Betty Paoli
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Betty Paoli

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Der Talisman.

                    Die zehnte Stunde hallt vom Thurm
In dumpfen, langgezog'nen Schlägen;
Den Wald durchschnaubt der wilde Sturm,
In kalten Güssen strömt der Regen.
Gott schütze den, der diese Nacht
Auf banger Irrefahrt durchwacht
Anstatt sein Haupt zur Ruh' zu legen!

Da, horch! was ist's? was regt sich dort,
Wo Oede mit der Nacht im Bunde?
Ein Schatten gleitet dämm'rig fort
Es knistert in dem Waldesgrunde,
Jetzt huscht es hin auf steiler Höh',
So scheu, so flüchtig wie ein Reh,
Wenn hinter ihm die grimmen Hunde.

Ein Mädchen bahnt sich hier den Weg,
Trotz bietend all dem nächt'gen Grause.
Nicht schrecket sie der Schwindelsteg,
Des Gießbachs donnerndes Gebrause,
Der Sturm, der durch die Lüfte streicht!
Nun endlich ist ihr Ziel erreicht,
Sie pocht an Fatme's dunkle Klause.

Einlaß gewährend öffnet sich
Die Thür der schwacherhellten Halle.
Geräthe, seltsam, schauerlich,
Bedecken rings die Wände alle.
Es zeigt der Ampel trüber Schein
Den Todtenkopf, das Thiergebein,
Den Wolfszahn und des Uhu's Kralle.

Ans jedem Winkel nickt und grüßt
Ein Heer phantastischer Gestalten,
Und in dem Kreise, wirr und wüst,
Sieht sie ein Weib geschäftig walten.
Trotz Alter, Kummer, Mißgeschick
Flammt aus des Weibes Aug' ein Blick
Eindringend in der Seele Falten.

Sie wendet sich. Estrella's Herz
Pocht angstvoll unter ihrer Schaube.
Doch Jene ruft mit grellem Scherz:
»Kein Wunder, d'ran ich jetzt nicht glaube!
Was führt bei Regen, Nacht und Wind
Zu mir das schöne Grafenkind?
Ins Eulennest die weiße Taube?«

Mit leisem Ton beginnt die Maid:
»»Mir ist ein selig Loos gefallen!
Mit ihm, dem ich mein Herz geweiht,
Soll morgen zum Altar ich wallen!
Erreicht hab' ich der Wonne Höh'!
Doch hört ich oftmals: Schmerz und Weh,
Sie droh'n den Erdenkindern allen!

»»Und diese Angst ist's, die zu dir
Mich heimlich in der Nacht getrieben!
Was frommt mir jede Lebenszier,
Was frommt mir selbst Rodrigo's Lieben,
Wenn ich mir zitternd sagen muß,
Nur flüchtig sei des Glückes Gruß,
Und könne wie ein Traum zerstieben?!««

»Benütze denn die Gnadenfrist!
Was soll ich sonst dir offenbaren?«
»»O hör' mich! hör' mein Fleh'n! du bist
In jeder Zauberkunst erfahren:
So lehr' mich einen mächt'gen Bann,
So gieb mir einen Talisman,
Mein Glück auf ewig mir zu wahren!««

Es glüht ihr schönes Angesicht,
Zur Bitte faltet sie die Hände,
Der feuchte Glanz des Auges spricht:
Gewähre mir die Wunderspende!
Ein Lächeln spielt um Fatme's Mund,
Mit Wehmuth und mit Spott im Bund:
»Du willst ein Glück, das nimmer ende?

»In dieser stets bewegten Welt,
Wo, gleich der Fluth im Meeresschoße,
Des Schicksals Woge steigt und fällt,
Suchst du das ewig Wandellose?
Viel ist's, was du begehrst! – Wohlan.
Empfange hier den Talisman
Aus meiner Hand, du junge Rose!

»Gering an Werth scheint er dir wohl,
Doch muß selbst der Demant ihm weichen!
Es grub in diesen Karneol
Ein Magier geheime Zeichen.
Der Sterbliche, der ihn besitzt,
Ist vor des Unglücks Macht geschützt,
Und nimmer wird sein Stern erbleichen!

»Dein ist er! wenn nun Dornen auch
Sich scheinbar um dein Leben winden,
Du weißt: wie Dunst und Nebelhauch
Wird jede Trübung bald verschwinden!
Obsiegen wirst du jedem Feind,
Und was dir schon verloren scheint,
Du wirst es schöner wiederfinden!

»An deiner Brust verbirg den Stein!
Kein fremdes Auge darf ihn sehen!
Er labe deinen Blick allein,
Sonst ist's um seine Kraft geschehen.«
»»Hab' Dank! hab' Dank! Nimm hier dieß Gold
Es ist ein allzu armer Sold
Für meines Glückes Fortbestehen!««

Sie eilet heim. Des Morgens Licht
Stralt ihres Lebens schönstem Feste.
Mit treubesorgter Liebe spricht
Das Mutterherz, das angstgepreßte:
»Welch Loos wird meinem Kind zu Theil?«
»»O zittre nimmer für mein Heil!
Mein Glück ist eine sich're Veste!««

Es gleitet Jahr auf Jahr dahin,
Dem Heute gleicht nicht stets das Morgen,
Doch heiter bleibt Estrellas Sinn, –
Was hätte sie auch zu besorgen?
Wenn rauh und ungleich ihre Bahn,
Da blickt sie auf den Talisman,
Und fröhlich fühlt sie sich geborgen.

Wohl ist's ein großer, heißer Schmerz,
Der sie im Innersten durchschüttert,
Als, wankelhaft, Rodrigos Herz
Von neuer Liebe Hauch erzittert!
Allein ihr muthig Hoffen spricht:
»Ob auch der Sturm manch Zweiglein bricht,
Den Stamm läßt er doch unzersplittert.«

Und also kam's. Er, der, bethört,
Ein eitles Wahngebild umschlungen,
Zurück in ihre Arme kehrt
Er bald, von ihrem Werth bezwungen.
Nicht Groll und Harm, nicht Kampf und Müh',
Nein! Hoffnung war die Waffe, die
Ihr diesen werthen Sieg errungen. –

Von Feinden, Neidern rings umstellt,
Erliegt Rodrigo ihrer Tücke;
Im Kerker schmachten muß der Held,
Damit sein Glanz die Gegner schmücke.
Nicht wankt noch weicht Estrellas Muth!
Sie schwöret ihm bei Christi Blut:
»Ich baue dir die Rettungsbrücke!«

Mit starkem Herzen, festem Sinn,
Mit Worten, kühn wie Flammenschwingen,
Tritt vor des Königs Thron sie hin, –
Sie weiß, mit ihr ist das Gelingen!
Das stärkt, das kräftigt ihren Geist,
Und ihre zarte Hand zerreißt
Des Truges schlau gewob'ne Schlingen.

Nur einmal will die heitre Kraft,
Der sichre Muth sich ihr entwinden:
Ihr liebes Kind wird ihr entrafft,
Im Grabe sieht sie es verschwinden!
Doch sagte nicht die Zaub'rin einst:
Was als verloren du beweinst,
Du wirst es schöner wiederfinden?!

Aus Fatme's Mund sprach das Geschick!
Wie dürfte sie zu zweifeln wagen?
Und unter Thränen hebt ihr Blick
Sich himmelan, es flieht das Zagen.
Von still geheimem Trost erhellt,
Fühlt sie in einer höhern Welt
Die Seele ahnend Wurzel schlagen.

So hat der mächt'ge Talisman
Ihr Schicksal stets zum Heil gewendet!
Jetzt tritt der Tod an sie heran,
Er winkt, – sie stirbt! sie hat vollendet.
Und von dem Antlitz, bleich und schmal,
Ergießet sich ein Siegesstral,
Der glorienhaft das Auge blendet.

Noch lag auf ihrer Brust der Ring.
»Was mag es zu bedeuten haben,
Das wirr und kaus beschrieb'ne Ding?«
So fragten, die den Sarg umgaben.
Ein weiser Maure fand sich ein
Und sprach: »Es ist in diesen Stein
Das Wort nur »Zuversicht« gegraben!


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