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Es giebt klare und beweisfähige Bilder; aber es giebt deren andere, die weniger natürlich scheinen und die nur für diejenigen etwas beweisen, welche sonst schon überzeugt sind. Diese Bilder gleichen den Bildern derjenigen, welche auf ihre phantastische Auslegung der Apokalypse Prophezeiungen gründen. Der Unterschied dabei ist nur der, daß sie zu ihrer Stütze keine zweifellos echten haben. Folglich ist nichts ungerechtfertigter, als ihre Behauptung: die ihrigen seien ebenso gut begründet als einige der unsrigen; denn sie haben keine beweisfähige, wie wir. Das Spiel steht also nicht gleich. Man darf jene Dinge auch nicht egalisiren und vermischen, da sie, auf der einen Seite zwar scheinbar ähnlich, auf der anderen um so verschiedener sind.
Ein Hauptgrund, weshalb die Propheten die geistlichen Güter, welche sie verhießen, unter den Bildern zeitlicher Güter verhüllten, ist der, daß sie es mit einem fleischlichen Volke zu thun hatten, dem das geistliche Testament anvertraut werden sollte.
Jesus Christus ist vorgebildet in Joseph: der Liebling seines Vaters, von diesem zu seinen Brüdern gesandt, wird er, der Unschuldige, von seinen Brüdern um zwanzig Silberlinge verhandelt, und wird dadurch ihr Herr, ihr Heiland, der Heiland der Fremden, der Heiland der Welt; das würde nicht der Fall gewesen sein, hätten sie nicht in der Absicht ihn zu verderben ihn verkauft und verworfen.
Joseph der Unschuldige im Gefängnis zwischen zwei Verbrechern: Jesus am Kreuze zwischen zwei Übelthätern. Joseph verheißt dem einen sein Heil, dem andern unter denselben Auspicien den Tod: Jesus Christus rettet den einen, verläßt den andern trotz gleicher Verbrechen. Joseph sagt nur voraus: Jesus Christus vollbringt. Joseph bittet den, der gerettet werden soll, seiner zu gedenken, wenn er zu Ehren gekommen sei: derjenige, den Jesus Christus rettet, bittet diesen, seiner zu gedenken, wenn er in seinem Reiche sein werde.
Die Gnade ist das Vorbild der Herrlichkeit; denn sie ist nicht Endzweck. Sie wird vorgebildet durch das Gesetz und bildet ihrerseits die Herrlichkeit vor; jedoch so, daß sie zugleich ein Mittel ist sie zu gewinnen.
Die Synagoge ging keineswegs unter, denn sie war das Vorbild der Kirche; da sie aber nur das Vorbild war, verfiel sie in Knechtschaft. Das Vorbild dauerte bis zur Wahrheit, damit die Kirche stets sichtbar wäre: erst im Bilde der Verheißung, dann in der Wirklichkeit.
Um die Wahrheit beider Testamente mit einem Schlage zu beweisen, braucht man nur nachzusehen, ob die Prophetieen des einen in dem andern erfüllt sind. Um die Prophetieen prüfen zu können, muß man sie verstehen. Denn nimmt man an: sie hätten nur einen Sinn, so ist es sicher, daß der Messias noch nicht gekommen ist; haben sie aber einen doppelten Sinn, so ist es sicher, daß er in Jesu Christo gekommen.
Die ganze Frage ist also die: haben sie einen zwiefachen Sinn; sind sie Bilder oder Wirklichkeiten, d. h. darf man in ihnen noch etwas anderes suchen, als was man auf den ersten Blick sieht, oder muß man bei jenem ersten Sinne, den sie darbieten, stehen bleiben?
Sind Gesetz und Opfer die Wahrheit, so müssen sie Gott gefallen und dürfen ihm nicht mißfallen; sind sie Bilder, so müssen sie ihm gefallen und mißfallen.
Nun gefallen und mißfallen sie ihm in der ganzen heiligen Schrift: also sind es Bilder.
Um klar zu sehen, daß das alte Testament nur bildlich ist, und daß die Propheten unter den zeitlichen Gütern andere verstanden, braucht man nur darauf Acht zu geben, daß es, erstens, Gottes unwürdig sein würde, die Menschen nur zum Genuß irdischer Glückseligkeiten zu berufen. Zweitens, daß die Propheten in ihren Reden die Verheißung zeitlicher Güter klar aussprechen und nichtsdestoweniger behaupten, ihre Reden seien dunkel, und ihr Sinn sei nicht der, welchen sie offen aussprächen, und man werde ihn erst verstehen am Ende der Zeiten. (Jerem. 23, 22. 30, 24.) Sie wollten also sprechen von anderen Opfern, von einem anderen Erlöser, etc.
Schließlich ist zu beachten, daß ihre Reden sich widersprechen und gegenseitig aufheben, wenn man glaubt, sie hätten unter den Worten »Gesetz« und »Opfer« nur das mosaische Gesetz und die mosaischen Opfer verstanden; und es würden sich so in ihren Büchern, ja zuweilen in ein und demselben Kapitel offenbare und handgreifliche Widersprüche vorfinden. Daraus folgt, daß sie darunter etwas anderes müssen verstanden haben.
Es ist gesagt: das Gesetz werde verändert werden; das Opfer werde verändert werden; sie würden ohne Könige sein, ohne Fürsten und ohne Opfer; es werde ein neuer Bund gemacht werden; das Gesetz werde erneuert werden; die Gebote, welche sie empfangen, seien nicht gut; ihre Opfer seien abscheulich; Gott habe deren keins verlangt.
Andererseits ist wiederum gesagt: das Gesetz werde ewiglich dauern; dieser Bund werde ein ewiger sein; das Opfer werde ewig sein; das Scepter werde niemals von ihnen weichen, es solle nicht von ihnen weichen ehe nicht der ewige König gekommen. Bezeichnen alle diese Stellen dies als Wirklichkeit? Nein. Bezeichnen sie es als Bild? Nein: dahingegen, daß es Wirklichkeit oder Bild ist. Aber die ersteren schließen die Wirklichkeit aus und bezeichnen es nur als Bild.
Alle diese Stellen zusammen können nicht von der Wirklichkeit gesagt sein: alle können vom Bilde gesagt sein: also sind sie nicht von der Wirklichkeit, sondern vom Bilde gesagt.
Um zu wissen, ob das Gesetz und die Opfer Wirklichkeit oder Bild sind, muß man zusehen, ob die Propheten, wenn sie von diesen Dingen sprechen, ihren Blick und ihre Gedanken darauf verweilen lassen so, als sähen sie in ihnen nur den alten Bund; oder als ob sie noch etwas anderes in ihnen sähen, dessen Bild sie sein sollten; denn das Bildnis zeigt den abgebildeten Gegenstand. Dazu braucht man nur ihre Worte zu prüfen.
Wenn sie sagen der Bund werde ewig sein, wollen sie damit auf den hindeuten, von dem sie sagen, er werde verändert werden? Dasselbe gilt von den Opfern, etc.
Die Propheten haben deutlich ausgesprochen: Israel sei stets von Gott geliebt; das Gesetz werde ewig sein; zugleich aber haben sie gesagt: man werde ihren Sinn nicht verstehen, er wäre verschleiert.
Die Geheimschrift hat zwiefachen Sinn. Wenn man einen wichtigen Brief abfängt, in welchem man einen klaren Sinn findet, und in dem nichtsdestoweniger gesagt ist, der Sinn sei verhüllt und verdunkelt; er sei so verborgen, daß man den Brief sehen werde, ohne ihn zu sehen, daß man ihn verstehen werde, ohne ihn zu verstehen; was soll man anderes denken, als daß es eine doppelsinnige Geheimschrift sei, und das um so mehr, als man in dem wörtlichen Sinne handgreifliche Widersprüche findet. Wie hoch muß man diejenigen ehren, welche uns die Geheimschrift enträthseln und den verborgenen Sinn verstehen lehren; zumal, wenn die Grundsätze, die sie daraus entnehmen, durchaus natürlich und klar sind. Das haben Jesus Christus und die Apostel gethan. Sie haben das Siegel gebrochen, den Schleier zerrissen, den Geist enthüllt. Dazu haben sie uns gelehrt, daß die Leidenschaften die Feinde der Menschen seien; daß der Erlöser geistlich sei; daß sein Kommen ein zwiefaches sei: das erste in Niedrigkeit, um den stolzen Menschen zu demüthigen; das zweite in Herrlichkeit, um den gedemüthigten Menschen zu erhöhen: daß Jesus Christus Gott und Mensch sein werde.
Jesus Christus hat nichts anderes gethan, als die Menschen gelehrt, daß sie sich selbst liebten, und daß sie Sklaven, Blinde, Kranke, Unglückliche und Sünder seien; daß er sie erlösen, erleuchten, heilen, und selig machen müsse; daß dies geschehe, indem man sich selbst hasse, und indem man ihm durch Elend und Kreuzestod nachfolge.
Der Buchstabe tödtet: alles geschah bildlich: Christus mußte leiden: ein erniedrigter Gott: Beschneidung des Herzens: wahre Fasten: wahres Opfer: wahrer Tempel: zwiefaches Gesetz: zwiefache Gesetzestafel: zwiefacher Tempel: zwiefache Gefangenschaft: das ist die Geheimschrift, die er uns gegeben.
Er hat uns schließlich gelehrt, daß alle diese Dinge nur Bilder seien; und was wahrhaft frei, ein wahrer Israelit, wahre Beschneidung, wahres Himmelsbrot sei etc.
In diesen Verheißungen findet ein jeder seinen tiefsten Herzenswunsch: zeitliche Güter, oder geistliche Güter; Gott oder die Creaturen: jedoch mit der Unterscheidung, daß, wer die Creaturen darin sucht, sie findet, indeß mit manchen Widersprüchen, mit dem Verbot sie zu lieben, mit dem Befehl nur Gott anzubeten und nur ihn zu lieben, während wer Gott darin sucht ihn findet und zwar ohne Widerspruch und mit dem Gebot nur ihn zu lieben.
Die Quellen der Widersprüche in der heiligen Schrift sind: ein Gott erniedrigt bis zum Tode am Kreuze, ein Messias durch seinen Tod über den Tod triumphirend, zwei Naturen in Jesu Christo, zweimaliges Kommen, zwei Naturen im Menschen.
Wie man den Charakter eines Menschen nicht richtig zeichnen kann, als indem man alle Widersprüche ausgleicht; und wie es nicht genügt eine Reihe übereinstimmender Charakterzüge zu schildern, ohne damit die entgegengesetzten vereinigt zu haben; so muß man, um den Sinn eines Autors zu verstehen, alle widersprechenden Stellen zu vereinigen suchen.
So muß es, will man die Schrift richtig verstehen, einen Sinn geben, in dem alle widersprechenden Stellen harmonisch zusammenklingen. Es genügt nicht, einen Sinn gefunden zu haben, der zu mehreren übereinstimmenden Stellen paßt; man muß einen haben, der selbst widersprechende Stellen vereinigt.
Jeder Autor hat einen Sinn zu dem alle widersprechenden Stellen passen, oder er hat gar keinen Sinn. Dies kann man nun zwar von der heiligen Schrift und den Propheten nicht behaupten. Sie hatten wahrlich einen nur zu guten Sinn. Man muß also dafür einen suchen, der alle Widersprüche ausgleicht.
Der wahre Sinn ist nicht der der Juden. Aber in Jesus Christus sind alle Widersprüche gelöst.
Die Juden wußten das Ende des Königthums und der Herrschaft, verkündigt durch Hosea, nicht in Einklang zu bringen mit der Weissagung Jacobs. cf. VII: le sceptre ne sortira jamais d'avec eux.
Hält man das Gesetz, die Opfer, das Königthum für endgiltige Wirklichkeiten, so kann man unmöglich alle Stellen ein und desselben Schriftstellers vereinigen, ja nicht einmal ein und desselben Buches, ja zuweilen nicht ein und desselben Kapitels. Das zeigt hinlänglich den Sinn des Autors.
Es war durchaus nicht erlaubt außerhalb Jerusalem, dem Orte, den der Herr erwählt hatte, zu opfern, noch anders wo auch nur die Zehnten zu essen.
Hosea hat vorausverkündigt: sie würden ohne König, ohne Fürsten, ohne Opfer, ohne Heiligthum sein; das ist heutzutage erfüllt: die Juden können außerhalb Jerusalems kein rechtmäßiges Opfer darbringen.
Wenn Gottes Wort, welches wahrhaftig ist, dem Buchstaben nach falsch ist, so ist es sicherlich geistlich zu verstehen. Sede a dextris meis. Das ist falsch, buchstäblich aufgefaßt; es ist wahr geistlich. In solchen Ausdrücken redet Gott in der Weise der Menschen; und damit ist nichts anderes gesagt, als daß die Absicht, welche die Menschen dabei haben, wenn sie jemand zu ihrer Rechten setzen, auch die Gottes ist. Es ist also nur eine Versinnbildlichung der Absicht Gottes, nicht seiner Art sie auszuführen.
Ebenso wenn gesagt ist: Gott hat angenommen den Geruch eures Rauchopfers und wird euch zum Lohne geben ein fruchtbares Land, ein Land des Überflusses; so heißt das: dieselbe Absicht, die ein Mensch haben würde, der erfreut durch euer Rauchwerk, euch zum Lohn ein Land des Überflusses gäbe, dieselbe hat Gott für euch, dieweil ihr für ihn die gleiche Gesinnung gehegt habt, wie ein Mensch sie für den hat, dem er Rauchwerk darbringt.
Der einzige Gegenstand der Schrift ist die Liebe. Alles was nicht auf das einzige Ziel geht ist ein Bild davon: denn, da es nur ein Ziel giebt, so ist alles Bild, was nicht mit eigentlichen Worten darauf hinweist.
Gott spricht also dies einzige Gebot der Liebe so verschieden aus, um unserer Schwäche, welche die Abwechslung erstrebt, zu genügen und zwar durch jene Verschiedenheit, welche uns stets zu dem führt, was allein noth thut. Denn nur eins ist noth, und wir lieben die Abwechslung; und Gott befriedigt beides durch jene Verschiedenheiten, welche zu dem führen, was allein noth thut.
Die Rabbinen erklären die Brüste der Braut bildlich und ebenso alles, was nicht ihr einziges Ziel ist, nämlich die zeitlichen Güter.
Einige von ihnen haben recht wohl erkannt, daß der Mensch keinen anderen Feind hat, als die sündliche Begierde, die ihn von Gott abwendet, und nur ein Gut, nämlich Gott, nicht aber ein fruchtbares Land. Die da glauben, das Glück des Menschen bestehe in Fleischlichem, und das Übel in der Störung ihrer Sinnesfreuden: die mögen sich daran ersättigen und darin sterben. Diejenigen aber, welche Gott von ganzem Herzen suchen, welche kein anderes Leid kennen, als seines Anblicks beraubt zu sein; die keine andere Sehnsucht haben, als ihn zu besitzen, und keine anderen Feinde, als welche ihn von ihm abwenden; die es bekümmert, sich von solchen Feinden umringt und beherrscht zu sehen: die mögen sich trösten; für sie giebt es einen Erlöser; für sie giebt es einen Gott. Ein Messias ist verheißen, uns von den Feinden zu erlösen; es ist ein solcher gekommen, uns von der Ungerechtigkeit zu erlösen, nicht aber von den Feinden.
Wenn David verheißt, der Messias werde sein Volk von seinen Feinden befreien, so kann man in fleischlichem Sinne glauben, daß damit die Egypter gemeint seien; dann wüßte ich allerdings nicht zu beweisen, daß die Verheißung erfüllt sei. Ebenso gut aber kann man glauben, daß die Ungerechtigkeiten gemeint seien. Denn wahrlich, die Egypter sind keine Feinde, aber die Ungerechtigkeiten sind es. Das Wort »Feinde« ist also zweideutig.
Wenn er aber ebenso wie Jesaias und die anderen dem Menschen sagt, wie er es auch thut, er werde sein Volk von seinen Sünden befreien, so ist die Zweideutigkeit aufgehoben, und der zwiefache Sinn von »Feinde« auf den einfachen von »Ungerechtigkeiten« zurückgeführt; denn wenn er die Sünde im Sinne hatte, so konnte er sie recht gut als »Feind« bezeichnen; wenn er aber an Feinde dachte, konnte er sie nicht mit »Ungerechtigkeiten« kennzeichnen.
Nun aber gebrauchen Moses, David und Jesaias dieselben Ausdrücke. Wer möchte denn behaupten, sie hätten nicht denselben Sinn, und der Sinn Davids, der offenbar die Ungerechtigkeiten meint, wenn er von Feinden spricht, sei nicht derselbe, wie wenn Moses von Feinden spricht.
Daniel (Cap. 9) betet um die Befreiung des Volkes aus der Gefangenschaft ihrer Feinde; aber er dachte an die Sünden: und um dies deutlich zu machen, sagt er: Gabriel kam ihm zu verkündigen, daß er erhört sei und nur sieben Wochen zu warten brauche; alsdann würde das Volk von der Ungerechtigkeit befreit sein, die Sünde ein Ende nehmen; und der Erlöser, der Heilige der Heiligen würde die ewige Gerechtigkeit bringen, nicht die gesetzliche, sondern die ewige.
Ist dies Geheimnis nur ein Mal erschlossen, so ist es unmöglich es nicht zu erkennen. Von diesem Gesichtspunkte aus lese man das alte Testament, und man überlege, ob die Opfer wahr, ob die Vaterschaft Abrahams der wahre Grund von Gottes Freundschaft, ob das Land der Verheißung der wahre Ort der Ruhe gewesen. Nein. Also waren es Bilder. Ebenso untersuche man alle die befohlenen Gebräuche, und alle Gebote, die nicht auf Liebe hinausgehen, und man wird finden, daß sie nur ihre Bilder sind.