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Der Entschluß

Ich hatte Audienz bei meinem Hauswirt. Er hieß Krischan Bollmann, sah dementsprechend aus und trug außerdem noch Morgenschuhe aus grünem Plüsch. Er hatte mich in sein »Kontor« herunterbefohlen, und hier spielte sich folgende Unterredung ab.

»Bütte, 'n büschen Platz nöhm. Ich hab da in mein Sseitung gelösen, Sü schreim djawoll Romanens. Hrrruuuppph!«

»Allerdings,« wagte ich zu bemerken. »Und die Kritik sagt –«

»Die Kritik? Das ist djawoll ne Schauspülerin. So 'ne unßüttliche Person, wie sie auch in den Roman vorkomm soll, nech? Dja, die mach das woll gefallen. Aber was die sach, das is mich ganz puttegal. Hier in mein' Haus hab' ich allein was ßu sagen. Hrrruuuppph!«

»Ganz entschieden,« pflichtete ich bei. »Dafür sind Sie Hausbesitzer. Ich schreibe ja auch nur in Ihrem Hause.«

»Nein, Sü schreiben über meinem Hause«, sagte Krischan Bollmann giftig.

»Das ist ja ganz unmöglich, Herr Bollmann,« erwiderte ich erstaunt. »Ich wohne doch nicht auf dem Dach, sondern erst im fünften Stock.«

»Aber nich möhr lange,« fuhr Krischan Bollmann noch giftiger fort. »Hürmit künnige üch Sü.«

Ich sprang auf und war ein einziges Fragezeichen.

»In Uehrn dösigen Roman, da kömmp auch'n Hausbesützer in vor. Müt'n dücken Bauch, un 'n Glatz un 'n Gesich as 'n Schusterkugel, un 'n Kömnes (Kümmelnase) un – hrrruuuppph! – Aufstoßen nach djedes drütte Wort, un Morgenschuh aus greunen Plüsch. Da habn Sü dja mein Fotografü mit gölüfert. Un sowas muß ich ßu mein' Schande in mein' eigen' Sseitung lösen.«

Ich lächelte – aber ein Lächeln des Bankerotteurs, der seinen letzten Kellerwechsel einlöst.

»Zeitungen schreiben viel,« sagte ich. »Sie haben den Roman selbst nicht gelesen, Herr Bollmann?«

»Gott soll mür böwahrn!« rief mein Hauswirt. »Hrrruuuppph!«

»Dann wissen Sie natürlich auch nicht, daß der Hauswirt in meinem Roman in Wirklichkeit einen ganz anderen Bauch und Glatze und Gesicht und Nase hat, und ganz anders aufstößt als Sie. Ihre Nase kommt ja doch, das ist stadtkundig, nicht vom Kümmel, sondern vom Bordeauxwein. Und grüne Morgenschuhe – wie viele Hauswirte tragen grüne Morgenschuhe. Das einzige, worin mein Hauswirt mit Ihnen übereinstimmt, ist die dicke goldne Kette zu sechshundert Mark, die er über der Weste trägt.«

»Nu wördn Sü man nich noch unverschämp,« brüllte mich mein Romanmodell an. »Die golle Uhrkette über mein' Weste, die koß achhunnert Mark. Keine sechshunnert! Das mörken Sü such gefälligs 'n büschen. Hürmit sünd Sü also gekünnich. Un morgen stehn Sü in unse swarze Liste.«

»Schwarze Liste?« murmelte ich entsetzt.

»Ja. Swarze Liste. Das heiß müt annere Worten, daß Sü in düse Stadt keine Wohnung nich wüderkriegen. Denn wer in Romanens und Sseitungen uns Hauswürten auf die Hühneraugen pedd (tritt), der kann sich 'n Wohnung im Mond suchen.«

»Bester Herr Bollmann,« begann ich flehend, denn ich wußte, daß ich für die fahrenden Leute reif war, falls es mir nicht gelang, diesen Entschluß umzustoßen, »würden Sie mir verzeihn, falls ich in Ihrer Zeitung auf meine Kosten eine Ehrenerklärung veröffentliche, daß ich Sie nicht gemeint habe?«

»Is das nicht genug, daß Sü mir in Ihrn dösigen Roman, den ja Gott sei Dank kein Mensch liest, abgemalen haben?« bollerte Krischan Bollmann weiter. »Wolln Sü mir auch noch vor die ganse Welt ßur Uhl machen? Ssum drütten und letzten: Sü sünd gekünnigt. Un hiermit sünd wir ßwei beide mitn anner fertig. Sehn Sü ßu, wo Sü 'n ander Wohnung kriegen. Hier in düse Stadt gewüß nich. Adje, Herr Eck.«

Dieser Abschiedsgruß war eine Ironie. Denn in Wirklichkeit heiße ich gar nicht Eck. Ich hatte nur den bewußten Roman (der mich aus einer wenn auch nur bescheidenen, doch immerhin mit einem Dach versehenen Wohnung sozusagen auf die Landstraße warf) unter diesem Namen veröffentlicht. Da er kurz und Druckpapier zur Zeit teuer ist, will ich ihn für diese Geschichte beibehalten.

Zwischen Landfahrern und Bettlern ist kein großer Unterschied. Ich begann also in der Haltung eines Kohlendampf schiebenden Kunden nochmals: »Hochverehrter Herr Bollmann, die spätere Literaturgeschichte wird gewiß« –

»Sü wolln mür woll uzen?« schnitt mir Bollmann in derselben Tonart das Wort ab. »Was ich gesach hab« – hier klingelte er, und ich griff schleunigst und angsterfüllt nach meinem Besuchszylinder –, »das hab' ich gesach. Un da is die Tür. – Djohann, der Nächste!«

Mit sehr viel schnelleren Schritten, als ich Herrn Bollmanns Salon betreten hatte, verließ ich ihn wieder. Denn wenn der Hausherr (nach meiner Romanschilderung) Hände hatte wie ein paar Reisetaschen, so hatte der Hausdiener Fäuste wie ein Paar kleine Fässer. Meine Ablösung – der Mieter des dritten Stockwerks – huschte so ängstlich wie der bekannte Mann ohne Schatten an mir vorüber. Johann schlug die Tür hinter ihm zu – er saß wie eine Maus in der Falle.

»Herr Kanßleirat,« grollte drinnen das hauswirtliche Gewitter über den Unglücklichen los, »in unsern Kontrak steht in: das Halten von Türe is nur mit besondre Gönöhmigung des Hauswürts erlaup. Gestern nachmittag, als ich wegen die Klasettinspekschon oben war, hab' ich bömörk: Ihre Kinder halten weiße Mäuse in ein Bauer. Was haben Sü darauf ßu erwüdern?«

Ich nahm mir vor, künftig gleichfalls weiße Mäuse in einem Bauer zu halten, statt meine Aussichten mit Romanschreiben totzuschlagen. Denn Bollmann war – im Gegensatz zu dem Franzosen, unter dem man bekanntlich, wenn man ihn kratzt, den Russen findet – im Grunde unter dem Bezirk seiner Uhrkette zu achthundert Mark und seines Fetts kein Unmensch. Es war anzunehmen, daß er dem Kanzleirat das Verbrechen der weißen Mäuse schließlich verzeihen und sie vielleicht sogar nachträglich genehmigen würde.

Was bei meinem Roman natürlich gänzlich ausgeschlossen war. (Im Vertrauen: wäre ich ein Hauswirt mit dem Bollmantischen Bauch, Glatze, Schusterkugelgesicht und grünen Plüschschuhen, und mein Mieter konterfeite mich steckbriefgetreu in einem Roman ab: dem würd' ich auch nicht verzeihen.)

Doch war die Lage für derartig müßige Erwägungen zu ernst. Ich berief meine Frau zu einer Konferenz, teilte ihr das Schreckliche schonend mit und sagte sorgenvoll: »Was nun?«

Aber auch gespannt. Denn ich hatte bereits mehrfach, in Romanen und psychologischen Plaudereien, den Satz niedergeschrieben: daß die Intelligenz des Weibes eine von der männlichen völlig verschiedene sei; daß die Frau in verzweifelten Fällen instinktmäßig das Richtige treffe, wie die Fliege das Stück Zucker oder wie der Zwirnsfaden das Nadelöhr – und hatte diesen aus andern Schriftstellern entlehnten Grundsatz durch die Praxis in Gestalt meiner Frau nachträglich bestätigt gefunden.

Meine Frau ist eine Beamtentochter. Sie ist in unverheiratetem Zustande achtundzwanzigmal versetzt worden und hat in ihrem Leben dreiundsechzigmal die Wohnung gewechselt. Sie ist also in bezug auf Wohnungen Fachmann.

Alle Andeutungen, die ich hinsichtlich der schwarzen Liste machte (ob nicht etwa durch Bestechung des Sekretärs, durch eine künstliche Todesanzeige oder sonstwie die Spur verwischt werden könne), beantwortete sie mit einem Kopfschütteln.

»Zu Lande sind wir erledigt,« entschied sie. »Es müßte denn sein, du hättest Neigung, dich um eine Anstellung als Turmhüter oder Totengräber zu bewerben. Die haben Dienstwohnung. Aber dazu muß man Beziehungen haben. Hast du die?«

Das mußte ich verneinen.

»So bleibt uns nur das Wasser«, rief sie mit dumpfer Stimme.

»Um des Himmels willen«, rief ich, die Hände erhebend.

»Beruhige dich. Mit dem Himmel hat mein Vorschlag diesmal noch nichts zu tun. – Ich denke an Bangkok oder an Kanton.«

»Nanu!« rief ich. »Auswandern, weil uns Krischan Bollmann auf die schwarze Hauswirtsliste gesetzt hat?«

»Denn dort ist die Wohnfrage für Leute, die nicht, wie die Hauswirte, mit einem silbernen Löffel im Munde zur Welt gekommen sind, glänzend gelöst. Man wohnt in Dschunken oder Prauen, auf dem friedlichen Mekong oder Jangtsekiang ...«

Ich hatte begriffen, was meine Frau meinte, und erwiderte: ich müsse mich einige Augenblicke in mein Arbeitszimmer zurückziehen, um die Wucht dieses Gedankens in der Einsamkeit auf mich wirken zu lassen.

Hier stellte ich mit Hilfe des Andree zunächst fest, daß Bangkok nicht am Mekong liegt, sondern am Menam. Und Kanton nicht am Jangtsekiang, sondern am Sikiang. Weiter wollte ich auch gar nichts wissen. Es genügte, um das Handeln in der Wohnungsfrage, das in die Hände meiner Frau überzugehen drohte, wieder an mich zu reißen.

Ich verlängerte die Denkpause künstlich um einige Minuten. Das sollte mir den Anschein geben, daß alles, was ich in der nun folgenden Auseinandersetzung gegen etwaige Einwendungen meiner Frau vorbringen würde, gründlich überlegt sei. (Altbewährte Ehetaktik.)

»Erstlich«, begann ich, »liegt Bangkok nicht am Mekong, sondern am Menam. Und Kanton nicht am Jangtsekiang, sondern am Sikiang. Hrrrummm! Zweitens wohnen die Bangkokkusen nicht auf Dschunken oder Prauen, die eine chinesische Schiffsspezialität darstellen, sondern sie errichten ihre Wohnungen, dort Bungalows genannt, auf Bambusflößen, die mit der Flut des Menam steigen oder fallen. Hrrrummm!« (Diese Weisheit hatte ich aus dem großen Meyer.)

»Na ja,« sagte meine Frau ungeduldig, »genau wie hier auf der Elbe die Schuten und Ewer.«

»Und drittens«, fuhr ich fort, »sind der Mekong und Jangtsekiang, genauer der Menam und Sikiang, nicht so friedlich, wie du zu glauben scheinst. Denn sie sind, mindestens der Menam, wahrscheinlich aber auch der Sikiang, bevölkert von Krokodilen. Hrrrummm!« (Das hatte mir in bezug auf den Menam der große Brehm verraten, hinsichtlich des Sikiang war es meine eigene Hypothese.)

Meine Frau stürzte ans Piano, trat aufs Fortepedal, hieb mit beiden Händen, mit der gleichen Geschwindigkeit und Wucht:, mit der eine Katze einem andrängenden Köter über die Physiognomie fährt, in die Tasten und sang dazu:

»Mitten in der Elbe
Schwimmt ein Krokodil ...«

Unüberlegt, wie sie manchmal ist, hatte sie nicht beachtet, daß die Tür nach dem Flur und das Fenster des Lichtschachts offen standen. Das Lied besteht, soviel ich weiß, zwar nur aus diesen beiden Versen (jedenfalls habe ich die Straßenjungen immer nur diese singen hören) – aber meine Frau sang sie zwanzigmal hintereinander. Mit allen Stimmitteln. Als sie fertig war, erscholl aus dem Lichtschacht eine Stimme, die Tonfarbe und Kraft von einem wütenden Ur geborgt zu haben schien:

»Wolln Sü Takelßeug da oben in die fünfte Etasche woll gleich den infamten Musikspektakel nachlassen! Glauben Sü, daß mein Etaschenhaus 'n Djahrmarksbude oder'n öffentlichen Tingeltangel is. Machen Sü das nich noch mal, sonß schück ich Sü den Polleßei aufn Hals. In unsern Kontrak steht ein ...«

Aber es war mir unmöglich, auf diesem etwas ungewöhnlichen Wege zu erfahren, wie der Musikparagraph unseres Kontrakts lautete. Denn meine Frau eilte hinaus, riß auch noch den zweiten Flügel des Lichtschachtfensters sowie die Etagentür auf und wiederholte, dreimal so laut und hundertfünfundzwanzigmal hintereinander, ihren Baritus:

»Mitten in der Elbe
Schwimmt ein Krokodil ...«

Ich rang die Hände. Hiermit war endgültig und unwiderruflich die Möglichkeit abgeschnitten, eine gewöhnliche Wohnung wiederzufinden. Denn daß Krischan Bollmann seine polizeiliche Drohung wahrmachen, daß meine Frau schon morgen als Musikmänade in der Zeitung stehn, daß wir auf diese Weise nicht nur verschärft in die schwarze Hauswirtsliste, sondern auch in die unsrer bisherigen Leidensgenossen, der Mieter, kommen würden: das stand so fest wie das kleine Einmaleins.

Aber ich pries das Temperament meiner Frau nachträglich doch. Es war uns zum Heil, es riß uns nach oben. Es reifte den Wunsch zum Willen, es läuterte das Gedankenchaos zur Klarheit. Aus dieser letzten, für alle Beteiligten qualvollen Viertelstunde entsprang, wie aus der Asche der Phönix, unser Entschluß. Wir hatten die Schiffe – glücklicherweise allerdings nur symbolisch – hinter uns verbrannt. Das Land hatte uns ausgestoßen. Ich holte die von der Kindtaufsfeier des verhängnisvollen Romans noch übriggebliebene letzte Flasche Heidsieck herein, ließ den Kork bis an die Decke fliegen und stieß mit meiner Frau auf unser künftiges Amphibiendasein an.

Schwerwiegende Dinge soll man immer bei Sekt beraten. So machten die alten Germanen es auch (allerdings nur bei Bier). Angefeuchtet bekommen sie einen Glanz von dem Königstrank selbst. Daß sie ihn nachher meist wieder verlieren, wenn die erdenschwere Wirklichkeit die bunten Schmetterlingsflügel der Phantasie ausgerissen hat, soll man nicht bejammern. »Ich besaß es doch einmal, was so köstlich ist.«

So besaßen und bewohnten auch meine Frau und ich im Handumdrehn das romantischste Wohnschiff, das man sich vorstellen kann. Nicht um Zentner Goldes hätten wir mehr mit unsern amphibischen Kollegen, den braunen Bangkok- und gelben Kantonleuten im fernen Osten, getauscht. Denn es war uns plötzlich eingefallen, daß wir auf diese Weise nicht bloß Deutschland, sondern sämtliche fremden Länder – soweit sie naß waren – bewohnen und auch bereisen konnten.

Glückstrahlend sahen wir uns in die Augen. Vor zehn Minuten noch waren wir elende Stubenhocker, stumpfsinniges Mietkasernenvolk, festgewachsene phantasielose Pfahlmuscheln. Und mit einem Schlage Segler, Flieger, Tümmler, Weltbürger, Entdecker, Robinsons, Vagabunden auf dem Meere des Lebens, Triumphatoren über alle Krischan Bollmanns der Welt.


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