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Am nächsten Morgen sah man den Pastor Adolf Rautenstrauch, würdig und fast weltmännisch gekleidet, durch zahlreiche Straßen der alten Welfenstadt wandeln. Hier und da, an manchem Hause, zog er die Glocke, und wenn er Einlaß erhielt, blieb er längere Zeit darin.
Wenn auch einige vergebliche Wege darunter waren, so wußte er doch zuletzt, was er wissen wollte. Das äußere Bild seines neuen jungen Freundes Karl Sievers stand in festen Umrissen und deutlichen Schattierungen ausgezeichnet vor ihm, und es waren keine häßlichen Klexe oder dunkle Streifen auf dem Bilde. Nur der Glanz des Goldes, die glänzende Einrahmung fehlte, und dieser Mangel brachte den Prüfer mehrfach zu bedächtigem Kopfschütteln.
Es tat ihm leid, daß die Kinder so lange aufeinander warten sollten.
So ein frisch flutender Strom junger Liebe, der von reinen Bergeshöhen herabkam, aus himmlischen Wolken geboren, – nun sollte er so langsam werden und immer ruhiger und behaglicher in breiter, philiströser Fläche zwischen niedrigen Wiesenflächen laufen! Mußte das wiederum so sein, weil es Brauch war, weil es das Herkommen so forderte? Mußten die Blüten erst durch Jahre hindurch gequält werden, ehe sie frische, fröhliche Früchte bringen durften?
So wollte es das eingeengte und abgezirkelte Leben, so wollte es die einschnürende Sitte.
Kann man diesen langsamen Sitten nicht vorsorgend vorauseilen, kann man nicht folgender Jahrzehnte, späterer Jahrhunderte vielleicht schöneren Brauch vorwegnehmen? Kann man nicht die Sitten von Zeiten, die freier und weniger engherzig fühlen und denken werden, schon lange vorher üben?
Aber war es denn auch die wahre Liebe zwischen den beiden? War es nicht etwa nur der Sommer, der in ihnen brannte, der Sommer, dem rasch der Herbst folgte, hinter dem der schläfrige Winter als Nachfolger stand?
So wollte er denn selbst seinen jugendlichen Eifer zähmen, und Frau Karoline und Großvater Schulte halfen ihm dabei.
»Man wird sehen«, sagte der brave Lautenspieler aus der Giebelstube, »wie das rasche Schifflein weiter fährt auf den ungestümen Wellen. Man lasse die beiden gewähren, bis sie sich selbst einen Hafen gefunden haben. Sie werden nicht gleich irgendwo festfahren oder gar scheitern!«