Publius Ovidius Naso
Metamorphosen
Publius Ovidius Naso

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Iphis

            Leicht wohl hätte der Ruf von der Wundergeschichte die hundert
Kretischen Städte erfüllt, wenn nicht in der Iphis Verwandlung
Kreta hätte gezeigt erst neulich ein näheres Wunder.
Phästos' Gebiet, das nah beim gnosischen Reiche gelegen,
Hatte den Ligdus gezeugt vor Zeiten, der niederen Bürger
Einen, von Keinem gekannt. Auch war nicht größer der Reichtum,
Als sein Adel es war; doch stand er im Leben und Wandel
Rein von Tadel und Schuld. Der sprach zu der schwangeren Gattin
Also das mahnende Wort, als nahte die Zeit der Entbindung:
»Zwiefach ist mein Wunsch: daß wenig von Schmerzen du leidest
Und mir ein Knäblein bringst. Das andere Geschlecht ist zur Bürde,
Und es versagt uns Mittel zum Glück. Wenn also – der Himmel
Wahre davor – du ein Mädchen gebierst, – mit weigerndem Herzen
Sag' ich es; Macht der Gefühle, vergib – so sei es getötet.«

Also sagte der Mann, und sie netzten mit Tränen das Antlitz,
Er, der solches befahl, wie sie, der solcher Befehl ward.
Eitele Bitten indes bei dem Gatten versucht Telethusa
Unablässig, ihr nicht so eng zu beschränken die Hoffnung.
Ligdus beharrt bei seinem Entschluß. Schon konnte die Mutter
Kaum noch tragen den Schoß, mit der zeitigen Bürde belastet,
Als in der Mitte der Nacht im Gebilde des Traums vor dem Lager
Inachus' Tochter ihr stand, vom Gefolge der Ihren begleitet,
Oder zu steh'n doch wenigstens schien. Mondähnliche Hörner
Zierten die Stirn und gefügt zu Ähren von glänzendem Golde
Prangender Königesschmuck. Mit kamen der Beller Anubis,
Apis gefleckt am Leib, und die heilig verehrte Bubastis,
Auch, der bannet den Laut und Schweige gebeut mit dem Finger,
Klappern dazu und der nie zur Genüge gesuchte Osiris
Und mit dem Schlaf einflößenden Gift die ägyptische Schlange.
Da hub an die Göttin zu ihr, die wie aus dem Schlummer
Plötzlich erwacht klar sah: »Telethusa, du eine der Meinen,
Laß die befangende Furcht und umgehe des Gatten Befehle.
Hebe getrost nur auf, sobald dich entbindet Lucina,
Was es auch sei! Ich bin die helfende Macht, und gebeten
Bin ich zum Beistand nah, und des Undanks sollst du die Gottheit,
Die du verehrst, nicht zeihn.« So mahnend verließ sie die Kammer.

Froh aufstehend erhebet die Kreterin saubere Hände
Demutsvoll zu den Sternen und fleht um des Traumes Erfüllung.

Wie sich die Schmerzen gemehrt und die Bürde sich selber zum Lichte
Drängt und ein Mädchen erscheint, darum nicht wußte der Vater,
Heißt es die Mutter erziehn als erlogenen Knaben, und Glauben
Fand der Betrug, und der Amme allein war kund das Geheimnis.
Ligdus erfüllt sein Gelübde und nennt das Kind nach dem Ahne:
Iphis war er genannt. Lieb war der Name der Mutter,
Weil im Zweifel er ließ und keinen mit diesem sie täuschte.
So blieb undurchschaut durch frommen Betrug die Verhehlung.
Knabe gemäß war die Tracht; das Antlitz, sei es dem Mädchen
Oder dem Knaben verlieh'n, schön mußte ein jedes erscheinen.

Als drei Jahre bereits nun waren gefolgt auf das zehnte,
Wird dir, Iphis, verlobt von dem Vater die blonde Ianthe,
Die, von Telestes gezeugt dem Diktäer, an Gabe der Schönheit
Weit die gepriesenste war von den Jungfrau'n allen in Phästos.
Gleich war Alter dem Paar und Gestalt, und die früheste Bildung
Lernten sie auch und des Wissens Beginn bei den selbigen Lehrern:
So schlich Liebe sich ein in die jungen Gemüter, und beide
Litten sie gleich vom Drang, doch ungleich war die Erwartung.
Froher Vereinigung harrt und bedungener Fackeln Ianthe
Und den vermeintlichen Mann hofft bald sie den ihren zu nennen.
Iphis ersehnt, auf deren Besitz sie verzichtet, und steigert
Dadurch eben die Glut, und die Jungfrau brennt für die Jungfrau.
Kaum jetzt hält sie die Tränen und spricht: »Was harrt für ein Ausgang
Mein, die denket an neuen Verein mit nimmer erhörtem
Unnatürlichem Wunsch? Ach! wollten die Götter mich schonen,
Mußten sie schicken ein Leid, das Natur gut heißet und Sitte.
Nie treibt Liebe die Kuh zur Kuh, zur Stute die Stute;
Wollvieh brennt für den Stär; nachgehet dem Hirsche die Hindin;
Vögel begatten sich so, und unter den sämtlichen Tieren
Ist kein Weibchen von Brunft nach anderem Weibchen ergriffen.
Wär' ich nicht auf der Welt! Und doch, daß Kreta erzeuge
Jegliche Unnatur, Sols Tochter begehrte des Stieres,
Freilich des Mannes das Weib. Mich treibt, zu gestehen die Wahrheit,
Mehr denn sie sinnraubende Glut: sie durfte doch hoffen
Auf den Genuß; sie paarte sich doch in dem Bilde der Färse
Schlau mit dem Stier, und es war ihr vergönnt zu verführen den Buhlen.
Fände der Scharfsinn hier sich zusammen von allen den Landen,
Flöge zurück auch Dädalus selbst mit den wächserne Schwingen:
Was kann Dädalus tun? Kann mich vom Mädchen zum Knaben
Wandeln die schaffende Kunst? Kann dich sie verwandeln, Ianthe?
Warum stählest du nicht dein Herz und ermannest dich selber,
Iphis, und drängst aus dem Herzen die Glut so töricht und ratlos?
Sieh', wie Natur dich schuf, wenn nicht auch selbst du dich täuschest;
Trachte nach Möglichem nur, und dem Weibe Geziemendes liebe.
Hoffnung allein ruft Liebe hervor, mir Hoffnung erhält sie.
Diese benimmt das Geschlecht. Dich hält nicht wachende Aufsicht,
Noch auch Hut des besorgten Gemahls, noch Härte des Vaters
Ab von dem süßen Umfahn; nicht weigert sich selbst die Begehrte.
Dennoch bleibt dir versagt der Besitz; ob alles geschähe,
Dein wird nimmer das Glück, und mühten sich Götter und Menschen.
Zwar ist mir zur Zeit nicht einer der Wünsche vereitelt:
Gnädig gewähreten mir, was nur sie vermochten, die Götter;
Was ich will, will sie, der Erzeuger, der künftige Schwäher.
Doch die Natur will's nicht, die mächtiger ist wie sie alle;
Sie nur steht mir im Weg. Es erscheint die erwartete Stunde;
Da ist der Hochzeittag; mein wird nun werden Ianthe;
Doch eins werden wir nicht. Wird dürsten in Mitte der Wellen.
Ach! was naht ihr dem Fest, Hymenäus und eh'liche Juno,
Wo kein Bräutigam ist und wo zwei Bräute sich freien?«

Damit schwieg ihr Mund. Glut wallt in der anderen Jungfrau
Ebenso heiß, und sie wünscht, daß bald du erscheinst, Hymenäus.
Fürchtend, was diese ersehnt, stellt weitere Frist Telethusa,
Oder sie schafft krank scheinend Verzug; Vorzeichen und Träume
Wendet sie oft auch vor. Nun hatte sie aber den Vorrat
Schlauer Erfindung erschöpft; die verschobene Zeit der Vermählung
Rückte heran, und es blieb ein Tag noch. Da von dem Haupte
Zieht sie die Binde des Haars sich selber herab und der Tochter,
Und sie beginnt, den Altar mit entfesselten Haaren umfassend:
»Isis, die du bewohnst mareotische Fluren und Pharos
Und Parätonium liebst und den siebengemündeten Nilstrom,
Hilf, so fleh' ich zu dir, und laß von der Furcht uns genesen!
Vormals sah ich dich schon, o Göttin, und dies dein Geräte;
Alles, der Klappern Getön und die Fackeln des folgenden Zuges
Nahm ich wahr und behielt dein Geheiß im gedenkenden Herzen.
Daß sie schauet das Licht, daß mich nicht Strafe getroffen,
Ist dein Rat, ist Gabe von dir. Erbarme dich beider,
Stehe mit Hilf' uns bei!« Und es folgeten Tränen den Worten.

Da schien ihren Altar zu bewegen die Göttin, – und wirklich
War's auch so – und das Tor am Tempel erbebt, und die Hörner
Ähnlich dem Mond sind licht, und es rasselt die tönende Klapper.
Ruhig noch nicht, doch froh des glücklichen Zeichens begibt sich
Jene vom Tempel hinweg. Ihr folgt als Begleiterin Iphis,
Aber mit größerem Schritt als sonst; auch bleibet die Weiße
Nicht im Gesicht, und es mehrt sich die Kraft, und die Mienen erhalten
Schärferen Zug und kürzeres Maß wirr liegende Haare.
Mut auch, wie er im Weib nicht war, drängt jetzt; denn ein Jüngling
Bist du, die du ein Weib jüngst warst. Bringt Gaben zum Tempel;
Freut euch vollen Vertrauns! Sie kommen mit Gaben zum Tempel;
Inschrift setzen sie auch. Die faßte den kurzen Gedenkspruch:
»Was er als Mädchen gelobt, hier widmet es Iphis als Jüngling.«

Wiederum hatte das Licht mit den Strahlen erschlossen den Erdkreis,
Als zum Vermählungsfest Hymenäus und Venus und Juno
Kommen und Iphis als Mann sich vereinigt mit seiner Ianthe.


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