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Trents Erscheinen auf der Rasenfläche wurde mit begeistertem Jubel begrüßt. Die fesche Dame in Blau näherte sich ihm tänzelnd auf den Zehenspitzen. Das junge Weib mit dem Blondhaar schmollte noch, gab ihm aber durch einen Seitenblick zu verstehen, daß er ihre Gunst nicht für immer verloren habe. Keine von beiden gewahrte die unheilverkündende Höflichkeit, mit der er ihren Willkomm erwiderte.
»Wo ist der vertriebene Stamm?« fragte er, während die Mädchen ihn ins Haus begleiteten.
Der Witz wurde mit Gekicher gewürdigt. »Mama und ihr Schäfchen sitzen im Salon«, erzählte Ellen Montressor, die Tänzerin im blauen Kleid.
»Man hält uns nicht für passende Gesellschaft, Trent. Frau Rahel behauptet, daß sie ihre Julie fortsenden müsse, wenn wir hierblieben. Ist das nicht stark? Und der alte Herr ist dabei, seinen Mut mit Selterwasser und Whisky aufzufrischen, um Ihnen seine Meinung sagen zu können.«
Trent lächelte. »Erwartet er, daß ich euch wegjage?«
»Darauf können Sie Gift nehmen!« erklärte Ellen. »Die alte Mumie, seine Frau, spielt den ganzen Tag die Vornehme und wirft die Augen gen Himmel, wenn sie mich tanzen sieht. Und sie machte Flossie heftige Vorwürfe, weil die ein paar Gläschen Likör schlürfte. Nicht wahr, du?«
Die junge Blondine bestätigte den Tatbestand mit erhabener Würde. »Ich hatte Zahnschmerzen, und Frau Da Souza war gewaltig grob zu mir. Ich bin genau so anständig, wie die alte Hexe zu sein sich einbildet, während sie das arme Wurm von Kind überallhin mitschleppt, um es an den Mann zu bringen.«
»Hören Sie, Trent,« nahm Ellen wieder das Wort, »Recht ist Recht, und Versprechungen müssen gehalten werden. Wir sind nicht hergekommen, um uns von diesem feisten Drachen malträtieren zu lassen. Sie werden uns doch nicht den Laufpaß geben, um dem Ekel einen Gefallen zu tun?«
»Ich verspreche Ihnen, daß Sie gehen, sobald Frau Da Souza geht, und nicht eher. Zufrieden?«
»Ausgezeichnet! Ziehen Sie sich jetzt rasch um! Flossie und ich sind schon fertig. Die kleine Da Souza hat ein neues Kleidchen an – schwarz mit Spitzen. Sie sieht darin noch gelber aus als sonst. Da – zum zweitenmal der Gong! Wir beide haben Hunger wie die Wölfe. Beeilen Sie sich ein wenig, lieber Freund!«
In der Halle stieß Trent auf den abgemagerten, runzligen Da Souza im Abendanzug. Die Jahre hatten ihn gnädig behandelt, oder vielleicht war das englische Klima rücksichtsvoller mit seinem gelben Teint umgegangen als die feuchte Hitze der Goldküste.
Er begrüßte Trent mit lärmender Herzlichkeit. »Zurück vom Beutezug, alter Knabe? Wie ist's Ihnen heute ergangen?«
»So ziemlich!«
Da Souza eilte hinter dem anderen zur Treppe. »Ich möchte Sie einen Augenblick, einen ganz kleinen Augenblick nur, sprechen, Trent!«
»Kommen Sie mit! Ich mache inzwischen Toilette.«
»Gut, gut«, murmelte Da Souza. Nach ihrem Eintritt in Trents Schlafzimmer drückte er behutsam die Klinke hinter sich ins Schloß. »Es handelt sich nämlich um die weiblichen Gäste.«
»Wie? Um Fräulein Montressor und ihre Freundin?« Trent tauchte den Kopf ins kühle Wasser des Bassins.
»Ganz recht! Scharmante junge Damen, aber ein wenig – nun, ein wenig leichtsinnig. Meinen Sie nicht auch?«
»Und wenn dem so wäre?«
Da Souza zupfte an seinem Smoking und wandelte unruhig auf und ab. »Wir – äh – Männer von Welt, mein werter Trent, brauchen nicht so wählerisch zu sein! Aber die Frauen, wissen Sie, die Frauen bemerken gleich alles. Sehen Sie: Julie, unsere liebe Tochter, ist so jung – fast noch ein Kind. Und man kann nie vorsichtig genug sein. Nun, Sie begreifen mich wohl?«
»Meinen Sie damit, daß ich die Mädels entfernen soll?«
Da Souza spreizte die Hände – eine Angewohnheit, die er aus seinem früheren Leben beibehalten hatte; nur waren die Hände jetzt weiß und die Brillanten an den Fingern echt. »Persönlich finde ich sie entzückend. Aber meine Frau sagte mir: ›Hiram, die Mädchen sind kein passender Umgang für unsere unschuldige Julie. Du mußt mit Herrn Trent darüber sprechen. Er wird es sicherlich einsehen.‹ Sie hat recht, nicht wahr?«
Trent hatte seine Vorbereitungen beendet und starrte, die Haarbürste in der Hand, mit sonderbarem Lächeln auf das nervös zuckende Gesicht des Portugiesen. »Ja, ich verstehe vollkommen. Man kann nie vorsichtig genug sein.«
Da Souza blinzelte – wollte etwas erwidern, doch Trent kam ihm zuvor.
»Ich will Ihnen etwas sagen, und das können Sie Ihrer Frau übermitteln, Sie sorgsamer Vater! Morgen werden die Mädels das Haus verlassen. Genügt Ihnen das?«
Da Souza ergriff die Hand seines Gastgebers. »Mein bester, edler – – –«
»Hören Sie auf und bleiben Sie mir vom Leibe! Aber kein Wort darüber zu jemand anders als zu Ihrer Frau! Die Mädels selber wissen noch nichts.«
Sie begaben sich nach dem Eßzimmer, wo die anderen bereits um den Tisch versammelt waren. In einem schwarzen Seidenkleid, protzig mit Schmuck behangen, thronte Frau Rahel Da Souza auf dem Ehrenplatz. Neben ihr saß ein zierliches Mädchen mit großen, scheuen Augen und braungelber Haut, auffallend geputzt, aber mit einem gewissen, edlen Reiz, den man schwerlich für ein Erbteil der Eltern halten konnte. Ellen Montressor und Flossie placierten sich zu beiden Seiten des Hausherrn – ein Arrangement, das Frau Rahel sehr bedauerte, das zu verhindern sie sich aber außerstande sah. Ihr Mann nahm den unbesetzten Stuhl. Das Essen wurde aufgetragen, und mit dem Entkorken der Champagnerflaschen lockerten sich die Zungen.
»Es war recht heiß in der City heute«, bedauerte Frau Da Souza den Hausherrn. »Unsere Julie fand es unerhört, daß Sie dort sein mußten, während wir uns an Ihrem herrlichen Park erfreuen konnten. Sie denkt doch an alles und fühlt mit allen mit.«
»Sehr freundlich von Ihrer Tochter!« Trent spürte beinahe Mitleid mit Julies augenfälliger Verlegenheit. »Zum Wohl, meine Damen! Prosit, Da Souza! Ein schwerer Tag liegt hinter mir, und ich möchte für eine Weile vergessen, daß es so etwas wie Arbeit in der Welt gibt.«
Ellen hob ihr Glas und nickte ihm zu. »Man kann nie zuviel hiervon trinken, Trent! Ach, das ist doch was anderes als das Zeug, das wir sonst gewöhnt sind. Nicht wahr, Flossie?«
»Da Souza, sorgen Sie für Flossie!« mahnte Trent. »Warum schenken Sie ihr nicht ein?«
»Hiram!«
Da Souza zog seine Hand hinter dem Stuhl seiner Nachbarin zurück und mühte sich, harmlos dreinzuschauen. Fräulein Flossie kicherte – Frau Rahel seufzte empört.
Welche widerliche Gesellschaft! dachte Trent. Es wurde höchste Zeit, daß er sich von ihr befreite. Sein Blick schweifte über die Rasenfläche draußen zu dem mit Sträuchern bewachsenen Teil des Parks. Es war noch hell – wenn sie nun durchs offene Fenster hereinschauen könnte? Was mußte sie denken? Dunkle Röte stieg ihm zur Stirn, und er stieß die weiche Hand, die unter dem Tisch verstohlen sein Knie suchte, unwirsch fort. Plötzlich kam ihm ein Einfall – ein glänzender, unvergleichlicher Einfall. Er leerte sein Glas und lachte dröhnend über einen faulen Witz seiner Tischdame. Es war ein unbezahlbarer Scherz: Je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde er von seiner Idee eingenommen. Er ließ noch mehr Sekt auftischen, und alle, außer der schüchternen Julie, begrüßten die neue Zufuhr mit glucksendem Jauchzen. Selbst Frau Da Souza taute auf, und die Stimmen wurden schon ein bißchen unsicher. Da Souzas Arm glitt wieder hinter den Stuhlrücken – ohne diesmal einen Tadel hervorzurufen. Ellen Montressors Augen strengten sich vergeblich an, einen zärtlichen Blick des freigebigen Hausherrn zu erhaschen. Nur ein rätselhaftes Lächeln umspielte seine Lippen.
»Ein Trinkspruch, Freunde!« rief er. »Möge die Göttin des Glücks mir bald wieder lächeln! Und wünschen Sie mir binnen kurzem eine andere Behausung, die Ihnen hoffentlich eine ebenso geeignete Heimstätte sein wird, wie diese es ist!«
Jähes Erstaunen stürzte über die Tafelrunde. Niemand trank auf den Toast. Ellen äußerte zuerst die Frage, die auf aller Lippen lag. »Was haben Sie, Trent? Was soll dies Geschwätz über Ihr nächstes Haus und die Glücksgöttin?«
Trent rief mit gutgespielter Verwunderung: »Mein Himmel! Weiß denn noch keiner etwas? Ich dachte, Da Souza hätte die Neuigkeit längst ausgeplaudert.«
»Welche Neuigkeit?« rief der Portugiese mit hervorquellenden Augen.
Sein Teilhaber stellte sein Glas hin. »Liebe Tischgenossen, lassen Sie mich in kurzen Worten erklären, wie unsicher die Existenz eines Finanziers ist!«
Da Souza beugte sich über den Tisch, aschfahlen Gesichts. »Ich dachte mir schon, daß etwas nicht in Ordnung sei,« ächzte er. »Sie wollten nicht, daß ich heute morgen mit in die City kam. Verflucht, Sie meinen doch nicht etwa ...«
»Ich bin bankrott«, erklärte Trent barsch. »Meine australischen Spekulationen sind wie verrückt gepurzelt. Heute mittag hat sich das Gouvernement entschlossen, uns in Bekwando nicht zu unterstützen. Die Gruben müssen geschlossen werden. Ich werde Ihnen alle Einzelheiten erläutern, wenn es Sie interessiert.«
Aber niemand wollte mehr darüber hören. Alle wichen von ihm zurück, als ob er ein Dieb sei. Nur das kleine braungelbe Mädchen war ehrlich betrübt und sah ihn teilnahmsvoll an.
»Ich habe meinen ganzen Besitz hier zum Verkauf geboten«, fuhr Trent fort. »Morgen wird man zur Abschätzung kommen. Es dürfte am besten sein, heute abend noch zu packen. Aber lassen Sie uns ruhig noch eine Flasche leeren! Wir brauchen uns die letzten fidelen Stunden nicht zu verderben!«
Wortlos erhob sich Frau Rahel und stob aus dem Zimmer. Ihr Gatte war vornübergesunken, den Kopf in die Hände gestützt. Die beiden lockeren Mädchen flüsterten miteinander, standen dann auf und entschwanden.
Auch Trent verließ gelassen seinen Platz und ging in den Garten. Mit festem Schritt überquerte er die Grasfelder und lachte leise vor sich hin. Alle waren prompt auf den Leim gekrochen! Er lehnte sich gegen die Gartenpforte, wurde plötzlich ernst. Der Abendwind trug süßen Wohlgeruch heran. Lind wiegten sich die dunklen Zweige. Trent stand reglos, in tiefes Sinnen versunken.
»Allmächtiger, war ich ein ungeschliffener Lümmel!« murmelte er. »Dort hat sie gestanden. Ich bin es nicht wert, dieselbe Luft mit ihr zu atmen.«
Er warf einen Blick hinter sich. Die Silhouetten der beiden Mädchen, Da Souza zwischen sich, zeichneten sich an den Fenstern ab. Trents Züge verhärteten sich. »Hölle und Teufel! Einen Schweinestall habe ich aus meinem Haus gemacht. Doch – ich brachte es vom Bettler zum Millionär! Sollte es denn schwerer sein, sich selbst zu ändern? Morgen –« und er sah nach der Stelle, wo er die Fremde getroffen – »morgen werde ich sie fragen!«
Als er zurückschritt, trat eine zierliche, in einen Mantel gehüllte Gestalt aus dem Gebüsch. Es war die von wehem Schluchzen geschüttelte Julie.
»Einen Augenblick, Herr Trent!« brachte sie hastig hervor. »Ich habe auf Sie gewartet. Ich möchte mich verabschieden und Ihnen für Ihre Güte danken. Es tut mir so leid um Sie, und ich hoffe, daß Sie bald wieder mehr Geld haben und neues Glück finden!«
Ein einziger Blick auf ihr Antlitz überzeugte ihn von ihrer Aufrichtigkeit. Herzlich drückte er die ihm hingestreckte Hand. »Kleine Julie, Sie sind die einzige, die etwas taugt. Machen Sie sich um mich keine Sorgen! So schlimm nämlich, wie ich es schilderte, ist's ja gar nicht. Aber sagen Sie das nicht Ihrer Mutter!«
»Wie mich das freut!« flüsterte sie erleichtert. »Ich fand es so häßlich von allen, Sie jetzt einfach im Stich zu lassen.«
Trent schlang seine Arme um das zarte Geschöpf. Sie sah ihn erschrocken an. »Lassen Sie mich nun gehen, bitte!« raunte sie. »Ehe man mich vermißt.«
Er küßte sie auf die Lippen – und bereute es in der nächsten Sekunde. Sie schlug die Hände vors Antlitz und eilte zitternd hinweg.
Trent zündete sich eine Zigarre an und ließ sich auf einer Gartenbank nieder. »Wie eigenartig!« philosophierte er vor sich hin. »Das Kind wird mir schon seit einer Woche förmlich aufgedrängt, und ich hätte es liebkosen können, sooft ich nur wollte, selbst in Gegenwart seiner Eltern. Man wäre mir sogar noch dankbar gewesen. Und nun ich es getan habe, schmerzt es mich. Sie sah reizender aus denn je – und sie ist die einzige Anständige unter all den Larven. Gerechter Gott, das wird morgen einen schönen Spektakel geben!«
Die Zeit verstrich, und noch immer kauerte Scarlett Trent auf seiner Bank in der kühlen Abendluft. Er war ein Mann von geringer Phantasie und alles andere als abergläubisch. Doch bedrängten ihn mit einemmal eigenartige Ahnungen. Er fühlte, daß er auf der Schwelle bedeutungsvoller Ereignisse stand. Etwas Neues tagte für ihn. Der Sieg am Tagesanfang schien ihm in weiter Ferne zu liegen, in eine unwichtige Vergangenheit gerückt. Eine höhere Welt breitete sich strahlend vor ihm – und wenn das Schicksal es wollte, würde er sie betreten!