Publius Ovidius Naso
Metamorphosen
Publius Ovidius Naso

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Polyxena

            Phrygiens Strand alldort, wo Troja gestanden, genüber
Liegt ein Gebiet, von Bistonen bewohnt. Dort war Polymestors
Prächtige Königesburg, dem dich, Polydorus, zur Pflege
Heimlich der Vater vertraut und den phrygischen Kämpfen entzogen,
Weise bedachter Entschluß, wenn nicht auch Schätze er mitgab,
Lohn für frev'lige Tat und geizigen Sinnes Verlockung.
Als nun Phrygiens Glück im Staub lag, nimmt der verruchte
König der Thraker das Schwert und durchschneidet die Kehle dem Pflegkind;
Dann, als könnt' er die Schuld wegschaffen zugleich mit dem Leichnam,
Stürzt er hinab ins Meer den Entseeleten oben vom Felsen.

Rastend am thrakischen Strand lag Atreus' Sohn mit der Flotte,
Harrend auf ruhige See und besser befreundete Winde.
Hier steigt plötzlich hervor so groß, wie er lebend gewesen,
Aus weit berstendem Grund in drohender Haltung Achilles,
Und in dem Antlitz trug er dieselbige Miene wie damals,
Als er im Grimm angriff mit vermessenem Schwert Agamemnon.
»Mein so wenig gedenk abziehet ihr«, – sprach er – »Achiver?
Wäre verscharrt mit mir der Dank für unsere Taten?
Das sei fern, und damit mein Grab nicht Ehre vermisse,
Ströme Polyxenas Blut des Achilles Manen zur Sühne!«
Sprach's, und dem zürnenden Geist ward Folge: vom Busen der Mutter
Reißen die Krieger ihr fast noch einziges Kind, und die Jungfrau,
So unglücklich und stark und erhaben ob weiblicher Schwäche,
Wird zu dem Grabe geführt als Opfer an schrecklicher Brandstatt.
Ihrer verblieb sie gedenk, und als sie am grausamen Altar
Stand und ersah, daß ihr nur galt die entsetzliche Feier,
Und Neoptolemus sah dastehn und halte das Eisen,
Während an ihrem Gesicht sein Blick stets haftete, sprach sie:
»Zaudere nicht, laß rinnen das Blut untad'ligen Adels!
Auf, ich stehe bereit: in den Hals hier oder den Busen
Senke den Stahl!« – und den Hals entblößt sie zugleich und den Busen –
»Nimmer ertrüg's ja doch Polyxena, einem zu dienen;
(So wird aber ein Gott durch seltenes Opfer gesühnet).
Bliebe mein Tod nur stets, das wünscht' ich, verborgen der Mutter!
Sie nur hindert und trübt mir die Freude des Todes, wiewohl ihr
Nicht mein Tod, vielmehr ihr Dasein ist zu beseufzen.
Ihr, daß nicht unfrei zu den stygischen Manen ich gehe,
Bleibet mir fern, wenn gerecht mein Begehr, und berühret die Jungfrau
Nicht mit männlicher Hand! Für jenen gewiß ist genehmer,
Wem ihr immer gedenkt mein Blut zur Sühne zu weihen,
Frei sich bietendes Blut. Doch falls euch rühren die letzten
Worte von unserem Mund – des Königes Priamus Tochter,
Nicht die Gefangene, fleht –, gebt willig der Mutter die Leiche;
Laßt sie das traurige Recht der Bestattung erkaufen mit Tränen,
Nicht mit Gold! Sie erkaufte mit Gold auch, als sie es konnte.«
Also redete sie. Nicht wehret die Menge den Zähren,
Denen Polyxena wehrt. Selbst weinend mit zagender Rechten
Stößt in die harrende Brust das gebotene Eisen der Priester.
Jene, mit brechendem Knie kraftlos hinsinkend zur Erde,
Ließ nichts blicken von Furcht im Gesicht beim nahenden Ende.
Da auch, während sie fiel, noch war sie besorgt, zu verhüllen,
Was zu bedecken geziemt, und züchtige Scham zu bewahren.
Troja's Frau'n sind stützend ihr nah' und gedenken beweinter
Priamiden und was
ein Haus an Blute gegeben,
Klagen um dich, Jungfrau, und um dich, jüngst Königsgemahlin,
Königsmutter genannt, der blühenden Asia Abbild,
Nun ein verachtetes Los vom Raub, das der Sieger Ulixes
Nicht hinnähme für sich, wenn dir nicht Hektor das Leben
Hätte verdankt: kaum findet den Herrn für die Zeugerin Hektor.
Die umschlinget den Leib, der bar der entschlossenen Seele;
Tränen, geweint so oft um das Land und den Mann und die Kinder;
Weint um diese sie auch; mit Tränen begießt sie die Wunde,
Deckt mit dem Munde den Mund und schlägt an den trauergewohnten
Busen und schleift im geronnenen Blut das erblichene Haupthaar,
Und mit gegeißelter Brust auch solches zu anderem sprach sie:

»Tochter, du letzter Verlust – denn was bleibt übrig? – der Mutter,
Tochter, du liegst, und ich seh' in der deinen die eigene Wunde.
Daß nicht, außer durch Mord, ich einen verlöre der Meinen,
Klafft auch Wunde an dir. Dich hätt' ich, dieweil du ein Weib warst,
Sicher gewähnt vor dem Stahl: als Weib auch sankst du vom Stahle.
Er gab dich in den Tod, der auch so viele der Brüder
Tötete, Trojas Verderb und unser Verwaiser, Achilles.
Als ihn mit dem Geschoß hinstrecketen Paris und Phöbus,
Sprach ich: ›Fürder ist nun doch nicht zu fürchten Achilles.‹
Da noch war er zu fürchten für mich. Des Bestatteten Asche
Wütet in unsrem Geschlecht, und wir spüren im Grabe den Feind auch.
Fruchtbar war ich für Äakus' Sproß. Die gewaltige Troja
Liegt, und des Volks Drangsal ist geendet in schwerer Entscheidung,
Aber sie endete doch. Für mich steht Pergamus jetzt noch,
Und es behält Fortgang mein Schmerz. Jüngst mächtig vor allen,
Groß durch die Eidame all, durch die Kinder, die Schnuren, den Gatten,
Muß ich verbannt, hilflos, von den Gräbern der Meinen gerissen,
Fort zu Penelopes Dienst. Die sagt da Ithakas Müttern,
Deutend auf mich, wenn ich spinne mein Teil: ›Das ist die berühmte
Troische Frau, die Hektor gebar, des Priamus Gattin!‹
Nach so vieler Verlust bist du, in dem Jammer der Mutter
Noch ihr einziger Trost, am feindlichen Grabe geopfert.
Totengabe gebar ich dem Feind. Was bleib' und verzieh' ich,
Hart wie Stahl? Was hebst du mich auf, vieljähriges Alter?
Grausame Götter, wozu noch dehnt ihr das Leben der Greisin,
Als daß Leichen sie sieht stets neu? Wer möchte vermeinen,
Daß nach Pergamus' Fall noch Priamus glücklich zu preisen?
Ja, er ist glücklich im Tod: er sah nicht, wie sie gemordet
Dich, mein Kind, und schied von dem Leben zugleich und der Herrschaft.
Doch sie bestatten dich wohl hochfeierlich, fürstliche Jungfrau,
Setzen gewiß dich bei in der Stammgruft neben den Ahnen?
So wohnt nicht in dem Hause das Glück. Als Spende der Mutter
Werden dir Tränen zuteil und ein Häuflein Sand in der Fremde.
Uns ist alles geraubt. Mir bleibt, weshalb ich dem Leben
Gönne noch kurzen Bestand, Polydorus, der liebste der Mutter,
Jetzo der einzige, sonst vom männlichen Stamme der Jüngste,
Den der Ismarierfürst aufnahm an diesen Gestaden.
Doch was säum' ich indes, ihr die grausame Wunde zu waschen
Und das bespritzte Gesicht von dem schrecklichen Blute zu säubern?«

Also sprach sie und ging mit wankendem Schritte, die weißen
Haare zerrauft, an den Strand. »Reicht her, Troaden, die Urne!«
Hatte die Ärmste gesagt, daß flüssige Wellen sie schöpfte.
Sieh, sie gewahrt, wie zum Ufer gespület tot liegt Polydorus
Und von dem thrakischen Schwert weit klafft die entsetzliche Wunde.
Laut schrei'n Trojas Frau'n; stumm bleibt im Schmerze die Mutter,
Denn mit der Stimme zugleich schluckt innen sich regende Zähren
Eben der Schmerz in sich, und vergleichbar hartem Gesteine
Starrt sie und heftet den Blick bald vor sich hin auf die Erde,
Bald auch richtet sie auf zum Äther das finstere Antlitz;
Bald das Gesicht, bald schaut sie die Wunde des liegenden Sohnes,
Aber die Wunde zumeist, und nährt und schüret den Ingrimm.
Wie er zur Flamme gefacht, da füllt, als bliebe sie immer
Königin, Rache ihr Herz, und sie lebt in Gedanken der Strafe.
So wie die Löwin in Wut, der genommen das saugende Junge,
Ohn' ihn zu sehen, dem Feind nachjagt, des Spur sie gefunden:
So nimmt Hekuba auch, da Zorn sich mengte mit Jammer,
Ihres Verlangens gedenk, nicht aber der Jahre gedenkend,
Zu Polymestor den Weg, dem Verüber des gräßlichen Mordes,
Und sie begehrt ein Gespräch: Gold wolle sie, das in der Heimat
Läge versteckt, auf daß er es gebe dem Sohn, ihm verraten.
Glaublich erschien's, und der Fürst der Odryser, gewöhnt an die Habgier,
Findet allein sich ein. Arglistig mit schmeichelndem Munde
Sprach er: »Hekuba, gib nur rasch für den Sohn die Geschenke!
Was du mir gibst, was früher du gabst, – bei den Himmlischen schwör' ich –
Alles verbleibt für ihn.« Wie er redete schuldig des Meineids,
Schaut sie finster ihn an und wallt von steigendem Zorne.
So nun packt sie ihn fest und ruft der gefangenen Mütter
Menge herzu und stößt in die treulosen Augen die Finger,
Reißt sie im Nu aus den Wangen heraus – stark macht sie der Ingrimm –,
Bohrt mit den Händen und gräbt, mit dem schuldigen Blute besudelt,
Nicht in den Augen, davon nichts blieb, in der Stelle der Augen.

Aber die Thraker, erbost, daß solches dem Herrscher getan war,
Fallen die Troerin an mit Steinen zugleich und Geschossen.
Hinter geworfenem Stein eilt jene mit heiserem Heulen
Und will schnappen danach, und wie sie zu reden gedachte,
Scholl aus dem Rachen Gebell – noch heute, benannt von dem Wunder,
Zeigt man den Ort –, und lange gedenk vormaliger Leiden
Heulte sie da auch noch schmerzvoll in sithonischen Fluren.
Ihre Trojaner bewegt und sogar die pelasgischen Feinde
Hekubas herbes Geschick; es bewegt auch alle die Götter,
Alle gesamt, so daß gar Jupiters Gattin und Schwester
Selber gestand, das habe sie nicht zu erleiden verdienet.

Müßig ist nicht, obwohl sie die nämlichen Waffen begünstigt,
Trojas und Hekubas Fall und Verderb zu empfinden Aurora:
Nähere Sorge befängt und häusliche Trauer die Göttin,
Da sie den Memnon verlor. Ihn sah in den phrygischen Feldern
Vom Achilleischen Speer hinsinken die rosige Mutter,
Sah's, und der Purpurschein, davon sich die Frühe des Tages
Rötet, erblaßte sogleich, und in Wolken verbarg sich der Äther.
Als nun aber der Leib zur Bestattung lag auf dem Feuer,
Konnte die Mutter es nicht ansehn: mit gelösetem Haupthaar,
So wie sie war, verschmähte sie nicht zu umfassen des großen
Jupiter Knie und so zu Träne die Worte zu fügen:

»Keiner der Göttinnen gleich, die wohnen im goldenen Äther, –
Denn mir stehen erbaut auf Erden die seltensten Tempel –
Komm' ich zu dir doch nicht, Wohnstätten und heilige Tage
Mir zu erbitten von dir und mit Feuer zu wärmende Herde.
So du bedachtest indes, was mir du verdankest, dem Weibe,
Wenn ich die Grenzen der Nacht mit erneuetem Lichte bewache,
Schien' ich dir Lohns wohl wert. Doch das nicht kümmert Aurora,
Nicht so steht es mit ihr, daß schuldige Ehren sie heische:
Memnons komm' ich, des Sohnes, beraubt, der streitbare Waffen
Eitel erhob für den Ohm und bezwungen vom starken Achilles –
Ihr ja habt es gewollt – in der blühenden Jugend dahinsank.
Gib, ich bitte, zum Trost für den Tod ihm einige Ehre,
Höchster im göttlichen Rat, und lindre die Wunde der Mutter!«

Jupiter nickte Gewähr. Als Memnons ragender Holzstoß
Sank mit dem lodernden Brand und die Wirbel des schwärzlichen Rauches
Dunkel verdeckten den Tag, gleichwie wenn steigende Nebel
Hauchet der Strom und der Sonne vermehrt nach unten zu dringen,
Flieget die Asch' umher, und zu
einem verdichteten Körper
Wird sie geballt und gewinnet Gestalt und eignet vom Feuer
Wärm' und Leben sich an. Mit Schwingen begabt sich die leichte.
Ähnlich dem Vogel zuerst, bald aber ein wirklicher Vogel,
Regte sie rauschenden Flug, und zugleich unzählige Schwestern
Rauscheten, alle gezeugt auf die selbige Art. Um den Holzstoß
Kreiset die Schar dreimal, und dreimal geht in die Lüfte
Einig Geschrei; drauf teilt sich der Schwarm in dem vierten der Flüge.
Feindlich geschieden sodann in zwei kampflust'ge Heere,
Führen sie blutigen Krieg und fallen mit Schnäbeln und Krallen
Zornig sich an und ermüden die Brust und die Flügel im Andrang,
Und das entstand'ne Geschlecht, das verwandt der bestatteten Asche,
Sinkt als Opfer am Grab und gedenkt der Entstehung vom Helden.
Vom Urheber behält das neue Geflügel de Namen,
Memnonsvögel genannt. Wenn Sol zwölf Zeichen durchlaufen,
Eilen sie wieder zum Kampf und sterben dem Vater zur Sühne.
War drum kläglich zu sehn, daß bellte die Tochter des Dymas,
Anderen, eigenem Leid hängt nach Aurora, und Zähren
Weiht sie dem Sohn noch jetzt und betauet die sämtlichen Lande.


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