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22.
Heller Ausblick

Wieder waren die letzten Junitage gekommen, die Tage, an denen das reinste und vollste Glück des Blühens und Wachsens über die Erde zieht.

Karl Sievers hatte die Arbeit der Woche getan und ging seinen alten, lieben Weg nach Drömlingen, wo er seit seiner Hochzeit von Sonnabend Abend bis Montag Morgen wohnte.

An jedem Sonntagsmorgen sahen die vorwitzigen Sperlinge zwei glückliche junge Gesichter aus Gretes Kammerfenster herausschauen.

Ein köstlicher Herbst, ein frostklarer, fröhlicher Winter und ein lichtreicher Frühling waren vergangen, und allen Glückes Fülle hatte sich über die junge Liebe ausgegossen.

Die Alten waren in dem Anblick des jungen Glückes fast wieder jung geworden.

Manches Schwatzen, Sticheln und Zusammenstecken törichter Köpfe hatte es freilich weit und breit gegeben, aber was kümmerte das die Klugen, Fröhlichen und Glücklichen im alten Drömlinger Pfarrhause! Ihnen gab niemand etwas für ihr Glück, und auch für ihr Unglück hätte niemand etwas geschenkt. Sie ließen die Schwätzer und Neider ihres Weges gehen.

Karl strebte heute mit ganz besonders langen und festen Schritten seinem Ziele zu. Er konnte verkünden, daß er eine sichere Anstellung mit leidlich auskömmlichem Gehalte bekommen hatte. Nun durfte er sein eigenes Nest bauen und brauchte nicht mehr in Gretes Kämmerlein zu fliegen, wo es freilich so schön war, so süß und so traulich!

Würden sich die beiden nicht oft nach dem lieben Pfarrhause sehnen?

Mochte es sein! Sie konnten und wollten nun ihr Eigen haben! Den Dank vergaßen sie deshalb dennoch nicht.

Eine stille, lächelnde Freude entstand durch Karls Nachricht im Pfarrhause, aber auch viel Wehmut mengte sich dazwischen, weil alles nun bald anders werden sollte.

Großvater Schulte beruhigte: »Nun, nun! Man wird nicht gleich morgen eine fürstliche Villa mieten! Es wird sich alles langsam entwickeln, und bis zum Herbst hat's noch Zeit!«

»Ja, Zeit hat's noch«, lachte Karl, »und wir fangen klein und bescheiden an, und was wir weiter haben wollen, das verdienen wir uns. So erst wird's ein richtiges Eigentum. Zu einer Villa reicht's noch nicht, und das soll es auch nicht. Wir wollen nicht die gnädigen Herrschaften spielen, und Grete ist ja keine Zierpuppe mit fremden Sprachen, die weiter nichts weiß als Sport und Putz! Meine Frau ist nicht der übliche Luxusartikel, den sich nur ein Reicher leisten kann, und äußern Flitter brauchen wir nicht. Und ich glaube, die Sonntage im Drömlinger Pfarrhause werden uns noch lange bleiben!«

Grete war ganz still und sah ihren Karl nur immer an. Da gingen sie beide in den hellen Garten und blieben an allen Plätzen stehen, die ihnen Erinnerungen schenkten.

Und in der Lindenlaube erzählte Grete ihrem Karl etwas, was sie ihm noch niemals hatte erzählen können.

Als sie dann beide Hand in Hand in das Haus zurückgegangen waren, zeigte Karl ein sehr stolzes, geradezu würdiges Gesicht, das allgemein auffiel.

»Was hat man?« fragte Großvater Schulte.

Und Pastor Rautenstrauch meinte:

»Du machst ein Gesicht, mein Sohn, als ob Dir eine sehr hohe, vielleicht die höchste Würde verliehen sei!«

»Du könntest recht haben, Vater!«

Er nahm seine Grete fröhlich in die Arme und sagte:

»Grete will uns das Schönste für unser Nest schenken. Ich weiß, was es sein wird. Ein Sohn wird es sein. Ganz sicher weiß ich es. Auch Grete sagt es!«

Er sah stolz und träumerisch zugleich in die Höhe und sprach weiter:

»Ein Sohn wird es sein! Gretes Sohn und mein Sohn! Das Schönste was ich weiß!«

»Du schwärmst, mein Freund!«

»Man lasse ihn, man störe nicht seine Ideale, man freue sich, daß er nicht ein so langweiliger Peter ist, wie die, so sich jetzt junge Ehemänner nennen!« beruhigte Großvater Schulte, während Karl laut weiter träumte.

»Mein Sohn soll Naturforscher werden. Er soll neue Wahrheiten und Schönheiten finden, die noch keiner kennt. Er stammt aus lauter Sonne und Glück, und die Geistesfreiheit und Güte dieses deutschen Pfarrhauses, dem er entsprossen ist, soll ihn sein ganzes Leben lang umgeben!«

Da waren sie alle still. Nur Frau Karoline fing ganz wenig an zu schluchzen, aber es war nur vor Hoffnung und Freude.

Karl aber nahm seine Frau an die Hand, und sie gingen wieder den grünen Gartenweg entlang. Sie wollten allein sein.

Vor der Lindenlaube blieben sie stehen und sahen in die untergehende Sonne.

Karl schaute seiner Grete lange, lange in die Augen, die jetzt fast noch schöner, noch wärmer glänzten als in ihrer Mädchenzeit. Denn sie sollten nun Mutteraugen sein. Der heiligste, reinste Schimmer war darin, der je in den Augen einer Frau, in den Augen einer werdenden Mutter wohnen kann.

Lange standen sie im Sonnenlicht und Grün und sahen sich an.

»Woran denkst Du?« fragte Grete endlich.

»Ich denke an unsere Zukunft, ich denke an die Zukunft der Menschheit, wenn ich in Deine Augen sehe. Ich denke an unser Kind.

Ich sehe in die weite Ferne der Menschheit, in ein schönes, reiches Weiterblühen und Weiterwachsen!

Auch wir wollen treue, feste Glieder in der ewigen goldenen Kette sein!

Noch lange wollen wir beide zusammen der Gegenwart leben und in die selige Zukunft edler Menschheitsziele sehen, in die Zukunft, in der alle Menschen klare und schöne Sonnenaugen haben werden so wie Du!«

 


 


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