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Johnny Aasbaas ist ein beherzter Mann. Das geht schon aus seiner mimisch-plastisch-choreografisch-feuerfresserischen und so weiter Vergangenheit hervor. Auch leidet er nicht an »Zuständen«, wie sie leider manchmal das Gemüt unseres Freundes Quäker-Oats umschaukeln. Trotzdem habe ich nie einen Mann mit so kreideweißen Backen gesehen wie am nächsten Morgen achteinhalb Uhr Johnny Aasbaas.
»Kommen Sie schnell«, rief er, auf mich zustürzend. »Spukt es hier oder haben meine Augen noch die Schwedische-Punsch-Brille auf? Alle guten Geister loben Gott den Meister!«
Damit wies er mit zitterndem Finger – es war zweifelhaft, ob das Zittern von seiner Bestürzung kam oder vom schwedischen Punsch – auf zwei Frauenspersonen hin, die am Holmenskanal heraufkamen und geradeswegs auf die »Scholle« zusteuerten.
Ich reiße gleichfalls nicht so leicht vor Erscheinungen aus, die Kinder und alte Weiber für übernatürlich zu halten geneigt sind. Diesmal aber bebten mir doch ein bißchen die Knie. Was meine Augen erblickten, konnte nicht Wahrheit, mußte ein Spuk sein. Genauer: zwei Spuke.
Aber die Gestalten kamen vollkommen fleisch- und blutartig näher, schwenkten ihre Sonnenschirme zum Gruß und riefen lustig:
»Tag, Johnny! Tag, Doktor! Was macht Kullernby? Schläft wohl noch, wie? Ja, wir sind früher aufgestanden. Uns habt ihr gewiß nicht erwartet.«
»Tag, Olle«, schrie Johnny mit seiner Aasbaasstimme zurück. Er hatte zwar seine Fassung noch nicht wiedergewonnen, machte sich aber, wenn auch bloß mit seiner Stimme, absichtlich forsch. »Wie kommst du hierher? Und Adelgunde – 'Tag Schwägerin! – hast du auch mitgebracht? Fehlt ja bloß noch, daß du die drei kleinen Aasbäser auch noch im Pompadour mitgeschleppt hättest.«
»Im Pompadour nicht, aber auf dem Dampfer. Die sind im Hotel. Ja, mein Junge, wir haben es durch die Telegramme doch ein bißchen mit der Angst gekriegt.«
»Nämlich«, fuhr Adelgunde, die Schwägerin, fort: »wir hielten es nach unserer Ankündigung, daß wir am Freitag kommen würden, für möglich, richtiger wahrscheinlich, daß du rechtzeitig nach, hm! dieser schönen Sommerfrische Kullernby oder einem andern Schellfischplatz verduften möchtest. Deshalb sind wir lieber mit dem Hollanddampfer die Nacht durchgefahren und haben ja nun Gott sei Dank die Freude, dich noch gesund und unabgereist an Bord des Romankutters vorzufinden.«
Also das war die berühmte Adelgunde. Während Johnnys Frau nun in die Arme ihres Gatten stürzte, machte ich mich mit ihr bekannt, auch meine inzwischen aufgetauchte Frau. Bald hatten wir beide die Überzeugung: es sei tatsächlich schade, daß das Schicksal diese Adelgunde nicht an Johnnys Lebenswagen gespannt hatte statt ihrer liebenswürdigen, aber etwas zu weich geratenen Schwester. Das war tatsächlich eine Person, Leute, die nach der einen oder anderen Seite metazentrisch mangelhaft veranlagt waren, wie Johnny Aasbaas oder unser Freund Quäker-Oats, auf der bewegten See des Lebens im Gleichgewicht zu erhalten.
Nun tauchte auch Quäker-Oats wie eine schwarze Riesenzypresse aus den Gründen des Bünndecks auf. Auch er prallte voll Schrecken zurück, als er Adelgunde erblickte. Aber es war augenscheinlich ein freudiger.
»Timotheus!« rief Adelgunde mit bewegter Stimme. »Timotheus Greulich. Kennen Sie mich noch? Ja, seit der Zeit, wo wir uns zuletzt sahen – das sind über zehn Jahre her – bin ich zwar älter und dicker geworden. Während Sie länger und magerer geworden sind. Aber die alte Adelgunde bin ich doch noch. Ebenso wie Sie hoffentlich, trotz ihrer äußerlichen Verrücktheit (alle Romanschreiber sind verrückt), innerlich noch der alte sympathische Greulich geblieben sind. Oder haben Sie sich inzwischen zu einem greulichen Greulich umgepuppt? Das wäre schade.«
Timotheus versicherte, über das ganze Gesicht strahlend, er sei ein in jeder Hinsicht braver und tugendhafter Greulich geblieben.
»Und immer noch unverlobt?« forschte Adelgunde weiter. Man durfte ihr das nicht übelnehmen. Sie hatte zu lange in Amerika gelebt, wo bekanntlich den Weibern Männern gegenüber alle, gebrauchen wir den sehr milden Ausdruck: Dreistigkeiten gesetzlich und gesellschaftlich verbrieft sind. »Trotz der langen Engländerin und der fetten Holländerin, von denen Johnny uns schrieb?«
»Oooo«, mischte sich ›Fräulein‹ Willemmintje ein, die sich inzwischen gleichfalls dem Tageslicht wiedergeschenkt hatte, »ik ben bloß natuurlijk dik, als alle vrouwen von das neerlandsche Volk siin. Aber Mevrouw«, damit musterte Willemmintje Peperbus die Erscheinung Frau Adelgundes vom Kopf bis zu den Füßen und wieder zurück, als sei sie kein Mensch, sondern ein Stück Fettvieh, und Willemmintje hätte von dem Geist ihres Großvaters, des Schlächtermeisters, den Auftrag erhalten, sie nach ›Lebendgewicht‹ abzuschätzen, »aber Mejuffrouw is onnatuurlijk dick.«
»Mein Gott, lieber Greulich«, wandte sich Adelgunde erstaunt an ihren alten Freund und ehemaligen Verehrer, »was für ein Monstrum haben Sie sich mit diesem jungen holländischen Mastfräulein eingetan?«
»Es ist gar kein Fräulein«, berichtete Quäker-Oats mit gewissen Gefühlen der Beschämung Frau Adelgunde. »Wir glaubten es nur. Wenn es ein Fräulein wäre, hätte ich mich – heraus kommt's ja doch – gestern abend mit ihr verlobt. Aber es stellte sich Gott sei Dank heraus, daß sie schon verheiratet ist.«
»Gott sei Dank? Oooooo, Mijnheer Greulich, wie veranderlijk siin Sie in Ihre Geföhle«, sagte die Gattin des Amsterdamer Polizeibeamten, mit lächelndem Drohen den Finger erhebend.
»Ich wollte natürlich sagen: leider«, verbesserte sich Quäker-Oats stotternd.
»Ei, ei«, rief Adelgunde, nun auch den Finger erhebend, »lieber Greulich, was muß ich hören. Also beinah mit einer verheirateten Frau verlobt? In Amerika wird das mit zehn Jahren Sing-Sing bestraft.«
»Oooo«, entschleierte Mejuffrouw Willemmintje die Geheimnisse des gestrigen Abends und die Mißgeschicke ihres Ex-Verehrers weiter, »Mijnheer Greulich wollte außer mir noch zwei andere Bruiten haben. Eine Engländerin, die aus das Tuchthuis in Portland uitgebroken was, en eine deensche Jongejuffrouw, die aber geene Jongejuffrouw was, sondern ein jonge Mann.«
Entsetzt über einen solchen Abgrund von Verworfenheit bebte selbst Frau Adelgunde, deren seelische Konstitution (das sah man ihr an) doch einen ziemlichen Knuff vertragen konnte, zurück. Doch Timotheus Greulich ergriff noch rechtzeitig ihre Hand und sprach:
»Liebe Freundin, ich bin Ihnen aus meinen früheren Gefühlen für Sie volle Offenheit schuldig. Kommen Sie mit mir. Sie sollen all das Schreckliche erfahren, das mir gestern zugestoßen ist. Ich gestehe es: nicht ohne meine Schuld. Aber schwer, schwer habe ich gebüßt. Und wenn Sie alles wissen, sollen Sie entscheiden, ob ich Ihr Bild noch wie früher in einem geheimen und heiligen Winkel meiner Seele weiterhegen darf oder es herausreißen muß.«
Hiermit zogen sich der Dichter und die Reverendswitwe hinter den Besanmast zurück.
»Na«, sagte meine Frau, »der Morgen fängt ja schon wieder recht nett an.«
»Wenn das nur nicht noch besser kommt«, erwiderte ich. »Ich habe so meine Ahnungen.«