Betty Paoli
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Betty Paoli

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Ein Bann.

An Alfred Tennyson, den Dichter der »Lady of Shalott

        In jenem Lied, dem wundersamen,
Das süß von deiner Lippe floß,
Enthüllst du, in des Mährchens Rahmen,
Des Dichters glanzvoll traurig Loos.

Mag Andern das Symbol genügen,
In seiner bunt phantast'schen Pracht!
Mir dämmert aus den holden Zügen
Ein Geist, der mich erzittern macht.

Der Geist, der, ob ich mir's verhehle,
Auch mich vom warmen Leben schied,
Und schmerzlich tönt aus meiner Seele
Ein Wiederhall von deinem Lied!
 


                  Aus des Stromes grüner Fläche hebt
Sich ein Eiland, träumerisch und eigen.
Nur der Vögel muntres Lied belebt,
Nur des Windes Hauch das tiefe Schweigen.
Unnahbar, geheimnißvoll umflort,
Fern und fremd dem lauten Menschentrosse,
Weilt des Eilands schöne Herrin dort,
Einsam, einsam stets! in ihrem Schlosse.

Bis des Tages letzter Stral versiegt,
Sitzt und schafft sie an dem Webestuhle;
Ohne Ruh' und Rast das Schifflein fließt,
Emsiglich verbraucht sie Spuhl' um Spuhle.
Düster blickt sie jetzt, dann wird der Schein
Ihrer Augen wieder lichter, milder,
Und dem bunten Teppich wirkt sie ein
Tausend heit're, tausend trübe Bilder.

Bilder aus dem blüh'nden Erdenland,
Bilder einer Welt, die ihr verschlossen,
Tiefsten Jammers, den sie nie empfand,
Höchster Wonnen, die sie nie genossen!
Zu der Arbeit still hinabgeneigt
Schildert sie, in heller Farben Prangen,
Nur was ihr der Zauberspiegel zeigt,
Der ihr gegenüber aufgehangen.

Denn in seinen starken Banden hält
Sie ein Bann, den nichts vermag zu trennen:
»Statt des Glückes und des Leid's der Welt
»Werde dir nur einzig das Erkennen.
»Stille Schatten seien dein Geleit,
»Und ein Traum das Leben, das du lebest!
»Abgelöst sei von der Wirklichkeit,
»Daß du, freien Sinns, sie wiedergebest!«

So ergieng an sie ein Geisterruf,
Und wie Nebel sank es um sie nieder.
Her vom Ufer schallet Rosseshuf,
Klagen Seufzer, tönen frohe Lieder!
Aber eine Grenze, streng und scharf,
Trennt sie von den irdischen Geschicken,
Und nur in dem mag'schen Spiegel darf
Sie des Lebens wechselnd Bild erblicken.

Was vorüberzieht am grünen Strand
Läßt sein Zauberschimmer sie gewahren:
Ritter jetzt im rauhen Stahlgewand,
Hirten dann, dann fromme Pilgerschaaren;
Auf dem weißen Zelter, hoch und schlank,
Schöne Frauen, Lil'jen zu vergleichen,
Und daneben, müd und bleich und krank,
Bettler, die an ihrer Krücke schleichen;

Krämer hier, nur vom Gewinn gelenkt,
Kinder dort mit blondem Lockenhaare,
Liebende, still in ihr Glück versenkt,
Trauernde an einer Todtenbahre.
Und den langen, stets erneuten Zug
All der rasch verschwindenden Gestalten
Weiß auf dem Gewebe sie im Flug
Für die fernsten Zeiten festzuhalten.

Da geschieht es wohl, daß ihre Haft
Himmlisch süße Tröstungen verklären,
Daß sie, im Gefühle ihrer Kraft,
Nichts zu missen glaubt noch zu entbehren.
Ob auch, von dem blühenden Sein getrennt
Einsamkeit ihr Loos und dunkle Stille,
Ward ihr Eins, das Höchste! doch gegönnt:
Nachzubilden allen Lebens Fülle!

Aber andre Stunden kommen auch,
Stunden ohne Weihe, ohne Glauben,
Die mit giftig kaltem Zweifelhauch
Ihr die Lust am eig'nen Werke rauben;
Aermlich dünkt sie dann des Schaffens Preis,
Ihre tiefste Seele will ermatten,
Und ihr banger Seufzer stöhnet leis':
»Schatten! Schatten! ewig nichts als Schatten!« – –
 


              Von den Höhen wallt's wie Opferrauch,
In den Zweigen flüstern Abendwinde,
Düfte fluthen, und ein fremder Hauch,
Weht sie an so linde, o wie linde!
Nach dem Zauberspiegel an der Wand
Hält sie sinnend still den Blick gewendet,
Aber plötzlich zuckt sie mit der Hand
Nach den Augen, wie von Glanz geblendet.

Reich umlichtet von dem Abendroth,
Und gefolgt von kampferprobten Schaaren,
Reitet längs des Ufers Lancelot,
Beim Geschmetter fröhlicher Fanfaren.
Er, die Blüthe aller Ritterschaft,
Er, der herrlichste von Arthur's Helden,
Höchstes Bild der Schönheit und der Kraft,
Dessen Ruhm der Barden Lieder melden!

Und, entlodernd in unsel'ger Gluth,
Denkt sie nicht mehr, daß ihr Loos Entsagen!
Heiß und stürmisch fühlet sie das Blut
Durch die Adern nach dem Herzen jagen!
Sie vergißt, daß es ihr nicht erlaubt,
Jemals die Erscheinung selbst zu schauen,
Hingerissen wendet sie das Haupt, – –
Da durchrieselt sie ein tödtlich Grauen!

Denn, berührt von unsichtbarer Macht,
Fällt der Spiegel und zerklirrt in Scherben!
Der Gewebe frühlingsheitre Pracht
Sieht sie schnell zu Moder sich entfärben.
Marmorbleich, im Auge kalten Glast,
Ahnet sie den Fluch, dem sie verfallen;
Fort, von hinnen, drängt es sie mit Hast,
Und sie schreitet aus den öden Hallen,

Nieder steigt sie zu dem grünen Strand;
Menschenleer und einsam ist die Stätte.
Näher tritt sie an des Flusses Rand,
Einen Nachen löst sie von der Kette,
Und sie ruft: Ich komme, Lancelot! –
Von des Mondes bleichem Stral umschwommen,
Sanft geschaukelt von dem schwanken Boot,
Schiffet sie des Wegs, den er genommen.

Blumen, wunderbar und silberlicht,
Sieht sie auf dem Wasserspiegel schwanken,
Und sie pflückt sie; seltsam lächelnd flicht
Sie ins dunkle Haar die blüh'nden Ranken.
Nieder blickt sie in der Wellen Schooß,
Aufwärts dann, wo hell die Sterne schreiten!
Mit verschränkten Armen, regungslos,
Läßt den Nachen sie stromabwärts gleiten.
 


            Camelot, die hohe Königsstadt,
Arthur's Sitz erschallt von trüben Kunden:
Frühe in der Morgendämm'rung hat
Eine Leiche man am Strand gefunden,
Schön bekränzt, geschmücket wie zum Fest,
Holder als ein Weib in diesen Tagen,
Und nicht fern von ihr den Trümmerrest
Eines Nachens, der sie hergetragen.

Lancelot auch kommt des Weges her
Und er spricht mit frommen Mitleids Schauern:
»Wie so schön sie war! Ach! und wie sehr
Mag der, den sie liebte, sie betrauern!
Wolle Gott nach all dem irdischen Streit
In das Reich des Friedens sie geleiten.«
Spricht's und geht, denn schon ist's hohe Zeit,
Mit Ginevra auf die Jagd zu reiten.


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