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IV.
Merodach

Heute ist die Prinzessin Este für jeden zu sehen: die Bronzetüren des Palastes sind weit geöffnet. In dem halbkreisförmigen Hofe erscheinen, unter dem Himmel von feinem Grau, die korinthischen Pfeiler traurig und die Fresken trübe. Die im Lack glänzenden Equipagen wenden geometrisch auf dem Sande, der knirscht.

Neben dem monumentalen Kamin, in dem ein Eichenstamm flammt, steht die Prinzessin, ihren langen Oberkörper gerade haltend: sie sieht vornehm aus unter dem Ciborium ihres Katheders. Ein Kleid mit bauschigen Aermeln, mit vielen Falten, hüllt sie in einen dieser wunderbaren und gebrechlichen Töne von violetter Perlmuttfarbe, wie sie das Anilin gibt. Wer den Palast Sciarra gesehen hat, denkt sofort an das Gemälde »Bescheidenheit und Eitelkeit«. Nach diesem Vinci ist sie gekleidet und hält sie sich.

Zwanzig Katheder, ihrem ähnlich, mit Schemeln abwechselnd, bilden ein Hufeisen. An den mit feurigen Farben bespannten Wänden zieht sich die architektonische Mauerkappe der Renaissance. Aus umgekehrten und auf Panfüße gestellten Helmen kommen seltene Blumen. Die Quattrocentisten, die göttlichen Primitiven setzen die Augen in Erstaunen.

Die Prinzessin liebt es dort zu empfangen; nicht aus Prahlerei; aber es macht ihr Spaß, zu sehen, wie die an die ungezwungene Haltung gewöhnten Leute linkisch werden durch die Möbel, die ihrer spotten.

Die Frauen mit ihren modernen Toiletten, ihren kleinen lebhaften und häufigen Gebärden, ihren hübschen Larven, ihrer stillosen Schönheit, scheinen verkleidete Pagen, nicht große Damen zu sein.

Die Männer, von banaler Vornehmheit, lassen durch ihre körperliche Nichtigkeit die seelische Nichtigkeit sehen. Man könnte sie für Heuchler eines albernen Lasters halten.

In Kniehosen, in himmelblauer Livree, die mit Silber und Gold betresst ist, meldet ein Diener mit halblauter Stimme an.

Die Prinzessin geht jeder Dame entgegen, mit einem langsamen Schritt, der zuvorkommend aussieht. Sie drückt die behandschuhten Hände, mit katzenartigen Gebärden, mit abgerissenen und entzückten Worten, die in ihrer Herzlichkeit kindlich sind.

Es sind schon Leute da; doch das Gespräch bleibt zurückhaltend. Jeder sagt ein Wort, fast der Reihe nach, ein gemessenes und leeres Wort. Alle drei Minuten könnte man an eines dieser Schweigen glauben, welche die Haltung zum Gefrieren bringen. Nein! Alle gehören zu sehr zum alten Adel, um in dem Spiel, die leeren Phrasen eines Empfanges mit Wirkung und Methode zu sagen, sich etwas zu vergeben. Geschickt, senden sie den Federball zurück: kindliche Auskunft, treuloser Wink, dumme Bemerkung, alberne Idee, scheinheiliges Wort. Die Sprache ist da so einfach wie eine Kirche der Hugenotten: keine von diesen Kühnheiten des Ausdrucks, welche die Medaille eines Gedankens prägen. Das läuft wie das destillierte Wasser einer Rede von Montyon Montyon, 1733-1820, stiftete den »Tugendpreis«.; nur wird das viel besser gesagt. Im Adelsviertel Saint-Germain gehört jeder etwas zur Akademie und auch zur Comédie. Die abgeschwächte Aussprache der männlichen Endungen umgeht die kraftvollen Bindungen. Den Eigennamen werden ihre Konsonanten genommen. Wie sie die Bilder färben und die Vokabeln wählen, verdoppelt die Nichtigkeit der Sprache die des Denkens. Ein Orchester von Tauben, die Geige spielen, ohne daß der Bogen die Saiten berührt. Einen Augenblick das Pizzicato eines halben Lachens: eine Frau wurde von einem lebhaften, mit leiser Stimme gesprochenen Worte gekitzelt. Dann wird alles wieder tonlos.

Der Palast Malatesta stach von den Häusern des linken Ufers ab wie ein Tizian von den Carraccios. Die Prinzessin sprach wie ein Mann und man traf bei ihr Leute von Geist und Kunst, die den Adel verscheucht hätten; aber das fünffache Wappen des Hauses lockte noch mehr.

Ehrbare Frauen, die mit Lebemännern plaudern, bitten diese immer um Auskunft über die Dirnen, zu dem Zweck, ihre Koketterie zu erhöhen und sich über das Böse zu unterrichten.

Man sprach über die Nina, die offizielle Geliebte des Prinzen von Courtenay.

– Lassen Sie sich zu einem dieser geheimnisvollen Sonntagsessen einladen, sagte Frau von Chamarande zu Nonancourt.

– Unmöglich! Dort gibt es nur sechzehn Gäste, wie es nur vierzig Akademiker gibt: das ist ein Freimaurerorden. Aus unserm Kreise ist dort nur der Herzog von Nimes, der lügt, und Quéant, der schweigt.

– Es sollen dort furchtbare Dinge vor sich gehen, zierte sich Frau von Semys.

– Ach nein, bemerkte Sennevoy, es ist nur eine Frau dabei, und zwar als Mann.

– Sie kennen die Nina, Herr von Chaumontel? fragte man.

– Vom Sehen kennt jeder sie; sonst, fast niemand.

– Ich begreife nicht, sagte die Herzogin von Noirmoutier, wie man eine Frau lieben kann, die einem Manne gleicht.

– Aber gerade deshalb liebt man sie, bemerkte die Prinzessin.

Der Baron von Plélan trat ein.

– Nun, Herr von Rastignac Balzac, Glückshaut, Vater Goriot …, sagte Leonora zu ihm, Sie sollten etwas Neues wissen, da Sie zu dem Gefolge Satans gehören …

– Satan, Hoheit, wird nicht mehr herausgegeben: Sie sind die Uebersicht seiner sämtlichen Werke.

Die Prinzessin lächelte, weder geschmeichelt, noch gekränkt.

– Seine königliche Hoheit, Prinz von Courtenay.

Sie erhob sich.

– Oh, Prinzessin, Sie erheben sich für mich.

Hinter dem Prinzen kam ein starker stämmiger Mann mit lebhaftem Gesicht.

– Kusine, ich stelle Ihnen Herrn Marcoux vor, Direktor des »Neuen Frankreich«, Bankier und Verschworener, dem heiligen Adel ergeben, der den König durch einen Börsenkrach zurückführen will.

– Mein Herr, so vorgestellt zu werden, heißt willkommen sein; aber ich begrüße Ihre Person, nicht Ihr Unternehmen.

– Um so schlimmer, erwiderte Marcoux offen; das ist das Gegenteil von dem, was ich gewollt habe.

– Ihr Unternehmen, begann die Prinzessin, ihm einen Schemel ihr gegenüber anweisend, erscheint mir zunächst gefährlich, weil es vor dem Erfolg sich in einen katholischen und monarchischen Charakter kleidet. Wenn es Ihnen nicht gelingt, wird der Mißerfolg auf die Partei zurückfallen, deren Farben Sie getragen haben. Unser Ruf der Unfähigkeit steht fest genug: wir brauchen ihn nicht erst zu rechtfertigen.

Marcoux machte eine Gebärde, um zu protestieren, daß er kein gewöhnlicher Spekulant sei.

– Ich will glauben, was man mir gesagt hat, fuhr sie fort, daß Sie ein Träumer sind; aber wenn das Sie als Mensch erhöht, verkleinert das Sie als Bankier! Sie sind einer von diesen Lateinern, die alles erobern wollen, weil sie sich als die Letzten einer Rasse fühlen, die verfällt und endet. Aber wissen Sie nicht, daß der Südländer, fähig, Meisterwerke und Gesetze zu schaffen, unfähig in den Zahlen ist? Das ist eine Rassenfrage! Die Börse gehört den Semiten: diese werden eine große arische Bank nicht blühen lassen.

– Als Rasse der geborenen Wucherer haben die Juden niemals etwas anderes verstanden, als das Gold schwitzen zu lassen, sagte Herr von Genneton.

– Die Juden haben die Bibel und die Kabbala geschaffen, eine schöne Poesie und eine hohe Metaphysik. Sie sind ein Ignorant, Herr von Genneton, antwortete Leonora trocken.

– Da zeigt sie, daß ihre Strümpfe blau sind, flüsterte Frau von Breuvannes.

– Prinzessin, sagte Marcoux, sich erhebend, ich bedauere, daß Sie nicht zu uns gehören. Ich, ich glaube an meine Idee, und an seine Idee glauben, hat jemand gesagt, ist Genie.

Er grüßte tief und ging.

– Sie haben ihn aus der Fassung gebracht, bemerkte Courtenay.

– Glaubten Sie, ich würde dieser neuen Art des Irrsinns schmeicheln?

– Fräulein Corysandre d'Urfé, meldete der Diener.

– Guten Tag, Patin, sagte das junge Mädchen zur Prinzessin.

Dann wandte sie sich zum Prinzen:

– Mein Pate, Merodach, den ich gezwungen habe, mich zu begleiten, will nicht eintreten; er ist im Atrium geblieben, um mit Sarkis zu plaudern.

– Sagen Sie ihm, daß ich ihn sehen möchte, Corysandre.

– Sie glauben, er wird auf mich hören, Patin?

– Merodach, sagte der Prinz, ist sehr wild und verabscheut die Welt.

– Es gibt Welt und Welt, sagte Frau von Chamarande, geborene Sophie Durand.

– Oh, erwiderte der Prinz, seine große Welt ist die übernatürliche Welt.

– Ist er Spiritist? Zauberer? rief man, plötzlich neugierig geworden.

– Nein, Magier, antwortete Courtenay; aber wenn er wüßte, daß ich es Ihnen gesagt habe.

– Vetter, bat die Prinzessin, tun Sie mir den Gefallen, ihn zu holen; sagen Sie ihm, daß ich ihn sogar davon entbinde, mich zu begrüßen.

Der Prinz ging und kehrte nach einer Weile zurück, einen jungen Mann am Arme führend, über dessen Aussehen die Anwesenden erstaunten.

Seine langen und welligen Haare verschleierten die Stirn unter ihren Ringeln, wie Efeu die Spitze eines Turmes, einen schwarzen Nimbus um seinen Kopf bildend. Seine Augen, fast übergroß, betrachteten langsam, aber starrten unangenehm, trotzdem sie sanft waren. Unter der Nase, die halb syrisch gebogen war, funkelte der blutrote Mund im Kohlschwarz des in zwei Spitzen auslaufenden Bartes. Ein mantelartiger Ueberwurf ohne Aermel umhüllte seine Schlankheit wie eine Mönchkutte.

Er hielt einen puritanischen Filzhut in der Hand und trug keine Handschuhe.

– Mein Herr, empfing ihn die Prinzessin, ein Prinz muß Sie holen.

Er verbeugte sich, ohne zu antworten, und grüßte Fräulein von Urfé.

Leonora wies ihm einen Katheder.

»Er entstellt wenigstens die Möbel nicht,« dachte sie, als sie sah, wie er sich setzte.

– Ihr Name könnte glauben lassen, daß Sie von jenen assyrischen Königen abstammen, den Vorfahren Nimrods, aus denen man Götter gemacht hat.

– Meine Herren, verkündete Courtenay, wir sind hier alle nur Bauernlümmel.

– Prinzessin, sagte Merodach mit ernster Stimme, das ist möglich; doch welche Nahrung für meinen Stolz ist der Wert ungewisser Ahnen?

Dieses Wort, das auf die Anwesenden zielte, traf sie und verletzte sie.

– Es gibt keine höhere Befriedigung, als von großen Vorfahren abzustammen, warf Herr von Montessuy ein.

– Ja, erwiderte Merodach, wenn man sie fortsetzt. Stamme ich von den ersten Königen Assyriens, muß ich ihrer würdig sein! Aber wenn ich sie nicht erreiche?

– Das Ansehen des Adels …, rief Herr von Plélan aus.

– Jeder gebildete Geist unterliegt ihm, fiel ihm Merodach ins Wort. Wenn man Herrn Bouillon anmeldet, denke ich ans Gasthaus; wenn man Herrn von Bouillon anmeldet, denke ich an die Kreuzzüge. Wenn aber Herr von Bouillon mittelmäßig ist, scheint mir dieser Nachkomme der Kreuzfahrer tiefer zu stehen und weniger zu entschuldigen zu sein … als der Gastwirt. Ja, die Edelleute sind mit den Seiten der Geschichte bekleidet; nur will dieses Kostüm so getragen werden … (Er zeigte auf Leonora.) Noblesse oblige: wer das vergißt, dessen Wappenschild neige sich nach links und der Löwe seines Wappens sei beschimpft: er ist schlimmer als ein Bastard, ein Verräter.

– Wozu ist der Adel unter einer Republik verpflichtet? fragte Herr von Genneton.

– Sie zu stürzen, antwortete Merodach.

– Das ist so leicht, nicht wahr? rief Nonancourt aus.

– Nichts ist leicht, mein Herr, nicht einmal das Fangspiel, nicht einmal die deutsche Philosophie …

– An dem Tage, an dem der Adel seinen Degen in der Waffensammlung aufhängt, hat er abgedankt, entschied Courtenay und ergoß sich in Bitterkeiten über den Grafen Chambord.

– Man richtet den König nicht, rief die Herzogin von Noirmoutier aus, die mit Blanc de Saint-Bonnet an das Gottesgnadentum glaubte.

Merodach lächelte.

– Ich bin Monarchist, weil ich kirchlich bin; aber die Krone würde mir nicht die Eselsohren verbergen. Einen König, der seinen königlichen Beruf nicht ausübt oder nicht kennt, setzt man sanft ab … ein verlassener Thron, ein Thron, auf den man wartet, sind verlorene Throne. Es gibt Jakob II., vor der Unterschrift. Ah, wem die Vorsehung ein Prinzip in die Hand gegeben hat und wer an dieses Prinzip glaubt, der muß triumphieren oder sterben. Den Königen gebührt der Purpur: wenn man ihnen den weigert, sollen sie sich ihn mit ihrem Blute schaffen. Den Königen gebührt Geschichte: wenn die Ereignisse sich dem widersetzen, sollen sie mit ihrem unnötigen Degen wenigstens eine Seite schreiben, die ihres Todes.

Ein großes Schweigen entstand nach dieser Rede.

Die Herzogin von Noirmoutier brach es:

– Der erste ehrenwerte Mann Frankreichs sein, bedeutet würdig sein, es zu regieren.

– Jedem die Tugenden seines Standes, erwiderte Merodach. Ein guter Vater, ein guter Gatte sein, genügt dem Bürger; der König ist der Vater eines Volkes und der Gatte einer Nation. Seine Pflichten gegen das Land kommen vor den persönlichen. Der König muß königlich sein, sonst betrachte ich ihn, wie Sie mich betrachten, meine Dame.

– A fortiori, gab die Prinzessin boshaft zu verstehen, der Adelige, der keine adelige Handlung begeht, existiert nicht in Ihren Augen.

Merodach nickte zustimmend mit dem Kopfe.

– Woraus lassen Sie denn den Adel bestehen? fragte Herr von Chamarande.

– Aus dem Adel des Geistes und dem Adel der Aufopferung. Sich einer Idee, einer Sache, dem Nächsten opfern, heißt dem Erlöser nachahmen; und einen Gedanken in einem Werke offenbaren, heißt die Seele zeigen. Der Adel ist Kopf oder Herz, Meisterwerk oder Tugend. Wer wird leugnen, daß Benoît Labre edler ist als ein Bourbone?

Man protestierte.

– Hüten Sie sich! Die Kirche hat ihn heilig gesprochen: er ist für die Ewigkeit geadelt. Und glauben Sie etwa, daß alle italienischen Fürsten einen Dante aufwiegen?

– Zum ersten Male hört man das im Faubourg Saint-Germain, rief Frau von Noirmoutier.

– Um so schlimmer für den Adel! Weil er das nicht begriffen hat, ist der Adel weder im Herzen von Paris noch im Herzen von Frankreich, sondern im faubourg, im Vorort, im eigentlichen wie im bildlichen Sinne.

– Ich, sagte die Prinzessin, habe weder die Tugend von Labre noch das Genie von Dante …

– Sie haben die ganze Verderbtheit Ihrer Rasse, die nur verderbt gewesen ist; Sie setzen Ihre Ahnen fort.

Leonora lachte belustigt.

– Tun Sie mir den Gefallen, ein Horoskop zu stellen, da man Sie Zauberer nennt …

– Graf Rochenard, meldete der Diener.

Mit erregtem Gesicht grüßte er, ohne zu lächeln.

– Prinzessin, meine Damen, Sie sehen einen Mann mit zerrissenem Herzen. Dieser arme Graf Kerdanes hat mich herausgefordert …

– Und hat sich in Ihrem Degen aufgespießt, unterbrach ihn Merodach.

Der Graf drehte sich lebhaft um.

– Sie haben eine verhängnisvolle Hand, sagte der junge Mann.

– Möchten Sie die erproben?

Merodach lächelte, ohne zu antworten.

– Das war ein Edelmann, wenn auch gefallen, sagte der Prinz.

Man heuchelte Mitleid mit dem Grafen Kerdanes.

– Da sind meine Hände, sagte die Prinzessin zu Merodach; sagen Sie mir eine Sache aus der Vergangenheit, eine Sache aus der Gegenwart, eine Sache aus der Zukunft.

Merodach erhob sich, nahm die Hände Leonoras und prüfte sie, ohne sich zu bewegen.

– Sie haben nicht geliebt, Sie lieben nicht, Sie werden einen Priester lieben, und dann einen Epheben, verkündete er.

Leonora fing an zu lachen.

– Sie sind ein besserer Denker als wirklicher Zauberer.

Merodach grüßte sie, als wolle er gehen.

– Warten Sie, Herr von Assyrien, ich habe etwas bekannt zu machen, das Sie angeht: ich gebe einen großen Ball, am Montag vor Fastnacht, und ich möchte Sie dort sehen.

Merodach wollte höflich ablehnen, als die Marquise Trinquetailles, eben eingetreten, ausrief:

– Ich komme gerade, wenn es interessant wird, und das Kostüm nach Wahl!

Ein Vikar von St.-Thomas-d'Aquin erschien, der verhindert hatte, daß man ihn anmeldete.

– Ich habe nichts gehört, sagte er.

– Ach, Abbé, stellte ihn die Prinzessin zur Rede, Sie, mit Ihrer Sutane, Sie sind ganz verkleidet.

– Hoheit, warum scherzen Sie?

– Sie sind doch kein Dogma, Sie gehören zu denen, welche die Dogmen verderben.

– Ich bin also ein schlechter Priester?

– Ja, Sie sind ein weltlicher Priester.

– Wenn wir nicht zur Welt gingen, die Welt würde nicht zu uns kommen.

– Noli ire, fac venire Wolle nicht gehen, mache kommen., sagte Merodach.

– Ich stelle Ihnen, Abbé, einen Assyrer vor, den Herrn Merodach, der uns seine Gedanken über den Adel gesagt hat: er würde Sie nicht ergötzen, wenn er seine Gedanken über die Geistlichkeit sagte.

– Der Herr ist Freidenker?

– Ich bin der gehorsame Sohn der katholischen, apostolischen und römischen Kirche; aber Dogma und Geistlichkeit sind zweierlei. Es ist der heilige Christoph, der Jesus trägt, und ich finde, daß er ihn schlecht trägt: diese Geistlichkeit, die nicht einmal eine Geistigkeit ist und ihre Pflicht für erfüllt hält, wenn das Brevier gelesen ist.

– Was wollen Sie denn? fragte der Abbé.

– Daß sie weise genug sei, um den Irrtum zu Schanden zu machen, und heilig genug, um der Verleumdung den Mund zu stopfen.

– Ach was, es kann nicht nur Heilige und Weise geben, wie Vincent von Paula und Thomas von Aquino.

– Alle, die weder weise noch heilig sind, mögen die Kutte ausziehen: sie sind mittelmäßig, also schädlich.

– Aber wie ergänzen Sie die notwendige Geistlichkeit?

– Die Kirche würde eher die Kirche sein mit zwei Heiligen, dem einen, um die Messe zu lesen, dem andern, um sie zu bedienen, als mit dem Schwarm von Mittelmäßigkeiten, die den Katholizismus vernichten.

– Sie haben Ihr Teil, Abbé, sagte die Prinzessin.

Sie wandte sich zu dem jungen Manne:

– Ihr Wort erinnert an die Holzwaffe, die Ihre Ahnen auf den Basreliefs von Khorsabad halten. Aber wie leben Sie?

– Ich lebe für mich.

– Welches ist Ihre Stellung? fragte die Marquise de Trinquetailles.

– Und welches ist Ihre?

– Ich, sagte sie erstaunt, ich bin Marquise.

– Prinzessin, ich danke Ihnen für Ihren Empfang: er ist verdienstlich.

– Durchaus nicht; ich mache zum Teil dieselben Ansprüche wie Sie; ich kann mich also Ihre Verbündete nennen … Ich erwarte Sie auf meinem Ball.

– Vielleicht, antwortete Merodach.

Er grüßte Corysandre, drückte Courtenay die Hand und ging.

– Das ist jemand, dieser Assyrer …

– Mit schlechten Manieren, bemerkte Rochenard.

– Aber gutem Auge, sagte die Prinzessin, ihn eigentümlich betrachtend.


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