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Neunzehntes Kapitel.
Versteckspiel

Irene war eine vorzügliche Wirtin; es bereitete ihr Freude, Gäste zu empfangen, und sie besaß dafür einen außerordentlichen Takt. Wenige Minuten später lehnte Trent in einem bequemen Sessel, einen kleinen runden Tisch mit Tee und Sandwiches neben sich. Wenngleich er sich noch nicht völlig heimisch fühlte – es fehlte nicht mehr viel daran. Ihm gegenüber saß Davenant wie auf heißen Kohlen. Er wäre gern gegangen, doch war er gezwungen, sich liebenswürdig zu geben. Zugleich harrte er gespannt, wie Irene sich aus der Affäre ziehen würde.

Das junge Mädchen plauderte vergnügt und überlud ihren Gast mit Liebenswürdigkeiten – sie schuf eine Atmosphäre um ihn, deren namenloser Zauber diesem Einsamen, der sich den Vierzigern näherte, ohne zu wissen, was eine Frauenhand und ein Heim bedeuteten, bisher fremd gewesen.

Cecil Davenant betrachtete ihn gedankenverloren. Er sah die energischen Züge, den harten Mund, die Augen, scharf wie Stahl – und ihn beschlich unbestimmte Furcht. Irene war eine eigenwillige Natur, aber dieser Mann schien ein Felsen. Was würde geschehen, wenn sie ihren Plan ausführte, der ihn vielleicht an den Rand des Abgrunds brachte? Eines Tages würde sie sich von ihrer leidenschaftlichen Entrüstung hinreißen lassen; sie würde ihm alles offenbaren, und beide würden einander gegenüberstehen – ein beleidigter Riese und eine schwache Frau. Davenant hatte eine beklemmende Vision: Er sah die Augen des Mannes flammen, die Muskeln seines Gesichtes zucken, sah Irene bleich vor Schreck zurückprallen ...

»Cecil, was ist dir? Du bist ja so blaß?«

Er beherrschte sich mühsam. »Kopfschmerzen«, lächelte er. »Aber es wird Zeit für mich, zu gehen.«

»Wenn du einen Beruf hättest, möchte ich behaupten, du seist überarbeitet. So glaube ich, du bist zu spät schlafen gegangen. Auf Wiedersehen also! Wie nett, daß du Herrn Trent kennenlerntest! Cecil Davenant ist mein Vetter«, erläuterte sie, »und er ist der einzige meiner Verwandtschaft, der mich nicht ganz vernachlässigt.«

Der junge Mann schied mit einem Gefühl der Bedrücktheit. Er ärgerte sich über die Heuchelei, die ihn zu sagen zwang, er werde sich freuen, Herrn Trent wiederzusehen, und über die wenig formelle Weise, in der dieser seine Einladung annahm, ihn im Klub aufzusuchen.

Nach seinem Verschwinden brachte Irene das Gespräch auf Afrika, und Trent begann ohne Zurückhaltung von seinen dortigen Erlebnissen zu berichten. Er grub im Schatz seiner Erinnerungen mit einer Lebhaftigkeit der Darstellungskraft, deren sie ihn nicht für fähig gehalten hätte. Sie besaß die ungewöhnliche Gabe, jeden seine beste Seite zeigen zu lassen. Trent fühlte ihr Interesse, und sein Selbstvertrauen wuchs.

Inzwischen bildete sie sich ein Urteil über ihn als künftiges Mitglied höherer Gesellschaftskreise. Er würde durchaus keine üble Figur abgeben, sondern höchstwahrscheinlich eine geschätzte Persönlichkeit werden. Daß sie Eindruck auf ihn gemacht hatte, war unschwer ersichtlich. Aber das lag ja durchaus in ihrer Absicht. Die selbstgewählte Aufgabe erschien ihr jetzt ziemlich leicht.

Doch plötzlich fühlte sie heftiges Erschrecken. Gelassen und ohne Übergang schnitt ihr Besucher ein Thema an, das sie in Bestürzung versetzte. Bei seinen ersten Worten wich alle Farbe aus ihrem Antlitz.

»Ich habe seit meiner Heimkehr viel Glück gehabt. Alles ist gegangen, wie ich wollte, und meine einzige Enttäuschung hatte nichts mit Geld gemein. Ich habe versucht, die Tochter meines früheren Kompagnons zu finden – ich erzählte Ihnen wohl schon von ihr – aber es ist mir nicht gelungen.«

Sie rückte unwillkürlich näher – voll echten, nicht nur geheuchelten Interesses. Gespannt hing ihr Blick an seinen Lippen.

»Monty war im Grunde seiner Seele eine hochherzige Natur, und ich glaubte seine Tochter ihm ähnlich. Ich weiß nicht, wer sie ist oder wie sie heißt – Monty blieb in dieser Hinsicht bis zuletzt sehr verschlossen. Aber ich besaß die Adresse eines Notariatsbüros, das mit ihr in Verbindung steht. Kürzlich nun war ich dort und konferierte mit einem älteren Herrn, der mich so scharf ins Verhör nahm, daß ich schließlich nicht mehr wußte, ob ich auf dem Kopf oder auf den Füßen stand. Endlich sagte er mir, ich könnte mir die betreffende Anschrift heute mittag abholen. Ich erzählte ihm natürlich von Montys Tod, und daß er testamentarisch keine Anteile der Konzession hatte hinterlassen können. Ich gab auch gleichzeitig zu erkennen, daß ich seine Tochter nach bestem Willen entschädigen möchte, da es mir gut ergangen sei – kurzum, daß ihr zehntausend Pfund an Bekwando-Aktien überschrieben werden sollten. Aber – können Sie sich das vorstellen, gnädiges Fräulein? – ich erfuhr, daß die fragliche Dame sich weigert, mich zu sehen. Sie will mich auch nicht wissen lassen, wo sie wohnt, und verzichtet darauf, mit mir Rücksprache zu nehmen. Sie will kein Geld und mag auch nichts über ihren Vater hören.«

»Das hat Sie sicherlich enttäuscht?«

»Sehr. Ich schätzte Monty – trotz seines zügellosen Lebens. Ich hatte mich darauf gefreut, seine Tochter kennenzulernen.«

Irene nahm einen Fächer, als ob sie ihr Gesicht gegen die Glut des Kaminfeuers schützen müsse. Würde der Mann nicht endlich aufhören, sie mit seinen durchbohrenden Blicken zu mustern? Sollte er etwa Verdacht geschöpft haben? Das schien doch unmöglich!

»Weshalb haben Sie sie nicht früher zu finden versucht?«

»Diese Frage erscheint berechtigt. Aber erstens geriet mir Montys Brief mit dem Hinweis auf das Notariatsbüro erst wieder vor wenigen Tagen in die Hände, und zweitens ist die Bekwando-Land- und Berggruben-Aktiengesellschaft erst seit kurzem zu einiger Bedeutung gelangt. Dieser Umstand trieb mich erst jetzt dazu, etwas für Montys Familie zu tun. Ich werde mich an ein Detektivinstitut wenden, um in Erfahrung zu bringen, wie ich der jungen Dame habhaft werden kann.«

»Wer waren die Sachverwalter?«

»Die Firma Harris & Cuthbert.«

»Sehr anständige Leute. Ich kenne die Inhaber. Sie genießen einen vorzüglichen Ruf. Wenn Mr. Cuthbert Ihnen sagte, daß die junge Dame unbehelligt bleiben will, dann können Sie es bestimmt für wahr nehmen.«

»Das glaube ich schon, und das ist's ja eben, was ich nicht begreife. Es ist möglich, daß die Dame voreingenommen oder herzlos ist und nicht an ihren Vater erinnert werden möchte, weil er als Leichtfuß galt. Können Sie aber verstehen, daß sie den namhaften Geldbetrag ausschlägt? Ich habe Cuthbert die ganze Sache klargelegt. Zehntausend Pfund an Anteilen stehen ohne Gegenleistung zu ihrer Verfügung. Ist Ihnen das begreiflich?«

»Es mutet allerdings eigenartig an. Vielleicht hat die Dame eine Abneigung, von einem immerhin Fremden Unterstützung anzunehmen. Es ist ein kleines Vermögen, jedenfalls eine zu große Summe, als daß es ein unverbindliches Geschenk zu nennen wäre.«

»Wenn das ihre Auffassung ist, so müßte sie doch wenigstens den Wunsch haben, den Mann kennenzulernen, der ihrem Vater in seiner Sterbestunde beistand. Nein, es muß eine andere Ursache vorliegen. Ich halte es für das beste, ihren Namen und ihren Verbleib ausfindig machen zu lassen. Was meinen Sie dazu?«

Das junge Mädchen zögerte. »Ich kann Ihnen da wirklich keinen Rat erteilen. Aber wenn sie sich so viel Mühe gibt, ihre Identität zu verheimlichen, dann wird sie schon einen wichtigen Grund haben.«

»Ich kann mir das nicht recht vorstellen. Hinter ihrem Gebaren steckt ein Geheimnis, das meiner Meinung nach wohl gelöst werden kann. Ich werde Ihnen später Näheres darüber berichten.«

Anscheinend begann dieser Gesprächsstoff Irene zu langweilen; denn sie leitete geschickt zu anderen Dingen über. Als Trent endlich auf die Uhr sah, erschrak er über die vorgerückte Zeit.

»Ich hoffe, Sie werden meinen ausgedehnten Besuch damit entschuldigen, daß er meine erste private Nachmittagsvisite ist, die ich bisher überhaupt wagte. Ich weiß nicht, wie lange ich hätte bleiben dürfen – gewiß aber keine zwei Stunden.«

»Die Zeit ist in der Tat sehr rasch vergangen,« sagte Irene und lächelte ihm zu, so daß seine Verlegenheit wieder schwand. »Was Sie mir über Ihr früheres Leben erzählten, war äußerst fesselnd, Herr Trent. Aber wollen Sie glauben, daß mich Ihre Zukunft ebensosehr interessiert?«

»Sie meinen?«

»Die Zukunft enthält noch so viel für Sie an unbegrenzten Möglichkeiten. Es gibt so manches, das Sie noch erobern können, manches wohl auch, das Ihnen vielleicht entgehen wird.«

Er sah nachdenklich zu Boden. »Geld habe ich nun wohl genug. Aber ich bin ohne Freunde und ohne besondere Bildung. Ich sehe nicht ein, welche Möglichkeiten es noch für mich geben könnte.«

Irene machte ein paar Schritte durch das Zimmer und blieb stehen, einen Arm auf den Kaminsims gestützt. Als sie sich ihm zuwandte, ein halb spöttisches, halb gutmütiges Lächeln um den entzückend geformten Mund, fühlte er sein Herz schneller schlagen. Sie brachte die empfindlichsten Saiten seiner Seele zum Schwingen. Er war nicht mehr der Alte und machte eine neue Phase in seiner Entwicklung durch.

»Sie haben keine Freunde«, wiederholte sie weich, »und keine Bildung; aber Sie sind Millionär. Das genügt mehr als reichlich. Sie sind ein Cäsar – mit unbekannten Welten vor sich!«

»Wenn ich nur wüßte, worauf Sie zielen«, murmelte er hilflos.

Sie lachte leise. »Begreifen Sie nicht, daß Sie in Mode sind? Sie brauchen nur zu erscheinen, und jeder Platz, den Sie in der Gesellschaft einnehmen wollen, wird Ihnen eingeräumt. Seien Sie überzeugt: Ehe noch sechs Monate um sind, werden mehr Leute Sie kennen, als Sie bisher in Ihrem ganzen Leben gesprochen haben – Leute, deren Name für Sie bisher nur ein Klang war und die Sie jetzt ›Lieber Freund‹ nennen und zu sich einladen werden. Frauen, die Sie vorige Woche noch durch ihr Lorgnon fixierten, als ob Sie von einem unbekannten Planeten kämen, werden Ihnen ihr verführerischstes Lächeln schenken und Ihnen ihre intimen Empfangstage zuflüstern. Es ist nur gut, daß ich Sie ein wenig darauf vorbereiten kann. Sonst würden Sie jählings überrumpelt werden!«

Er blieb ungerührt und starrte sie mit verkniffenen Lippen an. »Was soll mir das alles? Was kümmern mich Freunde, die nur meines Reichtums wegen meine Gesellschaft suchen? Würde ich nicht glücklicher sein, wenn ich nichts mit ihnen zu tun hätte und ein Dasein führen könnte, wie es mir behagt?«

Sie hob die runden Schultern. »Die Leute, die ich meine, haben die Macht in Händen. Sie aber, Herr Trent, können Ihr Geld nicht allein verzehren. Sie werden sich an allem möglichen beteiligen müssen – an Wettrennen, Jagdpartien, Wohltätigkeitsbasaren, Abendgesellschaften, Gartenfesten. Sie werden sich anschließen – oder Sie können von dem allen nichts genießen.«

Montys Worte klangen ihm wieder in den Ohren. Freuden konnten gekauft werden – Glück nicht! »Glauben Sie, daß die Dinge, die Sie da eben aufzählten, so begehrenswert sind?«

Sie zeigte ein verschlossenes Gesicht. »Ja.«

»Man sagte mir, Sie selber hätten das alles aufgegeben, um ein Leben nach eigenem Geschmack zu führen. Sie wollten arbeiten – obwohl Sie doch reiche Verwandte haben und selbst reich sein könnten.«

Sie sah ihn fest an. »Sie irren sich. Ich bin ohne Vermögen. Wahrlich nicht aus freien Stücken wählte ich mir einen Beruf, sondern um meiner Armut willen.«

»Ach!«

Der Ausruf schien ihr rätselhaft. Wäre es nicht so unwahrscheinlich gewesen, sie hätte sich durch den Gedanken beunruhigt gefühlt, er könne um ihr Geheimnis wissen. Rasch schüttelte sie den Argwohn ab. Es war undenkbar.

»Sie gehören wenigstens den höheren Kreisen an.«

»Ja,« nickte sie spottend, »ich gehöre zu den verarmten Damen aus guter Familie!«

»Und möchten doch sicherlich eine von den Wohlhabenden sein, um Ihren Platz als eine unter Ihresgleichen einzunehmen? Oder nicht?«

Sie lächelte heiter. »Gewiß doch! Wenn sich nur eine kleine Möglichkeit böte, würde ich dankbar sein. Sie dürfen nicht glauben, daß ich hierin gegenüber anderen Frauen eine Ausnahme bilde, weil ich unabhängiger bin. In diesem Lande kann man nur auf eine Art des Lebens froh werden – Sie werden sehr bald selbst dahinterkommen!«

Er stand auf und reichte ihr die Hand zum Abschied. »Herzlichen Dank für den liebenswürdigen Empfang! Darf ich – –«

»Sie dürfen wiederkommen, sooft Sie wollen!«


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