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V.
Die Versuchung

In einer wollüstigen Unruhe machte die Prinzessin Este, vielleicht zum fünfzigsten Male, die Runde in ihrem kreisförmigen Boudoir, in der Langsamkeit ihrer bedächtigen Schritte einer thessalischen Hexe ähnlich, welche die Gebräuche des Liebeszaubers beginnt. Kein Taumel, weder des Körpers in seiner Umdrehung des Mühlenpferdes, noch des Gedankens am Rande des Verbrechens.

Von einer tollen und plötzlichen Lust erfaßt, ihren Mönch in dem verweichlichenden Zwiegespräch des Boudoirs sich gegenüber zu haben, hatte sie geschrieben:

»Die Prinzessin Este hat die größte Lust zu einer kasuistischen Unterhaltung. Damit die Zeit nicht für die Barmherzigkeit verloren ist, wird sie dem Pater Alta dreißigtausend Franken für seine Armen geben gegen zwei Stunden seines heutigen Nachmittags.«

Sie wartete in einer wunderbaren Tracht von Wollüstigkeit. Ihr Kleid bestand nur aus über einander gelegten Spitzen, welche die Haut fast überall hindurchschimmern ließen. Diese verschleierten Blößen, eine Erfindung des Lasters, machten die bis zum Hals hinaufgehende Toilette mit den geschlossenen Aermeln noch verführerischer als die Nacktheit: diesen Reiz hielt sie für unwiderstehlich, denn ihre wollüstigen Füße waren bloß und trugen allerliebste Sandalen.

Wohin waren ihre früheren Gedanken und Gefühle geflohen? Das Erscheinen des Paters Alta trennte ihr Leben in zwei Kreise, in zwei Epochen. Vorher war sie die Mona Lisa, die Sirene, die Sphinx gewesen; seitdem war sie Frau und Verliebte.

Der Diener meldete:

– Pater Alta.

Der Mönch blieb auf der Schwelle stehen, da sein Blick mit dem Halbdunkel kämpfte.

– Wollen Sie eintreten, mein Vater!

Sie erhob sich, während ihre Spitzen rauschten.

– Lassen Sie mich zuerst danken, daß Sie gekommen sind!

– Ich bin Ihnen verpflichtet, da Sie ein so schönes Almosen geben wollen.

Mit einer Gebärde zeigte sie auf einen niedrigen Sessel, den einzigen Sitz außer der Chaiselongue, auf dem sie selbst saß.

Pater Alta setzte sich, ohne Erstaunen noch Verlegenheit sehen zu lassen.

»Wahrhaftig,« dachte die Prinzessin, »er besteht die Sesselprobe und bewahrt Haltung: wie würde er im Bett sein?«

– Sie sind mir nicht böse? fragte sie brüsk.

– Wie kann ich Ihnen böse sein, wenn ich Sie zum ersten Male sehe?

– Zum zweiten Male! Sie müssen sich erinnern, daß ich Ihr Beichtkind gewesen bin.

– Der Konfessor erinnert sich der Beichtkinder nur im Beichtstuhl; wie sich die Somnambule ihrer früheren Gesichte nur während des magnetischen Schlafes erinnert.

– Ah! rief die Prinzessin, etwas gereizt von der Wendung, die das Gespräch nahm.

Dieser ruhige Mönch, der seinen Rosenkranz auf den Knien hatte und die Hände in den Aermeln barg, senkte seine Augen nicht: das machte sie verlegen.

– Wenigstens sehen Sie mich jeden Tag Ihrer Messe beiwohnen.

– Erweisen Sie mir die Ehre, zu glauben, Prinzessin, daß ich beim Zelebrieren der Heiligen Messe von der Gegenwart Christi genügend durchdrungen bin, um nichts Anderes zu sehen als die erhabene Handlung, die ich ausführe.

– Sie sind groß, mein Vater!

– Nein, ich bin Mönch! Gesandter Gottes, vertrete ich ihn so würdig, wie ich kann. Viele haben mehr Wert als ich, aber sie verbergen der Welt die Nichtachtung, die ich ihr zeige. Wir müssen die Arme offen haben, wenn bereut wird, aber drohend, wenn man verstockt die Pflicht verletzt.

– Wenn eine Frau Ihnen sagte, sie liebe Sie, was würden Sie ihr antworten?

– Nichts, denn sie würde entweder so entartet sein, daß ich sie verachte, oder so dumm, daß ich sie geringschätze.

– Entartet, ja, aber dumm? widersprach die Prinzessin.

– Besonders dumm, die menschliche Liebe, diese schmutzige Torheit, dem anzubieten, der die göttliche Liebe, dieses Absolute, besitzt.

– Statt soviel Stolz zu zeigen, mein Vater, müßte man sie nicht lieber wieder zur Vernunft bringen …

– Ja, wenn sie sich ihrer Lästerung mit Abscheu anklagte; ist aber dieses Geständnis nur ein Aufreizen zum Bösen, so antwortet man mit Schweigen!

– Ist dieses Schweigen nicht von Versuchung durchzogen? Es steckt doch immer ein Mann in einem Priester!

Sie kreuzte ihre Beine der Art, daß sie ihre nackten Knöchel zeigte.

– In dem Sinne, den Sie meinen, nur bei einem schlechten Priester. Wer noch den Trieben gehorcht, gehört der Welt! Man muß im Fleische gestorben sein, um in Gott geboren zu werden.

Die Prinzessin fand diese Worte der Kanzel wenig am Platze, ihrem durchsichtigen Kleide gegenüber.

– Ist diese Enthaltsamkeit nicht ein Ueberschreiten des Organismus?

Und sie bewegte ihre Zehen.

– Ja, die Keuschheit ist ein Ueberschreiten des Triebes, wie die Barmherzigkeit ein Ueberschreiten der Selbstsucht ist.

– Aber die Liebe des Herzens?

Und sie entkreuzte ihre Beine, sich schamhaft machend.

– Lacordaire hat Ihnen bereits geantwortet: »Niemals, seit ich Gott gekannt habe, ist mir etwas schön genug erschienen, um es mit Begierde zu betrachten. Alles bedeutet so wenig für eine Seele, die Gott kennen gelernt und ihn gefühlt hat! …«

– Wie, Sie unterdrücken die Liebe?

– Nein, die Liebe ist der ganze Mensch.

– Mit dem Haß, fügte die Prinzessin hinzu.

– Der Haß ist noch Liebe, wie die Lästerung noch Glaube ist.

– Wenn die Liebe der ganze Mensch ist, was seid ihr Mönche, die Menschen ohne Liebe?

– Wir sind die lebenden Wunder der Liebe. Die Gnade macht uns das Herz groß genug, damit wir noch ganz unsern Brüdern gehören, nachdem wir uns ganz Gott hingegeben haben. Die Leidenschaft ist nur die Aufsaugung eines Wesens durch ein anderes, eine Form der Selbstsucht … Sagen Sie zu zwei Liebenden: »Ich leide, trösten Sie mich; ich weine, helfen Sie mir; ich bin allein, lieben Sie mich …,« man wird Sie nicht hören. Doch Gott, der die Liebe ist, hat nicht gewollt, daß sein Geschöpf aus Mangel an Liebe zu Grunde geht, er hat reine und starke Männer gewählt und ihnen gesagt: »Söhne der Kirche, ich verlobe euch jedem Schmerze. Gehet zu denen, die allein sind und die weinen, trocknet deren Tränen und verkündet ihnen, daß die Liebe ewig ist … Seid immer offene Herzen, immer ausgestreckte Arme. Man wird euch die Väter nennen: jeden Mann werdet ihr als einen geliebten Sohn, jede Frau als eine geliebte Tochter aufnehmen. Ich habe die Menschen bis ans Kreuz geliebt: das ist das ganze Beispiel, dem ihr folgen müßt. Ich werde euch eine unbesiegbare Kraft zur Liebe geben, die zum Namen ›Barmherzigkeit‹ haben und das große Zeichen meines Golgatha sein wird. Gehet, Freunde der Menschheit …« Sagen Sie zu der Frau, die am tiefsten liebt und das beste Herz hat: »Hier ist ein Aussätziger, der einen Kuß haben muß …«, sie wird entfliehen! Sehen Sie zwei Verliebte: wird der eine vom Brand ergriffen, verschwindet der andere! … Nun, für uns ist der Aussatz der Sünde, der Brand des Verbrechens noch viel abstoßender! Doch, je schmutziger eine Seele ist, desto mehr lieben wir sie! Gott lieben, weil er unendlich ist; den Nächsten lieben, um dem Erlöser zu folgen: vergleichen Sie die Vereinigung dieser beiden Lieben der schlechten Glut moderner Romane … Ein Punkt genügt, um den Unterschied zu bezeichnen. Sie wissen, wie zerbrechlich die geschlechtliche Liebe ist: ihre Geburt hängt von dem matten Ton einer Haut ab, und ihr Tod von einer Runzel. Sehen Sie dagegen das Herz des Mönches, der jeden Sünder liebt, und zwar auf der Stelle, ohne zu wählen, ohne zu ermüden! …

– Das gehört zum Ideal, erklärte die Prinzessin, aufs Aeußerste gereizt, daß sie die dreißigtausend Franken für eine Predigt im Hause bezahlen solle.

– Dieses Ideal wird jeden Tag durch einen biederen Landpfarrer verwirklicht, der keine andere Bewunderung einflößt als »der biedere Herr Pfarrer«.

Die Prinzessin schlug ihre Beine wieder übereinander, wobei sie ihre Waden zeigte.

– Mir ist eingefallen, daß Sie große Pläne hatten: die Versöhnung der griechischen Kirche …

– Und auch, fuhr der Mönch fort, die Gründung eines dritten Ordens Peladan, Finis Latinorum (deutsch erschienen)., eines ganz geistigen Ordens von Dichtern, Künstlern und Gelehrten: ein Heer des Geistes, bedeutend durch die Kraft des Meisterwerkes und des Dokumentes, das katholische Siegel für alle Kundgebungen des menschlichen Genius.

– Das ist groß, sagte sie, verwirrt vor diesem Mönch, der sie anblickte, wie er einen anderen Mönch angeblickt hätte, trotzdem sie ihm ihre Wade entgegenstreckte. Sie haben Ehrgeiz, und zwar für das Gute! Würden Sie mich an Ihrem großen katholischen Werke teilnehmen lassen?

– Ich darf der Sache Gottes keine Hilfe versagen; aber was würde Ihre Mitarbeit sein?

– Mein Vermögen.

– Das Geld, das für ein menschliches Geschäft alles wäre, ist nichts für ein göttliches Unternehmen. Was nötig ist, sind reine Hände, redliche Willen.

Sie entkreuzte ihre Beine, errötete, von einer plötzlichen Verwirrung ergriffen, und sagte mit gesenktem Blick:

– Reinigen Sie mich!

– Im Beichtstuhl, sagte der Mönch.

Sie erhob sich, eine große Unruhe spielend.

– Mein Vater, ich bin eine Samariterin, ich fühle mich von der Gnade berührt: wollen Sie mich hören? Morgen werde ich vielleicht diese glückliche Stimmung verloren haben.

Der Pater Alta überlegte einen Augenblick: er wagte diese Heuchelei nicht zurückzustoßen, bevor sie sich enthüllte.

– Knien Sie denn nieder! Ich höre Sie!

Während der Mönch die lateinischen Worte sprach, entblößte die Prinzessin das Zwischenstück ihrer Brüste.

Sie begann eine ernste Beichte. Sich allmählich nähernd, legte sie in einer geschickten Bewegung der Scham ihren Kopf und ihre Hände auf die Knie des Mönches, der fühlte, wie eine Liebkosung und ein Kuß seine Kutte besudelten. Mit einer starken Gebärde nahm er den Arm und schob ihn bei Seite, indem er sich erhob, ohne ein Wort der Entrüstung oder des Tadels zu äußern.

Zu der Prinzessin, die noch immer auf den Knien lag und leichenblaß vor Enttäuschung war, sagte er mit unveränderter Stimme, seinen weißen Hut hinreichend:

– Für die Armen.

Die Prinzessin erhob sich langsam.

– Das war eine Prüfung: Sie sind ein Heiliger oder … ein Eunuch. Ich werde Ihnen die Summe holen.

Sie ging, fast ohne sichtbare Verwirrung, aber voller Wut über die unbeschreibliche Gleichgiltigkeit dieser Gebärde, die sie zur Seite geschoben hatte, wie man den Zweig eines Strauches zur Seite schiebt.

Pater Alta machte die Runde in dem kreisförmigen Boudoir und beugte sich, um eine Lilie einzuatmen.

»Das ist also die menschliche Natur, dachte er. Ich predige die Verachtung der Leidenschaften und die Leidenschaften hängen sich an mich. Du hast erlaubt, mein Gott, daß mein schlechtes Leben dazu dient, mich auf Deinem, einmal erkannten, Wege zu befestigen. Ein Anderer von Deinen Dienern wäre vielleicht dieser Versuchung, die mich gelangweilt hat, unterlegen: diese Schwäche mit ihrer Gewissensqual hätte vielleicht mehr Wert in Deinen Augen gehabt als meine leichte Kaltblütigkeit? In Deiner Weisheit bemißt Du die Prüfung immer nach der Gnade: ohne Verantwortung geht es nicht. Wie recht hast Du, große Tugenden von mir zu verlangen, da Du mir solche Kraft gewährst!«

Er versank in diese Gedanken, als es plötzlich Nacht im Boudoir wurde: die Kuppel, die es allein erhellte, verhüllte sich plötzlich.

Erstaunt, blieb er unbeweglich und aufmerksam; er hörte den Türvorhang sich heben und zurückfallen, ohne daß ein Kleid rauschte. Plötzlich tasteten Hände, umfingen ihn Arme; er trat einen Schritt vor: die Prinzessin war ganz nackt und umschlang ihn.

Sie zurückstoßen? Entfliehen? Er fand Besseres: er fand jenes Lachen wieder, das einst die Orgie in Furcht versetzte, damals als er noch sündigte. Dieser Mönch lachte wie ein Dämon, in so unerwarteten und gellenden Trillern, daß die Arme, die ihn umfaßten, ihn losließen, als würden sie abgehauen.

Er erinnerte sich, daß er dem Türvorhang gegenüberstand, als die Kuppel verhüllt wurde: er schritt geradeaus, berührte den Sammet, hob ihn und ging hinaus.

Als er durch die Zimmerflucht in den großen Salon kam, fand er Sarkis dort.

– Wollen Sie bitte der Prinzessin sagen, daß ich auf das Almosen warte!

Sehr beunruhigt, verneigte sich Sarkis.

Nachdem er eine Viertelstunde gewartet hatte, erschien die Prinzessin, wieder angekleidet.

– Da sind die dreißigtausend Franken! sagte sie.

Pater Alta hielt seinen Hut hin.

Die Prinzessin näherte sich dem Feuer und warf die Banknoten hinein: sie gingen in Flammen auf.

– Die Armen sind nicht verantwortlich …, sagte Pater Alta betrübt.

– Bevor zwei Monate vergehen, werden Sie mit dem Interdikt belegt sein, rief sie in einem Wutausbruch.

– Wenn Gott mir diese Prüfung vorbehält, werde ich sie mit Demut ertragen.

Die Prinzessin konnte sich, trotzdem sie sich bemühte, nicht beherrschen, sondern schritt auf den Dominikaner zu:

– Was willst du, meine Liebe oder meinen Haß?

Sie maßen einander lange mit dem Blick.

– Ich habe mit dem einen nichts zu schaffen und verachte das andere.

– Nun, Alta, ich werde deinen Namen »hoch« Lügen strafen: unter diesem Hasse, den du verachtest, wirst du tief hinabsteigen! …

– Möge Gott Sie richten! sagte der Mönch und ging, ohne zu grüßen.


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