Publius Ovidius Naso
Metamorphosen
Publius Ovidius Naso

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Viertes Buch

Des Minyas Töchter

            Bacchus heiliges Fest gebot in Thebe der Priester;
Daß vom Geschäft ausruhend, die Frau'n und die Mägde des Hauses,
Felle gehüllt um die Brust, und das Band der Haare gelöset,
Kränz' um das Haupt, in die Händ' umlaubte Stäbe sich nähmen.
Rings, wo der Zug hinschwärmt, tönt mutiger Jünglinge Ausruf,
Tönt der Weiber Geschrei, und gerührt von den Händen die Trommel,
Samt dem gewölbeten Erz, und der lang gehöhlete Buxus.
Nah' uns freundlich und hold! so flehn die ismenischen Frauen,
Feiernd im Jubel das Fest. Nur Minyas' Töchter im Hause,
Durch unzeitigen Dienst der Minerva störend die Feier,
Ziehn die gefeinerte Woll', und drehn mit dem Daumen die Spindel,
Oder beschicken Geweb', und mahnen die Mägd' an der Arbeit.

Eine davon, ausziehend mit hurtigem Finger den Faden:
Während die anderen ruhn, und frommen Erdichtungen nachgehn,
Laßt uns, sagt sie, von Pallas, der besseren Göttin, beschäftigt,
Unser nützliches Werk durch mancherlei Reden erleichtern.
Jede soll umeinander ein zeitverkürzendes Märlein
Zur gemeinsamen Lust den müßigen Ohren erzählen.

Wohl! du erzähle zuerst; wir folgen dir, sagen die Schwestern.
Jene bedenkt sich ein wenig; denn viel der Erzählungen weiß sie.
Jetzo, indem sie die Wolle herabdrillt, redet sie also:

Pyramus war und Thisbe, der Jünglinge schönster der eine,
Hoch die andre gerühmt vor den morgenländischen Jungfrau'n.
Dicht angrenzende Häuser bewohnten sie, dort in der Hauptstadt,
Welche Semiramis einst mit tönernen Mauern befestigt.
Beide wurden bekannt, und wie Nachbarkinder vertraulich,
Dann allmählich verliebt; auch hätte sie Ehe vereinigt;
Doch dies wehrten die Väter: was nicht sie zu wehren vermochten,
Von gleichzeitiger Glut entloderten beiden die Herzen.
Fern ist jeglicher Zeug'; Andeutungen sprechen und Winke;
Und je enger bedeckt, je heftiger brauset das Feuer.

Eine mäßige Ritze durchspaltete seit der Erbauung
Schon die gemeinsame Wand der beiden verbundenen Häuser.
Dieser Fehl, den keiner in ewigen Zeiten gespüret,
Ward (was merkt nicht Liebe?) zuerst euch Liebenden merkbar;
Und ihr bahntet der Stimme den Weg, auf welchem gesichert
Oft liebkosende Red' in gedämpfterem Lispel hindurchging.
Wann sie davor sich gestellt, hier Thisbe, Pyramus jenseits,
Und mit begegnendem Munde den Hauch voneinander geschöpfet:
Neidische Wand, was trennst du die Liebenden? sagten sie oftmals.
Was denn, wenn du einmal uns volle Vereinigung gönntest,
Oder, ist dieses zuviel, dich öffnetest unseren Küssen?
Aber nicht undankbar wir bekennen uns gerne verpflichtet,
Daß du den Worten die Bahn zu gefälligen Ohren gewährtest.
Wann sie solches umsonst am geschiedenen Orte geredet,
Sagten sie gegen die Nacht: Schlaf wohl! und hefteten Küsse,
Jeder der eigenen Seite, die nicht zu der anderen drangen.

Früh nun hatte verscheucht die nächtlichen Schimmer Aurora,
Und mit den Strahlen die Sonne betauete Kräuter getrocknet.
Beide nahn dem gewöhnlichen Ort. Mit leisem Geflüster
Klagen sie vieles zuvor, und beraten sich, daß sie die Hüter
Täuschen in schweigender Nacht, und hinauszugehen versuchen;
Und wann außer dem Haus', und den Toren der Stadt sie gekommen,
Um dann nicht zu verirren im weit durchwandelten Felde,
Wählen sie Ninus' Grab zur Vereinigung: wo sie im Schatten
Berge der Baum; denn ein Baum voll schneeweiß hängenden Obstes
Stand an dem kühligen Quell, ein hochgewipfelter Maulbeer.
Beiden gefällt's; und der Tag, zu langsam ihnen entweichend,
Sinkt zum Gewässer hinab, und die Nacht entsteigt dem Gewässer.

Listig schleicht durch das Dunkel aus leise gedreheter Angel
Thisbe hinaus, unbemerkt von den Ihrigen; und zu dem Hügel
Kommt sie, das Antlitz verhüllt, und sitzt am erkorenen Baume.
Kühnheit gab ihr die Liebe. Da kommt, o siehe, von frischem
Morde der Rinder geschwärzt am schäumenden Rachen, die Löwin,
Um zu löschen den Durst in der Flut des benachbarten Quelles.
Als sie der Mondschein ferne der Babylonierin Thisbe
Zeigete, flieht sie mit ängstlichem Fuß in die düstere Bergkluft;
Aber im Fliehn entfällt ihr die gleitende Hülle vom Rücken.
Jetzo bezähmte den Durst mit vielem Wasser die Löwin;
Dann in den Wald heimkehrend, erblickte sie ohne die Jungfrau
Dort ihr feines Gewand, und zerfetzt' es mit blutigem Maule.

Später entwandelt der Stadt nun Pyramus; schaut in dem tiefen
Staube die deutliche Spur des Gewilds, und, erblassend im Antlitz,
Starret er. Aber sobald er den Schleier auch findet voll Blutes:
Eine Nacht denn soll zwei Liebende töten! beginnt er;
War doch jene von beiden die würdigste längeren Lebens!
Schuldig ist meine Seel'; ich bin, Elende, dein Mörder;
Da ich in greuliche Wüsten heraus dich lockte bei Nachtzeit,
Und nicht zuerst ankam! O zerreißt mit den Zähnen den Leib mir,
Und mein frevelndes Herz verschlingt in den wütenden Rachen,
Ihr, in jenem Geklipp herbergende Löwen der Wildnis!
Doch feig' ist's, nur wünschen den Tod! – Und die Hülle der Thisbe
Hebt er, und trägt sie zum Schatten des abgeredeten Baumes.
Als er mit Tränen genetzt das bekannte Gewirk, und geküsset:
Jetzt denn, sagt er, empfang' auch meines Blutes Beströmung!
Und er senkt den umgürtenden Stahl in die Weiche des Bauches;
Schnell dann zieht er ihn sterbend hervor aus der kochenden Wunde;
Und wie er lag auf dem Rücken gestreckt, springt rötliches Blut auf:
Anders nicht, als wenn mit beschädigtem Bleie die Röhre
Platzt, und gewaltig empor aus zischender Öffnung das Wasser
Spritzt im verdünneten Strahl, und hoch in die Lüfte sich aufschwingt.
Aber die Früchte des Baums, vom Todesblute gesprenget,
Nehmen die schwarze Gestalt; und die blutgefeuchtete Wurzel
Färbt mit purpurnem Dunkel die ringsher hängenden Maulbeern.

Siehe, da kommt, noch ängstlich, um nicht den Geliebten zu täuschen,
Thisbe zurück; und sie forscht mit Aug' und Herzen den Jüngling,
Ihm zu erzählen begierig, wie großer Gefahr sie entflohn sei.
Jetzt, wie den Ort sie erkennt, und des Baums veränderten Anblick,
Irrt sie die Farbe der Frucht; und sie stutzt, ob jener auch recht sei.
Weil sie erwägt, schnell sah sie, wie dort die zuckenden Glieder
Schlagen den blutigen Grund: und sie wandte den Fuß, und wie Buxus
Blaßt' ihr gelbes Gesicht, und sie schauderte, ähnlich der Meerflut,
Welche sich kräust, wann oben ein wehendes Lüftchen dahinstreicht.
Aber sobald sie verweilend ihn selbst erkannte, den Liebling,
Schlug sie mit tönendem Schlag die unverschuldeten Arme;
Und sich zerraufend das Haar, und den Leib des Geliebten umarmend,
Füllte sie ihm mit Tränen die Wund', und Tränen zum Blute
Mischte sie; dann das Gesicht, das erkältete, deckend mit Küssen:
Pyramus, rufte sie aus, welch Unglück nahm dich hinweg mir?
Pyramus, ach, antworte! dir ruft, du Trautester, Thisbe!
Höre der Deinigen Stimm', und erhebe das liegende Antlitz!
So wie sie Thisbe genannt, so erhebt die starrenden Augen
Pyramus, jene zu schaun, und schließt sie wieder auf ewig.

Als sie nunmehr ihr Gewand, und die elfenbeinene Scheide
Sah, von der Klinge getrennt: Unglücklicher! rief sie, dich raubte
Deine Hand und die Lieb'! Auch mir ist tapfer zu diesem
Einen die Hand, auch mir gibt Kraft zu Wunden der Liebe!
Folg' ich dir Scheidenden nach! und heiß' ich Arme des Todes
Grund und Begleiterin dir! Und hat uns beide der Tod nur,
Ach! zu trennen vermocht, so vermög' auch der Tod nicht zu trennen!
Um dies Einzige noch seid flehentlich jetzo gebeten,
Unglückselige beide, du mein, und des Jünglinges Vater:
Daß, da entschlossene Lieb', und die letzte Stund' uns vereint hat,
Ihr in dem selbigen Grab' uns nicht mißgönnet zu ruhen!
Der du, o Baum, mit Zweigen den mitleidswürdigen Leichnam
Jetzt dem einen bedeckst, bald wirst du ihn decken uns beiden!
Halte die Zeichen des Mords, und in dunkeler Farbe der Trauer
Reife dir immer die Frucht, dem gedoppelten Blute zum Denkmal!

Thisbe sprach's; und unter die Brust sich fügend die Spitze,
Sank sie hinab auf den Stahl, der noch vom Morde gewärmt war.
Aber es rührte die Götter ihr Wunsch, und rührte die Eltern;
Denn die Farbe der Frucht, wann ganz sie gereifet, ist schwärzlich;
Was man dem Feuer enthob, das ruht in derselbigen Urne.

Also erzählt' Arsippe, die Spinnerin. Jetzo im Krempeln
Hub Leukonoe an, wie der leuchtende Sohn Hyperions
Brannt' in Lieb'; und die Schwester Alcithoe sann auf ein Märlein,
Während ihr Schiffchen durchflog das Gespinnst des stehenden Aufzugs.

Plötzlich erscholl, ungesehen den festentweihenden Schwestern,
Zur dumpfrollenden Trommel das krummgehörnete Schallrohr
Und das erklingende Erz; rings dufteten Myrrhen und Safran,
Und, kaum glaubliche Tat! es ergrünete jeglicher Webstuhl,
Und in des Efeus Laub verhüllte das hangende Tuch sich.
Anderes schwand in Reben; und was als Faden gespannt war,
Rankt mit Geringel empor; aus dem Aufzug dränget sich Weinlaub;
Und das Purpurgewand leiht Glanz den gefärbeten Trauben.

Jetzo war vergangen der Tag, und es rückte die Zeit an,
Welche man Licht so wenig als Finsternis möchte benennen,
Sondern Scheide des Tags und der Nacht, ein dämmerndes Zwielicht.
Schleunig erbebte das Haus, und es schien, wie wenn harzige Fackeln
Loderten, und die Gemächer in rötlicher Glut sich erhellten:
Und von des gräßlichen Wildes Erscheinungen scholl's wie Geheul auf.
Rings in der dampfenden Wohnung verbargen sich eilig die Schwestern,
Jed' am besonderen Orte die Glut und die Helle vermeidend.
Während sie Winkel erspähn, da umläuft die verkleinerten Glieder
Dünne Haut, und bedeckt mit zarten Schwingen die Ärmlein
Auch nicht einmal, wie ihnen die vorige Bildung dahinschwand,
Ließ sie das Dunkel erkennen. Es hob nicht jene Gefieder;
Dennoch trugen sie sich auf matt durchscheinenden Flügeln.
Rede versuchen sie jetzt; und der feineste Laut für den Körper
Schwirret hervor; und sie üben mit zirpender Stimme die Klagen.
Häuser bewohnen sie gern, nicht Waldungen; immer noch lichtscheu
Schwärmen sie gegen die Nacht als Fledermäus' in der Dämmrung.


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