte der Strumpf, Sie erzählte Fabeln. Selbst der Irrwahn wirkte tief Auf den kleinen Fritzen: Mit den neuen Stiefeln lief Er durch alle Pfützen. Unser Loos, dacht er, gewinnts; Ey, so leb ich wie ein Prinz! |
Am Tage der letzten Ziehung hatte die gute Frau weder Ruh noch Rast, das Herz schlug ihr hoch in der Brust für freudiger Erwartung. Sie hatte viel gute Ahndungen gehabt: den Abend vorher brannte eine herrliche Rose am Licht; in der Nacht träumte ihr vom Gelben im Ey, das deutet auf Gold; bey nüchternem Morgen hatte sie dreymal genießt, und wem das begegnet, der erfährt was neues. Ach, seufzte sie: wer nur gleich an Ort und Stelle wär', und zusehen könnte, wenn das große Loos herauskommt. Beste Mutter, sprach Lorchen:
Wenn ich ein Vöglein wär, Flög ich nach Braunschweig hin, Und bald verkündet' ich Dir den Gewinn. |
Es vergingen aber drey Tage, ohne daß eine Stafette anlangte, drey Wochen, ohne daß der erwünschte Avisbrief einlief, Freund Hampe blieb stumm wie ein Fisch, und das schien eben kein Zeichen von guter Bedeutung zu seyn.
Endlich überbrachte der hinkende Bote von Erfurt die leidige Depesche vom Kollekteur, daß es der Göttin Fortuna diesmal nicht beliebt habe, mit der Devise: solls seyn, so seys, ich gewinns, wer nur will wetten, weder den großen noch irgend einen andern Gewinn zu vereinbaren. Ach da war groß Jammer und Herzeleid im Hause. Das trostlose Weib rang und wand die Hände, und geberdete sich ärger, als den Abend, da der seelge Mann aufgebaaret stand.
Ach! jammerte und schmähete sie zugleich. Ach! Hampe! du Satansengel! du Schlangenkönig! hast mich verführt, wie dein schlangenköpfiger Anherr, das erste Weib im Paradiese.
Die Kinder standen ganz verblüfft ob dieser Hiobspost, und weil sie die Mutter weinen sahen, weinten sie alle mit. Weh mir! seufzete Lorchen, nun ist mein Lämmchen geschlachtet, und ich habe keinen Genuß davon, weder vom Fett, noch von der Wolle.
Ach! eiferte Kätchen, ich möchte gleich für Bosheit meine Fortuna bey den Haaren von der Weltkugel herunterreissen, wenn ich sie noch in der Sparbüchse hätte.
Bärbchen sagte nichts; aber sie zog flugs die hölzerne Elle unter dem Röckchen hervor, womit sie es ausgespreitet hatte, um vorläufig zu sehen, wie ihr die neuen Poschen anstehen würden, sie lief nach ihrem bestäubten Arbeitsbeutel, nahm stillschweigend daraus das Strickzeug wieder zur Hand.
Gute Mutter, tröstete Adolph, weine nicht! der böse Mann soll uns das nicht umsonst gethan haben. Wenn er mir einmal begegnet, und die Leute sprechen, das ist Hampe von Braunschweig, gleich werf ich ihm eine Hand voll Kletten in die Perucke.
Pfuy, Adolph, strafte Mama, schäm dich, das war sehr unartig, wer wollte auf Rache denken, das wär ja Sünde. Der Mann kann herzgut seyn, und verdient nicht, daß wir ihn hassen, obgleich seine unverlangte Dienstbeflissenheit uns theuer zu stehen kömmt, ich bitt' ihm meine übereilte Schmähung reuig ab. An eurem Pathengeld ist nichts verlohren, wenn ihr dafür die goldne Lehre gewinnt:
Bey Tätigkeit und Fleiß der Vorsicht zu vertraun, Und nie auf blindes Glück zu baun. |