Publius Ovidius Naso
Metamorphosen
Publius Ovidius Naso

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Niobe

            Niobe hört' im Palaste der lydischen Spinne Verwandlung,
Als in Mäonia noch am Sipylus wohnte die Jungfrau;
Doch nicht warnte die Strafe der Volksgenossin Arachne,
Himmlischen nachzustehn, und in kleinerem Laute zu reden.
Vieles erhöhte den Mut. Doch weder die Kunst des Gemahles,
Noch ihr beider Geschlecht, und der Glanz des mächtigen Reiches,
Gab ihr solches Behagen, wie sehr auch alles behagte,
Als der Kinder Gedeihn. Glückseligste unter den Müttern,
Niobe, wärst du genannt, wenn du nicht es geschienen dir selber.

Denn des Tiresias' Tochter, die zukunftahnende Manto,
Ging durch die Gassen der Stadt, von göttlichem Geiste gereget,
Einst weissagend umher: Kommt, kommt, ismenische Weiber!
Bringt der Latona, und bringt den Zwillingen unsrer Latona,
Weihrauch dar mit Gebet; und fügt um die Haare den Lorbeer!
Solches gebeut Latona durch mich! – Man gehorcht; und es wandeln
Alle thebischen Frau'n, geschmückt mit befohlenem Laube,
Weihrauch heiligen Flammen, und bittende Worte, zu bringen.

Aber Niobe kommt im Gewühl des begleitenden Schwarmes,
Prangend in phrygischen Prunk der golddurchwirkten Gewande,
Und, wie der Zorn es gestattet, auch schön; und bewegend ihr stattlich
Angesicht mit den Locken, die jegliche Schulter umwallten,
Stand sie, und hoch die Augen umhergewendet voll Stolzes:

Welch ein Wahnsinn, rief sie, gehörete Götter gesehnen
Vorzuziehn! Was, wenn ihr Latona verehrt an Altären,
Fehlt noch meiner Gewalt der Weihrauch? Mich ja erzeugte
Tantalus, welcher allein zum Mahl der Unsterblichen einging;
Und mich gebar die Plejade Taygete, Tochter des Atlas,
Der den ätherischen Pol hoch trägt mit erhabenem Nacken!
Jupiters Sohn ist der Vater, und Jupiters Sohn der Gemahl auch!
Mir sind die Völker gebeugt in Phrygia; mir auch gehorchet
Kadmus' Burg; und die Mauern, gefügt von den Saiten Amphions,
Werden, und was sie bewohnt, von mir und dem Gatten verwaltet!
Welchem Teil des Palastes ich auch zuwende die Augen,
Unermeßliche Hab' erscheinet mir! Aber ich selber
Rag' als Göttin an Wuchs; und sieben Töchter umblühn mich,
Jünglinge ebensoviel, und bald auch Eidam' und Schnüre!
Fragt noch, aus was für Grunde der Niobe Stolz sich erhebet;
Und dann wagt, die von Cöus, ich weiß nicht welchem, entsproßne
Titanide Latona mit vorzuziehn, der die Erde,
Groß wie sie ist, den winzigen Raum zum Gebären versagt hat!
Himmel und Land und Gewässer verbanneten euere Göttin!
Flüchtlingin war sie der Welt! bis Delos endlich voll Mitleid:
Du durchirrest das Land, ihr zurief, ich das Gewässer:
Und unbefestigten Grund einräumte. Zweier Gebornen
Freute sie sich; das ist von unserem Segen ein Siebteil!
Selig bin ich; wer leugnet mir das? und selig beharr' ich:
Wer auch bezweifelt mir dies? Zur Sicherheit hebt mich der Reichtum!
Höher schau' ich herab, als wo Fortuna mir schade!
Ob sie auch vieles entreißt, weit mehreres wird sie mir lassen!
Schon stieg über die Furcht mir die Seligkeit! Denkt euch, gekürzet
Könne mir etwas sein von der Heerschar meiner Gebornen;
Doch nicht sänk' ich hinab zu der Doppelzahl der Latona,
Die mit dem sämtlichen Schwarm nur weniges mehr ist, denn fruchtlos!
Weit, o weit von dem Opfer entfernt; und dem Lorbeer des Hauptes
Niedergesenkt! – Sie senken; es bleibt unvollendet das Opfer;
Und sie flehn, wie man darf, mit leiserer Stimme zur Gottheit.

Unmutsvoll vernahm's die Unsterbliche. Jetzt auf des Cynthus
Oberstem Gipfel begann zu den Zwillingen also Latona:

Schaut! ich euere Mutter, die kühn durch eure Geburt ward,
Und die der Juno allein, sonst keiner der Göttinnen, ausweicht,
Werd' als Göttin bezweifelt! Von stets gefei'rten Altären
Werd' ich, o Kinder, gescheucht, wo ihr nicht meiner euch annehmt!
Nicht mein einziger Schmerz! Zu der Untat fügete Schmähung
Tantalus Tochter hinzu: vor den ihrigen euch zu verachten,
Wagte sie; ja mich selbst (ihr werde das!) nannte sie fruchtlos;
Und die Verbrecherin zeigte die Lästerzunge des Vaters!

Bitten wollte gesellen Latona zu der Erzählung.
Endige! sagte der Sohn; du säumst nur die Strafe mit Klagen!
Endige! sagte die Tochter. In schleunigem Schwung durch die Lüfte
Kamen zur Burg des Kadmus sie beid', in Wolken gehüllet.

Eben und weit gedehnt war nah an den Mauern ein Blachfeld.
Immerdar von Rossen zerstampft; wo der Räder Getümmel
Und der zermalmende Huf die liegenden Schollen gelockert.
Einige dort von den Söhnen der Niobe und des Amphion
Steigen auf mutige Ross'; in tyrischer Farbe gerötet,
Glüht das Gedeck, und es starren von Gold die lenkenden Zügel.
Aber Ismenos anjetzt, der zuerst der gebärenden Mutter
Schmerz und Freude gebracht, da den trampenden Lauf er herumdreht
In den gemessenen Kreis, und den schäumenden Rachen bezähmet;
Wehe mir! schreit er auf; und grad in den Busen geheftet,
Trägt er Geschoß; und aus sterbender Hand die Zügel entlassend,
Sinkt auf die Seit' allmählich am rechten Bug er hinunter.
Sipylus, jenem zunächst, wie des Köchers Geklirr ihm daherscholl,
Floh in entzügeltem Lauf: so wie oft, vorkundig des Regens,
Flieht vor der drohenden Wolke der Steuerer, und die gespannten
Segel umher ausdehnt, daß auch kein Lüftchen entfließe.
Doch wie entzügelt er floh: dem Entfliehenden folgt unvermeidlich
Todesgeschoß; und zitternd im oberen Wirbel des Nackens
Haftet der Pfeil, und es raget entblößt aus der Kehle das Eisen.
Vorgestreckt, wie er war, auf den stürmenden Hals und die Mähnen
Rollt er hinab, die Erde mit warmem Blute besudelnd.

Phädimus aber, der arme, gleichnamig dem Ahnen,
Tantalus, als sie ein Ziel dem gewöhnlichen Fleiße gesetzet,
Hatten zum Jugendgeschäft sich gewandt des glänzenden Ringens.
Und schon rangen sie beide mit eng verflochtenen Gliedern,
Brust arbeitend an Brust: da geschnellt vom straffen Gehörne,
So wie gefügt sie waren, der Pfeil sie beide durchbohrte.
Beid' erseufzten zugleich, und zugleich die vom Schmerze gekrümmten
Glieder zur Erde gestreckt, zugleich die erlöschenden Augen
Gegen das Licht aufrollend, verhauchten zugleich sie den Atem.
Jene schaut Alphenor; mit wund geschlagenem Busen
Fliegt er heran, und erhebt die kalten Glieder umarmend;
Ach, und fällt in dem zärtlichen Dienst: denn der Delier Phöbus
Schmettert den finsteren Stahl ihm tief in die Kammer des Herzens.
Und dem entzogenen folgt ein Teil der Lung' an den Haken
Ausgedreht; es ergießt mit dem Atem sich Blut in die Lüfte.
Doch nicht einfach trifft, Ungeschorener, o Damasichthon,
Dich die Wund'. Es durchdrang am beginnenden Bein das Geschoß ihn,
Wo im Gelenk sich bewegt die sehnige Beuge des Kniees.
Während er strebt, mit der Hand zu entziehn die verderbende Waffe,
Fliegt ihm ein anderer Pfeil bis zur Fiederung tief in die Gurgel.
Wieder heraus drängt diesen das Blut, und hoch sich erhebend,
Schießt es hervor, und steiget mit langem Strahl in die Luft auf
Auch der letzte der Söhn' Ilioneus hob unerhörbar
Flehend die Arm' empor: O ihr Himmlischen alle gemeinsam,
Rief er aus, unwissend, nicht alle sie braucht' er zu bitten:
Schonet, o schont! und gerührt, da unhemmbar bereits das Geschoß flog,
Wurde der treffende Gott: doch erlag der kleinsten Verwundung
Jener, indem nicht tief ihm der Pfeil zum Herzen hineindrang.

Trauriger Ruf, und Kummer des Volks, und Tränen der Diener
Kündeten jetzt der Mutter den plötzlichen Jammer des Hauses:
Ihr, die erstaunt, daß vermocht, und eifert im Zorn, daß gewaget
Dies die Oberen hätten, und soviel Macht sie verübten.
Den der Vater Amphion, die Brust von dem Stahle durchschmettert,
Hatte sterbend geendet zugleich mit dem Lichte den Kummer.
Ach, wie Niobe weit von der Niobe jetzo entfernt ist,
Welche dem Volke verbot die latoïschen Opferaltäre,
Und, durch die Stadt herschreitend, das Haupt in den Nacken zurückbog,
Lästig den Ihrigen selbst; nun mitleidswürdig dem Feinde!
Auf die erkälteten Leichen gesenkt, ohn' Ordnung und Auswahl,
Teilt sie umher die Küsse den Kindern allen zum Abschied.
Dann zum Himmel erhebend die blau gerungenen Arme:

Grausame, weide das Herz an unserem Grame, Latona!
Weide dir, sprach sie, das Herz, bis es satt werd' unseres Jammers!
Hüpf' im Triumph! mich trägt man zu Grab', obsiegende Feindin!
Aber warum obsiegend? Mir Elenden bleibet noch mehrers,
Als, Glückselige, dir! Nach soviel Leichen auch sieg' ich!

Niobe sprach's; da erklang vorn gespanneten Bogen die Senne,
Daß rings alle vor Schrecken erzitterten; nur sie allein nicht.
Unglück machte sie kühn. In dunkelen Trauergewanden
Stehn um die Bahren der Brüder, mit hangendem Haare, die Schwestern.
Eine davon, ausziehend den Pfeil, der im Innersten haftet,
Senkt auf den Bruder hinab das Gesicht, ohnmächtig verscheidend.
Dort die andere strebt die bekümmerte Mutter zu trösten;
Plötzlich schweiget sie still, um die heimliche Wunde sich krümmend.
Jene will fliehn, doch umsonst! hin gleitet sie; jen', auf der Schwester
Liegend, erblaßt; die birgt sich; die andere zittert umher noch.
Sechs nun sanken dem Tod', an verschiedener Wunde verblutend;
Nur die letzte noch blieb, die ganz mit dem Leibe die Mutter,
Ganz im Gewand' umhüllt': O die Einzige laß mir, die Kleinste!
Von so vielen die Kleinste verlang' ich nur, rief sie, und eine!

Während sie fleht, sinkt auch die Erflehete! Ganz nun vereinsamt,
Saß sie, von Leichen umringt, der Töchter, der Söhn', und des Mannes.
Und sie erstarrte vor Gram. Ihr regt kein Lüftchen die Haare;
Blutlos wird und bleich das Gesicht; auf traurigen Wangen
Steht das Aug' unbewegt; nichts Lebendes bleibt in dem Bildnis.
Selbst im inneren Munde, zugleich mit gehärtetem Gaumen,
Harscht ihr die Zung', und die Ader mit schwindendem Pulse versieget.
Nicht mehr beugt sich der Hals, nicht dreht sich der Arm im Gelenke,
Nicht kann gehen der Fuß; auch Herz und Leber ist Felsen.
Dennoch weint sie, und schnell vom gewaltigen Wirbel des Sturmes
Wird sie zur Heimat entrafft. Dort hoch auf dem Berge gewurzelt,
Rinnet sie; stets in Tränen zerfließt noch jetzo der Marmor.


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