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Nur wer in seinem Vorleben einmal ein bis zum Platzen vollgeschlungener Albatroß gewesen ist, kann sich die behaglichen Gefühle vorstellen, mit denen wir nach Erledigung dieser kleinen Aufregungen – Hawjungsärger würde sie Onkel Bräsig genannt haben –, faul wie die Seehunde in der Sonne auf Deck liegend, unseren Kurs weiter segelten. Endlich kam unser stolzes Reiseziel in Sicht, zuerst schleiergrau, dann blau, dann rot. Quäker-Oats notierte auf seinem papiernen Grauschimmel: »Helgoland, das Chamäleon der Nordsee« und gleich hinterher, unter dem Zwange dichterisch-weiterschaffender Assoziation: »Die Kuff, das Kamel des Ozeans«, sowie einigen ähnlichen Blödsinn. Dann verabschiedeten wir uns einstweilen von unseren holländischen Freunden und steuerten mit vollen Segeln – bislang hatten wir sie wegen der Langsamkeit der Kuff gerefft gehabt – auf die Reede von Helgoland los. Dabei passierte mir ein kleines Mißgeschick: beim Beidrehn schrammte ich einen daliegenden protzigen Sportskutter, daß es nur so splitterte und krachte. Sofort kamen zwei Kerle aus der Kajüte geschossen – die schmeichelhafte Bezeichnung »Herren« darf ich mit gutem Grund vermeiden – und bölkten mich mit aller Kraft ihrer Lungen und mit demjenigen Wortschatz an, der Waterkantgeborenen in solchen Fällen zu Gebote steht.
Ich ließ den Hagelschauer über mich hinprasseln. Ganz unempfindlich. Ebensogut hätte man mir statt hunderttausend Donnerwettern, Butzköppen und sonstigen Quittungen meiner Ungeschicklichkeit hunderttausend Henry Clays oder Hennessys anbieten können. So überrascht war ich. Denn von den beiden Kerlen, die blind und toll wie die Kampfhähne auf mich losbollerten, war der eine mein verehrter ehemaliger Hauswirt Krischan Bollmann, der andere sein Hausknecht, und pro tempore Jachtmann Jan oder, auf Bollmannsch, »Djohann«, aus Finkenwärder.
»Mi ook 'n paarmal«, rief ich schließlich auf gut waterkantisch als Gegengruß hinüber, »guten Tag, Herr Bollmann. Sie kennen mich wohl gar nicht mehr. Also Sie haben sich auch 'ne Lustjacht zugelegt? Ja, der Dümmere macht's dem Klügeren immer nach. Das ist 'ne alte Geschichte.«
»Tag, Herr Bollmann«, stimmte Johnny mit seiner Aasbaas-Stimme als erster Baß in meinen Tenor ein. »Haben Sie die Ohlsch zu Haus gelassen, den kurulischen Hauswirtsthron hinter sich verbrannt, Ihren protzigen fünfstöckigen Kasten von Wolkenkratzer verramscht, dem Fiskus geschenkt, zu 'nem öffentlichen Akkouchement ausgebaut oder als Tingeltangel einrichten lassen? Maaten und Maatinnen: Krischan Bollmann, der Jupiter tonans des Dichterviertels, der Herr der Ratten, Wanzen, Flöhe, weißen Mäuse und fliegenden Fische, der Sonntags- und Sportssegler, Regattamann und helgoländer Badegast: hiphiphip hurra!« Meine Frau erkundigte sich mit einigen unpassenden Worten nach Bollmanns Gattin, Hannis Ketelschraper wechselte mit »Djohann« einige Finkenwärder Begrüßungsformeln, Trina schlug mit zwei Kochlöffeln auf einer umgekehrten Wasserpütze Wirbel, Johnny ließ, bei hellichtem Tage, ein halbes Dutzend Raketen los: alles unserm verehrten, so unvermutet am Gestade von Helgoland aufgetauchten, mit einem fünfstöckigen Mietshaus und nun auch noch mit einem Regattakutter begüterten Freund und Gönner Krischan Bollmann zu Ehren.
Krischan Bollmann hatte insofern mit Miß Honeysnake eine Art Familienähnlichkeit, als er von Ironie nicht das geringste begriff.
»Hörn Sie man endlich mal auf mit den Spenktakel«, rief er schließlich herablassend. »Ich glaub das scha gern, daß mein Kudder Sie imponniern tut, dja. Is aber auch 'n feines, trimmes Foarßeug, hat mür – Djohann, wovül hat er mür man noch gekoß? In Kleinigkeiten hoab ich 'n büschen swaches Gedächnis, dja. Hrruuupp!«
»Füfunßwanßigtausend Märk, Herr Bollmann«, sagte Jan, indem er gleichzeitig – es war fraglich, ob vor dem Kutter, Krischan Bollmann oder seiner eignen Dummheit – die blaue Matrosenmütze abnahm.
»Dja. Fümfunßwansigtausend Märk«, bestätigte Bollmann. »Un boar auf 'n Tusch bessoahlt. Nich mit 'n Hypothek, wie dieser lumpige lecke – hrruupp! – dösige Romankudder. Pühahahahah! Wenn die Romanens, die dieser übergesnappte Dr. Eck an Land schreip, schon so langweilig sind wie 'n gansen flauen Grog – wie wässerig mögen die Romanens erst sein, die er auf See schreip. Was, Djohann? Puhahahahaha! Hrruuupü«
»Quäker-Oats!« brüllte Johnny mit seiner Aasbaas-Stimme, und zwar so laut, daß sämtliche dienstfreie Matrosenartilleristen ihre Köpfe neugierig über das Geländer am Oberland nach der Reede herüberstreckten, »Quäker-Oats. Das Notizbuch! Herr Hausbesitzer Krischan Bollmann hat 'nen Witz gemacht. Den ersten seines Lebens. Aufschreiben! Der muß in die Nordseezeitung!«
»Djoa!« ruderte der Finkenwärder Jan mit breitem Lachen auf dem witzigen Gewässer seines Brotherrn weiter, »an diesem Kutter ›Scholle‹ sollte man von Rechts wegen anschreiben: ›An ole Hüser un ole Frooens is alltied wat to flicken. Wies das Sprüchwort sag. Djoa. Hrruupp!‹«
Ich stellte fest, daß sich anscheinend auch im Lauf der Zeit zwischen Krischan Bollmann und seinem Knecht eine Art Familienähnlichkeit herausgebildet hatte. Auch Johnny Aasbaas' Künstlersinnen schien dies nicht zu entgehen, denn er brüllte wieder so laut wie die Helgoländer Nebelsirene hinüber:
»Wie der Herr so's Gescherr! Und flicken? Paß man op, du marineblau angestrichener Hausaffe, daß ich dir nicht bald was flicke. Denn bist du das wohl gewesen, der nachts die dummerhaftigen Verse angemalt hat, was?«
»Oder vielleicht sogar der, der ihn angebohrt hat«, mischte sich Quäker-Oats ein. Er war jetzt auch zornig geworden und fuhr fort: »Jeden Verbrecher ereilt die Nemesis. Wehe der gemeinen Mörderhand, die, dem feigen Bohrwurm gleich, der arglosen Seefahrern meuchlings die heilige Planke durchschnullt, im Finkenwärder Loch der Kunst nach dem Leben getrachtet hat ... Feiger Morddreher, wir werden dich doch fassen –«
»– und in einem mörderlichen Roman abkonterfeien«, fuhr Johnny fort, »so wie dein Herr in einem Sitten- und sozialen Roman abkonterfeit ist. Und ich werde die Bilder dazu malen.«
»Und von mich«, fügte Hannis Ketelschraper hinzu, der sich augenscheinlich verpflichtet fühlte, auch einen kräftigen Klacks Senf zu der über den Kopf seines Landsmanns ausgegossenen Sauce zu tun, »gibt's dann das dazugehörige Fell voll.«
»Djohann« und Krischan Bollmann wollten sich ausschütten vor Lachen.
»Ganse lumpige hundert Mark hat der Schollenkoptän für den ausgesetz, der's rauskriegen tut, wer ihm das alte Oesfatt von Kudder angebohrt hat, Djohann«, rief Bollmann. »Wird woll das ganse sogenannte Hooneroar sein, was er für den Roman gekrieg hat, in den er mir abgemoalen hat. Un dafür soll 'n Finkwärder den Verräter spielen. Na, denn will ich mich verpflichen, füfhunnert Mark dabeizulegen, wenn er's rauskriegen tut. Für den Schubbjack, wenn er ihn finnt, der ihn den angibt, der ihn damals die fümf, seks Löcher eingebohrt hat, so daß er ihn gerüchlich belangn kann. Was, Djohann?«
Wieder kam eine Lachsalve. Aber Johnny rief:
»Topp! Das ist 'n Wort. Aber wolln wir darüber nicht lieber 'ne Wette machen, Herr Bollmann? Denn auf diesem Romankutter – ja, Sie haben unser Lustfahrzeug ganz passend getauft; eigentlich sollte es ja ›Krischan Bollmann‹ getauft werden, aber ›Romankutter‹ ist viel graziöser – auf diesem Romankutter wird ganz kolossal gewettet. Wenn's binnen Jahresfrist herauskommt, wer ihn damals angebohrt hat, zahlen Sie außerdem fünfhundert Mark an jeden Interessenten: an Herrn Dr. Eck, an mich, an Herrn Greulich und fünfhundert Mark in die Armenkasse. Wenn's bis dahin nicht herauskommt, zahlen wir Ihnen jeder fünfhundert Mark und fünfhundert Mark aus der Armkasse dazu. Einverstanden?«
»Topp!« rief Krischan Bollmann, »wenn die übrigen Herren das ßufrieden sind.«
Was sollten wir machen. Vor einem Krischan Bollmann zurückweichen? Niemals. Wir bestätigten also für uns die Wette. »Djohann« und Hannis Ketelschraper wurden als Zeugen angerufen. Und damit waren die Wiedersehensbegrüßungen erledigt, denn Krischan Bollmann und sein Adlatus stiegen wieder zur Koje, nachdem Bollmann noch erklärt hatte: er verzichte einem armen Hungerleider von Schriftsteller gegenüber auf Haverieersatz, da wir ja schon genug zu kratzen haben würden, uns selbst flott zu erhalten. Das habe sich bislang glänzend herausgestellt.
Natürlich wusch ich Johnny nachträglich gewaltig den Kopf. »Du«, sagte ich, »hast gut lachen. Du bist insolvent. Aber Quäker-Oats und ich müssen berappen, wenn wir den Kutterbohrwurm binnen Jahresfrist nicht entdeckt haben.«
»Kleinmütiger!« rief Quäker-Oats. »«Wir werden ihn entdecken. Ich habe gestern mit Miß Honeysnake über die Sache gesprochen. Wir verstehen einander. Wir werden gemeinsam arbeiten. Sie muß auf diesem Gebiet eine riesige Erfahrung haben. Ich möchte geradezu sagen: einen natürlichen kriminellen Instinkt. Ich möchte nur wissen, wo sie's her hat. Entdecken wir ihn nicht, so mögen Sie den Verlust der von Johnny allerdings etwas voreilig kontrahierten Wette auf mein Konto schreiben.«
Da Quäker-Oats für seine Kutterkabine – sie bestand allerdings nur aus einer im Bünndeck aufgeschlagenen Hängematte – kein Logisgeld bezahlte, nahm ich diese Vereinbarung an. Dabei liefen mir allerlei Gedanken durch den Kopf. Sie knüpften zum zweitenmal an den meiner Trina seinerzeit von Bollmann geschenkten Taler an. Sollte nicht doch ...? Ein ganzer Rattenkönig von Gedanken und Überlegungen schloß sich an. – Nein, dummes Zeug. Außerdem hatte ich bereits vor unserer Abreise in Giftnudels Zeitung gelesen: »die Polizei ist dem Schurken, der selbstverständlich mit den örtlichen Verhältnissen aufs genaueste vertraut sein muß, auf der Spur.« Wenn also die Polizei ihren Kopf dermaßen anstrengte, warum sollte ich mir meinen soviel wertvolleren Schädel (für mich war er's ja unbedingt) auch noch zerbrechen. Lieber grübelte ich ein bißchen darüber nach: warum mochte Krischan Bollmann, dieser Landhaifisch, mit einem Male unter die Sportsleute gegangen sein und sich auf die See gewagt haben? Und ich fand nichts anderes heraus: er wollte mich kopieren und übertrumpfen. Ich mußte ihm also doch wohl, obgleich er's nicht zugab, als Romanschreiber, als Mensch und als Kutterbesitzer gewaltig imponiert haben. Auch meine Frau, der ich diese Ansicht am Abend in der Koje mitteilte – wir beide schliefen in den Kojenbetten der Vorderkajüte, Quäker-Oats, Johnny und Hannis in Hängematten im Bünndeck, die beiden jungen Damen in den Kojenbetten der Achterkajüte und Trina in der Kabelgatsluke, um den geehrten Leser über die geographische und metazentrische Verteilung der verschiedenen Schwerpunktmassen nicht im unklaren zu lassen –, auch meine Frau war der gleichen Ansicht. Und sprunghaft, wie Frauen in ihren Gedankengängen manchmal sind, setzte sie hinzu:
»Hast du 'ne Ahnung, weshalb Quäker-Oats, wenn ihn niemand beobachtet, Miß Honeysnake und Mejuffrouw Peperbus immer hinter die Ohren schielt und bei der Peperbus unmutig den Kopf schüttelt?«
Das mußte ich erstaunt verneinen, und meine Frau fuhr fort:
»Entweder es entwickelt sich bei ihm ein neuer ›Zustand‹ oder die Holländerin hat sich hinter den Ohren nicht rein gewaschen. – Auch bei Trina hat er's versucht, aber die hat ihm, weil sie wohl andere Absichten dahinter vermutete, kurzweg Eine an seine Ohren geschlagen.«
»Hm«, sagte ich nach einer Gedankenpause, »ich denke mir, sein neuer Romanstoff, Stoff Nummer I, gewinnt Gestalt. Als gründlicher Dichter geht er geschichtlich noch weit hinter Gesche Margarete Brockmann zurück, bis zum Vater aller Schauerdramatik: Shakespeare. Ich habe ein Reclambändchen: ›Hamlet‹ im Bünnraum gesehn. Es wird sich um einen Giftmord, begangen von einer männlichen an einer weiblichen Person, durchs Ohr handeln, und Quäker-Oats studiert nun die verschiedenen weiblichen Lauscher auf die technische Möglichkeit.«
Da meine Frau es unmöglich fand, diese blödsinnige Hypothese durch eine noch dümmere zu widerlegen, drehten wir uns jeder auf die andere Seite und stärkten uns durch eine solide Pennung für weitere Abenteuer.