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Meine Ahnungen sollten mich nicht täuschen. Und zunächst eine Frage neu aufwirbeln, die ich schon endgültig, und zwar zu meinen Gunsten, für erledigt hielt.
Hannis kam mit der Post an.
Wie? Schon wieder ein polizeilicher Brief? Hastig erbrach ich ihn und entnahm daraus folgendes:
Die polizeilichen Ermittlungen hatten ergeben, daß der angebliche Verbrecher Morten Leverpölse zu der Zeit, wo nach meiner Anzeige der Kutter angebohrt sein sollte, mit seinem Fischer auf See gewesen war, also unmöglich der Täter sein konnte. Auch hatte er gestanden: er habe, weil ihn der Fischer weggejagt und er keinen Dienst habe wiederfinden können, sich fälschlich selbst angezeigt, um als brotloser, armer Teufel in Haft zu kommen und, neben der schönen unentgeltlichen Verpflegung, möglicherweise noch hundert Mark in bar dazu einzusacken. Selbstverständlich sei er sofort entlassen, und die polizeilichen Nachforschungen nach dem Täter seien wieder aufgenommen worden.
»Da soll doch ein Buxtehuder Donnerwetter dreinschlagen«, rief ich wütend, als ich den Brief gelesen hatte. »Nun denk mal an, Hannis. So und so. Dieser norwegische Kerl ist es gar nicht gewesen.«
»Djä«, orakelte Hannis nach einer Weile, während der er sich erst hinterm rechten Ohr, dann hinterm linken und zuletzt an beiden Beinen gekratzt hatte, als seien es Schiffsmasten, und er wolle dadurch nach altem Schipperaberglauben günstigen Segelwind für seinen Gedankenkahn erzeugen, »ich denk mich so: wenn der norske Kerl das nich gewesen is, denn is das doch dieser Sweinigel von Jan von den andern Kudder gewesen.«
»Nun fang nicht wieder mit dieser Tühnerei an, Hannis!« schalt ich. »Davon hab ich jetzt genug. Du bist ein zu großer Dösbartel.«
»Das kann ja ganz gern sein«, räumte Hannis seine geistige Minderwertigkeit bereitwilligst ein. »Aber glauben tu ich das doch.«
»Dein Glaube ist 'n Hühnerglaube, Hannis«, schalt ich weiter. »Und nun hol dir zwei Körbe und mach dich gleich wieder auf die Strümpfe. Oben im Kanal hat gestern nachmittag ein seeländischer Ewer mit prachtvollen Kirschen und neuen Kartoffeln festgemacht. Die Kirschen sehn so rot und saftig aus wie deiner Trina ihre Backen, und die Kartoffeln sind so groß wie dein Kopf. Daran kannst du den Ewer kennen. Von jeder Sorte besorgst du fünf Liter. Verstanden?«
Hannis trollte ab, die Körbe am Arm und den Kopf gesenkt, als ginge er mit den tiefsten Gedanken schwanger. Aber er kam nicht wieder. Es schlug zehn, Hannis war nicht da. Es schlug elf: Hannis war anscheinend immer noch auf dem Kartoffel- und Kirschenhandel. Meine Frau war ärgerlich und Trina ganz aufgeregt. Die Deerns und Weiber von Amager und den übrigen Gemüse- und Kartoffelorten, die auf diesen dänischen Ewern und Fahrzeugen herumsaßen, waren auch alle so drall und rund und sauber und hatten so hübsche gelbe Schürzen vor und grüne und blaue Tücher um die Schultern – und möglicherweise auch 'ne ganze Masse dänische Kronen in ihren Sparkassenstrümpfen. Wenn die ihren Hannis bloß nicht zu Treulosigkeiten verlockten??!!
Endlich tauchte er am Straßenhorizont auf. Zappelnd vor Ungeduld lief Trina ihm auf der Laufplanke entgegen und riß ihm die Körbe aus den Händen. Gleichzeitig schickte sie sich an, ihm wegen seiner Bummelei gehörig den Kopf zu waschen. Aber Hannis schob sie von sich ab und trat mit seltsam feierlicher Miene auf mich zu:
»Och, hat Herr Koptain woll fünf Minuten Sseit für mir?«
»Na, was hast du denn, Hannis?«
»Dja, hier kann ich, Herr Koptain, das nich gut sagen«, fuhr Hannis fort. »Das is 'ne Sache, die muß sich erst noch ßurechtbuttern. Aber nach meinen Gissen is das 'ne ganz rejelle und gesunde Sache, und vielleich kann Herr Koptain nu den Kerl fassen, der ihn damals den Kudder angebohrt hat.«
»Dummes Zeug, Hannis. Du träumst bei helllichtem Tage. – Und zunächst: wo hast du so lange gesteckt? Wohl am Gammelstrand in aller Herrgottsfrühe schon Aquavit gepichelt, was? Und jetzt siehst du Mäuse und sonstige Gespenster.«
»Ne Herr Koptain«, beteuerte Hannis, »in die Köminseln am Gammelstrand bin ich nich gewesen. Ich komm aus 'ne ganz annere Gegend. Nämlich« – Hannis beugte sich dicht zu mir heran und tuschelte mir ins Ohr: »Nämlich ich komm von Bollmann sein' Kudder. Dja.«
»Bist du verrückt«, rief ich. »Soll die Kopenhagener Polizei dich einsperren und mir Unannehmlichkeiten machen? Was hast du auf Bollmann seinem Kutter zu suchen?«
»Das is es dja gerade, was ich Herr Koptain bloß unter vier Augen verßählen kann«, beharrte Hannis.
»Dann komm mit in die Kajüte, alter Wichtigtuer. Aber wenn du drüben an Bord Dummheiten gemacht hast, nagle ich dich mit dem rechten Ohr an den Großmast und mit dem linken an den Besannest. Damit die Kopenhagener 'nen Begriff davon kriegen, wie das Mecklenburger Wappen aussieht.«
In der Kajüte begann Hannis seine Auseinandersetzung damit, daß er zwei Stücke Eisen aus der Tasche nahm und sie vor mich hinlegte. Es waren Teile eines zerbrochenen Zentrumsbohrers, die augenscheinlich zusammengehörten.
»Dieses Stück Ssentrumsbohrer hoab ich in den Eisenkasten von Bollmann seinen Kudder gefunden«, sagte Hannis, mir den Teil vorlegend, der in die Bohrkurbel paßte. »Und diesen annern Teil« – Hannis stockte ein bißchen und wurde rot –, »den hoab ich in die Tasche von Herr Aasbaas gefunden.«
»Was ist's mit diesen Bohrerstücken«, fuhr ich Hannis erregt an, »und was hast du in Herrn Aasbaasens Taschen zu suchen?«
»Ich muß ihn doch djeden Tag das Jack ausklopfen«, verteidigte sich Hannis gegen meinen Vorwurf, dessen Tragweite er sehr wohl begriff. »Und Geld un Ssigoretten und was da sonß in war, das hoab ich da ümmer in stecken lassen. Ich bün dja doch 'n Finkwarder, nich? Aber das Stück Ssentrumsbohr, das hoab ich an mir genommen. Denn das hat ja doch kein Wert nich, und ich wußte: das war das Stück, das Herr Aasbaas damals aus die Kudderwand rausgeßogen hatte, als der Kudder ßum erstenmal angebohrt war. Und ich dachte ümmer so bei mich: der Sweinigel, der das das erstemoal getan hat, der is das auch gewesen, der nachher die fümf, seks Löcher eingebohrt hat, so daß der Kudder auf den Grund ging, dja.«
Mit ungeheurer Spannung hatte ich zugehört und stieß heraus:
»Weiter!«
»Und weil Herr Koptain mich heute morgen verßählt hat, was in den Polleßeibrief eingestanden hat, da kribbelte mich das wie so 'n gansen Pungel (Bündel) Aale in den Kopf rum: wenn der norske Schipperknecht das nich gewesen is, denn is das anders kein als Bollmann sein Jan gewesen. Denn das hat Herr Koptain doch woll ßwansigmal erßählt, daß er mit Bollmann ins Böse auseinandergekommen is. Un Bollmann, das is 'n reichen Etaschenbesitter, und Jan, das is man so 'n armen Deubel von Hausknech. Un, dacht ich so bei mich, wenn Jan den Kudder angebohrt hat, denn so hat sein Herr ihn gut dafür beßoahlt. Und is Jan nich an den Morgen nach die Nacht mit mich von 'n Finkwärder 'r übergefahren? Und als ich den Kanal längs ging, da sah ich Bollmann und seinen Jan un den andern Matrosen, der da an Bord is, vor mir aufgehn und seh Bollmann in 'ne Ekipasche reinsteigen un hör ihn sagen: ›Nach Klampenborg‹, und zu seine Matrosen sagt er: Bis heute middag Klock ßwölf habt ihr Urlaub, un da wüßt ich dja, daß keinein auf den Kudder war und daß ich da mal 'n büschen revidieren konnte. Das hab ich denn auch getoan, aber sie hatten allens gut weggeslossen, bis auf den Kasten mit Eisengeschirr. Den hatte Jan vergessen. Der stand unter 'ne Ducht (Bank), und als ich da so 'n büschen in rumwühlte, da fand ich denn auch bald das Stück Ssentrumsbohr. Un als ich da Herr Aasbaas sein Stück Ssentrumsbohr aus die Tasche kriegte und hielt das dabei, da paßten sie so brüllant ßusammen wie Vadder un Mudder. Un da –« – Hannis kriegte wieder einen roten Kopf und fuhr mit einigem Stocken fort: »Dja, ich will's man gestehn: ich hab' Herr Koptain vorhin was vorgewindbüdelt. Da bin ich, mit die beiden Stücken in die Tasche, doch nach den Gammelstrand gewesen un hoab mich da in so fünf, seks Köminseln einen angedudelt. Vor lauter Freude. Aber man so 'n ganz kleinen. Un da ...«
Aber ich ließ Hannis nicht weiterreden. Sondern entnahm meiner Börse ein Zwanzigmarkstück und rief:
»Hannis Ketelschraper, nimm das für deine geniale Entdeckung erst mal als Abschlagszahlung. Soviel bekommst du jetzt für jeden ›Döskopp‹, den ich dir wieder an den Hals werfen sollte. Die beiden Bohrerstücke behalte ich. Und nun wollen wir das Eisen schmieden, solange es warm ist.«
Und das tat ich. Sobald Krischan Bollmann seinen dicken Hamburger Beefsteakkorpus wieder über die Laufplanke wälzen sah, schickte ich Hannis hinüber und ließ ihn um einen kurzen Besuch bitten. Bollmann aber ließ, grob wie ein Ankerschmied, zurücksagen: wenn ich was von ihm wolle, möge ich nur zu ihm kommen.
»Das ist vielleicht noch besser«, sagte ich. »Also auf, Johnny und Hannis, zur großen Nemesisexpedition in die Bollmannsche Seelöwengrube.«
Bollmann empfing uns in seiner Kajüte, neugierig, was wohl ich, sein an die Luft gesetzter Mietsmann, von ihm wolle. Neben ihm stand Jan.
»Ich wollte Ihnen nur Ihr Eigentum wiederbringen, Herr Bollmann«, begann ich. »Mein Bestmann Hannis wollte heute morgen etwas an Sie bestellen, es war niemand auf dem Kutter, und da ist er so zurückgekommen. Aber mit diesem Stück Zentrumsbohrer. Das hat er auf dem Kutter gefunden, und wenn's auch ganz wertlos ist, so sollten Sie's doch zurück haben, und er sollte sich bei Ihnen entschuldigen.«
»Hmmmm! Hrruupp!« grollte es in Bollmann. »Also auf meinen Kudder rumgesnüffelt? Wenn ich das bei die Komhoagener Polleßei annßeig, koß das swedsche Gardinens, mein guter Mann«, schnob er Hannis an. Aber der grinte, als ob ihm Bollmann statt schwedischen Eisens hundert silberne Mark in Aussicht gestellt hätte.
»Is das Stück Eisen von unsen Kudder, Djohann?« erkundigte sich Bollmann.
»Djoa«, rief Jan, erfreut, seinen Gegner und Finkenwärder Landsmann gehörig hineinlegen zu können. »Das stimmt. Das kann ich beswören.«
»Und ich auch«, sagte Hannis.
»Und ich und Herr Aasbaas können beschwören«, schoß ich nun sogleich meine schwerste Granate ab, »daß dies zweite Stück Zentrumsbohrer aus meinem Kutter stammt, nämlich aus einem Bohrloch, worin es abgebrochen und stecken geblieben ist. Wenn Sie sich überzeugen wollen, Herr Bollmann, bitte: das Stück aus meinem Kutter, nämlich die Spitze, paßt ganz genau an das Stück aus Ihrem Kutter, nämlich den oberen Teil. Wenn ich nun diese beiden Stücke« – damit nahm ich sie schnell wieder an mich – »der Staatsanwaltschaft einreichte und sie bäte, daraus gewisse Schlüsse zu ziehen: zum Beispiel, daß der ursprüngliche Eigentümer des Bohrers, also Sie, verehrter Herr Bollmann, oder meinethalben auch Ihr ›Djohann‹, zu dem ersten Loch, und damit auch wahrscheinlich zu den späteren Löchern in meinem Kutter in gewissen Beziehungen stehen muß – was glauben Sie wohl, Herr Bollmann, was die Staatsanwaltschaft dann täte?«
War vor einigen Stunden Johnny so weiß wie Kreide auf meinem Kutter gestanden, so kann die Weiße, mit der jetzt Bollmann in die Polsterung des Kajütssofas zurücksank, nur mit der frisch gefallenen Schnees verglichen werden. Er war vollkommen sprachlos, und auch »Djohann« war unter der überraschenden, furchtbaren Wucht dieses unerwarteten eisenschweren Indiziums völlig zusammengebrochen. Das sah man ihm an.
»Ich will es Ihnen sagen, Herr Bollmann«, fuhr ich fort, als keine Antwort erfolgte. »Die Staatsanwaltschaft erläßt unbedingt einen Verhaftungsbefehl, zunächst gegen Ihren. Hausknecht, Schiffsknecht und Komplicen ›Djohann‹, damit er, statt meines Hannis, hinter die ihm soeben freundlichst in Aussicht gestellten schwedischen Gardinen kommt. Möglicherweise aber auch gleich einen zweiten gegen Sie. Denn, mein lieber Herr Bollmann, diese Kutteranbohrungsgeschichte: das ist 'ne ganz verflucht schwere Kriminalsache! Sehn Sie: Sie können sich selbst davon überzeugen, aus diesem Polizeischreiben, Morten Leverpölse betreffend.«
Bollmann nahm den Polizeibrief und las.
»Aber«, wandte er dann ein, mit einem letzten Versuch, diese böse Geschichte von sich und seinem ›Djohann‹ abzuwälzen, »wenn dieser Sweinigel von Morten Leverpölse den Kudder in den Grund gebohrt hat, dann kann es doch unmöglich mein Hausknecht oder gar ich selbst gewesen sein. Lassen Sie uns da man bei bleiben, Herr Dokter. Die Wette will ich gern beßoahlen, gans wie Sie das hoaben wollen, an djeden von die Herrens fümfhunnert Mark, un fümfhunnert in die Armenkaß auch noch. Aber denn muß der Pott aber auch ab sein, denn is 'n Strich durch die Geschichte, un das muß denn gleich 'n büschen in die Feder genommen werden.«
»Leider ist es mit Morten Leverpölse nichts, lieber Herr Bollmann«, sagte ich mit heuchlerischem Bedauern, indem ich das zweite Polizeischreiben auf den Kajütstisch legte. »Morten Leverpölse hat die Polizei angeschwindelt. Er hat bloß auf Staatskosten 'n bißchen fett leben wollen – nomina sunt omina, wie Sie wissen, lieber Bollmann, denn Leverpölse heißt auf deutsch Leberwurst – aber das ist ihm ganz häßlich daneben gelungen. Er ist zu der Zeit, als Sie durch Ihren ›Djohann‹ – ja so, ich will Ihre Gefühle nicht unnötig wieder aufregen, Sie haben ja schon, und ›Djohann‹ erst recht, alles zugegeben – also er ist zur Zeit, als der Mann mit dem Zentrumsbohrer, dessen beide Stücke ich eben wieder an mich genommen habe, sich an meinem Kutter als Bohrwurm betätigt hat, auf See gewesen. Nein, lieber Freund, ganz so billig lassen wir Sie nun nicht laufen. Aber andererseits: was hab' ich davon, wenn ich die Sache und damit Sie und Ihren Bohrmatador ›Djohann‹ der Staatsanwaltschaft übergebe? Sie müßten ja beide brummen, bis Sie schwarz werden. Und ich bin nicht rachsüchtig. Ich bin ganz damit einverstanden, wenn wir die Geschichte unter der Hand erledigen. Werden wir einig, so fliegen die beiden Bohrerstücke vor unser aller Augen in den Holmenskanal, und damit ist die Sache aus der Luft, abgetan und für alle Zeiten begraben. Werden wir's aber nicht, dann geht sie ihren Gang. Entscheidend werden die Ziffern sein, die Sie – davon hilft Ihnen kein Gott – hier in Ihr Scheckbuch schreiben müssen.«
»Sü wolln mür ausräubern, Herr Dokter«, stieß Bollmann wütend hervor.
»Nein, Herr Bollmann, das will ich durchaus nicht«, erwiderte ich scharf. »Aber ich will Sie bestrafen für Ihre schofle Gesinnung, für Ihren Hauswirtkoller, für Ihre Protzerei und vor allem dafür, daß Sie einen vormals braven Finkenwärder – denn das sind alles brave Leute, Schubejacke findet man auf dieser edlen Insel nicht – auf den Weg des Verbrechens getrieben haben. Also raus mit dem Scheckbuch und schreiben Sie! Ich werde diktieren.«
Bollmanns Widerstand war gebrochen. Mit gewaltigem Stöhnen holte er das geldwerte Büchlein aus der Tasche, dazu seine Platin-Iridiumfeder, und sah mich mit einem Blick an wie das bekannte Kaninchen, das die den Rachen bereits aufsperrende Python um Barmherzigkeit anfleht.
»Zuerst die Wetten. Sie haben, da der Verbrecher im Laufe dieses Jahres entdeckt ist, folgende Wettsummen verloren: an mich, Herrn Aasbaas und Herrn Greulich je fünfhundert Mark. Also, bitte, zunächst drei Schecks über je fünfhundert Em. – Haben Sie das? Schön! – Ferner habe ich hundert Mark an meinen Bestmann Hannis zu zahlen. Es ist wohl billig, da Sie meinen Kutter durch die Anbohrerei stark im Wert geschädigt haben, daß Sie auch diese hundert Mark übernehmen. Das macht mit den fünfhundert, die Sie ihm ›dabeilegen‹ wollen – Sie erinnern sich doch, Herr Bollmann? – sechshundert Mark.«
»... sekshunnert Mark«, seufzte Bollmann mit der Platin-Iridiumfeder in sein Scheckbuch hinein.
Hierauf zog ich eine Rechnung aus meiner Brieftasche und legte sie vor Bollmann auf den Tisch:
»Sie werden es ferner nicht unbillig finden, Herr Bollmann, daß ich Sie mit dem Betrag für die Hebung des Kutters belaste. Wie Sie aus dieser Nota entnehmen wollen, habe ich dem Taucher dreihundert Mark bezahlt.«
»Meinswegen auch das noch«, knurrte Bollmann und setzte zum fünftenmal die Feder an.
»Dazu kämen ferner, denn der Kutter ist ja durch die Löcher und das Ersaufen nicht besser geworden, an Schadenersatzkosten – na, ich will's billig machen: nochmal dreihundert Mark. Zusammen sechshundert Mark.«
»Sekshunnert Mark?« schrie Bollmann voll Gift. »Mehr ist dja das ganse Wrack von Kudder nich wert.«
»Ja, mehr hab' ich ja auch gar nicht dafür bezahlt, Herr Bollmann«, bestätigte ich diese Taxe.
»... un somit also nochmal sekshunnert Mark«, seufzte die Platin-Iridiumfeder.
»Zum Schluß käme noch die kleine Zahlung an die Armenkasse, Herr Bollmann.«
»Dja, dja«, grunzte Bollmann in voller Wut, »ich weiß schon, auch noch fünfhunnert Mark«, und setzte die Feder an.
»Stopp!« rief ich. »So billig kann ich's nicht machen. Auf das Scheckblatt für die Armenkasse schreiben Sie: zehntausend Mark!«
»Sünd Sü verrück, Herr!« brüllte Bollmann und schmiß die Feder hin.
»Durchaus nicht, lieber Bollmann«, sagte ich freundlich. »Ich bin überzeugt: schreiben Sie diese Summe nicht hin, und werden wir infolgedessen über die Beilegung der Sache nicht einig, so wird der Herr Oberstaatsanwalt – denn die Angelegenheit geht vor's Schwurgericht, bester Herr – eine sehr viel höhere Summe von Ihnen verlangen, als Kaution, versteh'n Sie ...!«
Bollmann knickte wieder zusammen wie ein Waschlappen und verzierte das Scheckblatt ohne weiteren Widerstand mit der Zahl zehntausend.
»Denn zehntausend Mark, lieber Bollmann, sind als Abstandssumme für ein solches Henkerbeil, wie ich Ihnen aus diesen beiden kleinen Eisenstücken hätte schleifen können, doch 'ne reine Lumpensumme. Se hebbt et jo, Herr Bollmann. – Fertig? Danke schön! Sie erlauben wohl, daß ich diese sechs wertvollen Papierstückchen an mich nehme. Eine Quittung ist wohl kaum nötig. Ich quittiere hierdurch!«
Damit warf ich, während ich mit der einen Hand die sechs Schecks an mich raffte, mit der andern die beiden für Krischan Bollmann so verhängnisvoll gewordenen Zentrumsbohrerstücke durch das offene Ochsenauge in den Kanal. Plumps! sagte es. Weg waren sie! »Ufff! Hrruuppp!« stöhnte Krischan Bollmann und stieß dann aus dem untersten Magen hervor:
»Djan! Weis' die Herrens die Tür. Aber höflich. Und mach den Kudder fertig. In 'ne Stunde sailen wir.«
Hatte es in Krischan Bollmanns vornehmem Sportskutter gedonnert, geblitzt und gehagelt, so war auf meinem schlichten Wohnkutter eitel Freude, Gläserklang und Sonnenschein. Gerade als wüßten sie dort schon, wie die Nemesis unsern Freund Bollmann zwischen die Kinnbacken genommen hatte. Aber die Jubelklänge auf der »Scholle« hatten einen anderen Grund.
Quäker-Oats hatte sich mit Frau Adelgunde, seiner alten und sozusagen einzigen Liebe, verlobt. Aber selbstverständlich nicht in der Weise, wie sich gewöhnliche Mitteleuropäer verloben. Nein, in einer Manier, wie nur ein Kriminaldichter und auch sonst verrücktes Huhn wie Timotheus es fertigbringen konnte.
»Kinder«, rief meine Frau, nachdem wir unseren Bollmann-Bericht erstattet hatten, »diese Verlobungsmimik kann nur einer erzählen, der sie wider Willen durch die Türritze mit angesehen und belauscht hat. Und, ich schäme mich nicht, es zu gestehen: das war ich. Die Einzelheiten will ich taktvoll verschweigen. Nur soviel: er hat ihr erst, wie seinen anderen drei Verlobungskandidatinnen, heimlich hinter die Ohren gesehen. Und als er dort alles in Ordnung befunden hat, da erst hat er das entscheidende Wort gesprochen. Nämlich: unser Timotheus will durchaus ein Weib sein eigen nennen, das auch hinsichtlich seiner Romane zu ihm paßt. ›Meine Gattin‹, sagte er mir eben, ›muß mit meinem Lebenswerk harmonieren. Ich treibe seit langem heimliche phrenologische Studien. Und alle Schädelkenner stimmen darin überein: hinter den Ohren sitzt der Mordsinn. Zum Beispiel hatte diese Miß Honeysnake ein durchaus glücklich entwickeltes Hinterm-Ohr-System. Das mag mich zu ihr hingezogen haben. Bei den andern beiden jungen Damen – ach, die eine war ja leider ein Mann – war ich weit weniger befriedigt. Aber als ich der Frau Adelgunde diskret hinter die Ohren sah: so 'was hatte ich noch nicht gefunden. Sofort rief's in mir: die oder keine‹.«
Meine Frau wollte noch weitererzählen, ihr wurde aber, und das mit Recht, von der neuverlobten Frau Adelgunde der Mund zugehalten. Aber Johnny Aasbaas rief vergnügt dazwischen:
»Ja, ja, ich hab's immer gesagt: die hat's dicke hinter den Ohren! Mögest du glücklich mit ihr werden, lieber Schwipp-Schwager Quäker-Oats!«
Das Mittagessen war infolge der privatdetektivlichen Tätigkeit meines Hannis noch in weitem Felde, ganz abgesehen davon, daß Trina, ebensowenig wie meine Frau, infolge der allgemeinen Aufregung nach den Kochtöpfen gesehen hatten. Da aber bei dem in jeder Beziehung glänzenden Verlauf dieses Vormittags irgend etwas geschehen mußte, wurde zunächst eine rein feuchte Verlobungstafel eingerichtet, für die die Bollmann-Schecks einen angenehmen, goldfarbigen Hintergrund abgaben. Besonders für Hannis, der heute, wie seine Trina, mit an der herrschaftlichen Tafel saß. Ich hatte die versprochene Kutterzusage aufs neue und »für bald« bestätigt, und nun saß Hannis wie ein Stück Butter, das in einem großen Topf – einem Glückstopf – zum Schmelzen gebracht wird, zerfließend neben seiner nicht minder in Zukunftsseligkeit schwimmenden künftigen Träsenbeherrscherin der schwimmenden »Köminsel«. Alle hielten wir Reden, die längsten Quäker-Oats, die lautesten Johnny Aasbaas, die formvollendetsten ich. Zuletzt erhob sich Hannis, durch einen Rippenstoß seiner Trina, zahlreiche Gläser schwedischen Punsch, seine Erfolge auf dem feindlichen Kutter und den Ausflug nach dem Gammelstrand zungenmutig gemacht, und schwang sich gleichfalls zu einer Rede auf. Sie war nur kurz, schoß aber durch ihre Ehrlichkeit und, wenn man will, Versöhnlichkeit, den Vogel ab.
Hannis nämlich nahm sein Glas in die Hand und rief – und gerade in diesem Augenblick stakte sein Gegner ›Djohann‹ den feinen Bollmannschen Sportskutter aus dem Kanal hinaus, und sein Brotherr Krischan Bollmann stand mit einem Gesicht wie ein ganzes Faß voll saurer Heringe neben ihm –, Hannis also rief:
»Hiphiphip hurra für den Kudder ›Scholle‹, für Herr Koptain und seine Frau Gemoahlin und alle andern, die an Bord sünd. Und 'n dreifaches Hiphiphip hurra für Herr Koptain seinen alten Hauswirt Krischan Bollmann und für menen alten ehemoaligen Landsmann Jan. Denn die haben mein Glück begründt, un das von mein' Trina un das, wie Herr Koptain sich Ummer so spoaßig ausdrück, von die soundsoviel Stiege kleine Ketelschroapers, die noch nachkomm' sollen.«
Darauf stießen wir selbstverständlich sämtlich mit Hannis und seiner Trina an und hörten nur noch, als der Gläserklang verhallt war, fern von der Holmenskanalecke her, um die der Bollmannsche Kutter gerade nach dem Außenhafen hineinbog, ein gewitterartig dröhnendes, dumpfes, echoartiges Grollen:
»Bajazzenvolk! Hungerleiders! Schriftstellerpeubel! Foarbenkladdje! Blutsaugers! Seeräubers! Dja! Hrruupppü«